Das Interview führten wir eine Woche vor der Besetzung des Bundesplatzes durch die Klimabewegung.
Das Lamm: Hanna, du bist schon länger beim Klimastreik aktiv. Allerdings habt ihr bisher hauptsächlich mit angemeldeten Aktionen auf die Klimakrise aufmerksam gemacht. Jetzt macht ihr im Rahmen des Rise Up For Change zum ersten Mal bei einer grossen illegalen Aktion mit. Warum dieser Schritt?
Hanna Fischer: Wir haben gesehen, dass die Streiks nicht mehr die Wirkung haben, die wir wollen. In letzter Zeit wurde nur noch in einer kleinen Spalte in der Zeitung über die Streiks berichtet. Die Demos lösen nicht das Krisenbewusstsein aus, das wir gerne hätten. Es hat sich auch nach einem Jahr Demonstrieren nichts verändert. Wir müssen also einen Schritt weitergehen. Auch die Motivation für die Demos nahm ab, es kommen immer weniger Leute. Wir wollen unter den Klimastreikenden wieder das Gefühl vermitteln: Wir können etwas bewirken.
Es geht also auch darum, euch selbst zu motivieren. Darüber hinaus wollt ihr aber die Öffentlichkeit erneut auf die Krise aufmerksam machen. Was bedeutet ziviler Ungehorsam für dich?
Wir wollen allen zeigen: So kann es nicht weitergehen, wir sind in einer Krise. So können wir den Leuten auch einen Moment Zeit geben, um innezuhalten und zu überlegen, was falsch läuft. Es ist doch nicht normal, dass junge Menschen das Risiko einer Verhaftung eingehen und sich womöglich ihre Zukunft verbauen. So was machen Menschen nur, wenn ihnen etwas wirklich wichtig ist. Darum geht es uns.
Wie geht es dir denn persönlich damit, dass du jetzt diese Risiken eingehst. Bist du nervös? Hast du Angst?
Ich weiss noch nicht, wie ich in der Situation reagieren werde. Ich war noch nie konfrontiert mit der Polizei. Aber ich habe Sorge, was meine Zukunft angeht. Ich studiere Medizin, da könnte es später ein Problem sein, wenn ich einen Eintrag im Strafregister habe. Das beschäftigt mich. Aber ich werde es nie bereuen, denn ich weiss ja, warum ich das getan habe. Ich werde auch in meiner beruflichen Laufbahn auf Leute treffen, die das verstehen. Da bin ich sicher. Und: Nichts zu machen ist ja auch nicht besser. Die Zukunft sieht noch schlechter aus, wenn wir nichts machen. Was ist gefährlicher: Ein Strafregistereintrag oder die Klimakrise?
Mit welchen Konsequenzen rechnet ihr für eure Aktionen?
Wir gehen davon aus, dass uns Verhaftungen, Bussen und Einträge im Strafregister drohen.
Die Ausgangslage einer illegalen Aktion ist nicht für alle Menschen gleich, nicht jede:r kann einen Strafregistereintrag riskieren. Wie geht ihr damit um?
Es müssen nicht alle Leute, die kommen, einen Eintrag riskieren. Es müssen auch nicht alle bei allen Aktionen teilnehmen. Leute mit Kindern können auch mitmachen, das ist uns wichtig. Leute können Rollen einnehmen, die nicht riskant sind. Viele von uns sind sich bewusst, dass wir privilegiert sind, das Risiko eingehen zu können. Aber gerade deswegen müssen wir es machen. Es wäre doch noch gefährlicher für uns alle, nichts zu machen und somit viel mehr Leid zu riskieren.
Die Klimastreiks haben ein breites Publikum mobilisiert – auch Leute, die bisher wenig politisch aktiv waren. Habt ihr Sorge, dass ihr einen Teil eurer Anhängerschaft mit den Aktionen vergrault?
Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Vielleicht sind wir nach den Aktionen weniger Aktivist:innen, aber dafür machen diejenigen mit, die es ernst meinen und verstehen, wie Widerstand funktioniert. Das ist eine weitverbreitete Meinung innerhalb der Bewegung.
Und du?
Ich bin etwas anderer Meinung. Ich finde es wichtig, Bildungsarbeit zu leisten und zu erklären, warum wir das machen.
Nämlich?
Eine illegale Aktion ist ein legitimes Mittel und demokratisch. Letztlich wollen wir mit den Aktionen auch einen Denkprozess anstossen darüber, was legal ist und was nicht – und warum. Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim. Ist die Klimaverschmutzung der Konzerne legitim? Oder dass die Politik sie nicht verhindert? In der Verfassung steht, wir haben ein Recht auf eine nachhaltige Zukunft. Sollte es wirklich illegal sein, friedlich gegen diesen Verfassungsbruch zu demonstrieren? Mit diesem Status quo wollen wir brechen. Ich habe die Hoffnung, dass die Leute, die an unsere Streiks gekommen sind, verstehen, warum wir jetzt diese Aktionen machen. Aber es müssen natürlich nicht alle mitmachen. Wir trennen das Rise Up For Change auch von den Klimastreik Demos. Aber Gewaltfreiheit ist uns wichtig.
Erstmalig tut ihr euch auch mit anderen klimaaktivistischen Gruppen zusammen, darunter Collective Climate Justice und Extinction Rebellion. Warum hat es so lange gedauert?
Bisher gab es keine Gelegenheiten dazu. Mit Rise Up For Change haben wir eine gemeinsame Mission. Wir kannten uns auch bisher nicht so gut, wir mussten uns erst vernetzen. Collective Climate Justice und XR sind nur im zivilen Ungehorsam aktiv. Wir konnten viel von ihren Erfahrungen profitieren und uns austauschen, es haben sich neue Netzwerke gebildet, das war wichtig. Wir wollen mit der Aktion auch zeigen: Man muss in einer Krise zusammenarbeiten, es geht uns alle etwas an.
Gab es auch Konflikte?
Ja, es war nicht immer einfach. Wir haben zum Teil unterschiedliche Forderungen. Vor allem aber gab es Diskussionen bei strukturellen Dingen, bei der Arbeitsweise. Bei XR sind zum Beispiel viel mehr arbeitstätige Menschen, die nicht so flexibel sind wie wir Schüler:innen und Student:innen. Sie wollen sich jede Woche am selben Tag treffen, wir bevorzugen spontane Treffen. Aber der Kampf für Klimagerechtigkeit verbindet uns alle. Wir wollen alle, dass ein Wandel passiert, und zwar schnell.
Folgende Artikel zur Aktion und deren Hintergrund sind bereits erschienen:
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