Ein Spezi­al­deal für die Klima­killer. Warum eigent­lich? (5/7)

Von 2013 bis 2020 subven­tio­nierte der Staat die emis­si­ons­in­ten­siv­sten Firmen des Landes mit rund drei Milli­arden Franken. Ob das gerecht­fer­tigt ist oder nicht, disku­tierte man bereits vor 30 Jahren. 
Illustration: Luca Mondgenast

Sach­buch: CO2-Ausstoß zum Nulltarif

Auf der Grund­lage dieser Arti­kel­serie ist ein Sach­buch entstanden, welches am 18.02.2024 beim Rotpunkt­verlag in Zürich erschienen ist. Das Buch „CO2-Ausstoß zum Null­tarif – Das Schweizer Emis­si­ons­han­dels­sy­stem und wer davon profi­tiert“ ist bei uns im Shop oder in der Buch­fi­liale deines Vertrauens erhältlich.

In Kürze

  • Dem Staat entgingen nicht nur fast drei Milli­arden Franken an Einnahmen, er verschenkte auch noch poten­zi­elle Millio­nen­ge­winne an die klima­schäd­lich­sten Konzerne der Schweiz.
  • Die Folge davon: Die Emis­sionen der subven­tio­nierten Konzerne sind mangels finan­zi­ellem Druck nur bedingt gesunken. 
  • Unsere Recherche zeigt zudem: In wirk­lich trans­for­ma­tive Mass­nahmen wurde wenig investiert.
  • Es war und ist gerade die EHS-Indu­strie, die sich gegen die Einfüh­rung von klaren Anreizen gestellt hat.

Es sind Milli­arden, die dem Staat bereits durch die Lappen gingen. Milli­arden an nicht einge­nom­menen Abgaben, weil rund 40 Firmen im Schweizer Emis­si­ons­han­dels­sy­stem (EHS) eine Dauer­flat­rate auf ihre Monster­emis­sionen genossen, anstatt wie alle anderen die CO2-Abgaben zu bezahlen. 

Hätten diese Firmen in der letzten EHS-Handel­s­pe­riode von 2013 bis 2020 die übliche CO2-Abgabe bezahlen müssen, hätte sie das 2.9 Milli­arden Franken geko­stet. Im EHS haben sie für dieselbe Menge an Emis­sionen schät­zungs­weise nur 92 Millionen Franken bezahlt. Dies zeigen Recher­chen von das Lamm.

Das EHS war für die Firmen also um Welten billiger als die CO2-Abgabe. Der Haupt­grund dafür: Im EHS müssen die Firmen den Gross­teil der Emis­si­ons­rechte gar nicht kaufen, sondern erhalten sie vom Bundesamt für Umwelt gratis zuge­teilt. Einige EHS-Konzerne konnten diese Emis­si­ons­rechte gar anhäufen und könnten sie heute auf dem Emis­si­ons­markt verkaufen. Der aktu­elle Gegen­wert aller ange­häuften Emis­si­ons­rechte beläuft sich laut den Berech­nungen von das Lamm, Stand 25. Januar 2023, schät­zungs­weise auf 361 Millionen Franken. 

Dem Staat entgingen also nicht nur 2.9 Milli­arden Franken an Einnahmen, er verschenkte auch noch poten­zi­elle Millio­nen­ge­winne. Und das an die klima­schäd­lich­sten Konzerne der Schweiz.

Dass es sich bei den erlas­senen EHS-Milli­arden in Form von verschenkten Gratis­zer­ti­fi­katen um Subven­tionen handelt, darüber sind sich Expert*innen gröss­ten­teils einig – so listet etwa auch der Kieler Subven­ti­ons­be­richt des Insti­tuts für Welt­wirt­schaft die gratis zuge­teilten EHS-Zerti­fi­kate als Subven­tionen auf. Schwie­riger zu beant­worten ist hingegen die Frage, ob diese Subven­tionen gerecht­fer­tigt sind.

Haben die Subven­tionen ihren Zweck erfüllt?

So viel vorneweg: Die Subven­tio­nie­rung in Form von Gratis­zer­ti­fi­katen hat das soge­nannte Carbon-Leakage, also das Abwan­dern von Emis­sionen oder ganzer Produk­ti­ons­stätten ins Ausland, verhin­dert. Ob Carbon-Leakage jedoch auch mit weniger grossen Subven­tionen hätte verhin­dert werden können – das kann bei der vorhan­denen Daten­lage niemand abschlies­send beurteilen. 

Die Emis­sionen der subven­tio­nierten Konzerne sind mangels finan­zi­ellem Druck nur bedingt gesunken.

Was jedoch klar ist: Die Emis­sionen der subven­tio­nierten Konzerne sind mangels finan­zi­ellem Druck nur bedingt gesunken. Auch wenn die EHS-Unter­nehmen ihre Emis­sionen teil­weise redu­zieren konnten – in anderen Sektoren wurde deut­lich mehr erreicht. 

Berech­nungen von das Lamm zeigen: Im besten Fall konnten die EHS-Firmen ihre Emis­sionen in der letzten Handel­s­pe­riode um rund 10 Prozent senken. Laut dem offi­zi­ellen Treib­haus­gas­in­ventar der Schweiz haben bei den Privat­haus­halten die Emis­sionen im selben Zeit­raum um ganze 32 Prozent abgenommen. 

Firmen, die ihre Klima­ko­sten unter dem Emis­si­ons­han­dels­sy­stem abrechnen dürfen, bezahlen keine CO2-Abgabe. Statt­dessen müssen sie für jede ausge­stos­sene Tonne CO2 ein entspre­chendes Zerti­fikat erwerben. Diese Zerti­fi­kate sind nichts anderes als Emis­si­ons­rechte. Dabei gibt es nur eine bestimmte Menge an Zerti­fi­katen und diese Menge, der soge­nannte Cap, wird schritt­weise gesenkt. Diese Verknap­pung soll den Preis der Zerti­fi­kate erhöhen. 

Die Firmen können die Zerti­fi­kate auf zwei Arten beziehen: Entweder sie erwerben sie käuf­lich oder sie bekommen sie geschenkt. Das Bundesamt für Umwelt (BAFU) verteilt jedes Jahr eine grosse Menge an Gratis­zer­ti­fi­katen an die Schweizer EHS-Firmen, um zu verhin­dern, dass sie ihre Emis­sionen ins Ausland verlagern. 

Zeit­lich ist das EHS in mehr­jäh­rigen Handel­s­pe­ri­oden mit mehr oder weniger gleich­blei­benden Regeln orga­ni­siert. Die letzte Handel­s­pe­riode lief von 2013 bis 2020. 

Wichtig: Die Zerti­fi­kate im Emis­si­ons­han­dels­sy­stem sind nicht an Projekte gekop­pelt, die der Atmo­sphäre Klima­gase entziehen, wie man das zum Beispiel von Kompen­sa­tionen für Flug­reisen kennt. Bei diesen frei­wil­ligen Kompen­sa­ti­ons­zah­lungen spricht man zwar oft auch von “Zerti­fi­katen”, diese haben aber nichts mit dem EHS zu tun.

Wer darf beim EHS mitmachen?

Grund­sätz­lich sind im EHS Firmen aus den Bran­chen mit den höch­sten Treib­haus­gas­emis­sionen vertreten. Dabei gibt es solche, die beim EHS mitma­chen „müssen“, weil sie im Anhang 6 der CO2-Verord­nung stehen. Auf dieser Liste sind beispiels­weise die Metall- oder die Zement­in­du­strie. Dieses „müssen“ kann jedoch zu Miss­ver­ständ­nissen führen. Denn die Firmen werden hier zu etwas gezwungen, das ihnen bis jetzt vor allem Vorteile verschafft hat.

Zusätz­lich gibt es Bran­chen, die frei­willig beim EHS mitma­chen können. Diese stehen im Anhang 7 der CO2-Verord­nung. Hier befinden sich zum Beispiel die Chemie‑, die Papier- oder die Holz­in­du­strie. Kurzum: Im EHS versam­meln sich die Gross­kon­zerne aus der Ener­gie­pro­duk­tion und der Schwerindustrie. 

