„Wo bleibt der Levia­than bei der UBS?“ – Ein grotesker Prozess

Frei­spruch! Das Basler Straf­ge­richt lässt die Ankla­ge­punkte gegen Klimaaktivist*innen fallen, die im Sommer 2019 vor der UBS demon­strierten. Die Verhand­lung verdeut­licht die Stra­tegie der Basler Staats­an­walt­schaft, fried­li­chen Protest zu krimi­na­li­sieren. Eine Prozess-Analyse. 
Vor dem Strafgericht in Basel herrscht gute Laune: Die Angeklagten werden in allen Punkten freigesprochen. (Foto: František Matouš)

„UBS fuck off!“ und „An heissen Tagen brennen Banken besser“, zitiert der Basler Staats­an­walt zwei der „martia­li­schen“ Parolen, die am 8. Juli 2019 vor dem Haupt­ein­gang der UBS am Aeschen­platz skan­diert worden seien. Kommu­ni­sti­sche und anar­chi­sti­sche Symbole habe man ausma­chen können. Als „vereinte Macht“ erschienen die rund hundert in weissen Over­alls geklei­deten Klimaaktivist*innen, deren Aktion „nicht fried­lich“ gewesen sei.

Ausserdem sei ein Sach­schaden von „80’820 Franken und 23 Rappen“ entstanden und UBS-Mitarbeiter*innen am Zutritt zur Filiale gehin­dert – also genö­tigt – worden.

Als ein nervös wirkender Staats­an­walt vergan­gene Woche am Basler Straf­ge­richt in mono­tonem Rhythmus die Ankla­ge­schrift gegen fünf Klimaaktivist*innen vorliest, wähnt man sich kurz an der Vorfüh­rung einer dürrenmatt’schen Komödie, bei der unschul­dige Teilnehmer*innen von einer imagi­nierten Schuld über­zeugt und zu einem Geständnis bewegt werden sollen: Die Ankla­ge­punkte sind diffus, die Beweis­lage schlecht — und selbst die Klägerin hat sich im letzten Moment aus der Affäre gezogen.

Doch seine Ausfüh­rungen machen klar, dass es dem Staats­an­walt ernst ist. Silvio Bürgi, vertei­di­gender Anwalt, fragt in seinem Plädoyer kurz darauf: „Wieso musste es diesen kost­spie­ligen und zeit­auf­wän­digen Prozess über­haupt geben?“ Ja — wieso eigentlich?

Keine Beweise, keine Argumente 

Zur Gerichts­ver­hand­lung kam es, da die Staats­an­walt­schaft im Eiltempo eine Serie an Straf­be­fehlen herausgab, nachdem die Klimaktivist*innen am 8. Juli 2019 mit Vorankün­di­gung den Haupt­ein­gang der UBS am Aeschen­platz blockierten, von der Polizei geräumt und 19 Personen verhaftet wurden. Die UBS ihrer­seits, die im Vorn­herein von der Aktion wusste und ihre Mitarbeiter*innen infor­mierte, reichte Straf­an­zeige wegen Haus­frie­dens­bruch, Sach­be­schä­di­gung und Nöti­gung ein, zog diese jedoch nach einem gegen­sei­tigen Einver­ständnis mit den Aktivist*innen wenige Wochen vor der Verhand­lung  wieder zurück. Die Staats­an­walt­schaft liess in der Folge hingegen nicht von den Vorwürfen ab und behan­delte die von der UBS gestellten Ankla­ge­punkte und den Tatbe­stand des Land­frie­dens­bruchs als Offizialdelikte.

Mangels „aggres­siver Grund­stim­mung“ und Beweisen weicht der Staats­an­walt in seiner Ankla­ge­schrift von den Punkten Land­frie­dens­bruch und Haus­frie­dens­bruch ab, insi­stiert jedoch umso mehr auf Sach­be­schä­di­gung und Nöti­gung. Jede*r der fünf Ange­klagten hätte diese Straf­taten durch blosse Anwe­sen­heit mitge­tragen. Die Öffent­lich­keit habe ein Inter­esse daran, dass es zu einer Strafe komme, da die Ange­klagten jegliche Achtung und Respekt vor fremdem Eigentum und der Bewe­gungs­frei­heit vermissen liessen.

Die Stra­tegie des Staats­an­waltes ist offen­sicht­lich: Dieser fried­liche Protest soll krimi­na­li­siert werden.

So werden aus Klei­nig­keiten und Mutmas­sungen harsche Tatbe­stände abge­leitet. Ein UBS-Mitar­beiter beispiels­weise soll körper­lich und verbal ange­gangen worden sein, wie Behaup­tungen in den Akten wieder­geben würden. Jedoch sei dies kein ausrei­chender Beweis, wie Anwalt Silvio Bürgi entgegnet: „Die Staats­an­walt­schaft hat nicht einmal bei der UBS nach­ge­fragt, ob sich jemand genö­tigt gefühlt habe. So führt man kein Strafverfahren.“

Auch der Vorwurf der Sach­be­schä­di­gung ist diffus: Der Sach­schaden setze sich zusammen aus Schmie­re­reien mit Kohle an der Fassade der Filiale, die mit Wasser abge­wa­schen werden mussten, Krit­ze­leien an Plexi­glas­scheiben und beschä­digten Pylonen, die ersetzt hätten werden müssen. Dabei seien ausserdem CO2-Emmis­sionen entstanden, was dem Inter­esse der Aktivist*innen doch wider­spreche, wie der Staats­an­walt seinen Ausfüh­rungen hinzufügt.

Einer der Ange­klagten wirft der Staats­an­walt zudem vor, 2019 in Bern Werbe­pla­kate von Basefit, Denner und APGSGA über­malt zu haben — „Insge­samter Sach­schaden: 7215 Franken und 40 Rappen.“ Der Beweis: Auf den Schuhen der Ange­klagten hätten die Ermittler*innen einen violetten Farb­tupfer entdeckt, im selben violetten Ton, in dem auch die Plakate über­malt wurden, so der Staats­an­walt. Somit sei ihre Zuge­hö­rig­keit zu einem links­ak­ti­vi­sti­schen Milieu bestätigt.

Die vertei­di­gende Anwältin der vermeint­li­chen Plakat­über­ma­lerin macht sich daraufhin die Mühe und legt die Lücken in der Beweis­füh­rung klein­lich offen: Weder habe die Staats­an­walt­schaft über­prüft, ob die violette Farbe tatsäch­lich aus der selben Tube stammte. Noch haben die Ermitt­lungen berück­sich­tigt, dass am Tag dieses Ereig­nisses femi­ni­sti­scher Streiktag war und die ganze Stadt Bern in violett getaucht war.

„Dieses Verhalten liegt nahe am Macht­miss­brauch“, sagt Vertei­diger Bürgi in seinem Plädoyer. „Das ist Gesin­nungs­straf­recht.“ Einer­seits fussen die einzelnen Tatbe­stände auf absurden Annahmen. Ande­rer­seits sei höchst proble­ma­tisch, dass die Staats­an­walt­schaft diese aufgrund von Mittä­ter­schaft auf die Ange­klagten über­tragen wolle. Wenn jede*r Teilnehmer*in einer Demon­stra­tion für alle Hand­lungen der anderen haftbar gemacht werden könne, schränke dies das Grund­recht auf freie Meinungs­äus­se­rung massiv ein. Von Indi­vi­du­al­straf­recht könne hier nicht die Rede sein.

Ein Schub für die Klimabewegung

Das Prozess­ge­schehen verdeut­licht, dass die Staats­an­walt­schaft Basel-Stadt nicht von ihrem Grund­satz abzu­kehren gedenkt, Protest aus der ausser­par­la­men­ta­ri­schen Linken um jeden Preis verfolgen und krimi­na­li­sieren zu wollen. Auch wenn ihr dafür keine stich­hal­tigen Beweise vorliegen. Genau wie bei den derzeit laufenden Basel-Nazifrei-Prozessen besteht ihr eindring­li­ches Ziel auch in diesem Prozess darin, Aktivist*innen einzu­schüch­tern und von weiteren Demon­stra­tionen abzuhalten.

„Wo stehen wir als Gesell­schaft, wenn Menschen, die sich fried­lich für ihre Sache enga­gieren, krimi­na­li­siert werden und auf der anderen Seite Gross­banken und Konzerne ohne jegliche juri­sti­sche Folgen Klima­wandel einheizen?“, sagt Emma*, eine der Ange­klagten im Inter­view. Ihr anfäng­li­cher Schock über die Verhaf­tung und die Anklage sei durch die grosse Soli­da­rität der Klima­be­we­gung und ihres persön­li­chen Umfeldes rasch über­ge­gangen in die Über­zeu­gung, weiter für die Sache einzustehen.

„Wir stärken uns gerade gegen­seitig und wachsen an diesem Prozess“, sagt sie weiter. „Ich habe das Gefühl, dass wir dadurch noch mehr Moti­va­tion erhalten, uns für Klima­ge­rech­tig­keit einzusetzen.“

Der Staats­an­walt scheint für diese Form des Akti­vismus kein Verständnis zu haben: „Im Namen der Klima­be­we­gung werden Prin­zi­pien der Demo­kratie ausge­he­belt“, sagt er in seiner Replik auf die Plädoyers und verweist dabei auf einen Artikel in der NZZ, indem für eben­diese Meinung argu­men­tiert werde.

Duplik von Silvio Bürgi: „Die Staats­an­walt­schaft nimmt Banken nicht nur juri­stisch, sondern auch poli­tisch in Schutz. Dies ist äusserst fragwürdig.“

Vertagtes Weisungs­ur­teil

Zwischen demo­kra­tie­po­li­ti­schen Grund­satz­de­batten und juri­sti­scher Begriffs­schlacht wird der Prozess aufge­frischt durch ausschwei­fende Appelle des Anwaltes Andreas Noll: „Ich wünsche mir mehr solche Aktionen wie bei der UBS“, sagt er zum Schluss einer eindring­li­chen Schil­de­rung des klima­po­li­ti­schen Versa­gens von Regie­rung und Parla­ment. „Seit ich in der Schule bin, wissen wir um die existen­zi­elle Gefahr der Klima­er­wär­mung. Und was hat die Politik bis heute dagegen gemacht? Nichts.“ In seiner Passi­vität vernach­läs­sige der Staat das Wohl der Bürger*innen. Dabei sei das Allge­mein­wohl die allei­nige Legi­ti­ma­tion für Herrschaft.

„Wo bleibt der Levia­than, wenn es um die UBS geht?“, fragt Noll eine sicht­lich genervte Gerichts­prä­si­dentin Susanne Nese. Durch sein Nichtstun in der Klima­krise falle dem Staat die Legi­ti­ma­tion zur Bestra­fung von Klimaaktivist*innen ab.

Vom Aufzeigen der existen­zi­ellen Bedro­hung der Klima­krise über einen rechts­phi­lo­so­phi­schen Appell an die Hand­lungs­ver­pflich­tung des Staates kommt Noll in trockener straf­recht­li­cher Rhetorik auf die konkrete Aktion der Aktivist*innen zurück: „Die Notwehr wäre in diesem Fall das schla­gen­dere Argu­ment als der Notstand.  Die UBS ist Angrei­ferin, mittel­bare Täterin.“ Die Aktion der Klimaaktivist*innen sei aufgrund der klima­schäd­li­chen Inve­sti­tionen UBS nicht einer Strafe zu unter­ziehen. Selbst wenn die von der Staats­an­walt­schaft aufge­stellten Ankla­ge­punkte Sach­be­schä­di­gung und Nöti­gung zutreffen würden.

Ein Gerichts­ent­scheid, der diese Argu­men­ta­tion und darüber hinaus den Notstand in die juri­sti­sche Beur­tei­lung einbe­ziehen würde, wäre wegwei­send für die zukünf­tige Beur­tei­lung von Klima­ge­rech­tig­keits-Akti­vismus. Vor allem, nachdem das Kantons­ge­richt Waadt Klimaaktivist*innen in einem ähnli­chen Fall in zweiter Instanz verurteilte.

Dass es zu einem wegwei­senden Urteil diesmal nicht kommt, liegt daran, dass das Gericht die Ange­klagten in allen Punkten frei­spricht. Zwar kam Rich­terin Nese zum Schluss, dass die Kohle­be­ma­lungen an der Filiale tatsäch­lich als Sach­be­schä­di­gungen einge­stuft werden können. Dies kann wegen des Mangels an Beweisen aller­dings nicht auf die fünf Ange­klagten über­tragen werden.

Was bleibt? Viel heisse Luft um Nichts, immer noch viel heisse Luft in der Atmo­sphäre. Es ist längst an der Zeit, dass sich die Justiz mit denje­nigen beschäf­tigt, die mit ihren Inve­sti­tionen für die Zerstö­rung unserer Lebens­grund­lagen verant­wort­lich sind, statt mit Menschen wie Emma, die sich mutig für eine lebens­werte Zukunft aller einsetzen. „Die Zeit ist knapp. Wir können uns von den Repres­sionen nicht einschüch­tern lassen“, sagt Emma über­zeugt. „Von Politik, Gross­banken und Gross­kon­zernen können wir kein effek­tives Vorgehen erwarten. In Zeiten eines solchen Notstandes ist ziviler Unge­horsam immer noch ein legi­times und notwen­diges Mittel, um darauf aufmerksam zu machen.“

*Name von der Redak­tion geändert

Mitar­beit: Anina Ritscher

 


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 16 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1092 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel