In Chile werden Schweizer Waffen auf die eigene Bevöl­ke­rung gerichtet

Chiles blutige Mili­tär­dik­tatur wurde unter anderem durch Schweizer Waffen­pro­du­zenten ermög­licht, wie Recher­chen von das Lamm zeigen. Sie umgingen das geltende Waffen­em­bargo und verkauften Produk­ti­ons­li­zenzen. Bis heute werden in Chile Schweizer Waffen produ­ziert. Und auf die Bevöl­ke­rung gerichtet. 
Panzer der Kreuzlinger MOWAG im Zentrum von Santiago. Foto: Caterina Muñoz.

Seit einigen Wochen erscheint Chile auf den Titel­blät­tern von Zeitungen auf der ganzen Welt. Die Bevöl­ke­rung steht gegen das neoli­be­rale Regime auf und fordert eine grund­le­gende Reform des poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Systems (das Lamm berich­tete). Die Regie­rung reagiert auf die Forde­rungen mit dem Einsatz des Mili­tärs – das zum Teil mit Schweizer Waffen ausge­rü­stet war und ist. Bilder von Mowag-Panzern und SIG-Gewehren in den Händen chile­ni­scher Soldaten gehen ein weiteres Mal um die Welt. Um den von Präsi­dent Piñera ausge­ru­fenen Krieg gegen die Bevöl­ke­rung und die unheim­liche Allianz von chile­ni­schen Mili­tärs und Schweizer Waffen­firmen zu verstehen, muss man in noch dunk­lere Jahre der Geschichte des Anden­staats zurückgehen.

Am 11. September 1973 putschte das Militär in Chile und instal­lierte ein 17 Jahre andau­erndes Terror­re­gime. In einer darauf­fol­genden Repres­si­ons­welle wurden Tausende von Menschen verschleppt, gefol­tert und ermordet. Bis heute fehlt von vielen Verschleppten jede Spur.

Der Putsch, geför­dert durch die CIA, war unter anderem möglich dank der mili­tä­ri­schen Aufrü­stung in den 60er Jahren – mit Schweizer Waffen. In einem ersten Teil dieser Arti­kel­serie wurde darüber berichtet, wie das Militär und die Polizei sich mit Mowag-Panzern und SIG-Gewehren gegen kommende Kriege und Aufstände ausrü­steten. Am Tag des Putschs kamen die Waffen zum ersten Mal gegen die eigene Bevöl­ke­rung zum Einsatz.

Auch in den kommenden Jahren war das Militär bemüht, seine Streit­kräfte gegen innere und äussere Feinde aufzu­rü­sten. Beihilfe leisteten dabei erneut Schweizer Waffen­schmieden. Letz­tere arbei­teten eifrig, um Schweizer Export­ge­setze zu umgehen und mit dem Regime Geschäfte zu machen. Das belegen mehrere Doku­mente, die das Lamm in verschie­denen Archiven in Chile und in der Schweiz gesichtet hat.

Düsen­jäger für den Diktator

Die berühm­te­sten Bilder des Putsches entstanden bei der Bela­ge­rung des Regie­rungs­pa­la­stes „Moneda“ durch die chile­ni­schen Truppen. Inner­halb der Moneda befand sich der Präsi­dent Salvador Allende und vertei­digte mit einer Hand­voll Menschen und ein paar wenigen Waffen die demo­kra­ti­sche Regie­rung. Draussen stand das hoch­ge­rü­stete Militär, mit Mowag-Panzern und SIG-Gewehren. Hinzu kamen die Hunter­jäger, die den Präsi­den­ten­pa­last bombar­dierten. Es war der bis dato zweite krie­ge­ri­sche Einsatz der chile­ni­schen Luft­waffe. Zuvor hatte sie im Jahr 1931 die Hafen­stadt Coquimbo bei einem Aufstand eines Teils der Marine bombardiert.

Ein Jahr nach dem erfolg­rei­chen Putsch gegen Allende mussten die Antriebe der Kampf­flug­zeuge über­holt werden. Sie wurden zurück in die Rolls-Royce-Fabrik in Schott­land verschifft. Dort ange­kommen weigerten sich die Arbeiter aus Soli­da­rität mit der chile­ni­schen Linken, die Maschinen zu repa­rieren und setzten sie auf dem Fabrik­ge­lände in Kisten fest. Felipe Bustos Sierra erzählt diesen Konflikt in seinem 2018 erschie­nenen Doku­men­tar­film „Nae Pasaran“ nach. Prot­ago­ni­sten des Films sind vier schot­ti­sche Arbeiter, welche die Maschinen vier Jahre lang bewachten und jegliche Repa­ratur daran verun­mög­lichten. Bis 1978 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Flug­zeug­ki­sten vom Rolls-Royce-Werks­ge­lände verschwanden – und später in Chile repa­riert wieder auftauchten. Der Doku­men­tar­filmer Bustos konnte nicht heraus­finden, wer die Repa­ratur des Antriebs vorge­nommen hatte.

Das Lamm hat im Bundes­ar­chiv sowie im Archiv des chile­ni­schen Aussen­mi­ni­ste­riums jetzt aber die Lösung des Rätsels entdeckt: Es war die Zuger Fred-Air AG, die sich für den Auftrag, die Flug­zeuge zu repa­rieren, ange­boten hatte. Und die die Repa­ratur schliess­lich auch durch­führte. Mit daran betei­ligt waren das Rümlanger Unter­nehmen Airtechnik AG und die Firma Saurer aus Arbon. Doku­mente aus der chile­ni­schen Botschaft zeigen, dass sich das Schweizer Unter­nehmen Fred-Air bereits 1977 im Kontakt mit den chile­ni­schen Behörden befand. Also schon ein Jahr vor der Durch­füh­rung der Reparatur.

Lange bemühte sich die Fred-Air AG beim Bund um eine Bewil­li­gung des Waffen­deals. Dabei waren ihr die Menschen­rechts­ver­let­zungen ihres poten­zi­ellen Vertrags­part­ners durchaus bekannt. Der Bund verwei­gerte der Firma aber die Bewil­li­gung der Flug­zeug­re­vi­sion. Die Schweizer Firma führte dennoch den Auftrag des chile­ni­schen Regimes durch. Einfach nicht in der Schweiz, sondern in einem Werk in Italien

Panzer und Sturm­ge­wehre für das Regime

„Mein Vorge­setzter gab mir sein SIG-Gewehr und befahl mir, Herrn Márquez zu erschiessen. Ich gehorchte dem Befehl, da ich ihn für ange­messen befand.“
– Auszug aus einem Bericht des verur­teilten Mayor Carlos Herrera Jiménez über die Ermor­dung mehrerer Gefan­gener in einem Konzen­tra­ti­ons­la­gers des chile­ni­schen Militärs.

Nach dem Putsch 1973 versuchte das chile­ni­sche Militär verge­bens, Schweizer Waffen zu kaufen. Nicht nur, um einen blutigen Kampf gegen die eigene Bevöl­ke­rung zu führen, sondern auch, um sich auf einen Krieg mit Peru oder Argen­ti­nien vorzu­be­reiten. Mit dem blau-weissen Nach­bar­staat stand Chile 1978 am Rande eines bewaff­neten Konflikts, der kurz vor Ausbruch durch eine Inter­ven­tion des Papstes verhin­dert werden konnte.

Doch zu den ersehnten Verkäufen der Schweizer Waffen­firmen kam es nicht. Die Bemü­hungen der Schweizer Waffen­schmieden SIG und Mowag, eine Bewil­li­gung für den Export nach Chile zu erhalten, blieben bis 1980 ohne Erfolg. Das Problem umgehen konnten sie, indem sie Anfang der 80er Jahre mit Carlos Cardoen zusam­men­zu­ar­beiten begannen.

Carlos Cardoen hatte das seit 1976 inter­na­tional geltende Waffen­em­bargo genutzt, um eine florie­rende Kriegs­in­du­strie aufzu­bauen. Weil keine Waffen mehr nach Chile impor­tiert werden konnten, waren seine eigenen Produk­tionen prak­tisch konkur­renzlos. Zuerst produ­zierte er nur für den chile­ni­schen Staat. Relativ bald begann er aber, auch an andere isolierte Staaten, wie etwa das Apart­heit-Südafrika und den Irak, Waffen zu verkaufen. Zu seiner Errun­gen­schaft gehört die Weiter­ent­wick­lung der Streu­bombe, welche später unter anderem vom Irak im Krieg gegen den Iran einge­setzt wurde. Für den Verkauf der Bombe an Saddam Hussein liessen die USA schliess­lich einen inter­na­tio­nalen Haft­be­fehl ausrufen. Cardoen, durch seine Waffen reich geworden, konnte von diesem Moment an das Land nicht mehr verlassen. Seine poli­ti­schen Bezie­hungen verhin­dern jedoch eine Auslie­fe­rung an die USA.

Aus Doku­menten der staat­li­chen chile­ni­schen Waffen­fa­brik FAMAE geht hervor, dass die Schweizer Waffen­schmieden genau mit dieser Person als Mittels­mann einen Deal mit der FAMAE zustande brachten – und fortan damit Geld verdienten, ihr Produk­ti­ons­li­zenzen zu verkaufen. In seiner selbst verfassten Unter­neh­mens­ge­schichte verkündet das chile­ni­sche Unter­nehmen stolz, dass ab dem Jahr 1980 minde­stens 373 Radwa­gen­panzer der Mowag in Chile produ­ziert wurden. Der Histo­riker Peter Hug berichtet, dass zur glei­chen Zeit die SIG der FAMAE eine Lizenz samt Maschinen zur Produk­tion verkaufte.

Interne Doku­mente der chile­ni­schen Botschaft beweisen ausserdem, dass regel­mässig hohe Mili­tärs zur SIG nach Neuhausen gereist sind, um sich in der Produk­tion der Maschi­nen­ge­wehre fort­bilden zu lassen. Die staat­liche chile­ni­sche Waffen­fa­brik würdigte die SIG sogar mit der Benen­nung der neuen Produk­ti­ons­stätte nach der Schweizer Firma. Diese nahm laut der FAMAE 1986 die Produk­tion auf. Schweizer Waffen­qua­lität, herge­stellt von einer der schlimm­sten Mili­tär­dik­ta­turen Latein­ame­rikas. Es bestehen keine Zweifel, dass so Schweizer Tech­no­logie über Carlos Cardoen und die FAMAE auch an weitere inter­na­tional geäch­tete Staaten weiter­ver­kauft wurden.

Das Geschäfts­mo­dell mit den Produk­ti­ons­li­zenzen wurde für die Betei­ligten ein lang­an­hal­tender Erfolg: Es hielt bis zum Ende der Diktatur an. Deren letzte Jahre waren von tief­grei­fenden Protest­wellen gegen die neoli­be­ralen Wirt­schafts­re­formen geprägt. Das Militär wurde zur Nieder­schla­gung der Proteste einge­setzt. Ein ehema­liger Soldat erzählt dazu: „Sie gaben uns ein SIG-Gewehr und drei Patro­nen­schach­teln. Am Ende des Tages mussten diese leer sein.“

Trotz der Rück­kehr zu demo­kra­ti­schen Wahlen wurde die Führungs­riege der Diktatur nie zur Verant­wor­tung gezogen. Das Militär entkam fast jegli­chen demo­kra­ti­schen Reformen und huldigt zum Teil bis heute aner­kannten Menschenrechtsverletzern.

Auch nach dem Abgang Augusto Pino­chets 1990 koope­rierten Schweizer Waffen­firmen mit dem Anden­staat. Die Panzer der Mowag werden weiterhin in Chile produ­ziert und das SIG-Sturm­ge­wehr ist im Militär weit verbreitet. Jeder Soldat erhält am Anfang seines Dien­stes ein fúsil SIG. Mit diesem muss er dann schiessen. Heute wie damals: auf die eigene Bevölkerung.

 


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 16 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1092 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel