Divi­denden-Ausschüt­tung: „Priva­ti­sie­rung der Gewinne bei Verstaat­li­chung der Verluste“

Trotz der unsi­cheren Wirt­schafts­lage wegen der Corona-Pandemie haben die Gross­banken und auch Unter­nehmen, die vom Bund Kurz­ar­beits­gelder beziehen, diesen Früh­ling Divi­denden an ihre Aktio­näre ausbe­zahlt. Wie kann das sein? 
Dividenden sind am Paradeplatz höher im Kurs als Solidarität. Foto: Claudio Schwarz

Im April forderte die Coali­tion for a Just Reco­very die UBS und die Credit Suisse in einer Peti­tion dazu auf, wegen Corona dieses Jahr keine Divi­denden an ihre Aktionär*innen auszu­zahlen. Innert weniger Tage hat die Peti­tion „Care not Divi­dends“ rund zwölf­tau­send Unterstützer*innen gefunden, unter anderem auch verschie­dene Wirtschaftsprofessor*innen renom­mierter Schweizer Univer­si­täten. Die Initiant*innen fordern „Soli­da­rität statt Dividenden“.

Hinter der Peti­tion stehen mehrere Bewe­gungen, so beispiels­weise der Klima­streik, der Frau­en­streik und die Gewerk­schaft Uniterre. Guil­laume Durin vom Kollektiv Break­Free, das zuletzt mit diversen Aktionen gegen die Verwen­dung fossiler Ener­gie­träger auf sich aufmerksam gemacht hat, ist einer der Initiant*innen. Er sagt: „Die Pandemie stellt unsere Prio­ri­täten in Frage. Viele von uns sind sich der Zerbrech­lich­keit des gegen­wär­tigen Wirt­schafts­sy­stems bewusst. Aber die Gross­banken entscheiden sich dazu, dieses System zu akzen­tu­ieren, indem sie Aktio­nären wie Black­Rock und Vanguard astro­no­mi­sche Divi­denden auszahlen.“ Dies, während Pfleger*innen oder Kassierer*innen ihre Gesund­heit riskieren müssen, um das System aufrechtzuerhalten.

Nichts­de­sto­trotz schneite es bei beiden Gross­banken Anfang Mai Divi­denden. Für die Aktivist*innen ist klar: Irgend­etwas geht hier nicht auf. Die Ausschüt­tungen der Divi­denden sorgten auch in der Bevöl­ke­rung für Empörung.

„Man versuchte, die Uhr zurückzudrehen“

Weil der Protest gegen das Vorgehen der Gross­banken lauter als erwartet ausge­fallen sei, habe die Kommis­sion für soziale Sicher­heit und Gesund­heit des Natio­nal­rats versucht, die Uhr zurück­zu­drehen, sagt Durin. Ende April reichte Mattea Meyer (SP) eine Motion ein, die das Ausschütten von Divi­denden bei Unter­nehmen, die Kurz­ar­beit ange­meldet haben, im laufenden und kommenden Jahr verbieten will. Im Natio­nalrat stiess Meyers Vorstoss auf Zustim­mung. Doch dann wurde er vom Stän­derat bachab geschickt.

Und der Bundesrat? Der liess eben­falls im April eine ableh­nende Stel­lung­nahme verlaut­baren: Mit einem Divi­denden-Verbot würden Schweizer Unter­nehmen an Wett­be­werbs­fä­hig­keit verlieren, so das Argu­ment. Die Folge davon wäre der Verlust vieler Arbeitsplätze.

Dass unter der „Wett­be­werbs­fä­hig­keit“, um die der Bundesrat sich sorgt, vor allem Attrak­ti­vität für Grossaktionär*innen zu verstehen ist, zeigte eine Recherche des Online­ma­ga­zins tsüri.ch am Beispiel von Sunrise. Der Mobil­funk­an­bieter hat Mitte April trotz Kurz­ar­beit eine Divi­dende von 198 Millionen Franken ausgeschüttet.

Mit Mattea Meyers Motion stellt sich die Frage, warum das Unter­nehmen keine klei­nere Divi­dende ausbe­zahlen und dafür auf Kurz­ar­beits­gelder des Bundes hätte verzichten können. In den Augen von Guil­laume Durin ist das Beispiel Sunrise bezeich­nend für die vorherr­schende ökono­mi­sche Ideo­logie: „Priva­ti­sie­rung der Gewinne bei Verstaat­li­chung der Verluste.“

„Die am stärk­sten betrof­fenen Sektoren und Personen benö­tigen massive öffent­liche Hilfe – diese Hilfe darf aber nicht in einen krisen­ge­schüt­telten Finanz­sektor umge­leitet werden“, heisst es am Anfang der Peti­tion. Damit sind auch die Gross­banken gemeint, die Divi­denden auszahlen, während die genauen Risiken und Folgen der Pandemie nicht abschätzbar sind. „Akteure wie die UBS und die Credit Suisse wetten darauf, dass sie nicht unter­gehen können, ohne enormen wirt­schaft­li­chen Schaden anzu­richten“, so Durin. So verpflichte sich die Regie­rung dazu, die Banken zu retten, falls es bei wegen Corona gespro­chenen Krediten zu Ausfällen kommt.

Nachdem auch die Finanz­markt­auf­sicht (FINMA) Druck machte, wurde an der UBS-Gene­ral­ver­samm­lung eine Divi­dende von 0.73 Dollar pro Aktie für das Geschäfts­jahr 2019 ange­kün­digt. Sie soll wegen mögli­chen Risiken in zwei Tran­chen à 0.365 Dollar ausge­schüttet werden. Die erste Tranche wurde bereits ausbe­zahlt. Über die zweite Tranche stimmen die Aktionär*innen an einer ausser­or­dent­li­chen Gene­ral­ver­samm­lung im November ab – sobald das dritte Quar­tals­er­gebnis bekannt ist. Auch der Verwal­tungsrat der Credit Suisse sieht vor, im Herbst eine zweite Baraus­schüt­tung zu bean­tragen. Die Divi­dende für das Geschäfts­jahr 2019 wurde auf 0.1388 Franken pro Aktie festgesetzt.

„Der Bund und die FINMA schieben die Verant­wor­tung gerne ab“, sagt Durin. FINMA-Chef Mark Branson etwa forderte die Banken Ende März in einem Kommentar in der NZZ zur Vorsicht bei den Divi­den­den­zah­lungen auf, da dieses Geld laut Branson später noch benö­tigt werden könnte. Doch solange sie die Eigen­mit­tel­vor­gaben der FINMA einhalten, können die Banken jedes weitere Risiko eingehen. In diesem konkreten Fall sind sie also recht­lich nur dazu verpflichtet, weiteres Kapital für drohende Kredit­aus­fall­ri­siken – aufgrund der Pandemie – zu hinter­legen. Die Entschei­dung, Divi­denden auszu­zahlen, bleibt aber bei den Banken.

Auch die Rating­agentur S&P Global Ratings (DE) hat sich mit dem Divi­den­den­split der beiden Gross­banken befasst. In einem Bericht bezeichnet sie die Ermah­nung der FINMA, die zum Split führte, als nach­voll­ziehbar. Die Agentur hält gleich­wohl fest, dass vor allem die UBS mit 61 Prozent des zure­chen­baren Gewinns aus dem Jahr 2019 immer noch eine eher hohe Divi­dende auszahlt. Dabei rechnet die Rating­agentur mit beiden Tran­chen, also auch mit dem aufge­scho­benen Teil der Dividende.

Rück­stel­lungen in Milliardenhöhe

Beide Gross­banken haben nach Vorgaben der FINMA also zusätz­liche Sicher­heiten in Form von Wert­be­rich­ti­gungen und Rück­stel­lungen für faule Kredite gebildet. Die UBS kann auf Rück­stel­lungen im Wert von 268 Millionen Dollar zurück­greifen. Die Credit Suisse tritt der Pandemie mit insge­samt einer Milli­arde Franken entgegen. Die Reserven der CS sind höher, weil die Bank dem Preis­ver­fall an den Rohöl­märkten und damit den gestei­gerten Risiken in ihrem Port­folio Rech­nung tragen musste. Doch im euro­päi­schen Vergleich sind diese Rück­stel­lungen eher tief.

Beide Banken haben im ersten Quartal die letzt­jäh­rigen Gewinne über­holt – worauf sich die UBS wie auch die CS gerne berufen, wenn es um die gross­zü­gige Vertei­lung des Gewinns in Form von Divi­denden geht. Im Fall der UBS hat die Bank auch von Kunden­trans­ak­tionen an der vola­tilen Börse aufgrund des Coro­na­virus profitiert.

Beim Quar­tals­er­gebnis der Credit Suisse lohnt es sich, etwas genauer hinzu­schauen. Die Gewinne der Bank wären um 23 Prozent einge­bro­chen, wenn nicht der Verkauf der Fonds­platt­form Investlab – wie bereits im vierten Quartal 2019 – die Zahlen beschö­nigt hätte. Weil die Akti­en­märkte im Zuge der Coro­na­krise einge­bro­chen sind, hat die Aktie der Credit Suisse dieses Jahr bisher rund 41 Prozent – rund ein Drittel ihres Werts – verloren. Auch im Asset-Manage­ment- und Invest­ment-Bereich der Bank lauern gemäss dem Finanz­ma­gazin finews.ch weitere Gefahren.

Werden die grossen Verluste erst kommen?

Tobias Mock ist Leiter des Bereichs Unter­neh­mens­ra­ting bei S&P Global Ratings. Er sagt: „Alleine im April dieses Jahres gab es so viele Kredit­aus­fälle wie im ganzen ersten Quartal 2020.“ Von 5’000 Unter­nehmen bewertet S&P Global Ratings insge­samt 49 Gross­un­ter­nehmen in der Schweiz. „Für das erste Quartal 2021 erwarten wir, dass die Kredit­aus­fall­rate auf acht Prozent steigen wird. Wenn die Krise länger dauert, auf sogar elf Prozent“, sagt Mock. Letztes Jahr lag die Rate in Europa bei knapp 2,5 Prozent.

Mit Blick auf diese Kredit­aus­fall­ri­siken könne das Corona-Paket des Bundes­rats auch als indi­rekte Absi­che­rung für diese verstanden werden, sagt Guil­laume Durin. Um die ökono­mi­schen Auswir­kungen der Pandemie zu bekämpfen, werden Schweizer Firmen vom Bundesrat mit insge­samt 40 Milli­arden Franken Notkre­diten unter­stützt. Diese Kredite werden von den Banken vergeben.

Das funk­tio­niert so: Durch die Corona-Kredite können die Banken den KMU schnell und ohne weitere Sicher­heiten bis zu einer halben Million Liqui­dität zur Verfü­gung stellen. So werden vorerst auch Kredit­aus­fälle und somit Abschrei­bungen aufseiten der Banken verhin­dert. Divi­den­den­aus­zah­lungen aufseiten der Unter­nehmen sind während des Bestehens des Über­brückungs­kre­dites aber verboten. Im Juni publi­zierte die Eidge­nös­si­sche Finanz­kon­trolle (EFK) eine erste Analyse von rund 94’000 dieser gespro­chenen Corona-Kredite über ein Volumen von 11 Milli­arden Schweizer Franken. Darin wurden etwa 400 Verstösse fest­ge­stellt. Darunter auch Divi­den­den­aus­zah­lungen trotz Verbot.

„Solche Kredite sind für die Banken natür­lich Gold wert“, sagt Mock. Doch weil auch die Finanz­welt nach Corona eine andere sein wird, werde die sehr hohe Unsi­cher­heit bleiben und dazu führen, dass Unter­nehmen auch in den näch­sten Jahren weniger Ertrag erwirt­schaften. Deshalb müsse man sich die Frage stellen, „ob diese Schul­den­last für KMU nach­haltig tragbar ist“.

Wann ist „nach Corona“?

Niemand weiss, wie lange die Pandemie noch andauern wird und welche Konse­quenzen der welt­weite Still­stand der Wirt­schaft haben wird. Tobias Mock von S&P Global Ratings ist kritisch: „Bei den Anpas­sungen der Risi­ko­ein­schät­zung stützen wir uns auf Erfah­rungs­werte.“ Er meint damit unter anderem Unter­su­chungen zu den ökono­mi­schen Auswir­kungen der Spani­schen Grippe 1918.

Das Problem bei der COVID-19-Pandemie sei aber, dass es unter den Bedin­gungen der heutigen Finanz­märkte noch nie etwas Ähnli­ches gegeben hat. Und solange es keine Impfung gibt, wird die Unsi­cher­heit gross bleiben, weil der Lock­down jeder­zeit wieder eintreten kann. Die Unter­nehmen müssten deshalb ihren Verschul­dungs­grad senken, sagt Mock. „Sonst werden die Ausfälle kommen – zwar nicht dieses Jahr, aber sie werden kommen.“


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