Mit Essen spielt man nicht — aber sollte man viel­leicht doch damit spekulieren?

Die Speku­la­ti­ons­stop­pinitia­tive der Juso will die Speku­la­tion mit Nahrungs­mit­teln verbieten und so den Welt­hunger bekämpfen. Robert Joerin von der ETH Zürich ist über­zeugt: Die Initia­tive erreicht dieses Ziel nicht. Im Inter­view mit das Lamm erklärt er, wie man den Welt­hunger wirk­lich bekämpfen müsste. 
Für Kleinbauern und Kleinbäuerinnen seien Tiefpreisphasen problematischer als Hochpreisphasen, argumentiert Joerin. (Foto: SarahTz)

Zur Person: Dr. Robert Joerin ist seit 1991 Dozent und Senior Rese­ar­cher für Agrar­öko­nomie an der ETH Zürich. Er forscht auf dem Gebiet des land­wirt­schaft­li­chen Handels und hat unter anderem zur hohen Vola­ti­lität auf dem Milch­markt und der Nahrungs­mit­tel­krise ab 2007 publiziert.

Hinter­grund: Wie funk­tio­niert Nahrungs­mit­tel­spe­ku­la­tion genau? Und was will die Speku­la­ti­ons­stop­pinitia­tive eigent­lich? Hier haben wir die Fragen beantwortet.

das Lamm: Herr Joerin, Sie sind gegen die Speku­la­ti­ons­stopp-Initia­tive. Wieso?

Robert Joerin: Ich halte die Initia­tive zur Nahrungs­mit­tel­spe­ku­la­tion nicht für geeignet, den Hunger zu bekämpfen. Hunger ist eine Folge von Armut und muss deshalb mit den entwick­lungs­po­li­ti­schen Instru­menten bekämpft werden.

das Lamm: Aber wieso müssen dann über­haupt Nahrungs­mittel-Kontrakte an der Börse gehan­delt werden? Mit Essen spielt man nicht, wie die Initi­an­tInnen sagen.

Robert Joerin: Die Preis­ab­si­che­rung an der Termin­börse bietet dem Produ­zenten finan­zi­elle Sicher­heit. So kann er sich bereits zum Zeit­punkt der Saat absi­chern, indem er Kontrakte verkauft und aus diesem Erlös Saatgut und andere Produk­ti­ons­mittel kaufen kann.

Die Tatsache, dass er liquid ist, hat weitere posi­tive Effekte: Der Saat­gut­lie­fe­rant weiss dies und hat einen beson­deren Anreiz, dem Bauern Saatgut von guter Qualität zum rich­tigen Zeit­punkt und in ausrei­chender Menge zu liefern. Dies ist wichtig für den Bauern, weil die Zeit­spanne für die Saat sehr kurz ist. Trifft er den opti­malen Zeit­punkt, kann er mit höheren Erträgen rechnen. Timing ist für den Bauern wichtig und dafür wiederum muss er liquid sein. Die Preis­ab­si­che­rung an Termin­börsen ist essen­ziell für die Ernährungssicherheit.

Agrarökonome Robert Joerin von der ETH Zürich: «Die Spekulationsstopp-Initiative löst das Hungerproblem nicht.»
Agrar­öko­nome Robert Joerin von der ETH Zürich: «Die Speku­la­ti­ons­stopp-Initia­tive löst das Hunger­pro­blem nicht.» (Foto: Xenia Klaus)

das Lamm: Die Initia­tive will aber nicht die finan­zi­elle Absi­che­rung durch Termin­ge­schäfte verbieten, sondern ledig­lich speku­la­tive Geschäfte mit Nahrungs­mit­teln, bzw. den Kontrakten zu diesen.

Robert Joerin: Die Preis­ab­si­che­rung ist aber ohne diese Finanz­ak­teure, oder eben «Speku­lanten», nicht möglich. An der Börse wollen sich Produ­zenten und Verar­beiter beide gegen Preis­ri­siken absi­chern. Das nennt man Hedging. Das ist aber nur möglich, wenn Dritte bereit sind, Risiken zu über­nehmen. Das sind die Finanz­ak­teure: Sie über­nehmen die Gegen­po­si­tion und gehen ins Risiko hinein. Sie tun das, weil sie gewinnen können, wenn sie die zukünf­tige Entwick­lung der Märkte richtig einschätzen. Wer falsch liegt, verliert. Diese Akteure sind unent­behr­lich für das Funk­tio­nieren des Termin­marktes. Hedging und Speku­la­tion ergänzen sich. Das eine ist ohne das andere nicht möglich.

das Lamm: Aber diese Speku­lanten treiben die Preise in eine Rich­tung und sind so für die hohen Preise der letzten Jahre verant­wort­lich. Das findet doch auf dem Rücken der hungernden Kinder statt.

Robert Joerin: Die hohen Preise, die wir von 2007 bis 2014 hatten, sind nicht auf Speku­la­tion zurück­zu­führen, sondern auf eine Folge verschie­dener Ange­bots- und Nach­fra­ge­ver­än­de­rungen auf den Welt­märkten. Zudem ist es wichtig zu unter­scheiden: Hohe Preise bedeuten nicht auto­ma­tisch Hunger und Armut. Die Hoch­preis­phase ist vorbei – Hunger und Armut aber sind geblieben und werden weiterhin ein grosses Problem bleiben!

das Lamm: Aber wenn ein Gut teuer ist, können es sich die Ärmsten nicht mehr leisten. Inwie­fern soll das unpro­ble­ma­tisch sein?

Robert Joerin: Das stimmt für alle Armen, die zur städ­ti­schen Bevöl­ke­rung und damit zu den Konsu­menten gehören. Von den Armen dieser Welt lebt aber ein Gross­teil auf dem Land und gehört als Bauern zu den Produ­zenten. Für sie sind Tief­preis­phasen proble­ma­ti­scher, weil sie vom Erlös ihrer Produkte nicht mehr leben können. Eine solche Phase hat soeben begonnen.

das Lamm: Mal ange­nommen, Auslöser der Preis­schwan­kungen seien andere Faktoren. Die speku­la­tiven Geschäfte haben eine Hebel­wir­kung. Indem auf Trends gewettet wird, werden diese doch massiv verstärkt?

Robert Joerin: Nein! Der Preis der Kontrakte ist nicht gleich dem Preis der Rohware. Die Preise für Kontrakte wider­spie­geln die Erwar­tungen was die zukünf­tige Entwick­lung auf dem Real­markt betrifft. Ein Finanz­ak­teur, der stei­gende Preise erwartet, kauft Kontrakte. Dadurch kommt es zu einer Verknap­pung dieser Kontrakte und der Preis steigt. Das wiederum sendet ein Signal an alle Produ­zenten, dass hohe Preise erwartet werden. Die Erwar­tung hoher Preise setzt für die Produ­zenten einen Anreiz, das Produkt auf den Markt zu bringen, das heisst entweder die Lager zu leeren oder zu produ­zieren. Das wiederum führt zur «Gegen­be­we­gung», will heissen, die Preise sinken.

das Lamm: Was, wenn der Produ­zent wegen Umwelt­fak­toren, zum Beispiel Dürre, nicht einfach «mehr produ­zieren» kann?

Robert Joerin: Dann werden die Preise des Produkts so oder so steigen, weil es dann nämlich tatsäch­lich knapp ist. Die Ursache des Preis­an­stiegs wird dann aber nicht die Speku­la­tion, sondern die Dürre sein.

das Lamm: Aber die Speku­lanten wetten ja auf ihre Produkte. Sie wissen nicht tatsäch­lich, wie sich die Preise bewegen werden. 

Robert Joerin: Nein! Ein guter Händler wird auf Grund von Infor­ma­tion kaufen oder verkaufen. Und somit auch auf Faktoren des Real­marktes basie­rende Entscheide treffen. Proble­ma­tisch ist ledig­lich, wenn keine neuen Infor­ma­tionen verfügbar sind. Dann wird tatsäch­lich ohne bestimmten Grund verkauft und gekauft werden. Das kann zu einer Herden­be­we­gung führen und den Markt in ein Preis­hoch oder ‑tief treiben. Solche speku­la­tiven Phasen sind proble­ma­tisch, weil der Kontrakt­preis dann kein Indi­kator für die tatsäch­liche Knapp­heit ist. So entstehen Blasen. Sie sind die Folge eines Informationsmangels.

In Westafrika führte 2012 eine Dürre zu einer Hungersnot, von der 18 Millionen Menschen betroffen waren. (CC by Oxfam International)
In West­afrika führte 2012 eine Dürre zu einer Hungersnot, von der 18 Millionen Menschen betroffen waren. (Foto: Oxfam International)

das Lamm: Also ist Speku­la­tion eben doch problematisch?

Robert Joerin: Speku­la­tive Phasen ja, nicht Speku­la­tion allge­mein. Ersterem sollte man tatsäch­lich entge­gen­wirken. Die vorlie­gende Initia­tive will aber Letz­teres verbieten.

das Lamm: Wie kann dies verbes­sert werden?

Robert Joerin: Die Trans­pa­renz auf den Welt­märkten muss erhöht werden. Was ist wo an Lager? Wer erwartet welche Ernten? Haupt­säch­lich die «Big-Players» sollten da ihre Verant­wor­tung noch besser wahr­nehmen. Hier müssen die Staaten im Inter­esse der Ernäh­rungs­si­cher­heit den Hebel ansetzen.

das Lamm: Es gibt aber auch Studien, die einen klaren Zusam­men­hang zwischen Speku­la­tion und Preis­haussen feststellen.

Robert Joerin: Ein Forschungs­team der Hoch­schule Luzern hat 100 Studien unter­sucht und kommt zum Schluss: 47 Prozent der Studien finden einen abschwä­chenden Effekt, das heisst, Speku­la­tion dämpft Preis­aus­schläge und wirkt damit stabi­li­sie­rend auf den Markt. Keinen Einfluss stellen 37 Prozent der Studien fest. Nur 16 Prozent der Unter­su­chungen deuten auf verstär­kende Effekte hin. Werden nur Nahrungs­mittel analy­siert, ist der abschwä­chende Effekt bei Mais, Zucker und Weizen beson­ders ausge­prägt, während bei Fleisch­pro­dukten und teil­weise Kaffee leicht verstär­kende Effekte gefunden werden. Zu betonen ist, dass dabei jeweils nur ein geringer Einfluss fest­ge­stellt wurde.

das Lamm: Was ist dann verant­wort­lich für den Hunger und die vermehrten Preisextreme?

Robert Joerin: Für den Hunger in der Welt ist es die Armut. Dazu kommen noch die vielen Menschen in Kriegs­ge­bieten, die hungern. Aber das hat wenig mit den aktu­ellen Welt­markt­preisen zu tun. Für die vermehrten Preis­extreme würde ich die massiv verstärkte Bindung an den Erdöl­preis gerade in Hoch­preis­phasen als verant­wort­lich bezeichnen (siehe Grafik).  Hinzu kommen die vermehrten Wetter­ex­treme. Die Preis­vo­la­ti­lität auf den Agrar­märkten wird also auch klima­be­dingt noch weiter zunehmen. Umso wich­tiger ist die Preis­ab­si­che­rung auf Termin­märkten für die Produzenten.

Immer wenn der Erdölpreis steigt, steigt die Nachfrage nach Agrotreibstoffen. Das verteuert Nahrungsmittel.
Immer wenn der Erdöl­preis steigt, steigt die Nach­frage nach Agro­treib­stoffen. Das verteuert Nahrungsmittel.


das Lamm: Woher rührt die verstärkte Bindung an den Erdölpreis?

Robert Joerin: Mit der Möglich­keit der Produk­tion von Agro­treib­stoffen hat die Nach­frage nach den betref­fenden Rohstoffen (Mais, Raps) eine völlig neue Kompo­nente erhalten. Die Nach­frage nach Agro­treib­stoffen nimmt zu, wenn der Erdöl­preis steigt. Noch proble­ma­ti­scher wird das, wenn man bedenkt, dass der Ölmarkt von wenigen Anbie­tern domi­niert wird und damit anfällig für Preis­ma­ni­pu­la­tionen ist. Agro­treib­stoffe sollten nie, und ich meine wirk­lich nie, eine Konkur­renz für die mensch­liche Ernäh­rung sein. Ist das der Fall, fahren unsere Autos auf dem Rücken der hungernden Kinder, um darauf zurückzukommen.

das Lamm: Was kann ich als Konsu­mentin tun?

Robert Joerin: Als Konsu­menten können wir uns besser infor­mieren. Es gibt gute Projekte in Entwick­lungs­län­dern, die auch tatsäch­lich dort Wert­schöp­fung gene­rieren. Darauf sollten die Fair­trade-Labels noch vermehrt achten. Wichtig ist, dass die Entwick­lungs­länder den Markt­zu­gang zu den Indu­strie­län­dern haben.
Als Bürger können Sie den poli­ti­schen Druck hoch­halten, damit NGOs weiterhin minde­stens im bishe­rigen Umfang unter­stützt werden. Oder Sie können sie natür­lich selber unter­stützen. Das IKRK zum Beispiel leistet enorm wich­tige Arbeit. Armut und Elend müssen bekämpft werden. Aber diese Initia­tive ist einfach nicht das passende Mittel. Sie macht es sich zu einfach.
Vielen Dank für das Gespräch.

Wie funk­tio­niert Speku­la­tion mit Lebensmitteln?

Auf Termin­märkten können sich Produ­zenten und Verar­beiter eines Produktes gegen Preis­schwan­kungen absi­chern. Dazu verkaufen sie Kontrakte (=Futures), in denen verein­bart wird, welcher Preis der Produ­zent in Zukunft für sein Produkt erhalten wird, bezie­hungs­weise welchen Preis der Verar­beiter dafür bezahlen muss.
Die Kontrakte werden von Finanz­ak­teuren (=Speku­lanten) gekauft. Liegt der Preis des Gutes zum Zeit­punkt des tatsäch­li­chen Verkaufes unter dem vertrag­lich verein­barten, deckt der Finanz­ak­teuer die Diffe­renz. Liegt der Preis aber darüber, fliesst die Diffe­renz vom Produ­zenten zum Speku­lanten. Das Risiko geht also mit dem Kauf des Kontraktes vom Produ­zenten auf den Speku­lanten über.

Was will die Initiative? 

Die Initia­tive will den Finanz­ak­teuren, die nichts mit dem eigent­li­chen Produkt zu tun haben, den Zugang zu Termin­börsen für Nahrungs­mittel verbieten. Rein speku­la­tive Geschäfte mit den Kontrakten sollen also nicht mehr möglich sein. Nach Meinung der Initi­an­tInnen werden durch sie die Preise des tatsäch­li­chen Gutes zu sehr beein­flusst und in die Extreme getrieben. In der Zeit von 2007 bis 2014 waren auffällig hohe Preis­spitzen auf dem Welt­markt zu beob­achten. Die Initi­an­tInnen sehen die Schuld dafür bei den Speku­lanten.
Zurück zum Anfang des Inter­views
 


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 23 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1456 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel