Liber­täre und die Anti-Diskri­mi­nie­rungs-Straf­norm: Ein Nein von der Sonnen­seite des Lebens

Am 9. Februar stimmt die Schweiz darüber ab, ob Belei­di­gungen aufgrund der sexu­ellen Iden­tität und Sexua­lität unter die Rassis­mus­straf­norm fallen sollen. Die queere Commu­nity steht fast geschlossen dahinter, dagegen sind die übli­chen Konser­va­tiven – und eine nach eigener Aussage LGBTIQ*-freundliche, liber­täre Kleinst­partei, für die jedes Gesetz ein Gewaltakt ist. 
Der Kampf um den Regenbogen: Für die einen ist es notwendiger Schutz vor Diskriminierung, für die anderen ein unnötiges Sonderprivileg. Doch wirklich gespalten ist die queere Community hinsichtlich der Abstimmung vom 9. Februar nicht. (cc)

Die Gegner­schaft der Erwei­te­rung der Rassis­mus­straf­norm, das Komitee „Nein zu diesem Zensur­ge­setz“, das sind gröss­ten­teils Alt- und Jung-SVPle­rInnen, Chri­stInnen, Evan­ge­li­kale und die halbe Träger­schaft des Marsch fürs Läbe, wie etwa die dubiose Stif­tung Zukunft.ch und andere Grup­pie­rungen der Abtrei­bungs­geg­ner­schaft. Diese ewig­gest­rige Truppe ist lang­weilig und ihre immer­glei­chen homo­phoben Argu­mente öde. Aber sie sind nicht die Einzigen, die für ein Nein an der Urne weibeln.

„Schwule und Lesben sollten einfach etwas mutiger sein und sich so früh wie möglich outen.“ Das sagt nicht etwa ein hemds­är­me­liger SVP-Gemein­derat, sondern Silvan Amberg, ehema­liger Leiter der LGBTI-Gruppe der FDP „Radigal“ und Initiator einer Gruppe für „schwule Offi­ziere im Schweizer Militär“. Er ist vehe­ment gegen die Erwei­te­rung der Rassis­mus­straf­norm auf den Schutz sexu­eller Orien­tie­rungen und Iden­ti­täten. „Nichts baut Vorur­teile so schnell ab wie ein Outing und ein offener Umgang damit. So habe ich damals im Militär so manchen schwu­len­feind­li­chen Spruch entkräftet.“ Es ist eine sehr privi­le­gierte Aussage von diesem gutge­stellten, gross gewach­senen Schweizer. Aber er meint es ernst.

Silvan Amberg lehnt sich zurück und nimmt einen Schluck von seinem Espresso. Zum Treffen bei seinem Arbeit­geber PWC in Oerlikon erscheint Amberg im grellen, grob blau-grau karierten Anzug und mit leichtem Jetlag: Er hat gerade eine Woche Karibik-Kreuz­fahrt hinter sich.

Es sei ein libe­rales, markt­freund­li­ches Nein. Ein Nein, das die queere Commu­nity aus seiner Sicht unter­stützen sollte. Er setze sich für die Ehe für alle und gleiche Rechte für Homo­se­xu­elle ein – aber eben für gleiche Rechte, nicht für Sonder­rechte, wie Amberg das nennt. Der Enddreis­siger ist einer der zwei führenden Köpfe hinter dem Komitee „Nein zum Sonderrecht“.

„Wir wollen gleich­wertig akzep­tiert und nicht als schwache Minder­heit behan­delt werden. Für eine Gesell­schaft, die Aufklä­rung betreibt und nicht andere Meinungen bestraft. Wir stehen für eine starke Zivil­ge­sell­schaft ein – ohne Behör­den­willkür und Gesin­nungs­terror“, schreibt das Komitee auf seiner Website, die mit zahl­rei­chen Regen­bo­gen­fähn­chen und geballten Fäusten daher­kommt. Rund 20 Personen sind Mitglied des Komi­tees, die meisten stammen aus der JSVP, kanto­nalen Grup­pie­rungen der Jung­frei­sin­nigen oder wie Amberg selbst aus der liber­tären Kleinst­partei Up! Schweiz. Etwa ein Drittel der Komi­tee­mit­glieder sind laut Amberg hetero – „aber die sind alle pro LGBT!“, betont er. Trans*-, Inter*- oder non-binäre Personen sind laut Amberg keine im Komitee vertreten.

Alles begann mit einem Tweet

„Zuerst wollten wir von Up! uns gar nicht enga­gieren. Aber uns war auch bewusst, dass – wenn wir es nicht tun – die Abstim­mung auf pro und contra Homo­se­xu­elle hinaus­läuft“, erzählt Amberg. Das „Sonder­rechte Nein“-Komitee entstand schliess­lich aus einem Twit­ter­aus­tausch mit Michael Frau­chiger von der JSVP. „Wir bringen beide unter­schied­liche Posi­tionen ein, die dasselbe Zeil verfolgen. Wir sind beide pro LGBT-Gleich­be­rech­ti­gung, aber gegen diese Rede­ver­bote“, erzählt Amberg. „Frau­chi­gers Fokus als Schwuler ist es, nicht sonder­be­han­delt zu werden.“ Sein eigener Fokus sei eher die Gewerbe- und Meinungs­frei­heit. Dann bringt Amberg das viel­zi­tierte Beispiel vom Bäcker an, der einem schwulen oder lesbi­schen Paar keine Torte backen möchte: „Es ist auch ein legi­time Einstel­lung zu sagen, ‚ich will mit jemandem nichts zu tun haben und nicht arbeiten‘.“

Wenn Amberg von Gesetzen redet, spricht der Liber­täre aus ihm. „Nicht die Erwei­te­rung der Straf­norm ist unnötig, sondern die Rassis­mus­straf­norm per se gehört abgeschafft.“

Mit diesen Aussagen ist Amberg klar auf Partei­kurs von Up! Schweiz. Die Partei mit Sitz in Baar besteht seit 2014 und vereint rund 130 Mitglieder. Das Mutter­blatt des Libe­ra­lismus, die NZZ, beschreibt die Partei als „sektie­re­ri­sche Kleinst­partei“ und stellt fest: „Mit ihren kompro­misslos libe­ralen Ideen ist sie prin­zi­pi­en­treu bis zur Schmerz­grenze.“ Dazu passen etwa liber­täre Plat­ti­tüden wie „finan­zi­elle Eingriffe des Staates sind Gewalt, Besteue­rung Dieb­stahl am Indi­vi­duum“ oder „der magi­sche Feen­staub der Demo­kratie macht unmo­ra­li­sche Sachen mora­lisch“. Gene­rell erhält Up! medial aber meist wenig Aufmerk­sam­keit. Einzig bei der Abstim­mung zu NoBillag konnten sie sich kurz und laut in der Öffent­lich­keit profi­lieren. Weiter sorgte eine Veran­stal­tung von Up! und der der Partei ideo­lo­gisch nahe­ste­henden Hayek-Gesell­schaft mit dem liber­tären Redner Axel Kaiser im vergan­genen Herbst für Schlag­zeilen – weil sie von einer Gruppe Vermummter gestürmt worden war.

Obwohl Up! auch dieses Jahr wieder zur Wahl antrat, wird die Partei so schnell keinen Blumen­topf gewinnen. Wahl­er­folge seien aber, wie Amberg betont, gar nicht im Fokus: „Grund­sätz­lich möchten wir möglichst viele Menschen von der Idee über­zeugen, dass man andere in Ruhe lassen soll. Hierfür müssen wir gar nicht erst an die Macht. Wir haben kein klas­si­sches Wähler­ziel, sondern ein Überzeugungsziel.“

Andere in Ruhe lassen könnte bedeuten, andere Menschen nicht zu belei­digen, zu bedrohen oder verbal zu schi­ka­nieren. Für Amberg bedeutet es jedoch primär freie Marktwirtschaft.

Nicht die PNOS – aber alle anderen kommen in Frage

Das Publikum der Partei sei tenden­ziell akade­misch, jung und theo­rie­in­ter­es­siert. Auch viele ehema­lige Jung­frei­sin­nige sind dabei, die vom Konfor­mismus der Mutter­partei enttäuscht wurden. „Up! vereint radi­kale Libe­rale, Liber­täre, Mini­mal­staatler und Anar­cho­ka­pi­ta­li­sten“, erklärt Amberg. Alle also, die gegen staat­liche Rege­lungen und für Frei­wil­lig­keit, die Macht des (finan­ziell) Stär­keren und Wild­west-Kapi­ta­lismus einstehen.

Um sich zu posi­tio­nieren, geht Up! immer wieder Alli­anzen ein, meist mit der SVP oder der FDP oder deren Jung­par­teien, aber laut Amberg sei man flexibel: „Thema­tisch würde ich mit jeder Partei zusam­men­ar­beiten, ausser viel­leicht mit der PNOS.“ Auf die AUNS, das alter­na­tive SVP-Gefäss gegen Über­frem­dung und für eine unab­hän­gige Schweiz, der deut­schen AfD ideell sehr nahe­ste­hend, ist man aber gut zu spre­chen: Chri­stoph Stampfli, der nach einem medi­en­wirk­samen Konflikt mit Luzi Stamm aus der AUNS ausge­treten ist, ist aktives Mitglied bei Up! Schweiz. Neutra­lität und Unab­hän­gig­keit seien Themen, die man bei Up! unter­stütze, sagt Amberg, und: „Wenn jemand konser­vativ leben will, dann soll er das machen. Wir sind dagegen, dass gewisse Gesell­schafts­mo­delle beson­ders subven­tio­niert werden.“

Doch zurück zum Diskri­mi­nie­rungs­schutz: „Bei uns steht die Selbst­be­stim­mung des Indi­vi­duums im Vorder­grund“, fasst Amberg das Programm zusammen, zu dem eben auch die Posi­tio­nie­rung am 9. Februar bestens passt. Keine Menschen­gruppe sei tenden­ziell schüt­zens­werter als eine andere. Es ist ein von struk­tu­reller Diskri­mi­nie­rung und andau­ernder Margi­na­li­sie­rung befreiter Ansatz, wie das „Farben­blind“ als Kommentar zur Rassis­mus­de­batte, welches ober­fläch­lich nett daher­kommt, unter­schied­liche Lebens­rea­li­täten jedoch gerade deswegen verleugnet.

Ange­spro­chen auf Zahlen und Fakten zu der massiven und zuneh­menden Gewalt gegen queere Personen meint Amberg: „Das sind ja Indi­vi­duen, die solche Äusse­rungen von sich geben.“ Es sei falsch, von einem Mittel­wert auf eine Popu­la­tion zu schliessen. „Solange etwas nur eine Aussage ist, darf man nicht mit Gewalt darauf reagieren.“ Gewalt im Sinne von Staats­ge­walt, natür­lich. Gewalt, und zwar ganz physi­sche und andau­ernde psychi­sche, ist derweilen für viele Queers in der Schweiz anhal­tende Realität.

Roman Heggli von der schwulen Dach­or­ga­ni­sa­tion Pink Cross und dem Komitee „Ja zum Schutz“ sieht in Ambergs Haltung etwas, das er als „inter­na­li­sierte Homo­phobie“ beti­telt. „Dieses Komitee fordert, dass man möglichst normal und konform, unauf­fällig sein sollte, um akzep­tiert zu werden in der Gesell­schaft.“ Sie hätten immer wieder mit solchen Stimmen zu tun, die von ihnen Anpas­sung fordern würden, um mit der Diskri­mi­nie­rung umzu­gehen. „Aber wir möchten offen leben und auch offen akzep­tiert werden – ohne Gewalt und ohne Belei­di­gungen“, sagt Heggli.

Auch das Argu­ment der Meinungs­frei­heit lässt Heggli nicht gelten. Schliess­lich habe man in der Schweiz seit 25 Jahren die Rassis­mus­straf­norm und niemand könne behaupten, in der Schweiz dürfe man nicht sagen, was man möchte. Ausser eben einem: „Hass ist keine Meinung“, so Heggli.

„Weniger Hysterie, mehr Verständnis!“

Silvan Amberg sieht das ganz anders. Die queere Commu­nity solle einfach weniger empfind­lich und hyste­risch sein – und etwas offener für andere Ansichten: „Schwule und Lesben befinden sich oftmals in einer extremen Bubble und können gar nicht mehr verstehen, was jemand irgendwo an einem Stamm­tisch denkt und wieso er das tut. Das darf nicht passieren, dass diese Diskus­sion so abge­hoben und hyste­risch wird.“ Queers sollten etwas mehr Verständnis zeigen für andere, etwa wenn jemand einen Begriff wie „trans*“ falsch gebraucht und „auch wenn mal jemand etwas als schwul bezeichnet, ist das nicht zwin­gend böse gemeint“.

Offen ist hingegen, ob Queers nicht lange genug Stamm­tisch­ge­laber hinge­nommen und ausge­halten haben. Die Frage ist viel eher: Wäre es nicht an all jenen an den Stamm­ti­schen, sich tole­ranter und weniger hyste­risch der queeren Bewe­gung gegen­über zu verhalten?

Was zählt, ist die Rede­frei­heit und dieselben Ausgangs­be­din­gungen für alle – kein Sonder­schutz eben. Hier liegt für Amberg der Unter­schied zwischen Gleich­be­rech­ti­gung und der den Liber­tären so verhassten Gleich­stel­lung: „Gleich­be­rech­ti­gung bedeutet, dass alle gegen­über dem Staat dieselben Rechte haben. Gleich­stel­lung ist, wenn man versucht, in den gesell­schaft­li­chen Prozess einzu­greifen und etwas, was man als ungut wahr­nimmt, zu beheben.“ Die Regeln müssten fair sein, nicht das Ergebnis. „Da kann es schon mal zu Resul­taten kommen, die man indi­vi­duell als unge­recht wahr­nimmt.“ Eine Ansicht von der Sonnen­seite des Lebens.

Roman Heggli wider­spricht Ambergs Auffas­sung vehe­ment: „Wir sind als Minder­heit viel mehr von Gewalt und Diskri­mi­nie­rung betroffen, deshalb braucht es auch einen spezi­fi­schen Schutz. Und die Gesetze haben schluss­end­lich auch einen grossen Einfluss auf die Gesell­schaft und das Zusam­men­leben. Das hat auch einen grossen Einfluss auf unser Wohl­be­finden: Beispiels­weise sehen wir dort, wo die Ehe für alle einge­führt wurde, dass die Suizi­da­lität unter jungen Queers deut­lich zurück geht.“

Für Heggli sei das Komitee „Sonder­rechte Nein!“ eine Rand­er­schei­nung der queeren Commu­nity: „Es sind Einzel­fi­guren, die sich profi­lieren wollen.“

Silvan Amberg bestä­tigt, dass das Komitee mit keiner queeren Orga­ni­sa­tion oder Bewe­gung in Kontakt gestanden habe – bis auf einen infor­mellen Austausch mit der GaySVP, die sich dem Komitee jedoch nicht ange­schlossen habe.

Zum Schluss des Gesprächs wird der sonst durch­ge­hend lächelnde Amberg doch noch kurz etwas wütend. Das Thema ist „linker Gesin­nungs­terror“, ein Wort, welches sich in den Argu­men­ta­rien beider Nein-Komi­tees immer wieder finden lässt. Linke Meinungs­dik­tatur, das sei in etwa das, was beim Life­sty­lema­gazin für Schwule Display passiert ist. Die Schweizer Aids­hilfe hatte gedroht, jegliche Inse­rate aus dem Magazin abzu­ziehen, nachdem dieses eine Anzeige des Nein-Komi­tees abge­druckt hatte. Sowas sei doch mora­lisch verwerf­lich und nicht okay. Es sei einfach schäd­lich, wenn jemand aufgrund einer persön­li­chen Über­zeu­gung nicht mit jemandem zusam­men­ar­beiten will und zum Boykott aufruft, so Amberg, scheinbar ganz ohne die Ironie hinter seiner Aussage zu bemerken.


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