Gele­akter IPCC-Bericht: Jeder Tag zählt

Der wich­tigste Klima­be­richt der Welt fand seinen Weg an die Öffent­lich­keit früher als vom Welt­kli­marat geplant. Der Inhalt: Die Autor:innen rufen zu sofor­tigem Handeln und einschnei­denden Mass­nahmen auf, um die Klima­krise zu bekämpfen. Die Schweiz steht derweilen ohne Klima­plan da. 
Die industrielle Struktur muss sich massiv verändern, wenn wir die Erderwärmung eindämmen wollen, so der geleakte IPCC-Bericht. (Foto: Ellie Meh / Unsplash)

Eigent­lich hätte der Bericht erst im März 2022 heraus­kommen sollen. Seit Anfang August veröf­fent­licht Scien­tist Rebel­lion – eine Gruppe von Wissenschaftler:innen, die der Umwelt­be­we­gung Extinc­tion Rebel­lion nahe­steht – jedoch immer wieder Teile des Berichts. Ein erster Abschnitt wurde durch die spani­sche Zeitung CTXT erst­ver­öf­fent­licht. Nun hat auch das Lamm Zugang zum zweiten Teil des gele­akten Berichts. Gegen­über der engli­schen Zeitung The Guar­dian sagten offi­zi­elle Stellen des Welt­kli­ma­rates (IPCC), man würde sich nicht zum gele­akten Bericht äussern.

Fran­ziska Elmer von Scien­tist Rebel­lion zeigt sich besorgt über die derzei­tige Lage. Im Kampf gegen den CO2-Ausstoss zähle jede Woche, eigent­lich jeder Tag. Unter anderem habe man sich auch deshalb dazu entschieden, den Bericht früh­zeitig an die Öffent­lich­keit zu bringen. Elmer mahnt: „Wir müssen jetzt handeln.“ Die veröf­fent­lichte Version sei die wissen­schaft­liche Endfas­sung. Bis März 2022 haben die Regie­rungen Zeit, gewisse Teile der Zusam­men­fas­sung zu strei­chen oder zu verän­dern. Elmer meint: „Die Erfah­rung zeigt, dass die Regie­rungen dazu neigen, den Bericht zu verwässern.“

Auf Kolli­sion mit der Wirtschaft

Der Inhalt des gele­akten Berichts geht auf Kolli­si­ons­kurs mit der auf Wachstum ausge­rich­teten Wirt­schafts­ord­nung: Unter den jetzigen wirt­schaft­li­chen Bedin­gungen sei es nicht möglich, den CO2-Ausstoss so stark zu redu­zieren, dass die durch­schnitt­liche Erder­wär­mung unter zwei Grad Celsius bleibe. Der Bericht ruft deshalb zu einem klaren Struk­tur­wandel auf.

Auch bezüg­lich des Zeit­fen­sters, das uns für die benö­tigten Anpas­sungen bleibt, ist die Botschaft des IPCC-Berichts noch deut­li­cher als der Bericht der ersten Arbeits­gruppe, der im August veröf­fent­licht wurde. Wenn im Jahr 2025 nicht der Peak des welt­weiten CO2-Ausstosses erreicht und danach in kurzer Zeit sehr stark redu­ziert wird, werden wir die Erde weit mehr als 2 Grad Celsius erhitzen. Dies hätte kata­stro­phale Folgen für alles Leben auf der Erde, vor allem auch für uns Menschen.

Der Bericht ruft deshalb zu einem klaren Struk­tur­wandel beson­ders in den reichen Staaten auf. Zwar habe man in den letzten Jahren in den reichen Staaten den CO2-Ausstoss vergli­chen mit 1990 redu­zieren können. Trotzdem gehe ein Wachstum in der Wirt­schaft nach wie vor mit stei­genden CO2-Emis­sionen einher. Die Verspre­chen moderner Tech­no­lo­gien zur Rück­ab­sorb­tion des CO2 aus der Atmo­sphäre seien nicht annä­hernd erfüllt worden. Gleich­zeitig ist das Spei­chern von CO2 viel zu teuer, als dass es im benö­tigten Mass­stab sozi­al­ver­träg­lich anwendbar wäre.

Die Reichen müssen handeln

Das reichste Zehntel der Welt­be­völ­ke­rung ist für einen zehnmal so hohen CO2-Ausstoss verant­wort­lich wie das ärmste Zehntel. Darum brauche es laut den IPCC-Autor:innen allen voran in den indu­stria­li­sierten Staaten einen massiven Struk­tur­wandel und eine Verän­de­rung der Menta­lität globaler Eliten.

Insbe­son­dere mit Fokus auf die Schweiz sieht Elmer enormen Hand­lungs­be­darf: „Wir müssen unseren ganzen Lebens­wandel über­denken.“ Doch gerade die derzei­tige Coro­na­pan­demie zeige, dass sich ein beträcht­li­cher Teil der Bevöl­ke­rung nicht gern von einge­fah­renen Verhal­tens­mu­stern abbringen lasse. Und nach dem Nein zum revi­dierten CO2-Gesetz ist der Bund in Sachen Klima derzeit relativ planlos unterwegs.

Dabei zeigt der gele­akte Bericht ziem­lich klar auf, was zu tun wäre: Bestehende Tech­no­lo­gien zur Reduk­tion des CO2-Ausstosses, wie etwa emis­si­ons­freie Ener­gie­er­zeu­gung durch Wind- und Solar­energie oder alter­na­tive Verkehrs­mittel, müssten massiv ausge­baut werden.

„Bisher hat man vor allem auf die Stei­ge­rung der Effi­zienz gesetzt. Zum Beispiel wurde der Ener­gie­ver­brauch von vielen Geräten und Fahr­zeugen redu­ziert. Dafür werden diese jetzt vermehrt benutzt. In der Konse­quenz ist die reale Reduk­tion des Ener­gie­ver­brauchs deut­lich geringer als ange­nommen“, so Elmer.

Tatsäch­lich komme man laut dem gele­akten IPCC-Bericht nicht umhin, auch den Ener­gie­ver­brauch als Ganzes zu redu­zieren. Weil jedoch ein Gross­teil des CO2-Ausstosses durch die Reichen erzeugt wird, mahnt der Bericht gleich­zeitig davor, den Zugang zu Energie für die ärmeren Bevöl­ke­rungs­teile einzu­schränken. Momentan haben 20 % der Erdbe­völ­ke­rung keinen Zugang zu Elek­tri­zität. Die Ener­gie­ver­sor­gung dieser ärmsten Menschen zu ermög­li­chen, würde die globalen Emis­sionen gemäss IPCC-Bericht nur sehr gering­fügig erhöhen. Kurzum: Anstatt auf Wirt­schafts­wachstum müsse die Welt­ge­mein­schaft auf eine schnelle und zugleich sozi­al­ver­träg­liche Reduk­tion der Klimagas-Emis­sionen setzen.


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