Der über­wie­gende Teil der Schweizer Firmen darf aber nicht am EHS teil­nehmen. Diese zahlen statt­dessen für jede Tonne Klima­gase eine CO2-Abgabe von 120.– Franken.

Im EHS regi­striert werden genau genommen nicht die Firmen selbst, sondern die verschie­denen Indu­strie­an­lagen der Firmen – also ein Zement­werk, ein Stahl­werk oder ein Heiz­werk. Deshalb kann eine Firma auch mit mehreren Stand­orten im EHS vertreten sein. 

Wie wird bestimmt, wer wie viele Gratis­zer­ti­fi­kate erhält?

Die Anzahl Gratis­zer­ti­fi­kate, die eine Firma vom BAFU erhält, ist von zwei Faktoren abhängig. Einer­seits erhalten Firmen, die bereits eine gute CO2-Bilanz haben, mehr Gratis­zer­ti­fi­kate als solche, die schlecht dastehen. Was man dabei aber nicht vergessen darf: Auch Firmen bezie­hungs­weise deren Produk­ti­ons­an­lagen, die in diesem Ranking zu den besten zählen, emit­tieren immer noch Unmengen an Klimagasen.

Ander­seits erhalten Firmen, die für ihre Produkte den soge­nannten Carbon-Leakage-Status bean­spru­chen, mehr Gratis­zer­ti­fi­kate als solche ohne. Von Carbon-Leakage spricht man dann, wenn die Klima­gas­emis­sionen wegen hoher Abgaben, Steuern oder anderen Klima­schutz­mass­nahmen in ein anderes Land verla­gert werden, in dem es billiger ist, CO2 zu emittieren. 

In der Handel­s­pe­riode von 2013 bis 2020 mussten alle Schweizer EHS-Firmen zusammen 39 Millionen Zerti­fi­kate abgeben. Vom BAFU wurden 38 Millionen Zerti­fi­kate gratis verteilt. Viele Schweizer EHS-Firmen haben deshalb eine beträcht­liche Menge EHS-Zerti­fi­kate beisei­te­legen können. Diese Reser­ve­bil­dung schwächt die Wirkung des EHS-Konzepts ab.

Wie kommen die EHS-Firmen zu den rest­li­chen Zertifikaten?

Einer­seits führt das BAFU regel­mässig Verstei­ge­rungen durch. Ande­rer­seits handeln die EHS-Firmen sowie andere am CO2-Markt inter­es­sierte Akteur*innen unter­ein­ander mit den Emis­si­ons­rechten. Dieser Handel läuft über mehrere Ener­gie­börsen – zum Beispiel über die Euro­pean Energy Exch­ange (EEX) mit Sitz in Leipzig.

Verknüpft mit dem euro­päi­schen EHS und trotzdem anders. Wie geht das?

Seit dem 1. Januar 2020 ist das Schweizer EHS mit dem euro­päi­schen EHS verknüpft. Deshalb gelten in beiden Systemen grund­sätz­lich dieselben Regeln. Da diese EHS-Regeln aber in eine natio­nale Klima­ge­setz­ge­bung einge­bettet sind, bedeutet die Teil­nahme am EHS für eine euro­päi­sche Firma trotzdem nicht zu hundert Prozent dasselbe wie für eine Schweizer Firma. Ein Beispiel: Anders als in den meisten EU-Ländern bezahlen die Firmen, die nicht im EHS sind, in der Schweiz auf fossile Brenn­stoffe eine CO2-Lenkungs­ab­gabe. Diese liegt momentan bei 120 Franken pro Tonne CO2.

Diese Lenkungs­ab­gabe wird gröss­ten­teils an die Schweizer Bevöl­ke­rung zurück­ver­teilt. Aber auch EHS-Firmen erhalten bei dieser Rück­ver­tei­lung Geld, obwohl sie gar keine CO2-Abgabe bezahlt haben. Diese zusätz­li­chen Einnahmen aus der natio­nalen CO2-Abgabe erhalten euro­päi­sche EHS-Firmen nicht.

Entspre­chend wollten wir von den EHS-Konzernen wissen, ob sie diese finan­ziell über­pri­vi­le­gierte Posi­tion wenig­stens dafür genutzt haben, um in die Dekar­bo­ni­sie­rung ihrer Produk­ti­ons­ab­läufe zu inve­stieren. Doch eine Antwort auf unsere Frage fällt vielen Firmen sicht­lich schwer. Der Grund: Es fehlen die entspre­chenden Zahlen.

Keine Daten zu Klimainvestitionen

Die in der Ener­gie­ver­sor­gung tätige Tran­sitgas AG schreibt auf Anfrage, dass man uns die gewünschten Daten nicht liefern könne, weil man „vieles erst 2020 ange­packt“ habe. Auch der Flug­hafen Zürich kann keine konkrete Zahl für seine Klima­in­ve­sti­tionen nennen, da man die Klima­schutz­ko­sten nicht separat erhebe. „So gilt beispiels­weise die Erneue­rung einer Gesamt­be­leuch­tung mit Umstel­lung auf LED nicht als Klima­schutz­mass­nahme, auch wenn dadurch der Strom­be­darf mehr als halbiert werden kann“, schreibt die Medi­en­spre­cherin des Flug­ha­fens auf Anfrage. 

Laut dem Bundesamt für Energie (BFE) brau­chen wir für den klima­ge­rechten Umbau der Schweiz über die näch­sten 25 Jahre hinweg 109 Milli­arden Franken zusätz­liche Klimainvestitionen. 

Nicht mit einge­rechnet sind Unter­stüt­zungs­gelder für die Länder des globalen Südens, zu denen sich die Schweiz zusammen mit allen anderen Indu­strie­staaten im Pariser Klima­ab­kommen im Sinne der ausglei­chenden Gerech­tig­keit verpflichtet hat. Doch diese Abma­chung war von Anfang an ungenau. Vor allem, weil nie fest­ge­legt wurde, wer wie viel bezahlen muss. Statt­dessen soll jedes Indu­strie­land selbst entscheiden, welcher Betrag ange­messen ist – je nachdem, wie hoch die eigenen Emis­sionen waren und je nach den finan­zi­ellen Mitteln, die dem Land zur Verfü­gung stehen. Sprich: Reiche Länder mit hohen Emis­sionen sollen mehr bezahlen. Je nach Quelle liegt der faire Anteil der Schweiz laut diesen Krite­rien zwischen 500 und 800 Millionen Franken pro Jahr. 

Bei etwa­igen Wieder­gut­ma­chungs­klagen, zum Beispiel weil ein im Ozean versun­kener Insel­staat von den welt­weit grössten Emittent*innen Scha­dens­er­satz einfor­dert, könnte sich dieser Betrag aber massiv erhöhen. Verfahren dieser Art gegen den Schweizer Staat laufen bis dato zwar noch keine. Eine Klage von Inselbewohner*innen gegen den Schweizer Beton­kon­zern Holcim sorgte jedoch jüngst für Aufsehen. 

Poli­tisch steht für die Klima­fi­nan­zie­rung bis anhin nur ein konkreter Vorschlag zur Diskus­sion: die Klima­fonds-Initia­tive. Sie wurde gemeinsam von der SP und den Grünen initi­iert. Die Initia­tive fordert, dass der Bund jedes Jahr zwischen 3.5 und 7 Milli­arden Franken in die ökolo­gi­sche Wende inve­stiert. Die zwei Parteien sammeln dafür seit vergan­genem September Unterschriften.

Ähnlich schwammig klingt es bei Perlen Papier im luzer­ni­schen Perlen: „Wir inve­stieren pro Jahr insge­samt 20 bis 30 Millionen Franken in neue Kapa­zi­täten, Anlagen und Effi­zi­enz­ver­bes­se­rungen“, schreibt uns der Kommu­ni­ka­ti­ons­leiter der Papier­fa­brik als Antwort. Diese Mass­nahmen seien zwar auch klima­re­le­vant, der Effekt werde aber nicht geson­dert ausgewiesen. 

Trotzdem lohnt es sich, diese Inve­sti­tionen mit den Subven­tionen via EHS zu verglei­chen. Von 2013 bis 2020 sparte Perlen Papier laut den Berech­nungen von das Lamm rund 15 Millionen Franken an CO2-Abgaben ein. Zudem hat kaum eine andere Fabrik im EHS einen grös­seren Über­schuss an Gratis­zer­ti­fi­katen erhalten. Die nicht verwen­deten EHS-Zerti­fi­kate entspre­chen mit dem Zerti­fi­kats­preis Ende Januar 2023 einem geschätzten Gegen­wert von 81 Millionen Franken.

Vom Zement­her­steller Vigier Ciment erhalten wir noch weniger klare Angaben zu den getä­tigten Klima­schutz­in­ve­sti­tionen: „Wir bevor­zugen es, die Inve­sti­ti­ons­ko­sten in Klima­schutz­mass­nahmen nicht zu kommu­ni­zieren”, schreibt uns die Pres­se­stelle auf Anfrage und verweist für spezi­fi­sche Umwelt­schutz­mass­nahmen auf ihren Nach­hal­tig­keits­be­richt.

Den dort aufge­führten Mass­nahmen haftet aber etwas Verzwei­feltes an. „Der seit 2018 in Betrieb genom­mene elek­tri­sche E‑Dumper ‚Lynx‘ (Anmer­kung der Redak­tion: ein riesiger elek­tro­ni­scher Mulden­kipper) spart jähr­lich [...] 130 Tonnen CO2”, liest man unter der Rubrik „Klima“. Zur Einord­nung: 2020 emit­tierte der Konzern 470’000 Tonnen CO2. E‑Dumper hin oder her. Oder anders gesagt: Da müssen noch einige E‑Dumper ange­schafft werden, bevor sich die Klima­bi­lanz sehen lassen kann.

Auch die Klima­ge­rech­tig­keits­be­we­gung rühmt sich hin und wieder damit Emis­sionen aus dem Indu­strie­sektor verhin­dert zu haben – und zwar indem sie durch Aktionen des zivilen Unge­hor­sams fossile Infra­struktur blockiert. Sprich: Die Klimaaktivist*innen besetzen für einige Stunden, selten für wenige Tage, Kohle­bagger oder ketten sich an Gleise, die die Kohle von der Grube zum Kraft­werk trans­por­tieren. Bezüg­lich Grös­sen­ord­nung können es die Aktivist*innen durchaus mit Klima­schutz­mass­nahmen der Gross­kon­zerne aufnehmen. Im Braun­koh­le­kraft­werk Neurath sollen laut Angaben der Aktivist*innen mit nur einer Aktion 8’000 Tonnen CO2 verhin­dert worden sein.

Dank der Teil­nahme am EHS sparte Holcim von 2013 bis 2020 satte 831 Millionen Franken CO2-Abgaben ein.

Ein wenig konkreter fällt die Antwort des Baustoffriesen Holcim aus: „In den letzten Jahren inve­stierte Holcim Schweiz im zwei­stel­ligen Millio­nen­be­reich in Projekte für Umwelt­mass­nahmen.“ Berech­nungen von das Lamm zeigen jedoch: Dank der Teil­nahme am EHS sparte Holcim von 2013 bis 2020 satte 831 Millionen Franken CO2-Abgaben ein. Zudem haben die EHS-Zerti­fi­kate, die Holcim umsonst und über­schüssig vom Staat erhalten hat, mit dem aktu­ellen Zerti­fi­kats­preis einen geschätzten Wert von 202 Millionen Franken.

Auf Anfrage schickt uns Holcim die Medi­en­mit­tei­lungen zu drei konkreten Umwelt­schutz­mass­nahmen zu. In der ersten Medi­en­mit­tei­lung geht es um eine neu entwickelte Zement­sorte, die 10 Prozent weniger CO2-Emis­sionen verur­sacht. Damit konnte Holcim 2020 laut eigenen Angaben 7’000 Tonnen CO2-Emis­sionen einsparen. Laut der zweiten Medi­en­mit­tei­lung hat Holcim in einem seiner drei Werke eine Turbine in Betrieb genommen, mit der die bei der Zement­pro­duk­tion entste­hende Abwärme zur Strom­erzeu­gung genutzt werden kann. In der dritten uns zuge­schickten Medi­en­mit­tei­lung gibt Holcim an, dass den Mitarbeiter*innen und Besucher*innen im Zement­werk in Eclé­pens dank einer neuen Solar­an­lage nun eine Lade­sta­tion für ihre E‑Autos zur Verfü­gung steht. 

Das alles klingt nett, ist aber höch­stens ein Tröpf­chen auf den heissen Stein: 2020 haben die drei Anlagen, die Holcim im EHS abrechnet, zusammen satte 1.3 Millionen Tonnen CO2 emit­tiert – oder anders: Rund drei Prozent aller Emis­sionen auf Schweizer Terri­to­rium gehen auf die Kappe des Zementherstellers.

Wir brau­chen trans­for­ma­tive Massnahmen

Auch der Wirt­schafts­wis­sen­schaftler Michael Pahle ist gegen­über das Lamm skep­tisch, dass Konzerne mit E‑Dumpern und Firmen-E-Autos substan­ziell etwas gegen die Klima­krise tun können. Pahle arbeitet am Potsdam-Institut für Klima­fol­gen­for­schung zum Emis­si­ons­han­dels­sy­stem und forscht an Stra­te­gien, wie Klima­neu­tra­lität erreicht werden kann. 

„Es gibt margi­nale Mass­nahmen, wie Effi­zi­enz­stei­ge­rungen oder dass man E‑Autos auf dem Gelände einführt, und es gibt trans­for­ma­tive Massnahmen.“

„Es gibt margi­nale Mass­nahmen, wie Effi­zi­enz­stei­ge­rungen oder dass man E‑Autos auf dem Gelände einführt, und es gibt trans­for­ma­tive Mass­nahmen“, erklärt Pahle per Video­call. Was wirk­lich zähle, sei jedoch ganz klar Letz­teres, denn nur das ändere die Geschäfts­stra­tegie nach­haltig. „Grund­sätz­lich muss man also schauen, wo für dezi­diert emis­si­ons­freie Anlagen wirk­lich Geld in die Hand genommen wird. Alles andere ist zu wenig, um in den noch verblei­benden zwei Jahr­zehnten auf Netto-Null zu kommen.“

Im Januar 2022 gab die Varo Energy Group bekannt, dass sie die leistungs­stärkste Frei­flä­chen­so­lar­an­lage der Schweiz bauen wird. Laut eigenen Angaben könnte diese den Strom für 2000 bis 2500 Haus­halte produ­zieren. Dort wird der Strom jedoch nie ankommen, denn das grösste Solar­feld der Schweiz soll nicht etwa die Wohnungen im neuen­bur­gi­schen Cressier mit Strom versorgen, sondern die letzte noch verblie­bene Erdöl­raf­fi­nerie des Landes. „Bei voller Leistung deckt die Anlage mehr als 60 Prozent des Strom­be­darfs der Raffi­nerie ab“, ist auf der Webseite von Varo zu lesen. Dort steht auch, dass man damit zur Ener­gie­wende beitragen will. Doch: Für eine wirk­lich trans­for­ma­tive Ener­gie­wende müssten die Solar­pa­nels die umlie­genden Haus­halte mit Strom versorgen, anstatt einer Infra­struktur aus dem fossilen Zeit­alter ein grünes Mäntel­chen umzulegen.

In dieser Hinsicht hat von den ange­fragten EHS-Firmen nur eine wirk­lich etwas zu bieten: die Stahl­ver­ar­bei­terin Steeltec AG in Emmen­brücke. Steeltec setzt nicht nur auf Effi­zi­enz­stei­ge­rung, sondern elek­tri­fi­ziert ihre Stahl­ver­ar­bei­tung und spielt damit in einer anderen Liga als die Firmen mit den E‑Autos. Denn indem Steeltec auf Elek­tro­stahl­öfen umstellte, inve­stierte sie in eine Technik, mit der sie ihr Kern­ge­schäft, sprich die Verar­bei­tung von Recy­cling­stahl, von fossilen Ener­gie­trä­gern befreit – voraus­ge­setzt, der für diese Technik genutzte Strom wird ohne Kohle, Erdgas oder Erdöl erzeugt.

Genügen die Klimainvestitionen?

Ein biss­chen etwas hat sich also getan, jedoch unter Vorbe­halten: Einer­seits zählen die ange­fragten Firmen insge­samt nur wenige trans­for­ma­tive Mass­nahmen auf. Zum anderen sind die Subven­tionen via EHS zum Teil weitaus höher als die von den Firmen genannten Klima­schutz­in­ve­sti­tionen. Um der Klima­krise die Stirn zu bieten, müsste deut­lich mehr Geld fliessen. 

Das sieht auch Tobias Schmidt, Professor für Energie-​ und Tech­no­lo­gie­po­litik an der ETH Zürich, so. Wir errei­chen ihn per Video­call. Auf die Frage, ob die Schweizer Indu­strie genug in den klima­ver­träg­li­chen Umbau inve­stiere, antwortet er: „Nein, zumin­dest im Moment noch nicht.“ Finan­ziert vom Bundesamt für Energie arbeitet Schmidt zur Zeit an einer Studie, die aufzeigen soll, wie sich die Schweizer Indu­strie von der fossilen Energie befreien kann. Das Problem: „Es fehlen die Anreize und es gibt regu­la­to­ri­sche Unsi­cher­heiten“, so Schmidt. „Wenn ich als Zement­kon­zern nicht weiss, ob ich in 10 Jahren noch produ­zieren darf oder nicht, inve­stiere ich nicht in eine teure Anlage, die Jahr­zehnte braucht, um sich zu amortisieren.“

Es war und ist gerade die EHS-Indu­strie, die sich gegen die Einfüh­rung von klaren Anreizen gestellt hat.

Das ist nach­voll­ziehbar. Aber: Es war und ist gerade die EHS-Indu­strie, die sich gegen die Einfüh­rung von klaren Anreizen gestellt hat. Etwa als in der SRF-Arena im Jahr 1995 über eine mögliche CO2-Abgabe disku­tiert wurde. Was sowohl Ursula Renold, die dama­lige Spre­cherin der Schwei­ze­ri­schen Ener­gie­stif­tung SES, als auch SP-Natio­nalrat Elmar Leder­gerber dort sagten, erin­nert stark an die Aussage von Schmidt: Die Wirt­schaft braucht Anreize und klare Preis­si­gnale, damit sie ihre Produk­tion in Rich­tung weniger Emis­sionen und mehr Klima­ver­träg­lich­keit umstellt.

Nicht selten wird das EHS als Ablass­handel kriti­siert. Es sei unmo­ra­lisch, sich davon frei­kaufen zu wollen, wirk­lich etwas für eine klima­sta­bile Zukunft zu tun. Doch diese Kritik greift zu kurz. Das EHS ist kein Ablass­handel. Denn bei einem Ablass­handel müsste man ja immerhin etwas dafür bezahlen, wenn man die Welt an die Wand fährt. Im EHS wandern jedoch rund 95 Prozent der Emis­si­ons­rechte gratis über den Tresen. 

Und auch die von links gern bediente Markt­keule greift zu kurz, um das EHS zu kriti­sieren: Probleme, die ihren Ursprung im Kapi­ta­lismus selbst haben, mit einem markt­wirt­schaft­li­chen Instru­ment lösen zu wollen, könne ja nicht funk­tio­nieren. Denn diese Analyse über­sieht etwas Entschei­dendes: Seit über zehn Jahren versucht man im EHS vergeb­lich einen Preis für das Zerstören des Planeten einzu­führen – doch wo kein Preis ist, da ist auch kein Markt. Das Nicht­funk­tio­nieren des EHS ist kein Markt­ver­sagen. Denn damit ein Markt versagen kann, muss es ihn zuerst einmal geben.

Nicht selten wird das EHS als Ablass­handel kriti­siert. Es sei unmo­ra­lisch, sich davon frei­kaufen zu wollen, wirk­lich etwas für eine klima­sta­bile Zukunft zu tun. Doch diese Kritik greift zu kurz. Das EHS ist kein Ablass­handel. Denn bei einem Ablass­handel müsste man ja immerhin etwas dafür bezahlen, wenn man die Welt an die Wand fährt. Im EHS wandern jedoch rund 95 Prozent der Emis­si­ons­rechte gratis über den Tresen. 

Heute, fast 30 Jahre später, fehlen die von SP und SES bereits damals gefor­derten Markt­si­gnale für die klima­schäd­lich­sten Indu­strie­zweige noch immer. Der Grund: Dieje­nigen auf der anderen Seite der dama­ligen Diskus­si­ons­runde wollten keine solchen Anreize. Ange­spro­chen auf eine mögliche CO2-Abgabe meinte Rolf Hartl von der Erdöl­ver­ei­ni­gung bereits 1995: „Wir sind demge­gen­über relativ kritisch einge­stellt.“ Auch Jacob Schmid­heiny von der Zürcher Ziege­leien Holding sprach sich in der Sendung gegen eine CO2-Abgabe aus. „Für uns heisst das, ein Drittel des Profits ist weg.“ 

Aus der bereits 1995 geführten Diskus­sion resul­tierte tatsäch­lich eine, wie von Renold gefor­derte, langsam aber stetig stei­gende CO2-Abgabe auf fossile Brenn­stoffe. Nur: Die Zürcher Ziege­leien sind zusammen mit allen anderen ener­gie­in­ten­siven Bran­chen nach wie vor davon befreit. Heute rechnen die Zürcher Ziege­leien, unter dem Namen ZZ Wancor, im EHS ab, anstatt die teuren CO2-Abgaben zu bezahlen.

Jacob Schmid­heiny fürchtet 1995 in einer SRF-Arena zum Thema Klima­ka­ta­strophe bei der Einfüh­rung einer CO2-Abgabe um seinen Gewinn (Quelle: Screenshot).

Leider werden wir wahr­schein­lich nie heraus­finden, welchen Einfluss die dama­lige Einfüh­rung einer CO2-Abgabe tatsäch­lich auf die Ziege­leien und die anderen EHS-Firmen gehabt hätte. Möglich wären zwei Optionen: Entweder hätten Schmid­heiny und Co. wegen der neuen Klima­ab­gaben auf einen Teil ihres Profits verzichten müssen oder aber die betrof­fenen Indu­strie­un­ter­nehmen hätten es sich wahr­haftig nicht leisten können, die echten Klima­ko­sten ihrer Produk­tion zu bezahlen und wären mögli­cher­weise ins Ausland abgewandert.

Ob Option eins oder zwei zutrifft, ist schluss­end­lich gar nicht so entschei­dend. Denn beide Optionen hinter­lassen hinsicht­lich der millio­nen­schweren Subven­tionen, die die Zürcher Ziege­leien und deren Mitstreiter*innen seither erhalten haben, einen bitteren Nachgeschmack.

Denn anstatt fossilen Dino­sau­riern Milli­ar­den­sub­ven­tionen zuzu­stupfen, täten die Schweizer Klima­ge­setz­ge­bung und die dafür verant­wort­li­chen Politiker*innen gut daran, die Bran­chen, Firmen und Ideen zu unter­stützen, die rentabel wirt­schaften, ohne das Klima an die Wand zu fahren. 

Von der Vergan­gen­heit in die Zukunft. Die EU feilt daran, dem EHS mehr Biss zu verleihen. Was sich womög­lich ändern könnte und wie schnell das gehen wird, erfahrt ihr im näch­sten Teil.

Artikel 5
Ein Spezi­al­deal für die Klima­killer. Warum eigent­lich?
Von 2013 bis 2020 subven­tio­nierte der Staat die emis­si­ons­in­ten­siv­sten Firmen des Landes mit rund 3 Milli­arden Franken. Ob das gerecht­fer­tigt ist oder nicht, disku­tierte man bereits vor 30 Jahren.

Die Recher­chen für diesen Artikel wurden vom Peter Hans Hofschneider-Recher­che­preis für Wissen­schafts- und Medi­zin­jour­na­lismus der Stif­tung Expe­ri­men­telle Biome­dizin unter­stützt. Der Recher­che­preis wird in Zusam­men­ar­beit mit dem Netz­werk Recherche vergeben.


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