„Was ist gefähr­li­cher: Ein Straf­re­gi­ster­ein­trag oder die Klimakrise?“

Die Klima­be­we­gung besetzt den Bundes­platz. Jetzt droht die Räumung. Hanna Fischer vom Klima­streik redet im Inter­view über ihre Angst, sich die Zukunft zu verbauen und die Sorge, Sympa­thien zu verspielen – und erklärt, warum die Beset­zung dennoch notwendig ist. 
Der Bundesplatz ist besetzt. Foto: Claude Hurni

Das Inter­view führten wir eine Woche vor der Beset­zung des Bundes­platzes durch die Klimabewegung.

Das Lamm: Hanna, du bist schon länger beim Klima­streik aktiv. Aller­dings habt ihr bisher haupt­säch­lich mit ange­mel­deten Aktionen auf die Klima­krise aufmerksam gemacht. Jetzt macht ihr im Rahmen des Rise Up For Change zum ersten Mal bei einer grossen ille­galen Aktion mit. Warum dieser Schritt?

Hanna Fischer: Wir haben gesehen, dass die Streiks nicht mehr die Wirkung haben, die wir wollen. In letzter Zeit wurde nur noch in einer kleinen Spalte in der Zeitung über die Streiks berichtet. Die Demos lösen nicht das Krisen­be­wusst­sein aus, das wir gerne hätten. Es hat sich auch nach einem Jahr Demon­strieren nichts verän­dert. Wir müssen also einen Schritt weiter­gehen. Auch die Moti­va­tion für die Demos nahm ab, es kommen immer weniger Leute. Wir wollen unter den Klima­strei­kenden wieder das Gefühl vermit­teln: Wir können etwas bewirken.

Es geht also auch darum, euch selbst zu moti­vieren. Darüber hinaus wollt ihr aber die Öffent­lich­keit erneut auf die Krise aufmerksam machen. Was bedeutet ziviler Unge­horsam für dich?

Wir wollen allen zeigen: So kann es nicht weiter­gehen, wir sind in einer Krise. So können wir den Leuten auch einen Moment Zeit geben, um inne­zu­halten und zu über­legen, was falsch läuft. Es ist doch nicht normal, dass junge Menschen das Risiko einer Verhaf­tung eingehen und sich womög­lich ihre Zukunft verbauen. So was machen Menschen nur, wenn ihnen etwas wirk­lich wichtig ist. Darum geht es uns.

Wie geht es dir denn persön­lich damit, dass du jetzt diese Risiken eingehst. Bist du nervös? Hast du Angst?

Ich weiss noch nicht, wie ich in der Situa­tion reagieren werde. Ich war noch nie konfron­tiert mit der Polizei. Aber ich habe Sorge, was meine Zukunft angeht. Ich studiere Medizin, da könnte es später ein Problem sein, wenn ich einen Eintrag im Straf­re­gi­ster habe. Das beschäf­tigt mich. Aber ich werde es nie bereuen, denn ich weiss ja, warum ich das getan habe. Ich werde auch in meiner beruf­li­chen Lauf­bahn auf Leute treffen, die das verstehen. Da bin ich sicher. Und: Nichts zu machen ist ja auch nicht besser. Die Zukunft sieht noch schlechter aus, wenn wir nichts machen. Was ist gefähr­li­cher: Ein Straf­re­gi­ster­ein­trag oder die Klimakrise?

Mit welchen Konse­quenzen rechnet ihr für eure Aktionen?

Wir gehen davon aus, dass uns Verhaf­tungen, Bussen und Einträge im Straf­re­gi­ster drohen.

Die Ausgangs­lage einer ille­galen Aktion ist nicht für alle Menschen gleich, nicht jede:r kann einen Straf­re­gi­ster­ein­trag riskieren. Wie geht ihr damit um?

Es müssen nicht alle Leute, die kommen, einen Eintrag riskieren. Es müssen auch nicht alle bei allen Aktionen teil­nehmen. Leute mit Kindern können auch mitma­chen, das ist uns wichtig. Leute können Rollen einnehmen, die nicht riskant sind. Viele von uns sind sich bewusst, dass wir privi­le­giert sind, das Risiko eingehen zu können. Aber gerade deswegen müssen wir es machen. Es wäre doch noch gefähr­li­cher für uns alle, nichts zu machen und somit viel mehr Leid zu riskieren.

Die Klima­streiks haben ein breites Publikum mobi­li­siert – auch Leute, die bisher wenig poli­tisch aktiv waren. Habt ihr Sorge, dass ihr einen Teil eurer Anhän­ger­schaft mit den Aktionen vergrault?

Dazu gibt es unter­schied­liche Meinungen. Viel­leicht sind wir nach den Aktionen weniger Aktivist:innen, aber dafür machen dieje­nigen mit, die es ernst meinen und verstehen, wie Wider­stand funk­tio­niert. Das ist eine weit­ver­brei­tete Meinung inner­halb der Bewegung.

Und du?

Ich bin etwas anderer Meinung. Ich finde es wichtig, Bildungs­ar­beit zu leisten und zu erklären, warum wir das machen.

Nämlich?

Eine ille­gale Aktion ist ein legi­times Mittel und demo­kra­tisch. Letzt­lich wollen wir mit den Aktionen auch einen Denk­pro­zess anstossen darüber, was legal ist und was nicht – und warum. Nicht alles, was legal ist, ist auch legitim. Ist die Klima­ver­schmut­zung der Konzerne legitim? Oder dass die Politik sie nicht verhin­dert? In der Verfas­sung steht, wir haben ein Recht auf eine nach­hal­tige Zukunft. Sollte es wirk­lich illegal sein, fried­lich gegen diesen Verfas­sungs­bruch zu demon­strieren? Mit diesem Status quo wollen wir brechen. Ich habe die Hoff­nung, dass die Leute, die an unsere Streiks gekommen sind, verstehen, warum wir jetzt diese Aktionen machen. Aber es müssen natür­lich nicht alle mitma­chen. Wir trennen das Rise Up For Change auch von den Klima­streik Demos. Aber Gewalt­frei­heit ist uns wichtig.

Erst­malig tut ihr euch auch mit anderen klima­ak­ti­vi­sti­schen Gruppen zusammen, darunter Coll­ec­tive Climate Justice und Extinc­tion Rebel­lion. Warum hat es so lange gedauert?

Bisher gab es keine Gele­gen­heiten dazu. Mit Rise Up For Change haben wir eine gemein­same Mission. Wir kannten uns auch bisher nicht so gut, wir mussten uns erst vernetzen. Coll­ec­tive Climate Justice und XR sind nur im zivilen Unge­horsam aktiv. Wir konnten viel von ihren Erfah­rungen profi­tieren und uns austau­schen, es haben sich neue Netz­werke gebildet, das war wichtig. Wir wollen mit der Aktion auch zeigen: Man muss in einer Krise zusam­men­ar­beiten, es geht uns alle etwas an.

Gab es auch Konflikte? 

Ja, es war nicht immer einfach. Wir haben zum Teil unter­schied­liche Forde­rungen. Vor allem aber gab es Diskus­sionen bei struk­tu­rellen Dingen, bei der Arbeits­weise. Bei XR sind zum Beispiel viel mehr arbeits­tä­tige Menschen, die nicht so flexibel sind wie wir Schüler:innen und Student:innen. Sie wollen sich jede Woche am selben Tag treffen, wir bevor­zugen spon­tane Treffen. Aber der Kampf für Klima­ge­rech­tig­keit verbindet uns alle. Wir wollen alle, dass ein Wandel passiert, und zwar schnell.

Folgende Artikel zur Aktion und deren Hinter­grund sind bereits erschienen:

 


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