Kennst du die viel­leicht wich­tigste Bewe­gung des 21. Jahrhunderts?

Diese Woche findet welt­weit die Global Divest­ment Mobi­li­sa­tion 2017 statt. Du hast noch nie von der Divest­ment-Bewe­gung gehört? Kein Wunder, denn die Schweizer Leit­me­dien berichten kaum über sie. Zeit das zu ändern. 
Tägliche CO₂-Emissionen von New York City visualisiert als eine Tonne Sphären. Die schwere Fassbarkeit von CO₂-Emissionen spielt vielen Dreckschleudern in die Hände (Foto: Carbon Visuals)

Divest­ment, was soll das eigent­lich heissen? Ganz einfach: Divest­ment ist das Gegen­teil von Invest­ment. Das bedeutet, dass Aktien, Anleihen oder Invest­ment­fonds abge­stossen werden. Das tun Inve­storen natür­lich laufend. Deswegen spricht man noch nicht von einer Bewe­gung. In den letzten Jahren hat sich aber ausge­hend von den USA eine globale Bewe­gung gebildet, die vor allem eines will: dass Inve­storen ihre finan­zi­ellen Verbin­dungen zu Unter­nehmen kappen, die in Kohle, Öl oder Gas inve­stieren. Die Moti­va­tion der Kämp­fe­rInnen für ein globales Divest­ment: die immer offen­sicht­li­cher werdenden ökolo­gi­schen und finan­zi­ellen Risiken des fossilen Energiesektors.

Begonnen hat die Divest­ment-Bewe­gung im Jahr 2010 an verschie­denen US-Univer­si­täten, als Studen­tInnen Peti­tionen einreichten, um ihre zumeist privaten Univer­si­täten zum Divest­ment zu bewegen. 2012 schrieb der Umwelt­schützer Bill McKibben im Rolling Stone Maga­zine über die Kampa­gnen an den Univer­si­täten und der Notwen­dig­keit, die Kampagne auszu­weiten. Der Artikel verschaffte der Bewe­gung die Medi­en­prä­senz, die sie brauchte, um weitere Mitstrei­te­rInnen zu finden wie zum Beispiel den Milli­ardär Tom Steyer, der seither Divest­ment-Kampa­gnen finan­ziert. McKib­bens eigene NGO 350.org lancierte die Fossil-Free-Kampagne, die die Dive­stement-Idee in der ganzen Welt verbreiten sollte.

Selbst­ver­ständ­lich gab es Divest­ment-Bewe­gungen in anderen Berei­chen schon früher, zum Beispiel während der Apart­heid in Südafrika. Öffent­liche Inve­storen wie Gemeinden, Kirchen oder Hoch­schulen wurden dazu aufge­for­dert, sämt­liche Gelder aus südafri­ka­ni­schen Anlagen abzu­ziehen. Diese Divest­ment-Kampagne gegen die südafri­ka­ni­sche Regie­rung trug dazu bei, dem Apart­heid­re­gime das Rück­grat zu brechen.

Wer betreibt heute Divestment?

Die Divest­ment-Bewe­gung entfaltet sich global mit einer selten gese­henen Geschwin­dig­keit. Bis Ende 2016 haben sich bereits rund 700 Insti­tu­tionen und 60000 Menschen in über 76 Ländern der Welt zu Divest­ment bekannt. Gemeinsam reprä­sen­tieren sie ein Inve­sti­ti­ons­ka­pital von rund 5 Billionen US-Dollar.

Einer der grossen Vorteile der Divest­ment-Bewe­gung ist, dass neben Privat­per­sonen und Univer­si­täten viele weitere, ganz unter­schied­liche Akteure Teil von ihr sind:

  • Finan­zi­elle und poli­ti­sche Insti­tu­tionen
    Auch insti­tu­tio­nelle Akteure mit finan­zi­eller Verant­wor­tung und Einfluss sind sich immer stärker der Proble­matik im fossilen Ener­gie­sektor bewusst. Der Gouver­neur der Bank of England Mark Carney, wie auch der ehema­lige UN-Gene­ral­se­kretär Ban Ki-Moon warnten bereits vor den ökolo­gi­schen und finan­zi­ellen Risiken im fossilen Energiesektor.
  • Private und öffent­liche Fonds
    Der vermut­lich einfluss­reichste Akteur auf dem Finanz­markt, der desin­ve­stierte, war 2015 der norwe­gi­sche Pensi­ons­fonds und gleich­zeitig grösste Staats­fonds der Welt. Das Parla­ment verein­barte einstimmig, grosse Kohle­kon­zerne aus dem Port­folio auszu­schliessen. Kriti­ke­rInnen wenden ein: Der norwe­gi­sche Pensi­ons­fonds hat auch sonst vergleichs­weise hohe Anfor­de­rungen an seine Invest­ments. Dass er desin­ve­stiert, müsse noch nichts bedeuten.  Sie irren sich. Denn auch andere Akteure, die mit fossilen Ener­gie­trä­gern das grosse Geld gemacht haben, sind heute zu Divest­ment bereit. Der Rocke­feller Brot­hers Fund (RBF), dessen Vermögen haupt­säch­lich aus den Einnahmen aus den früheren Benzin­ge­schäften stammen, hat 2014 beschlossen, seine Inve­sti­tionen in fossile Brenn­stoffe abzuziehen.
  • Versi­che­rungs­un­ter­nehmen
    Auch Rück­ver­si­che­rungs­un­ter­nehmen erkennen das finan­zi­elle Risiko im fossilen Brenn­stoff­sektor. Mit Blick auf den UN-Klima­gipfel in Paris beschloss der Versi­che­rungs­kon­zern AXA, aus der Kohle zu desinvestieren.
  • Kirchen
    Eine weitere Akteurs­gruppe sind Glau­bens- und Reli­gi­ons­ge­mein­schaften, wie etwa der Ökume­ni­sche Rat der Kirchen, der Luthe­ri­sche Welt­bund oder die Kirche von Schweden, die sich Divest­ment auf die Fahne geschrieben haben.

All diese Akteure können Erfolge in ihren jewei­ligen Berei­chen erzielen und zum schnellen Wachstum der Divest­ment-Bewe­gung beitragen. Dekar­bo­ni­sie­rung wird damit zur poli­ti­schen und zur wirt­schaft­li­chen Bewegung.

In der Schweiz erfolgten auf natio­naler und kanto­naler Ebene bisher erst poli­ti­sche Vorstösse, die Divest­ment-Forde­rungen zum Thema hatten. Im März 2014 machten die Natio­nal­räte Bastien Girod, Susanne Leuten­egger, Barbara Gysi und Beat Jans mit Inter­pel­la­tionen und Motionen auf die finanz- und klima­po­li­ti­sche Dimen­sion von Schweizer Inve­sti­tionen in fossile Unter­nehmen im Ausland aufmerksam.

Schön, aber was geht mich Divest­ment an?

Wenn wir den Klima­wandel auf 1.5 bis maximal 2 Grad Celsius begrenzen wollen (was immer noch viel zu hoch ist), wie dies das Pariser Klima­ab­kommen verlangt, dürfen 75–80% der zum jetzigen Zeit­punkt bekannten fossilen Ener­gie­re­serven nicht mehr verbrannt werden. Rund 200 börsen­no­tierte Unter­nehmen sind im Besitz der grossen Mehr­heit dieser fossilen Energiereserven.

Nur: Wie soll das gehen? Wir alle sind in unserem Alltag auf fossile Ener­gie­träger ange­wiesen. Ist Divest­ment also nicht eine heuch­le­ri­sche Forde­rung? Nein, denn die Unter­nehmen, denen die Öl- und Kohle­re­serven gehören, tun einiges, damit wir noch möglichst lange von fossilen Rohstoffen abhängig bleiben. Ein Beispiel gefällig?

Der Mine­ral­öl­kon­zern Exxon­Mobil wusste bereits im Jahr 1977, dass der Klima­wandel bevor­steht. Dem Unter­nehmen war aber natür­lich bewusst, dass es den Gewinn schmä­lern würde, wenn die Menschen die mit dem Klima­wandel verbun­denen Risiken erkennen würden. Deshalb bevor­zugte es Exxon­Mobil in den letzten vier Jahr­zehnten, die Existenz des Klima­wan­dels öffent­lich in Abrede zu stellen und Falsch­in­for­ma­tionen zu verbreiten.

Mit jeder Insti­tu­tion und Person, die sich öffent­lich von den Kohle‑, Öl- und Gasun­ter­nehmen trennt, wird der poli­ti­sche Einfluss solcher Unter­nehmen geschwächt.

Trotzdem bleibt die Frage: Ist die Divest­ment-Bewe­gung nur ein Tropfen auf den heissen Stein? Und was kann ich konkret selber tun? Diese und weitere Fragen werde ich in näch­ster Zeit für dich bei das Lamm versu­chen zu beantworten.


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