Just entlassen: Arbeits­kampf beim Part­ner­un­ter­nehmen von Schweizer Kosmetikhersteller

Seit mehr als einem Monat tobt im Speck­gürtel von Buenos Aires ein Arbeits­kampf. Die Arbeiter:innen von Just Argen­ti­nien kämpfen gegen unrecht­mäs­sige Entlas­sungen. Das Unter­nehmen aus Appen­zell Inner­rhoden demen­tiert die Vorwürfe. Mitt­ler­weile verla­gert sich der Arbeits­kampf bis in die Schweiz. 
Arbeitskampf in Arbentinien. (Foto: Facundo Manuel Fraga de Olivera)

Freitag, der 26. März: Seit fünf Tagen campieren die Arbeiter:innen von Swiss­Just Argen­tina vor den Produk­ti­ons­an­lagen des Schweizer Natur­kos­me­tik­her­stel­lers Just in General Rodrí­guez, einer Vorstadt von Buenos Aires.

Mardonio Racedo ist erschöpft. Der rund 40-jährige Arbeiter erzählt, dass er vierzig Kilo­meter zurück­ge­legt hat, um vor den Produk­ti­ons­an­lagen von Just zu prote­stieren. Am Tag zuvor regnete es den ganzen Tag und die Zelte, die er und die anderen errichtet haben, sind zum Teil noch nass. Überall hängt Wäsche zum Trocknen. Gerade wird eine Sitzung mit anderen Gewerk­schaften aus dem Bezirk abge­halten. Es wird über inter­na­tio­nale Soli­da­rität und Arbeits­kampf­erfah­rung gespro­chen. Der Besuch der inter­na­tio­nalen Presse ermu­tigt ihn und die anderen Arbeiter:innen.

Im Protest­camp wird viel geredet und disku­tiert. Foto: Facundo Manuel Fraga de Olivera

Er selber arbei­tete in einer der Lager­hallen von Swiss­Just Argen­tina, dem Logi­stik­un­ter­nehmen für die Produkte von Just, bis ihm gekün­digt wurde. Die Arbeits­plätze sind weg, die Hallen stehen seit einem Monat leer. Und alles ohne Vorwarnung.

Eine unrühm­liche Entlassung

Fast ein Jahr hätten Racedo und seine Arbeitskolleg:innen ohne Unter­bruch gear­beitet, erzählt er. Während der Coro­na­pan­demie mussten sie zusätz­liche Schichten schieben und waren selbst an Feier­tagen in den Lager­hallen von Just. Immer bereit, die Extra­schichten zu leisten. Just stellt in Argen­ti­nien Kosme­tika her, Racedo und seine Kolleg:innen waren in einem Part­ner­un­ter­nehmen für Verpackung und Direkt­ver­trieb in Argen­ti­nien verantwortlich.

Dem Kosme­tik­her­steller aus der Schweiz geht es prächtig. Er expan­diert auf dem latein­ame­ri­ka­ni­schen Markt und dies trotz der aktu­ellen Pandemie und Wirt­schafts­krise, die den Konti­nent heim­sucht. Doch wieso die Massenentlassung?

„Im Februar – endlich – gewährten sie uns ein paar freie Tage“, erzählt Racedo. Viele der Arbeiter:innen hatten seit über einem Jahr keine Ferien gehabt. Doch dann, Mitte Februar, einen Tag vor Wieder­ein­tritt, wurden die Arbeiter:innen zu einer Sitzung per Zoom einge­laden – mit verhee­renden Folgen.

Die Sachen sind nass, das Camp impro­vi­siert. „Ange­nehm ist es hier nicht, aber unsere Präsenz ist wichtig“, erzählt ein Arbeiter. Foto: Facundo Manuel Fraga de Olivera

Die Firma verkün­dete, dass die Lager­hallen am Standort in Lomas del Mirador, dort, wo Racedo arbeitet, per sofort geschlossen würden. In einer Nacht- und Nebel­ak­tion wurden sämt­liche Maschinen an einen neuen Standort verla­gert. Das Part­ner­un­ter­nehmen wurde geschlossen, Verpackung und Vertrieb nun durch ein grös­seres Unter­nehmen übernommen.

Nachdem Racedo und seine Mitarbeiter:innen vor voll­endete Tatsa­chen gestellt wurden, wurde ihnen empfohlen, die doppelte Abfin­dung zu akzep­tieren und sich gleich­zeitig bei der neuen Arbeit­ge­berin, etwa 60 Kilo­meter entfernt, zu bewerben. Für die Arbeiter:innen ein Affront: „Wir wurden mitten in einer welt­weiten Krise von einem Tag auf den anderen auf die Strasse gestellt.“

Ille­gale Praxis

Racedo ist wütend. Die Praxis des Unter­neh­mens hat in Argen­ti­nien einen Namen: Vacia­mi­ento, die Leerung der Produk­ti­ons­stätte über Nacht. So wird verhin­dert, dass die Arbeiter:innen einen Arbeits­kampf beginnen oder gar die Fabrik besetzen können.

Das Problem: Diese Praxis ist illegal und seit Beginn der Pandemie sind Entlas­sungen in Argen­ti­nien nur bei wirt­schaft­li­chen Problemen des Unter­neh­mens erlaubt. Deswegen hat die Gewerk­schaft Comercio, Indu­stria y Servicios (CIS) ein Schlich­tungs­ver­fahren begonnen. Die relativ kleine Gewerk­schaft begleitet den Kampf der Arbeiter:innen.

Gewerk­schaftler Gustavo Cordóba schaltet sich per Zoom dazu. Der Mate, das argen­ti­ni­sche Natio­nal­ge­tränk, ist Promi­nent im Bild plat­ziert. Er erzählt: „Dieser Prozess ist staat­lich regu­liert und bestimmt, dass zu Beginn alle Entschei­dungen zurück­ge­nommen werden müssen.“ Die Arbeiter:innen durften also wieder in den Lager­hallen arbeiten, bis eine Entschei­dung im Schlich­tungs­ver­fahren oder vor Gericht getroffen wurde. „Der Arbeit­geber muss nicht nur die Lohn­fort­zah­lung garan­tieren, sondern auch eine effek­tive Beschäf­ti­gung“, ergänzt Cordóba.

Nun sind aber die Lager­hallen mitt­ler­weile leer. „Wir sassen den ganzen Tag herum und konnten nichts machen“, erzählt Racedo. Die Arbeiter:innen versuchten inständig, mit der Unter­neh­mens­lei­tung von Just in Kontakt zu treten, doch diese wies ab. Da Swiss­Just Argen­tina einen anderen Besitzer habe, seien sie nicht für das Verhalten des Part­ner­un­ter­neh­mens verantwortlich.

Um den Druck zu erhöhen, zogen die Arbeiter:innen vor die Fabrik in General Rodrí­guez, wo Just Kosme­tika für ganz Latein­ame­rika herstellt. Die Fabrik wird von Just Inter­na­tional Latam betrieben und ist im direkten Besitz der Grün­der­fa­milie. Für die Arbeiter:innen ist klar: Trotz der orga­ni­sa­to­ri­schen Tren­nung ist Just aus der Schweiz für die Entschei­dung verantwortlich.

„Es lebe die inter­na­tio­nale Soli­da­rität“ – Soli­da­ri­täts­kund­ge­bung in Walzen­hausen. Foto: UNIA

Dieser Meinung ist auch die UNIA aus der Schweiz. Am 10. März demon­strierte die Gewerk­schaft vor dem Haupt­sitz des Unter­neh­mens in Walzen­hausen. In einem offenen Brief kriti­siert die Sektion Säntis-Bodensee der UNIA das geheime Verfahren, mit dem den Arbeiter:innen ihre Jobs genommen wurden.

Das Verhalten des Unter­neh­mens sei „unwürdig“: „Hier wird nicht nur geltendes Recht gebro­chen, sondern auch die Würde der Mitar­bei­tenden grob verletzt. Dies ist umso stos­sender, als dass Just in Argen­ti­nien volle Auftrags­bü­cher hat und sogar bekräf­tigte, auf ‚Expan­si­ons­kurs‘ zu sein.“

Suche nach Gründen

„Der Grund für diese Entschei­dung muss in der Umstruk­tu­rie­rung des Unter­neh­mens liegen“, vermutet Cordóba. Just glie­dert sich in verschie­dene Unter­nehmen auf. Für die Produk­tion ist Just Latam verant­wort­lich. Die Verpackung und den Vertrieb über­nehmen für jedes Land spezi­elle Part­ner­un­ter­nehmen und der Verkauf wird durch wirt­schaft­lich selbst­ständig arbei­tende Produktberater:innen über­nommen. Trotz dieser orga­ni­sa­to­ri­schen Tren­nung treten alle Unter­nehmen auf der Webseite von Just.ch als ein zusam­men­hän­gendes Netz­werk auf. Bis Montag den 29. März wurden die Part­ner­un­ter­nehmen noch „selb­stän­dige Auslands­ver­tre­tungen“ genannt.

„Da das Unter­nehmen mehr und mehr gewachsen ist, hat man beschlossen, die Vertei­lung der Produkte nun über ein grös­seres Unter­nehmen abzu­wickeln, sprich auszu­la­gern“, erzählt Cordóba weiter. Die Vertei­lung über­nimmt neuer­dings das Logi­stik­un­ter­nehmen Transfarmaco.

„Das Schlafen in Zelten und weit weg von den Fami­lien ist hart.“ Mardonio Racedo (ganz links) und seine Compa­ñeros. Foto: Facundo Manuel Fraga de Olivera.

Den Gewerk­schaftler erstaunt dieser Entscheid nicht: In der Logik des Unter­neh­mens ist so etwas gut nach­voll­ziehbar. Es stört ihn aber, dass dabei keine anstän­dige Lösung für die Arbeiter:innen gefunden wurde. Sie wurden nicht vorge­warnt, der neue Standort liegt etwa zwei Stunden Fahrt mit den öffent­li­chen Verkehrs­mit­teln entfernt und die Arbeits­be­din­gungen sind deut­lich schlechter.

Er erin­nert daran, dass es ihnen im Prinzip nur um eine sozi­al­ver­träg­liche Abwick­lung der Fabrik in Lomas del Mirador gehe: „Das Unter­nehmen hätte ihre Pläne früher bekannt geben, den Arbeiter:innen eine Über­nahme zu glei­chen Bedin­gungen anbieten und für den Mehr­auf­wand einer längeren Reise aufkommen sollen.“ All dies ist bis dato nicht geschehen.

Unter­nehmen verneint Verantwortung

Das Unter­nehmen aus der Schweiz demen­tiert eine direkte Verant­wor­tung und recht­fer­tigt das Handeln des Part­ner­un­ter­neh­mens. «Swiss­Just Argen­tina [ist] ein von Just Inter­na­tional wirt­schaft­lich und recht­lich unab­hän­giges Unter­nehmen», so der Geschäfts­führer Heinz Moser. Das Unter­nehmen habe sich aufgrund des Wachs­tums dazu entschlossen, seine Logi­stik neu zu orga­ni­sieren. Die Lager­hallen in Lomas del Mirador seien nicht mehr zeit­ge­mäss gewesen.

Laut Moser konnten bei der Planung nicht sämt­liche Arbeiter:innen in den Prozess invol­viert werden, „um die Liefer­kette zu den 70’000 Berater:innen jeder­zeit aufrecht zu erhalten“ und so ihre Erwerbs­tä­tig­keit und das Einkommen für sie und ihre Fami­lien zu garan­tieren. Dies aufgrund der „Befürch­tung, dass ein sehr kleiner Teil der Beleg­schaft einen notwen­digen und verant­wor­tungs­vollen Entwick­lungs­schritt behin­dern und blockieren könnte“. Diese Befürch­tung wird in seinen Augen durch die „frag­wür­digen Aktionen von einigen wenigen Arbeiter:innen leider bestätigt“.

Der Kampf geht weiter

Die Arbeiter:innen sind verzwei­felt. Mitt­ler­weile sind immer mehr Genoss:innen abge­sprungen, bereits knapp die Hälfte der ehemals 52 Arbeiter:innen haben die Bedin­gungen von Just akzep­tiert. Die anderen sind vor die Tore des Mutter­kon­zerns gegangen, um ihren Forde­rungen mehr Druck zu verleihen. Seit Tagen lassen sie keinen Last­wagen mehr das Gelände verlassen.

Racedo erzählt, dass sie ein gutes Verhältnis zu den Arbeiter:innen vor Ort pflegen. Sie kennen sich aus gemein­samen Firmen­an­lässen. Nun verbietet die Unter­neh­mens­lei­tung den Umgang mit den Prote­stie­renden und behauptet, sie seien gewalttätig.

Dem wider­spricht Racedo. So seien mitt­ler­weile viele Gespräche zwischen den Arbeiter:innen aufge­kommen. Sie erzählen, so Racedo, von einem „despo­ti­schen“ Regime in den Fabrik­hallen, Beschimp­fungen am Arbeits­platz und Zwang zu Über­stunden. Die Gewerk­schaft vor Ort sei unter einer Decke mit der Unter­neh­mens­lei­tung und würde jeden Protest unter­binden. Mitglied­schaften in anderen Gewerk­schaften seien verboten.

Das Unter­nehmen aus der Schweiz verneint auch hier die Anschul­di­gungen. Leider will niemand von den betrof­fenen Arbeiter:innen direkt mit das Lamm spre­chen. Cordóba von der CIS meint, dass dies leider trau­rige Norma­lität sei. Zu viele Gewerk­schaften hätten sich an die Unter­neh­mens­lei­tungen verkauft. So würden aktiv Arbeits­kämpfe verhin­dert und unter­drückt. Mitt­ler­weile hat die CIS die Erzäh­lung eine:r Arbeiter:in veröf­fent­licht, der Arbeits­kampf geht in eine zweite Runde.


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