Divestment, was soll das eigentlich heissen? Ganz einfach: Divestment ist das Gegenteil von Investment. Das bedeutet, dass Aktien, Anleihen oder Investmentfonds abgestossen werden. Das tun Investoren natürlich laufend. Deswegen spricht man noch nicht von einer Bewegung. In den letzten Jahren hat sich aber ausgehend von den USA eine globale Bewegung gebildet, die vor allem eines will: dass Investoren ihre finanziellen Verbindungen zu Unternehmen kappen, die in Kohle, Öl oder Gas investieren. Die Motivation der KämpferInnen für ein globales Divestment: die immer offensichtlicher werdenden ökologischen und finanziellen Risiken des fossilen Energiesektors.
Begonnen hat die Divestment-Bewegung im Jahr 2010 an verschiedenen US-Universitäten, als StudentInnen Petitionen einreichten, um ihre zumeist privaten Universitäten zum Divestment zu bewegen. 2012 schrieb der Umweltschützer Bill McKibben im Rolling Stone Magazine über die Kampagnen an den Universitäten und der Notwendigkeit, die Kampagne auszuweiten. Der Artikel verschaffte der Bewegung die Medienpräsenz, die sie brauchte, um weitere MitstreiterInnen zu finden wie zum Beispiel den Milliardär Tom Steyer, der seither Divestment-Kampagnen finanziert. McKibbens eigene NGO 350.org lancierte die Fossil-Free-Kampagne, die die Divestement-Idee in der ganzen Welt verbreiten sollte.
Selbstverständlich gab es Divestment-Bewegungen in anderen Bereichen schon früher, zum Beispiel während der Apartheid in Südafrika. Öffentliche Investoren wie Gemeinden, Kirchen oder Hochschulen wurden dazu aufgefordert, sämtliche Gelder aus südafrikanischen Anlagen abzuziehen. Diese Divestment-Kampagne gegen die südafrikanische Regierung trug dazu bei, dem Apartheidregime das Rückgrat zu brechen.
Wer betreibt heute Divestment?
Die Divestment-Bewegung entfaltet sich global mit einer selten gesehenen Geschwindigkeit. Bis Ende 2016 haben sich bereits rund 700 Institutionen und 60’000 Menschen in über 76 Ländern der Welt zu Divestment bekannt. Gemeinsam repräsentieren sie ein Investitionskapital von rund 5 Billionen US-Dollar.
Einer der grossen Vorteile der Divestment-Bewegung ist, dass neben Privatpersonen und Universitäten viele weitere, ganz unterschiedliche Akteure Teil von ihr sind:
- Städte
Seattle war eine der ersten Städte, die einen Beschluss zum Desinvestieren verabschiedete. In Europa hat Örebro in Schweden bereits desinvestiert und Münster ist die erste Stadt in Deutschland, die auf klimaschädliche Geldanlagen verzichtet.
- Finanzielle und politische Institutionen
Auch institutionelle Akteure mit finanzieller Verantwortung und Einfluss sind sich immer stärker der Problematik im fossilen Energiesektor bewusst. Der Gouverneur der Bank of England Mark Carney, wie auch der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon warnten bereits vor den ökologischen und finanziellen Risiken im fossilen Energiesektor.
- Private und öffentliche Fonds
Der vermutlich einflussreichste Akteur auf dem Finanzmarkt, der desinvestierte, war 2015 der norwegische Pensionsfonds und gleichzeitig grösste Staatsfonds der Welt. Das Parlament vereinbarte einstimmig, grosse Kohlekonzerne aus dem Portfolio auszuschliessen. KritikerInnen wenden ein: Der norwegische Pensionsfonds hat auch sonst vergleichsweise hohe Anforderungen an seine Investments. Dass er desinvestiert, müsse noch nichts bedeuten. Sie irren sich. Denn auch andere Akteure, die mit fossilen Energieträgern das grosse Geld gemacht haben, sind heute zu Divestment bereit. Der Rockefeller Brothers Fund (RBF), dessen Vermögen hauptsächlich aus den Einnahmen aus den früheren Benzingeschäften stammen, hat 2014 beschlossen, seine Investitionen in fossile Brennstoffe abzuziehen.
- Versicherungsunternehmen
Auch Rückversicherungsunternehmen erkennen das finanzielle Risiko im fossilen Brennstoffsektor. Mit Blick auf den UN-Klimagipfel in Paris beschloss der Versicherungskonzern AXA, aus der Kohle zu desinvestieren.
- Kirchen
Eine weitere Akteursgruppe sind Glaubens- und Religionsgemeinschaften, wie etwa der Ökumenische Rat der Kirchen, der Lutherische Weltbund oder die Kirche von Schweden, die sich Divestment auf die Fahne geschrieben haben.
All diese Akteure können Erfolge in ihren jeweiligen Bereichen erzielen und zum schnellen Wachstum der Divestment-Bewegung beitragen. Dekarbonisierung wird damit zur politischen und zur wirtschaftlichen Bewegung.
In der Schweiz erfolgten auf nationaler und kantonaler Ebene bisher erst politische Vorstösse, die Divestment-Forderungen zum Thema hatten. Im März 2014 machten die Nationalräte Bastien Girod, Susanne Leutenegger, Barbara Gysi und Beat Jans mit Interpellationen und Motionen auf die finanz- und klimapolitische Dimension von Schweizer Investitionen in fossile Unternehmen im Ausland aufmerksam.
Schön, aber was geht mich Divestment an?
Wenn wir den Klimawandel auf 1.5 bis maximal 2 Grad Celsius begrenzen wollen (was immer noch viel zu hoch ist), wie dies das Pariser Klimaabkommen verlangt, dürfen 75–80% der zum jetzigen Zeitpunkt bekannten fossilen Energiereserven nicht mehr verbrannt werden. Rund 200 börsennotierte Unternehmen sind im Besitz der grossen Mehrheit dieser fossilen Energiereserven.
Nur: Wie soll das gehen? Wir alle sind in unserem Alltag auf fossile Energieträger angewiesen. Ist Divestment also nicht eine heuchlerische Forderung? Nein, denn die Unternehmen, denen die Öl- und Kohlereserven gehören, tun einiges, damit wir noch möglichst lange von fossilen Rohstoffen abhängig bleiben. Ein Beispiel gefällig?
Der Mineralölkonzern ExxonMobil wusste bereits im Jahr 1977, dass der Klimawandel bevorsteht. Dem Unternehmen war aber natürlich bewusst, dass es den Gewinn schmälern würde, wenn die Menschen die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken erkennen würden. Deshalb bevorzugte es ExxonMobil in den letzten vier Jahrzehnten, die Existenz des Klimawandels öffentlich in Abrede zu stellen und Falschinformationen zu verbreiten.
Mit jeder Institution und Person, die sich öffentlich von den Kohle‑, Öl- und Gasunternehmen trennt, wird der politische Einfluss solcher Unternehmen geschwächt.
Trotzdem bleibt die Frage: Ist die Divestment-Bewegung nur ein Tropfen auf den heissen Stein? Und was kann ich konkret selber tun? Diese und weitere Fragen werde ich in nächster Zeit für dich bei das Lamm versuchen zu beantworten.
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