„Wollen wir als Schweizer Bürger*innen von inter­na­tio­nalen Konflikten profitieren?“

Die Kriegs­ge­schäfte-Initia­tive wurde am 9. Juni von der Bundes­ver­samm­lung abge­lehnt. Sie fordert das Verbot aller Inve­sti­tionen in die Waffen­pro­duk­tion. Nun befindet die Stimm­be­völ­ke­rung über die Vorlage. Ein Inter­view mit Nadia Kuhn, Sekre­tärin der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee, über Hinter­gründe, Argu­mente und die Zukunft der Initiative. 

Das Lamm: Am 8. Juni 2020 lehnte der Stän­derat die Kriegs­ge­schäfte-Initia­tive (KGI) wie bereits Bundes- und Natio­nalrat vor ihm ohne Gegen­vor­schlag ab. Aber setzen wir früher an. Nadia Kuhn, wie ist die Initia­tive entstanden?

Nadia Kuhn: Ausge­hend von der GSoA sind verschie­dene Initia­tiven entstanden, die immer wieder probiert haben, die Schweizer Rüstungs­in­du­strie einzu­schränken. In diesem Kontext kam auch die Frage auf: Wie wird die Kriegs­wirt­schaft eigent­lich finan­ziert? Hier ist die Schweiz ein zentraler Player. Denn Waffen­pro­duk­tion und Waffen­ent­wick­lung müssen finan­ziert werden und ein Viertel der welt­weiten Vermögen werden in der Schweiz gela­gert. Ein Viertel! Das ist crazy viel Geld. Dementspre­chend hat die Schweiz auch eine grosse Verant­wor­tung, wenn von hier aus Geld in diesen Bereich inve­stiert wird.

So ist zusammen mit den Jungen Grünen die Idee dieser Initia­tive entstanden. Wir wollen gemeinsam einen Beitrag dazu leisten, die inter­na­tio­nale Waffen­pro­duk­tion finan­ziell auszu­trocknen. Für die Initia­tive werden wir von einem breiten Bündnis aus Frie­dens­or­ga­ni­sa­tionen, linken Parteien und sozialen Verbänden unter­stützt. So ist etwa auch die VPOD oder die Kirch­ge­meinde Bern Teil der Initiative.

Die Initia­tive wurde von allen Instanzen des Bundes ohne Gegen­vor­schlag abge­lehnt. Was bedeutet das für die Zukunft der KGI?

Für die Initia­tive heisst das nicht beson­ders viel. Wir haben immer noch den Abstim­mungs­kampf. Viel­mehr zeigt dies, dass es die Mehr­heit der National- und Stän­de­räte völlig in Ordnung findet, weiterhin die Finan­zie­rung von Atom­waffen- und Streu­mu­ni­ti­ons­her­stel­lern zu erlauben. Es wurden in beiden Kammern Gegen­vor­schläge von der SP präsen­tiert, die genau diese beson­ders schwer­wie­genden Inve­sti­tionen direkt verboten hätten. Dass nicht einmal dieses Verbot durchkam, ist ziem­lich bezeich­nend für die Schweizer Politik.

Zur Erin­ne­rung: Beide Räte haben dem Bundesrat 2018 empfohlen, den Atom­waf­fen­sperr­ver­trag zu unter­zeichnen, welcher die Produk­tion, Lage­rung und Verbrei­tung von Atom­waffen verbietet. Nun konnten sich dieselben Räte nicht dazu durch­ringen, die Finan­zie­rung dieser Produk­tion zu unter­binden. Das ist ein Wider­spruch und beschä­mend für die Schweiz!

Die GSoA schreibt in einem State­ment zur Kriegs­ma­te­ri­al­fi­nan­zie­rung, dass alle grossen Banken, die Schwei­ze­ri­sche Natio­nal­bank mit einge­schlossen, in Waffen­pro­du­zenten inve­stieren. In Zürich wird der Kunst­haus­anbau eröffnet, gefüllt mit Kunst­werken, die haupt­säch­lich mit Waffen­ex­porten finan­ziert worden sind. Sind es die wirt­schaft­li­chen Inter­essen die hier domi­nieren oder handelt es sich sogar um eine Schweizer Tradition?

