Das Argument für Divestment ist eigentlich ganz einfach: Der Klimawandel schreitet ungebremst voran mit katastrophalen Konsequenzen auf der ganzen Welt. Die fossile Brennstoffindustrie weigert sich jedoch beharrlich, auf erneuerbare Energien umzustellen. Deshalb muss dieser Industrie Geld und Einfluss entzogen werden. So einfach dieses Argument ist, so verbreitet sind aber auch die Vorbehalte gegenüber der vielleicht wichtigsten Bewegung des 21. Jahrhunderts. Im Folgenden die drei am häufigsten gehörten Gegenargumente – und wieso sie nicht stimmen.
Argument gegen Divestment 1: Eine abrupte Abkehr von fossilen Energieträgern würde das Wohlergehen der Ärmsten dieser Welt weiter gefährden.
Dieses emotionale Gegenargument kriegt nicht nur die Divestment-Bewegung immer wieder zu hören, sondern alle GegnerInnen von fossilen Energieträgern. Bekanntlich lässt sich schwer dagegen argumentieren, dass der Wohlstand und die Verbesserung des Lebens in den Industrieländern in diesem Tempo nicht ohne fossile Energieträger erreicht worden wäre. Der Umkehrschluss: Damit die armen Länder sich entwickeln, müssen sie fossile Brennstoffe verbrennen können. Die Divestment-Bewegung würde ihnen das verbieten.
Der Klimawandel, angetrieben von unkontrollierter fossiler Brennstoffverbrennung, ist jedoch längst zu einer Bedrohung für eine nachhaltige Entwicklung geworden. Gerade die ärmsten Länder leiden am stärksten unter den Folgen des Klimawandels. Er schafft dort neue Armutsfallen. Gemäss der Weltbank werden durch den Klimawandel bedingte zunehmende Extremwetterereignisse, Veränderungen in der Landwirtschaft und sich neu verbreitende Krankheitsbilder bis zum Jahr 2030 voraussichtlich weitere 100 Millionen Menschen in extreme Armut treiben. Dies ist umso besorgniserregender, weil Prognosen der Weltbank als eher konservativ gelten.
Klimaflüchtlinge werden deshalb in absehbarer Zukunft wohl nicht weniger werden. Die Herausforderung unserer Zeit besteht darin, dass Länder wie Indien einen eigenen Weg beschreiten und nicht noch länger am australischen Kohletropf hängen bleiben.
Das Ziel von Divestment ist es auch nicht, alle fossilen Brennstoffe sofort zu stoppen. Stattdessen wird versucht, Regierungen und die Industrie zu einem Übergang zu bewegen. In wie vielen Schritten und in welchem Tempo Divestment stattfindet, entscheidet jeder Akteur für sich selber. Aktuell ist die politische Trägheit so stark, dass die Divestment-Bewegung schlichtweg nicht zu erfolgreich werden kann. Somit sind wir von einem abrupten Systemwechsel weit entfernt.
Argument gegen Divestment 2: Divestment ist sinnlos, weil die Kohle‑, Öl- und Gasgesellschaften trotzdem nicht Konkurs gehen
Immer mehr Akteure betreiben Divestment, aber die Summen sind in der Tat relativ klein im Vergleich zum immensen Wert der noch vorhandenen fossilen Brennstoffe. Das Ziel von Divestment ist es jedoch nicht, Unternehmen des fossilen Energiesektors finanziell in den Ruin zu treiben, sondern einen moralischen Konkurs zu erzielen. Dies untergräbt ihren Einfluss und trägt dazu bei, den politischen Raum für Alternativen zu schaffen. Eine breit gedeckte Stigmatisierung stellt gemäss der Oxford University die weitreichendste Bedrohung für die fossile Industrie dar.
Und das funktioniert: AnlegerInnen beginnen bereits, den zukünftigen Wert der Vermögenswerte der fossilen Brennstoffe zu hinterfragen. Viele fossile Reserven könnten durch Massnahmen gegen den Klimawandel in den nächsten Jahren zu wertlosen stranded assets werden. Divestment macht daher auch für AnlegerInnen Sinn. Wenn der Rückzug aus fossilen Brennstoffen nicht in einer allmählichen und geplanten Weise geschieht, könnten AnlegerInnen Billionen von Dollar verlieren, wenn die „Kohlenstoffblase“ platzt.
Argument gegen Divestment 3: Divestment ermöglicht es AnlegerInnen, die sich nicht um den Klimawandel kümmern, abgestossene Aktien billig zu erwerben.
Der Hintergedanke bei diesem Gegenargument ist besonders fies. Er geht so: Wer sich von der Divestment-Bewegung überzeugen lässt, dass er die Aktien von Erdölkonzernen abstossen soll, gehört vermutlich zu den vernünftigeren und moralischeren Akteuren am Markt. Wenn genau diese sich aus diesem schädlichen Business zurückziehen, überlassen sie das Feld skrupelloseren Akteuren, die nun günstig die abgestossenen Aktien übernehmen können. Was diese dann mit den Unternehmen anstellen, will man sich aus Divestment-Sicht gar nicht vorstellen. So wird Divestment kontraproduktiv.
Das klingt tatsächlich gefährlich, nur stimmt es nicht. Die Beträge, die bislang veräussert werden, sind zu klein, um den Markt zu überschwemmen und die Aktienkurse zu senken. Deshalb werden die Aktien der fossilen Brennstoffkonzerne aufgrund des Divestments nicht billiger. Denn momentan übernehmen die KäuferInnen der abgestossenen Aktien das Risiko, dass die fossilen Brennstoffe in Zukunft an Wert verlieren, wenn der politische Druck grösser wird, die globale Erwärmung zu stoppen. Das wiederum heisst: Wenn diese Aktien so riskant sind, sollten gerade öffentliche und wertorientierte Institutionen, die von der Divestment-Bewegung anvisiert werden, solche Aktien nicht halten.
Die Universität Hamburg hat 2015 in der bisher umfangreichsten Metastudie rund 2200 wissenschaftliche Arbeiten analysiert. Resultat: Mehr als 90 Prozent der Studien zeigen keinen negativen Effekt von Nachhaltigkeit auf den finanziellen Erfolg. Im Gegenteil: Rund zwei Drittel der Studien ergeben eine positive Korrelation zwischen Nachhaltigkeitskriterien und Finanzergebnissen.
Fazit: Irrtum vorbehalten!
Die meisten Gegenargumente können wir einfach widerlegen. Aber eine Gefahr bleibt. Denn der gefährlichste Irrtum liegt dort begraben, wo Divestment als beste Idee betrachtet wird und darob vergessen geht: Wo eine Nachfrage nach einem Produkt besteht, werden auch immer Investitionen getätigt – Divestment hin oder her. Divestment ohne Verhaltensänderung bei den KonsumentInnen oder CO2-Abgaben, um nur ein Beispiel zu nennen, wird also wirkungslos bleiben.
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