Indi­gene prote­stieren gegen Schweizer Ammoniakfabrik

In Topo­lo­bampo im Westen Mexikos will das Schweizer Unter­nehmen Proman eine Ammo­niak­fa­brik errichten. Fischer*innen und Umweltschützer*innen befürchten die Zerstö­rung der Natur und verweisen auf Rechts­brüche beim Genehmigungsverfahren. 
Protestveranstaltung vom Kollektiv "Aquí no". Die Fischer*innen und Indigenen fürchten um ihre Existenz. (Foto: Octavio Hoyos)

In Topo­lo­bampo geht die Sonne auf. Hier an der west­me­xi­ka­ni­schen Pazi­fik­küste bereitet sich der Fischer Marcos Figuera Villegas darauf vor, mit seinem kleinen Boot in die Lagu­n­en­land­schaft zu fahren. Kurz vor Abfahrt in die Bucht von Ohuira, die für ihre Feucht­ge­biete und den Reichtum an Meeres­tieren bekannt ist, grüsst er andere Fischer*innen. Einige tragen T‑Shirts mit der Aufschrift „Aquí no“ – hier nicht – sowie gleich­lau­tende Aufkleber auf den Motoren ihrer Boote.

Die Stim­mung ist getrübt, denn in unmit­tel­barer Nähe baut der deutsch-schwei­ze­ri­sche Konzern Proman eine Ammo­niak­fa­brik für die Produk­tion von Dünge­mittel. Eine tickende Zeit­bombe für die einzig­ar­tige Natur, wie einige Fischer*innen behaupten.

Als der Aussen­bord­motor anspringt, verstaut Figuera sein Handy in einer umge­bauten PET-Flasche. „So kann ich es hören, wenn der Motor läuft“, sagt er. In der Ferne sind kleine Boote zu sehen, die ihre Netze einholen, während Peli­kane und andere Vögel auf der Suche nach Nahrung über ihnen kreisen.

Topo­lo­bampo liegt im mexi­ka­ni­schen Bundes­staat Sina­lona – welt­weit bekannt aufgrund des gleich­na­migen Drogen­kar­tells von Sinaloa, das es regel­mässig in die euro­päi­schen Nach­richten schafft. Auf den ersten Blick ist in der Bucht von Topo­lo­bampo wenig von den ille­galen Machen­schaften zu spüren. Hier leben die Menschen seit Jahr­zehnten von der Fischerei und dem Tourismus. Doch all dies, so sagen die Fischer*innen, ist nun durch die mexi­ka­ni­sche Toch­ter­ge­sell­schaft GPO des Konzerns Proman bedroht.

Inmitten der Bucht will Proman eine Ammo­niak­fa­brik bauen. Als Teil des natio­nalen Infra­struktur-Inve­sti­ti­ons­ab­kom­mens der mexi­ka­ni­schen Regie­rung plant Proman, 1.2 Milli­arden Dollar in die Anlage zu inve­stieren, die 2’200 Tonnen Dünger für Mexiko, Asien, Kali­for­nien und Südame­rika produ­zieren soll. Finan­ziert wird das Projekt ausschliess­lich von der deut­schen KfW IPEX-Bank mit Sitz in Frankfurt.

Proman konzen­triert sich auf die Herstel­lung von Ethanol und Dünge­mit­teln. Bei Letz­terem ist Ammo­niak ein wich­tiger Bestand­teil. Gegründet wurde das Unter­nehmen in Deutsch­land. Im Jahr 1994 hat es den Haupt­sitz schritt­weise nach Wollerau im Kanton Schwyz verlegt – ein Tief­steu­erort. In Wollerau teilt es sich einen Büro­kom­plex mit mehreren anderen Unter­nehmen, die Produk­tion findet derweil woan­ders statt.

Der Fischer Marco Figuera in seinem Boot in der Bucht von Ohuira. (Foto: Octavio Hoyos)

Seit 2013 steht eine unfer­tige Fabrik­an­lage auf dem Gelände der Proman in Topo­lo­bampo. Die Bewohner*innen der anlie­genden Ortschaften haben sich nun zusam­men­ge­schlossen, um den Ausbau und die Inbe­trieb­nahme der Fabrik zu verhin­dern, da die Gefahr besteht, dass Feucht­ge­biete in der Gegend weiter zerstört werden und der Fisch­be­stand zurück­gehen könnten.

