Finanz­platz Schweiz: Keine Inve­sti­tion in unsere Zukunft

Eigent­lich hätten heute Hunderte Personen auf dem Para­de­platz gegen die klima­schäd­li­chen Geschäfte des Schweizer Finanz­platzes demon­striert. Doch die Ansteckungs­ge­fahr während der Pandemie ist zu gross. Die Klima­krise wird aber noch viel mehr Todes­opfer fordern. 
Klimastreik Finanzen
Der Klimastreik im Frühling: So ähnlich hätte es auch heute auf dem Paradeplatz aussehen können. (Foto: zVg)

Para­de­platz, Zürich: Hunderte Menschen, die meisten von ihnen Teen­ager, stehen dicht gedrängt im Herzen des Zürcher Finanz­platzes. Die Stim­mung ist fried­lich, die Parolen fordernd. Die Polizei steht in Voll­montur gekleidet schüt­zend vor den Fassaden der Gross­banken. „Klima­schutz statt Kapital!“, ruft ihnen die Masse entgegen. Über ihren Köpfen halten sie bunte Trans­pa­rente mit weiteren Sprü­chen: „Keine Jobs auf einem toten Planeten“, „Klima­schutz statt Eigen­nutz“ und „Kapital und Banken, alle müssen wanken“.

Plötz­lich klet­tern drei Personen mit Mega­fonen auf das Dach der Tram­hal­te­stelle. Immer mehr Menschen strömen auf den mit Kreide bemalten Platz. Eine Stimme dröhnt durch die Laut­spre­cher, eine Rede über den Zusam­men­hang von Finanz­markt und Klima­krise ist zu hören. Die Trams stehen still, gezwun­ge­ner­massen, die Passant:innen auch. Drei Männer in Anzügen drängen sich verär­gert vorbei. Die Demon­strie­renden sind wütend.

So oder so ähnlich hätten die gerade statt­fin­denden Akti­ons­tage „Merry Crisis“ des Klima­streiks Zürich aussehen können – wenn da nicht die Sache mit der Pandemie gewesen wäre. Nach den neuen Beschlüssen zu den Corona-Mass­nahmen im Dezember mussten auch die Aktivist:innen ihre Pläne anpassen.

Über zwei Tage hinweg waren verschie­dene „krea­tive Aktionen“ auf den Strassen Zürichs geplant, wie Cyrill, der die Akti­ons­tage mitor­ga­ni­siert hat, im Inter­view erklärt. Im Fokus der Akti­ons­tage steht der Zürcher Finanz­platz – als grösster Emit­tent der Stadt. Doch dort hängen heute nur wenige der bunten Transparente.

„Es ist ein stän­diges Abwägen: Corona ist sehr schlimm – die Klima­krise aber auch. Wie können wir darauf aufmerksam machen, ohne die Pandemie zu miss­achten?“, sagt Cyrill. „Bei den derzei­tigen Zahlen wäre es leider völlig verant­wor­tungslos, sich in grossen Mengen zu versam­meln.“ Obwohl die Klima­krise viel mehr Opfer fordern werde, fügt er an. Dass die Pandemie nichts daran ändere, dass Gross­banken wie die CS und die UBS mit ihren eigen­nüt­zigen Inve­sti­tionen die Zukunft aller aufs Spiel setzen, schreibt der Klima­streik Zürich auch in seiner Medi­en­mit­tei­lung.

Weit verfehlte Ziele

Diesen November erst wurde der Schweizer Finanz­platz auf Initia­tive des Bundes­amtes für Umwelt und in Zusam­men­ar­beit mit dem Staats­se­kre­ta­riat für inter­na­tio­nale Finanz­fragen auf seine Klima­freund­lich­keit geprüft. Durch­ge­führt wurde die Umfrage nach der inter­na­tio­nalen PACTA-Methode, einem stan­dar­di­sierten Test, der eine Entwick­lungs­ana­lyse ermög­licht, aber nur wenig zukunfts­wei­sende Wirkungs­me­cha­nismen aufzeigt. 179 Schweizer Finanz­in­sti­tute nahmen daran teil – erst­mals auch Banken und Vermö­gens­ver­wal­tungen. Die gesamt­schwei­ze­ri­schen Finanz­flüsse umfassten im Jahr 2019 satte 7’000 Milli­arden Schweizer Franken und gehören damit zu den grössten der Welt.

Das Resultat über­rascht wenig: Bis heute ist das Enga­ge­ment des Schweizer Finanz­marktes im Kampf gegen die Klima­krise quasi inexi­stent. „Die Resul­tate zeigen erste Fort­schritte, verfehlen aber noch das Ziel“, schluss­fol­gert das Bundesamt für Umwelt. Eine ziem­lich lockere Sicht auf die Tatsache, dass allein UBS und Credit Suisse mehr CO2-Emis­sionen produ­zieren als die Gesamt­heit der Schweizer Bevöl­ke­rung und Indu­strie zusammen. Auch die Schweizer Natio­nal­bank über­trumpft allein die Emis­sionen der Landesbevölkerung.

Insge­samt werden viermal mehr Schweizer Finanz­mittel in Firmen inve­stiert, die Strom aus fossilen Quellen wie Kohle und Gas erzeugen, als in solche, die erneu­er­bare Ener­gien produ­zieren. Von den teil­neh­menden Insti­tuten halten 80 % Firmen in ihren Port­fo­lios, die Kohle abbauen. So unter­stützt der Schweizer Finanz­platz den zusätz­li­chen Ausbau der inter­na­tio­nalen Kohle- und Erdölförderung.

Über zwei Drittel der Teil­neh­menden gaben in einer ergän­zenden Befra­gung an, „eine Klima­stra­tegie zu verfolgen“. Mehr als die Hälfte der Insti­tute jedoch, die eigenen Angaben zufolge nicht in die Kohle­pro­duk­tion inve­stieren, halten auch heute noch Aktien und Anleihen von Unter­nehmen, die Kohle abbauen oder Strom aus Kohle produzieren.

„Die Schritte, die in der Schweizer Finanz­welt gemacht werden, sind sehr klein und zöger­lich“, sagt Larissa Marti, Expertin für Klima und Finanz­wirt­schaft bei Green­peace und ehema­lige Kader­mit­ar­bei­terin einer Gross­bank im Inter­view mit das Lamm. „Auf diese Weise werden die Klima­ziele von 2030 – oder auch 2050 – niemals erreicht werden.“

Die Schweizer Finanz­welt sei fast ausschliess­lich auf die Klima­ri­siken der Inve­sti­tionen und Anlagen fokus­siert und beschäf­tige sich wenig mit den Klima­wir­kungen, so Marti. Die Angst vor finan­zi­ellen Verlu­sten sei gross, aber das Verständnis für die eigene Trans­for­ma­ti­ons­funk­tion kaum vorhanden. Dabei hätte die Schweiz gute Voraus­set­zungen für progres­sives Wirt­schaften: Ein breites Wissen zur Gestal­tung einer nach­hal­tigen Finanz­welt sei durch Forschung und Wissen­schaft eigent­lich vorhanden.

Doch dieses Wissen würde von Entscheidungsträger:innen kaum genutzt: „Solange das Verständnis dafür, dass auch über inter­na­tio­nale Finanz­flüsse eine Wirkung für den Klima­schutz erreicht werden kann, nicht vorhanden ist, hat der Schweizer Finanz­platz seine Rolle nicht verstanden.“ Es sei eine Mischung aus Unwissen und Unwillen, meint Marti – und wenn es bereits am Ersten schei­tere, gehe es nicht weiter.

Keine indi­vi­du­elle Verantwortung

Auch das im September ange­nom­mene CO2-Gesetz sei kein ausrei­chender Schritt in Rich­tung Klima­ge­rech­tig­keit. „Damit wird der Ablass­handel legi­ti­miert, auf den die UBS und die CS schon lange ein Auge geworfen haben“, erklärt Cyrill. Für die verant­wort­li­chen Firmen und Insti­tu­tionen soll es demnach möglich sein, sich die Klima-Abso­lu­tion zu erkaufen, während keine Verän­de­rungen bei Inve­sti­tionen oder Produk­tionen getä­tigt werden müssen.

Im Ausland günstige Tonnen CO2 erwerben und mit dem Finger entrü­stet auf Indien oder China zeigen? Genau das ist mit dem Schweizer Ablass­handel möglich. So muss die Schweiz nämlich nur 75 % der eigens erzeugten Emis­sionen redu­zieren, um auf dem Papier die Ziele des Pariser Klima­ab­kom­mens zu erfüllen. Der rest­liche Viertel darf bequem und billig über der Landes­grenze einge­kauft werden. „Das ist in etwa so, als würden wir mit dem SUV in den globalen Süden fahren und die Menschen dort, die sowieso bereits viel weniger CO2 emit­tieren, dazu auffor­dern, noch spar­samer zu leben, damit wir unseren Lebens­stil nicht anpassen müssen“, meint Cyrill.

Selbst die Umstruk­tu­rie­rung in komplett nach­hal­tige Ener­gien kann laut dem Klima­ak­ti­vi­sten nicht die Lösung sein: „Es braucht zusätz­lich einen Rück­gang der Produk­tion und des Verbrau­ches – keinen ‚grünen Kapi­ta­lismus‘.“ Ausserdem sei das Pochen auf die indi­vi­du­elle Verant­wor­tung, die das CO2-Gesetz bekräf­tigt, nicht zielführend.

Eine Erhö­hung der Benzin­preise oder der Flug­tickets, wie vorge­sehen ist, zieht nicht die ausschlag­ge­benden Emit­tenten zur Verant­wor­tung, sondern wälzt sie erneut auf die Bevöl­ke­rung ab. Zwar ist vorge­sehen, dass zwei Drittel der erho­benen Steuern an die Allge­mein­heit zurück­er­stattet werden, doch ändert das nichts daran, dass auch dieses Gesetz einmal mehr die soziale Unge­rech­tig­keit zementiert.

Nach der Pandemie ist vor dem Kollaps

Heute findet keine Demon­stra­tion statt, um die Verur­sa­cher auf dem Para­de­platz direkt anzu­pran­gern. Dafür haben die Klimaaktivist:innen die Zeit genutzt, um neue Stra­te­gien zu entwickeln. „Auch ohne Massen­streik“, sagt Cyrill. Viele neue Projekte seien in dieser Zeit entstanden, etwa ein Fünf­jah­res­plan fürs weitere Vorgehen der Bewe­gung. Allge­mein inve­stiere der Klima­streik in eine länger­fri­stige Orga­ni­sa­tion. Eine Fähig­keit, so scheint es, mit der die Jugend­li­chen der Schweizer Finanz­welt weit voraus sind.

Für einen Twitter-Sturm reicht es aber auch während der Pandemie. „Den Menschen muss klar werden, dass es um unsere Zukunft geht und nicht um die Divi­denden irgend­eines Aktio­närs.“ Denn Corona – das sei erst der Trailer, so der junge Akti­vist. Der rich­tige Film sei die Klimakrise.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 24 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1508 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel