Ostafrikas Ölpipe­line: Ein Rück­schlag für Umwelt und Menschen­rechte (1/3)

Das fran­zö­si­sche Unter­nehmen Total Ener­gies wird in Uganda und Tansania die welt­weit längste beheizte Öl-Pipe­line bauen. Das Projekt bedroht lokale Gemein­schaften und gefährdet den Kampf gegen den Klimawandel. 
Oktober 2022: Arbeiter von Total Energies errichten eine der ersten Bohrinseln am Standort Tilenga in Uganda, wo über 400 Erdölbohrungen geplant sind. (Bild: Pablo Garrigós)

„Würden Sie ausziehen, Reverend?“ Der angli­ka­ni­sche Pfarrer Fred Musi­menta sitzt auf der Veranda seines Hauses. Seine Antwort ist eindeutig: „Das wäre sehr unan­ge­nehm. Wenn ich das täte, wäre es gegen meinen eigenen Willen.“

Musi­menta hat 1980 das Haus mit seinen eigenen Händen gebaut. Vierzig Jahre später bedroht der Bau einer Ölpipe­line sein Land und sein künf­tiges Leben in Kidoma, seinem Heimatort im Westen Ugandas.

Musi­mentas Haus liegt weniger als hundert Meter von der Trasse der East African Crude Oil Pipe­line entfernt, die durch seinen Garten verlaufen wird. Das Ölpro­jekt, das unter der Abkür­zung EACOP bekannt ist, wird Erdöl von 32 Ölfel­dern im Gebiet um den ugan­di­schen Murch­ison Falls Natio­nal­park zu einer Lager­stätte in Tanga, einer Küsten­stadt im benach­barten Tansania, transportieren. 

Die 1‘443 Kilo­meter lange Pipe­line muss auf 50 Grad Celsius geheizt, unter­ir­disch verlegt und isoliert werden, damit das anson­sten zähe Öl über­haupt fliesst. Bei maxi­maler Kapa­zität sollen knapp 216’000 Barrel Rohöl pro Jahr produ­ziert werden.

Was bedeutet diese Ölpipe­line für Ostafrika und die Welt?

Mehr CO2-Emis­sionen als deklariert

Das Öl wurde 2009 vom briti­schen Unter­nehmen Tullow Oil am Ufer des Albert­sees entdeckt. Dieses verkaufte 2020 all seine Anteile an den fran­zö­si­schen Ölkon­zern Total Ener­gies, mit dessen Unter­stüt­zung die ugan­di­sche Regie­rung das Nach­bar­land Tansania als Route wählte, um das Öl zu exportieren. 

Das Projekt steht heute mit 62 Prozent der Akti­en­an­teile unter der Leitung von Total Ener­gies; die Petro­leum Autho­rity of Uganda (PAU) und die Tanz­ania Petro­leum Deve­lo­p­ment Corpo­ra­tion (TPDC) halten jeweils 15 Prozent der Anteile, die China National Offshore Oil Corpo­ra­tion (CNOCC) acht Prozent.

Die Pipe­line sollte ursprüng­lich im Jahr 2022 fertig­ge­stellt werden, nachdem bereits 2017 die ersten Bauar­beiten offi­ziell begannen. Doch Covid-19 und die fehlende Finan­zie­rung haben den Termin auf 2025 verschoben. Bis heute ist noch kein Kilo­meter der Pipe­line gebaut und die ersten Bohr­in­seln sind erst Ende Oktober 2022 im Land eingetroffen.

Neben logi­sti­schen und finan­zi­ellen Problemen gab es auch inter­na­tio­nalen Druck auf das Projekt. Im September 2022 verab­schie­dete das Euro­päi­sche Parla­ment eine Reso­lu­tion, die das EACOP-Projekt verur­teilt: Es gefährde die Rechte lokaler Gemein­schaften und den Kampf gegen den Klimawandel.

In seinem offi­zi­ellen Umwelt­ver­träg­lich­keits­be­richt geht Total Ener­gies von maximal 18‘000 Tonnen CO2 pro Jahr aus, die das Projekt verur­sa­chen wird. Der Bericht berück­sich­tigt zwar die direkten Emis­sionen der Pipe­line in Uganda, jedoch weder die in Tansania noch die der Ölför­de­rung selbst oder die der Neben­an­lagen. Externe NGOs schätzen hingegen, dass das gesamte Ölpro­jekt bei maxi­maler Kapa­zität rund 34 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr verur­sa­chen wird – mehr als das Doppelte der derzei­tigen Emis­sionen von Uganda und Tansania zusammen.

Fehlende Fair­ness

Die Kritik an der EACOP richtet sich aber nicht nur gegen die erwar­teten Umwelt­aus­wir­kungen, sondern auch gegen Menschen­rechts­ver­let­zungen. Laut der EACOP müssen 13‘161 Personen entlang der Pipe­line umge­sie­delt werden; die Projekt­lei­tung wird sie in Form von Geld- und Sach­lei­stungen entschädigen.

Aber auch hier schätzen externe Beobachter*innen die Zahl höher ein als die EACOP: Rund 120‘000 Menschen werden ihr Zuhause verlieren. Die Daten der EACOP schliessen die von verschie­denen Ölfel­dern oder dem Bau des inter­na­tio­nalen Flug­ha­fens in Hoima betrof­fenen Menschen nicht ein, kriti­siert die US-ameri­ka­ni­sche NGO Inclu­sive Development.

In Uganda liegt laut Oxfam die Zahl der betrof­fenen Haus­halte bei 3‘500, jedoch sollen laut EACOP nur 200 Fami­lien in neue Häuser umge­sie­delt werden. Die rest­li­chen Haus­halte sollen 2’500 US-Dollar in bar erhalten – und werden dementspre­chend ihr Haus verlieren.

Wegen der EACOP-Pipe­line wird Reverend Fred Musi­menta, ein Einwohner von Kidoma, sein Land verlassen müssen. Musi­menta hat zusammen mit sieben anderen Mitglie­dern seiner Gemeinde die von Total Ener­gies vorge­schla­gene Entschä­di­gung abge­lehnt. (Foto: Pablo Garrigós)

Doch nicht alle akzep­tieren das Geld. Reverend Musi­menta ist einer der acht Anwohner*innen in Kidoma in West­uganda, die das Geld vier Jahre nach dem ersten Entschä­di­gungs­an­gebot von New Plan, dem lokalen Subun­ter­nehmen von Total Ener­gies, immer noch ablehnen. Der Grund: Die Entschä­di­gung betrifft nur den 30 Meter breiten Bereich, den die Pipe­line einnehmen wird, und nicht sein gesamtes Land. Das heisst, dass auch sein Haus in der Entschä­di­gung nicht berück­sich­tigt wird.

„Ich bin nicht gegen das Projekt, sondern gegen die Art und Weise, wie sie uns behan­deln. Sie sind einfach gierig“, sagt Musi­menta. „Wenn ich die wirt­schaft­liche Entschä­di­gung von Total Ener­gies akzep­tiere, wird das Geld nicht ausrei­chen, um Land in einem anderen Gebiet zu kaufen.“ Während er vor der Veranda seines Hauses mit uns spricht, ziehen mehrere Nachbar*innen an uns vorbei; alle grüssen ihn. Musi­menta will den Ort nicht verlassen, an dem er seit 40 Jahren lebt.

„Total Ener­gies trägt die Schuld. Die Personen, die noch unter Tullow Oil deplat­ziert wurden, haben eine gute Entschä­di­gung erhalten“, sagt John, der seinen rich­tigen Namen aus Angst vor Vergel­tungs­mass­nahmen öffent­lich nicht nennen will. Er ist einer von 152 Landbesitzer*innen, die vom ersten Umsied­lungs­ak­ti­ons­plan von Total Ener­gies betroffen waren.

Als John für den Bau der zentralen Verar­bei­tungs­an­lage auf den Tilenga-Ölfel­dern Platz machen musste, reichte er zusammen mit fünf anderen Personen Klage gegen den Konzern in Uganda ein. Obwohl sie das Gerichts­ver­fahren verloren haben, lehnen sie die von Total Ener­gies ange­bo­tene Entschä­di­gung noch immer ab. John lebt zurzeit mit seiner Familie im Haus seines Bruders.

Die von der fran­zö­si­schen Total Ener­gies geplante grösste beheizte Ölpipe­line der Welt soll ugan­di­sches Öl über Tansania aus dem Konti­nent expor­tieren. Das Projekt kommt zu einem Zeit­punkt, an dem Europa nach Ener­gie­al­ter­na­tiven sucht und die Welt darüber debat­tiert, ob Afrika seine eigenen Ressourcen erschliessen darf. Denn die EACOP gefährdet nicht nur Menschen­rechte und sensible Gebiete mit Koral­len­riffen und Mangro­ven­wäl­dern, sondern öffnet auch die Tür für zukünf­tige Ölpro­jekte in Ostafrika – und bedroht damit viele weitere Ökosysteme.

Teil 1: Ostafrikas Ölpipe­line: Ein Rück­schlag für Umwelt und Menschenrechte

Teil 2: Neoko­lo­nia­lismus der EACOP: Ein beid­sei­tiger Vorwurf

Teil 3: Gefähr­dete Ökosy­steme: Kein Ende in Sicht nach der EACOP

Diese Recherche wurde von Journalismfund.eu unterstützt.

Auch ein Haus macht nicht glücklich

Etwas weiter südlich der Tilenga Ölfelder hat die ugan­di­sche Regie­rung mit Total Ener­gies 2‘550 Grundstückseigentümer*innen aus einem 29 Quadrat­ki­lo­meter grossen Gebiet umge­sie­delt, um den inter­na­tio­nalen Flug­hafen Hoima und die Kabaale-Ölraf­fi­nerie zu bauen. 

Achtzig von ihnen wurden in die neue Kyaka­boga-Sied­lung umge­sie­delt. Diese besteht mitt­ler­weile aus vierzig iden­ti­schen Häusern, die nur wenige Meter vonein­ander entfernt stehen und eine U‑Form bilden. In der Mitte befindet sich ein Gemein­de­zen­trum, das theo­re­tisch einen Markt­platz beher­bergen soll, der aber noch nicht gebaut wurde. Auch das verspro­chene Gesund­heits­zen­trum fehlt nach wie vor.

Eine Bewoh­nerin der Kyaka­boga-Sied­lung breitet eine Plane aus, um Mani­ok­wur­zeln zu trocknen. (Foto: Pablo Garrigós)

Die Bewohner*innen sagen, dass die Bauqua­lität ihrer neuen Häuser im Vergleich zu ihren früheren Hütten viel besser ist. Dennoch habe sich ihr Leben verschlech­tert. „Der Konzern versprach Wasser­tanks mit einem Fassungs­ver­mögen von etwa 5‘000 Litern. Aber in Realität fassen diese Tanks nicht einmal 500 Liter“, sagt Inno­cent aus der Kyaka­boga Sied­lung, dessen Name von der Redak­tion geän­dert wurde. „Diese Gegend ist trocken, und wir stehen kurz vor der Dürre­pe­riode“, fügt er hinzu. „Wir haben nur zwei Möglich­keiten: zum Bach laufen oder ein Motorrad-Taxi bezahlen, das uns Wasser bringt.“

Der junge Mann ist mit seiner Frau und seinem Sohn in eines der Umsied­lungs­häuser gezogen, nachdem er sein letztes Jahr am College beendet hatte. Er würde gerne Compu­ter­technik studieren, kann sich das im Moment aber nicht leisten und ist statt­dessen in der Land­wirt­schaft tätig. „Wir essen haupt­säch­lich Maniok, aber hier ist der Boden so heiss, dass die Hitze den Maniok austrocknen lässt“, sagt Innocent.

„Früher hatten wir drei Ernte­sai­sons im Jahr, hier haben wir nur eine. Dieses Jahr hat kein Haus­halt genug zu essen“, fügt Tekakwo Sadam hinzu. Sadam ist Vorsit­zender der Kyaka­boga Sied­lung und sagt, dass der neue Lebens­stil seinen Leuten nicht entspricht. In der neuen Sied­lung besitzen die Bewohner*innen nur noch kleine Grund­stücke in einigen Metern Entfer­nung von ihrem Haus. Darum müssen sie ihre Ziegen und Hühner nach dem Weiden zurück­bringen – die Tiere ziehen dann vor die Haustür anderer Bewohner*innen, was zu Konflikten führt. 

Sadam Tekakwo, Vorsit­zender der Kyaka­boga Sied­lung, zeigt auf die Gebäude und Häuser, die verspro­chen, aber nie gebaut wurden. (Foto: Pablo Garrigós)

„Wir sind alle Landwirt*innen und müssen in der Lage sein, unser Haus direkt auf unserem Land zu bauen“, sagt Sadam. Nach vier Jahren in seinem neuen Zuhause ist er erschöpft: „Ich bin nicht glücklich.“

Total Ener­gies nahm zu den Vorwürfen auch nach mehreren Anfragen keine Stel­lung. Obwohl ugan­di­sches Recht den betrof­fenen Gemeinden den Zugang zu Infor­ma­tionen gewähr­lei­stet, kommen sie mit Total Ener­gies nur spora­disch in Kontakt. Es mangelt an spezi­fi­schen Infor­ma­tionen zu Zeit­plänen, tech­ni­schen Über­le­gungen, Umwelt­aus­wir­kungen und Entschädigungsverfahren.

„Ich weiss gar nicht, wie die Pipe­line neben meinem Haus gebaut werden soll“, sagt Musimenta.

*Halima Athu­mani hat zu diesem Artikel beigetragen.

Dieser Artikel wurde von Maria-Theres Schuler vom Engli­schen ins Deut­sche übersetzt.


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