Gemein­samer Kampf

Dutzende von Aktivist*innen und deren Fami­lien versam­meln sich an einem Donners­tag­abend auf einem über­dachten Platz, der nur wenige Schritte vom Schiffs­an­leger von Topo­lo­bampo entfernt ist. Am Eingang hängt ein Trans­pa­rent, das sich direkt an den Präsi­denten Andrés Manuel López Obrador richtet: „Herr Präsi­dent, wir Fischer vertrauen Ihnen: Nein zur Ammo­ni­ak­an­lage“, steht in grossen Lettern geschrieben.

López Obrador hat verspro­chen, die vom Bau betrof­fenen Gemeinden anzu­hören. Doch die bishe­rigen Konsul­ta­ti­ons­ver­fahren stellen die Bewohner*innen nicht zufrieden.

„Aquí no“ ist der Name des Kollek­tivs, in dem sich Ange­hö­rige der indi­genen Volks­gruppen der Mayo und Yoreme, Fischer*innen und Beschäf­tigte des Tourismus im Norden Sina­loas zusam­men­ge­schlossen haben. Das Kollektiv orga­ni­siert sich weit über Topo­lo­bampo hinaus.

Sie sind über­zeugt, dass durch die Anlage 4‘500 Fischer*innen direkt in ihrem Lebens­un­ter­halt bedroht würden. Beson­ders erschrecken tut sie die Risi­ko­ein­schät­zung des Unter­neh­mens selbst. Diese geht davon aus, dass ein Leck in den Ammo­ni­ak­lei­tungen der zukünf­tigen Anlage von nur 3.6 Zoll, etwa 10 Zenti­meter, für so gut wie alles Leben im Umkreis von zwei Kilo­me­tern tödlich sein könnte.

Die Baubrache von Proman im Jahr 2019 – hier soll die Fabrik gebaut werden. (Foto: Octavio Hoyos)

In Pres­se­kon­fe­renzen gingen Vertreter*innen des Unter­neh­mens von einer geringen Wahr­schein­lich­keit solcher Lecks aus. Doch unge­naue Angaben zur mögli­chen Menge an Ammo­niak, die bei einem Leck auftreten könnte, bis die Ventile geschlossen sind, nähren die Angst der Bevöl­ke­rung. Gerade Explo­sionen wie jene im Hafen von Beirut in Libanon vor zwei Jahren, bei der ein riesiges Ammo­ni­aklager deto­nierte, bestärken die Befürch­tung der Bevöl­ke­rung, dass auch in dem von Korrup­tion, Miss­wirt­schaft und fehlender Kontrolle geplagten Mexiko ähnliche Vorfälle statt­finden könnten.

Im Konflikt mit den Indigenen

Die mehr­heit­lich indi­gene Bevöl­ke­rung der Umge­bung ist wütend. Sie sieht sich ihrer Rechte beraubt. Verschie­dene Orte in der Bucht von Topo­lo­bampo gelten für Indi­gene zudem als ritu­elle Stätten. Rund zehn davon verteilen sich an den Ufern der Bucht.

Eigent­lich müsste aufgrund des Über­ein­kom­mens der Inter­na­tio­nalen Arbeits­or­ga­ni­sa­tion zum Schutz indi­gener Völker, kurz ILO 169, das von Mexiko unter­zeichnet ist, jedes grös­sere Infra­struk­tur­pro­jekt in einem indi­genen Gebiet von der Bevöl­ke­rung bewil­ligt werden.

Doch erst nach mehreren Jahren des Kampfes fand am 9. und 10. Juli 2022 die lang erwar­tete Anhö­rung der Indi­genen statt. In 12 von 13 Versamm­lungen, die in mehreren Ortschaften abge­halten wurden, stimmte die Mehr­heit für den Bau und Betrieb der Anlage.

Wie reprä­sen­tativ dieses Ergebnis ist, bleibt dahin­ge­stellt, denn mehrere Gemeinden nahmen gar nicht erst an der Versamm­lung teil. Sie kriti­sierten die im Vorhinein fehlende Aufklä­rung und forderten einen Aufschub der Entschei­dung, damit sich die Bevöl­ke­rung infor­mieren kann.

Die Gegner*innen der Anlage behaupten zudem, dass Stimmen gekauft worden seien. Es sollen sogar Befürworter*innen mit dem Last­wagen an die Versamm­lungs­orte für die Abstim­mung gebracht worden sein. Der Klein­fi­scher René Santos kriti­sierte zudem stell­ver­tre­tend für viele seiner Mitstreiter*innen, dass viele Gemeinden mitbe­stimmen durften, obwohl sie weit entfernt von der „Zeit­bombe“ leben und somit auch nicht direkt betroffen seien.

Dort, im Hinter­land, wäre das Argu­ment der Arbeits­plätze deut­lich ausschlag­ge­bender als die unmit­tel­bare Zerstö­rung der Natur, so Santos. Der Gouver­neur von Sinaloa, Rubén Rocha Moya, reagierte mitt­ler­weile auf die Kritik der indi­genen Gemeinden an der Recht­mäs­sig­keit des Verfah­rens und kündigte an, dass der Oberste Gerichtshof Mexikos über die Gültig­keit der Abstim­mung entscheiden wird.

Ein Natur­hei­ligtum

Die Lagunen um Topo­lo­bampo gelten als soge­nanntes Ramsar-Gebiet. Die Bezeich­nung stammt aus einem Abkommen, das im Jahr 1971 in der gleich­na­migen irani­schen Stadt unter­zeichnet wurde und die sinn­volle Nutzung von Feucht­ge­bieten und ihren Ressourcen regelt. Etwa 90 Prozent der Mitglieds­staaten der Vereinten Nationen sind dem Abkommen mitt­ler­weile beigetreten.

Die Bucht wird in einer welt­weiten Liste von Feucht­ge­bieten von Bedeu­tung für das Ökosy­stem des Planeten aufge­führt und ist wich­tiger Rastort für Zugvögel. Trotz der Bezeich­nung als Ramsar-Gebiet, gibt es derzeit keinen beson­deren recht­li­chen Schutz der Lagunenlandschaft.

Die Küsten­land­schaft um Topo­lo­bampo gilt als wich­tiger Rast- und Brut­platz für alle mögli­chen Vogel­arten. (Foto: Octavio Hoyos)

Schon jetzt hat der Bau der bislang noch nicht in Betrieb genom­menen Anlage Teile des Feucht­ge­bietes zerstört. Beim Bau des Fabrik­ge­ländes im Jahr 2013 wurden Teile der Sumpf­land­schaft mit einem Stein­wall bedeckt und ein Mangro­ven­wald abgeholzt.

Irri­tie­ren­der­weise behauptet das mexi­ka­ni­sche Mini­ste­rium für Umwelt und natür­liche Ressourcen (SEMARNAT) in seiner 2018 veröf­fent­lichten Umwelt­ver­träg­lich­keits­prü­fung das Gegen­teil: „Das Projekt erfor­dert nicht die Besei­ti­gung irgend­einer Art von Wald­ve­ge­ta­tion oder die Ände­rung der Land­nut­zung auf Waldland.“

Diana Esco­bedo Díaz, Forscherin am Natio­nalen Poly­tech­ni­schen Institut von Mexiko, war an der Ausar­bei­tung eines Mani­fests über die Umwelt­aus­wir­kungen des Baus der Anlage betei­ligt und gehört zu den Gegner*innen des Projekts. Sie weist darauf hin, dass das Gebiet der Lagune bereits heute durch ein nahe gele­genes Strom­kraft­werk geschä­digt wird und rät daher drin­gend davon ab, weitere Schäden am Umwelt­sy­stem hinzunehmen.

Das Natur­ge­biet ist aufgrund seiner Arten­viel­falt und den dort behei­ma­teten Delfinen und Walen ein Touris­mus­ma­gnet. Jüngste Infra­struk­tur­pro­jekte der Regie­rung sollen diesen Wirt­schafts­sektor weiter ausbauen. Eine Schä­di­gung der Natur hätte drama­ti­sche Auswir­kungen auf den Tourismus, befürchten manche Anwohner*innen.

Auch der Betrieb der Anlage könnte, ganz ohne beson­dere Vorkomm­nisse, erheb­liche Auswir­kungen auf die Umwelt haben, so Joel Reta­moza López, Spre­cher der Umwelt­al­lianz von Sinaloa. Er weist darauf hin, dass bei der Ammo­niak­pro­duk­tion Wasser aus der Bucht zur Kühlung der Anlage verwendet wird. Das wieder abge­lei­tete und erwärmte Kühl­wasser könnte die unmit­tel­bare Wasser­tem­pe­ratur und damit das Ökosy­stem beein­träch­tigen, meint der Umweltaktivist.

Die Strände um Topo­lo­bampo sind ein beliebtes Tourist*innenziel. (Foto: Octavio Hoyos)

Das Unter­nehmen Proman hält sich derweil bedeckt. Auf Medi­en­an­fragen von das Lamm gingen bis Redak­ti­ons­schluss keine Antworten ein. Auf der Webseite lassen sich keine Medi­en­mit­tei­lungen zum Bau der Fabrik finden. Einzig die Jahres­be­richte des Unter­neh­mens erwähnen den – zum Unbe­hagen des Unter­neh­mens – lang­samen Fort­schritt beim Bau der Anlage und die damit verbun­denen finan­zi­ellen Risiken.

Statt auf Kritik einzu­gehen, versucht sich Proman auf dem inter­na­tio­nalen Etha­nol­markt als grösster Anbieter zu etablieren. Die Webseite wirbt mit Unter­neh­mens­ver­ant­wor­tung im Umwelt­be­reich, Hilfe bei der Bekämp­fung von Armut und den Auswir­kungen der Klima­krise auf die lokale Bevöl­ke­rung von Ländern, in denen das Unter­nehmen aktiv ist.

Vermut­lich fehlte es dem Projekt in Topo­lo­bampo lange Zeit an einer voll­stän­digen Finan­zie­rung. Zwar begannen 2013 die Bauar­beiten für die Fabrik, doch das halb fertige Gelände lag lange Zeit brach. Erst ein Kredit von 1.2 Milli­arden Dollar von der deut­schen KfW IPEX-Bank im Jahr 2020 ermög­lichte die Fort­set­zung der Bauar­beiten. Die KfW IPEX-Bank ist eine staat­liche Kredit­an­stalt, die zum Auftrag hat, Exporte deut­scher Unter­nehmen zu fördern.

In einer Medi­en­mit­teil­lung aus dem Jahr 2020 wird ange­geben, dass von den 1.2 Milli­arden US-Dollar, die für den Bau der Anlage benö­tigt werden, mehr als die Hälfte für den Kauf von Maschi­nen­teilen aus verschie­denen Ländern Europas verwendet werden. Als Teil des Kredits verpflich­tete sich Proman dazu, die nahe gele­genen Mangro­ven­flä­chen, die vormals durch den Bau zerstört wurden, zu rege­ne­rieren und die lokale Klein­fi­scherei zu unterstützen.

Wie das Verspre­chen umge­setzt werden soll, beschreibt das Unter­nehmen derweil nicht.

Langer Atem

In dem Dorf Lázaro Cárdenas, gegen­über von Topo­lo­bampo, auf der anderen Seite der Lagune, bricht die Nacht ein. Menschen bewegen sich in Rich­tung Stadt­zen­trum. Auch hier findet eine Versamm­lung zu der Ammo­ni­ak­an­lage und ihren Auswir­kungen statt.

Manche Fischer*innen äussern die Meinung, dass die Fisch­be­stände bereits zu stark zurück­ge­gangen sind und dass es besser wäre, auf ein anderes Geschäft umzu­steigen, da die Fischerei nicht mehr rentabel sei. Das Unter­nehmen hat ihnen besser bezahlte Arbeit, Bildungs­sti­pen­dien, medi­zi­ni­sche Versor­gung und sogar Lebens­mittel angeboten.

Am Anleger steht der Fischer René Álvarez. Er berichtet von langen Tagen mit wenig ergie­bigem Fang. In seiner Hand hält er eine Box mit frisch gefan­genen Krabben.

Die Anlage von Proman ist in der Ferne am Hori­zont der Bucht zu sehen, die Fischer­boote nähern sich ihr nicht. Alvárez meint: „Ich werde weiter fischen, solange ich kann, und wir werden weiter­kämpfen“, während er den Motor seines Bootes mit dem Satz „Aquí no“ ein weiteres Mal anschmeisst.

Artikel aus dem Spani­schen über­setzt von Malte Seiwerth.


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