Natür­lich, es gibt hier­zu­lande gesell­schaft­liche und wirt­schaft­liche Inter­essen an der Kriegs­wirt­schaft. Doch das eigent­lich Inter­es­sante ist, dass Inve­sti­tionen in Kriegs­technik eher kleine Renditen abwerfen. Inner­halb eines Zeit­raums von zehn Jahren sind soge­nannte sozi­al­ethi­sche Inve­sti­tionen deut­lich profi­ta­bler. Das heisst: Nicht einmal das Wirt­schafts­ar­gu­ment kann überzeugen.

Und zur Tradi­tion: In der Schweiz haben wir zwei sich wider­spre­chende Tradi­tionen. Einer­seits beruft man sich ständig auf die huma­ni­täre Schweiz, vermit­telt zwischen Konflikt­par­teien, und dann inve­stiert man ande­rer­seits Millionen in Wirt­schafts­kon­zerne, die Gewinn aus Kriegen ziehen.

Zum Beispiel die bereits ange­spro­chenen Atom­waffen: Man setzt sich für eine atom­waf­fen­freie Welt ein und arbeitet finan­ziell gleich­zeitig dagegen an.

Im Initia­tiv­text heisst es, die Initia­tive wäre ein Schritt in Rich­tung der Bekämp­fung von Kriegs- und Flucht­ur­sa­chen. Der Bund bestreitet diese Argu­men­ta­tion und sagt, dass das Verbot der Finan­zie­rung von Waffen weder Kriegs- noch Flucht­ur­sa­chen bekämpfe. Wie ist das möglich?

Kriege sind komplex. Es geht immer um eine grosse Anzahl verschie­den­ster Inter­essen. Uns allen ist bewusst, dass nach Annahme der Initia­tive Kriege nicht einfach so verschwinden werden und der Welt­frieden etabliert ist. Aber wir müssen ganz klar erkennen, dass die Initia­tive ein Schritt in die rich­tige Rich­tung ist. Waffen werden herge­stellt, um Menschen zu töten, das ist ganz banal.

Und wie gesagt, die Schweiz ist ein wich­tiger Finanz­platz. Wenn sie jetzt entscheiden würde: Wir inve­stieren nicht mehr in Rüstungs­ge­schäfte, dann hätte das nicht nur eine Signal­wir­kung, sondern auch effek­tive Auswirkungen.

Waffen­in­ve­sti­tionen der Schweiz
Die Schweiz ist einer der grössten Finanz­plätze der Welt, rund ein Viertel aller Privat­ver­mögen werden aus der Schweiz heraus verwaltet. Wie viel von dem hier zirku­lie­renden Geld in die Waffen­pro­duk­tion geht, ist bislang unbe­kannt. Nach einer parla­men­ta­ri­schen Anfrage der Natio­nal­rätin Mattea Meyer (SP) im Jahr 2016 kommu­ni­zierte der Bund, dass rund 110 Millionen Franken aus der Pensi­ons­kasse der Bundes­an­ge­stellten im Rüstungs­sektor inve­stiert werden. Das entspricht knapp 0,3% des Gesamt­ver­mö­gens der Pensi­ons­kasse. Auch die Schwei­ze­ri­sche Natio­nal­bank inve­stiert in Waffen­pro­du­zenten. So verkün­dete die GSoA, dass die SNB im Jahr 2014 ihre Betei­li­gung an Inter­na­tional Honey­well auf rund CHF 66 Mio ausge­baut hat. Das US-ameri­ka­ni­sche Unter­nehmen produ­ziert Kompo­nenten für die dortigen Atombomben.

Bei so einer Forde­rung kommt gerne das Argu­ment auf, dass dadurch der Finanz­platz Schweiz gefährdet würde.

Wie gesagt gibt es zahl­reiche nach­hal­tige Finanz­in­stru­mente, die derzeit sowieso im Vormarsch sind. Die Pensi­ons­kassen der Stadt Zürich und Luzern inve­stieren nicht mehr in Unter­nehmen, die Atom­waffen herstellen. Andere, wie etwa die Alter­na­tive Bank Schweiz und die Pensi­ons­kasse der Stadt Biel, finan­zieren über­haupt keine Produk­tion von Rüstungs­gü­tern mehr. Ein Verbot der Finan­zie­rung der Kriegs­wirt­schaft bedeutet nicht, dass gene­rell nicht mehr inve­stiert werden kann. Es würde jedoch bedeuten, dass gewisse Unter­nehmen, deren Produkte für das Leid vieler Menschen verant­wort­lich sind, von der Finan­zie­rung ausge­schlossen wären.

Was du erwähnst, ist ein allge­meiner Trend verschie­dener Banken und Fonds, die sich dazu entscheiden, nicht mehr in Waffen zu inve­stieren. Etwas Ähnli­ches beob­achten wir ja auch beim Thema Umwelt und klima­schäd­li­chen Inve­sti­tionen. Was hältst du von dieser frei­wil­ligen Form des Wirtschaftens?

Es ist schön zu sehen, dass auch hier in der Schweiz immer mehr Pensi­ons­kassen aus der Finan­zie­rung von Atom­waffen aussteigen. Ich glaube, das ist ein wich­tiges Zeichen. Der Nach­ge­schmack dabei ist, dass diese Bemü­hungen nicht ausrei­chen. Dasselbe gilt für die Klima­dis­kus­sion: Wir müssen poli­tisch verbind­liche Leit­planken setzen. Es reicht nicht, alles der Eigen­ver­ant­wor­tung und Frei­wil­lig­keit zu über­lassen. Als Gesell­schaft müssen wir darüber entscheiden können, was für einen Finanz­platz wir haben wollen.

Ihr fordert auch, der Bundesrat solle sich für inter­na­tio­nale Regu­lie­rungen und Verbote der Kriegs­mit­tel­fi­nan­zie­rung einsetzen. Doch mit Expo­nenten wie Trump und Putin an der Macht sieht das inter­na­tio­nale Klima nicht beson­ders rosig aus, solche Verbote inter­na­tional durchzusetzen.

Ich beob­achte die inter­na­tio­nale Lage mit Sorge. Verschie­dene Regie­rungen lassen bestehende Verträge auslaufen. Zuletzt kündigte etwa Trump an, wieder Anti­per­so­nen­minen einzu­setzen. Diese Minen töten vor allem Zivilist*innen und verwan­deln ganze Land­striche in eine tödliche Falle. Deswegen braucht es gerade jetzt eine pazi­fi­sti­sche Kraft, die für eine Welt ohne Waffen und Krieg einsteht. Unsere Initia­tive bietet einen guten Ausgangs­punkt für diese Diskussion.

Die GSoA hat eine lange Liste abge­lehnter Initia­tiven vorzu­weisen. Ihr müsst damit rechnen, dass auch die KGI von der stimm­be­rech­tigten Bevöl­ke­rung abge­lehnt wird. Welche gesell­schaft­li­chen Verän­de­rungen erhoffst du dir dennoch von einer Debatte über die KGI?

Wir konnten bereits beob­achten, dass viele Personen und Unter­nehmen dank der Initia­tive auf das Thema aufmerksam geworden sind. Viele der vorher genannten Pensi­ons­kassen haben erst nach der Lancie­rung unserer Initia­tive verkündet, gewisse Rüstungs­un­ter­nehmen aus ihrem Port­folio auszu­schliessen. Diese Diskus­sion sollte fort­ge­setzt und vertieft werden. Das Thema ist mitt­ler­weile so weit ins Bewusst­sein breiter Teile der Öffent­lich­keit vorge­drungen, dass es auch nicht mit einer verlo­renen Abstim­mung enden wird.

Zual­ler­letzt möchte ich gerne noch auf die Konzern­ver­ant­wor­tungs­in­itia­tive eingehen. Welche Paral­lelen siehst du zwischen den beiden Initiativen?

Bei beiden Initia­tiven geht es um die Frage, was im Schweizer Finanz- und Wirt­schafts­platz vertretbar ist und was nicht. Darf die Wirt­schaft weiter­ma­chen wie bisher oder wollen wir ihr als Gesell­schaft Grenzen setzen?

 


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 16 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1092 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel