Sechs Ideen, wie wir die Zersie­de­lung der Schweiz stoppen können

Fast alle sind sich einig: Der Hüsli­brei frisst die Schweiz auf. Wie die Zersie­de­lung zu stoppen ist, sind sich Poli­ti­ke­rinnen und Poli­tiker aber uneinig. Dabei gäbe es mehr als genug gute Ideen. 
Auf Halde bauen - nicht nur in der Schweiz ein Problem: Im Bild ein Strassennetz für eine Neubausiedlung in Arizona. (Foto: Daniel Lobo)

Ganz schön voll hier, nicht? Und tatsäch­lich: Die Flächen­ver­sie­ge­lung in der Schweiz hat inner­halb von 24 Jahren um 29% zuge­nommen. Trotzdem hat der Bundesrat im Januar die Zersie­de­lungs­in­itia­tive abge­lehnt. Die „Galerie des Schreckens“ auf der Website der Initia­tive belegt jedoch eindrück­lich, wie einfalls­lose Neubauten immer weiter in die Land­schaft vordringen. Doch muss Bevöl­ke­rungs­wachstum nicht auto­ma­tisch auch Flächen­ver­sie­ge­lung und Zersie­de­lung bedeuten. Wir schlagen sechs Möglich­keiten für Politik und Bürger, Konsu­men­tinnen, Mieter oder Eigen­tü­me­rinnen vor:

1. Leer­ste­hende Wohnungen nutzen

Laut Bundesamt für Stati­stik standen 2016 insge­samt 56’518 Wohnungen in der Schweiz leer. Das sind immerhin 1,3% aller Wohnungen in der Schweiz. Dabei handelt es sich laut Stati­stik meist um Wohnungen mit drei oder vier Zimmern, ein grosser Teil im Luxus­seg­ment. Die Wohnungen finden sich teil­weise auch in den Gemeinden, in denen weiter gebaut wird. Denn bei den tiefen Zinsen ist es momentan klüger, sein Geld in eine Immo­bilie zu verbauen und diese leer stehen zu lassen, als das Kapital auf der Bank zu depo­nieren. Zum Vergleich: In allen leer­ste­henden Wohnungen liesse sich (rein rech­ne­risch) der Bevöl­ke­rungs­zu­wachs eines Jahres unter­bringen. Zwischen 2015 und 2016 waren das 90‘600 Personen.

Erfolge zur Nutzung leer­ste­hender Wohnungen werden aus dem Norden gemeldet: Aufgrund von Wohnungs­knapp­heit und der Zunahme von Feri­en­woh­nungen wurden in verschie­denen Metro­polen in Deutsch­land soge­nannte Zweck­ent­frem­dungs­ver­bote einge­führt. Diese unter­sagen die Gewer­be­nut­zung, die Vermie­tung als Feri­en­do­mizil, einen Leer­stand von mehr als 6 Monaten oder einen Abriss von Liegen­schaften. In München, einer Stadt mit ähnlich grossem Wohnungs­mangel wie Zürich, konnten so immerhin 240 Wohnungen wieder in den regu­lären Wohnungs­markt zurück­ge­führt werden.

2. Büros zu Wohnungen!

Wenn selbst die Handels­zei­tung schreibt, dass die Anzahl leer­ste­hender Büro­ge­bäude in der Schweiz drama­tisch ansteige, gibt es wohl ein Über­an­gebot auf dem Immo­bi­li­en­markt. Doch leer­ste­hende Büros müssten eigent­lich nicht lange auf das nächste miet­wil­lige Unter­nehmen warten — man könnte sie auch einfach in Wohnungen umwan­deln. Dies würde nicht nur die vielen Suchenden und die Schweizer Land­schaft freuen, sondern auch Bau- und Hand­werks­un­ter­nehmen, die notwen­dige Umbau­mass­nahmen durch­führen dürften.

Doch ein tempo­rärer Leer­stand lohnt sich häufig für die Vermieter: Für Gewer­be­räume kann ein höherer Miet­zins verlangt werden als für Wohnungen. Und die Verträge werden häufig für mehrere Jahre abge­schlossen. Zudem würden bei einer Umnut­zung Kosten für die Umbau­ar­beiten anfallen. Auch dies könnte durch ein Zweck­ent­frem­dungs- oder Leer­stands­verbot gelöst werden: Würden Leer­stände von mehr als 6 Monaten mit einer Busse belegt, wäre es attrak­tiver für die Vermieter, ihre Immo­bi­lien ander­weitig zu nutzen.

3. Nur bei nach­weis­li­chem Bedarf bauen

Wohnen in Stadt und Umge­bung boomt. Die Einwohner und Einwoh­ne­rinnen der Schweiz möchten vor allem in zentral gele­genen, an das ÖV-Netz ange­schlos­senen Wohnungen und Häusern wohnen. Neubau­pro­jekte auf dem Land dagegen stehen häufig lange leer. Das heisst, immer mehr Fläche wird sinnlos und auf Halde zuge­baut. Es wäre also sinn­voll, die Geneh­mi­gung grös­serer Neubau­pro­jekte vom Bedarf abhängig zu machen. Also beispiels­weise erst die Bewil­li­gung zu erteilen, wenn der Bauherr nach­weisen kann, für minde­stens 50% der Wohnungen im Objekt Inter­es­sen­tinnen oder Inter­es­senten zu haben.

 

4. Steuer auf neue Ferienwohnungen

Schön: Neben der Wohnung in der Stadt noch ein Wochen­end­häus­chen auf dem Lande besitzen. Nicht so schön: Immer mehr Fläche für Wohnungen zubauen, die den grössten Teil des Jahres leer stehen. Die Zweit­woh­nungs­in­itia­tive geht hier bereits in die rich­tige Rich­tung. Sie verbietet den Bau neuer Zweit­woh­nungen in Gemeinden, die bereits mehr als 20% Zweit­woh­nungen haben. Damit wird das Bau- und Speku­la­ti­ons­fieber in Feri­en­orten zwar einge­dämmt, doch verla­gert sich das Problem nur in andere Gemeinden.

Daher unsere Forde­rung: Der Bau von Zweit­wohn­sitzen soll finan­ziell unat­trak­tiver werden. Das kann zum Beispiel durch eine Steuer auf den Bau oder Besitz solcher Neubau­woh­nungen geschehen. Dies gilt nicht für existie­rende Gebäude. Chalets, Rustici oder Scheunen dürften dann immer noch umge­baut oder reno­viert werden, aber keine Gebäude hinzu­ge­fügt werden.

5. Gemein­schaft­lich genutzte Fläche

Die meisten, die schon einmal längere Zeit ausser­halb Europas gelebt haben, kennen es: Während es für uns selbst­ver­ständ­lich ist im Park zu gril­lieren, im See zu baden oder im Wald spazieren zu gehen, fehlen diese Optionen in vielen Ländern. In der Schweiz mit ihren vielen öffent­li­chen Seen, Flüssen, Parks, Wäldern und Bergen sind wir privi­le­giert. Es fehlen jedoch die Optionen für schlechtes Wetter. Damit steigt das Bedürfnis, in jedem Haus ein Arbeits­zimmer, Kino­zimmer, Spiel­zimmer oder einen Hobby­raum zu haben. Und das wiederum führt zu einem erhöhten Flächenverbrauch.

Wir brau­chen also mehr Gemein­schafts- und Nutz­fläche für erwach­sene Menschen. Die Gemein­schafts­zen­tren in Zürich sind ein guter Anlauf­punkt für Kinder und Kurse Beson­ders schön sind aber Initia­tiven wie das Unter­nehmen Mitte in Basel. Hier kann man in einem coolen Café Zeit verbringen, ohne konsu­mieren zu müssen.

6. Flexibel dazubuchen

Wer nicht ins Café oder ins Gemein­schafts­zen­trum gehen will, kann andere Optionen nutzen: Warum nicht flexibel Räume hinzu­bu­chen? Die Zürcher Wohn­ge­nos­sen­schaft Kalk­breite macht es vor: In der Kalk­breite können Haus­be­woh­ne­rinnen und ‑bewohner, aber auch Externe Gäste­zimmer oder die soge­nannten ‚Flex­zimmer‘ für Arbeit und Frei­zeit mieten. Diese bieten viel Platz für Besuch, Sitzungen, Semi­nare, Versamm­lungen oder Sport. Das wäre doch ein gutes Modell für alle grös­seren Wohn­pro­jekte. So verrin­gert sich die benö­tigte Fläche pro Haus­halt, gleich­zeitig erhöht sich aber der Komfort und die Flexi­bi­lität für alle.

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