Fähre statt Flugi: So viel kannst du mit einer einzigen Schiff­fahrt bewirken

Man gilt heut­zu­tage bereits als Gutbürger, wenn man den Karton vom Joghurt trennt oder zum Einkaufen von Spar­geln und Avocados diese neuen, wieder­ver­wend­baren Säckli braucht. In Wahr­heit jedoch ginge es so viel effi­zi­enter, wirk­lich Gutes zu tun. Das dauert in bestimmten Fällen einfach 52 Stunden. 
Trotz der Rauchsäule: Die Cruise Smeralda emittiert auf der Fahrt von Tanger nach Savona 40 mal weniger CO2 pro Person als ein Flugzeug. (Foto: Mattsudds)

Schon seit dem frühen Nach­mittag warten die Passa­giere auf dem Deck der Cruise Smeralda. Unge­duldig schauen sie den Autos und Klein­trans­por­tern zu, die unauf­hör­lich ins Innere der Fähre fahren. Es scheint, als würden diese durch das Schiff direkt ins Meer fallen, so viele Fahr­zeuge haben Platz. Nun ist es Abend. Die Lade­luken schliessen sich und die Schiffs­hupe signa­li­siert das Auslaufen des Stolzes des Mittel­meers aus dem Hafen von Tanger. Das Zwischen­ziel ist Barce­lona, dann geht es weiter ins italie­ni­sche Savona. Vor den Passa­gieren liegen drei Tage und zwei Nächte auf diesem tempo­rären Zuhause von 200 Metern Länge und 25 Metern Breite. Fällt man über die Reling, behüte Gott oder hoffe auf einen lebens­ret­tenden Delfin.

Solch eine Schiffs­reise tut man sich nur in Ausnah­me­fällen an. Entweder trans­por­tiert man ein Auto inkl. Ladung von Afrika nach Europa, leidet an Flug­angst oder ist Hobby-Adven­turer. Einfa­cher wäre es, wenn man mit dem Flug­zeug von Marokko zurück in die Schweiz fliegen würde. Das geht schnell, ist bequem und kostet mit etwas Glück beim Früh­bu­cher­ra­batt sehr wenig Geld. Wenn da nicht die Sache mit den Emis­sionen wäre: Laut MyCli­mate verbraucht ein Flug von Marra­kesch nach Basel 0.440 Tonnen CO2. Das entspricht beinahe einem Viertel des Budgets von 2 Tonnen, das einem auf dem mora­li­schen Konto der 2000-Watt-Gesell­schaft zusteht (one-way!). Dieser drei­ein­halb­stün­dige Flug verur­sacht die gleiche Menge an CO2 wie einE Einwoh­nerIn von Bangla­desch, Kamerun oder Afgha­ni­stan in einem Jahr durch­schnitt­lich verant­wortet. Fakt ist: Das Ersparte, geschenkt von Mutter Erde, ist leider schnell weg.

Alles für nichts?

Inzwi­schen stehen viele Passa­giere auf dem Deck, schiessen Selfies vor dem Sonnen­un­ter­gang, rauchen Ziga­retten und wundern sich, wie schmal die Strasse von Gibraltar tatsäch­lich ist. Das Meer wech­selt langsam die Farbe von grün zu schwarz. Schwarz sind auch die kleinen Partikel, die wie Schnee­flocken aus dem Schiffs­kamin in die Abend­luft hinauf schiessen. Manchmal sogar fallen diese Partikel unweit vom Kamin dirket aufs Deck. Fängt man sie ein und betrachtet sie, muss man sich fragen, ob die Schiffs­fahrt im Namen des Klimas tatsäch­lich eine so gute Idee war.

Es ist nämlich nicht einfach auszu­rechnen, wieviele Emis­sionen eine Schiffs­fahrt von Tanger nach Savona tatsäch­lich ausstösst. Die Fähre scheint ein Relikt aus der Vergan­gen­heit, wird als Option bei den gängi­sten Rech­nern zum ökolo­gi­schen Fuss­ab­druck gar nicht mehr ange­geben. Obwohl das Kreuz­fahrt­schiff der Fähre am ähnlich­sten ist, kann man das nicht verglei­chen: Laut MyCli­mate kommt man mit einem Kreuz­fahrt­schiff für eine Reise, die drei Tage dauert, auf 0.772 Tonnen CO2. Hiesse das, dass die ganze Seekrank­heit für nichts war?

Eine Tat, grosse (Spoiler: 40-fache) Wirkung

Das Leben auf hoher See gleicht einer Schnitt­menge aus marok­ka­ni­schen Bazar und italie­ni­schem dolce far niente. Die Männer essen Poulet, die Frauen sind Schatten, die Kinder rennen herum. Dazu mischen sich Pasta Pomo­doro und Espressi. Es gibt ein Casino, niemand drin, und ein Jacuzzi, leider ausser Betrieb. Was funk­tio­nert, sind die Musik­boxen. Es läuft arabi­sche Disco in einer Laut­stärke, die sogar in Italien verboten wäre. Schlafen können nur wenige, das Wasser peitscht an die Schiffs­wand, es quietscht und knarzt.

Doch Wach­sein hat auch sein Gutes. Es bleibt mehr Zeit, sich um den Emis­sions-Haus­halt der Schiffs­reise zu kümmern. Fündig wird man auf der Home­page P&O Ferry­ma­ster. Ganz einfach lassen sich hier die Emis­sionen von Schiffs- und Fähr­reisen ausrechnen:
- Typ: Ro-Ro Ferry.
- Totale Distanz (km): 2000 (geschätzt).
- Payload (kgs): 100 kg (Gewicht Passa­gier plus Gepäck).
Summa Summarum ergibt das: 10.3 kg CO2eq. Über 40 mal weniger Emis­sionen als mit dem Flug­zeug, fast 75 mal weniger als mit dem Kreuzfahrtschiff.

Mit diesem tiefen Wert kann man nicht einmal mit dem Auto um den Zürisee fahren. Ein wohliges Gefühl macht sich breit. Durch eine einzige Hand­lung spart man Emis­sionen ein, die man durch Alltags­hand­lungen nur ganz schwer kompen­sieren kann. Die Fahrt hat sich also sehr, sehr, sehr gelohnt.

Der Wert ist jedoch so tief, dass er etwas stutzig macht. Kann man tatsäch­lich 40 Mal das Schiff nehmen, bis man so viele Emis­sionen wie mit einem Flug ausstösst? Sinn macht der Wert erst, wenn man das eigene Körper­ge­wicht in Bezug zur Cruise Smeralda setzt: Das Schiff hat Platz für 1528 Passa­giere, die Gara­gen­ka­pa­zität beträgt 2.130 Line­ar­meter plus 819 Autos. Voll beladen wiegt sie 29’968 Tonnen. Da sind die 100 kg wie eine halbe Stech­mücke auf dem Rücken eines Elefanten.*

Auch James Bond hat Mühe die Welt zu retten

Schön wäre es, würde diese Botschaft etwas leichter zugäng­lich sein. Es darf in unserer trans­pa­renten und aufge­klärten Welt nicht sein, dass es so schwierig ist, eine einfache Reise mit zwei unter­schied­li­chen Verkehrs­mit­teln zu verglei­chen. Hinzu kommt, dass immer wieder Texte mit nega­tiven Schlag­zeilen zum Thema Emis­sionen der Schiff­fahrt kursieren. Obwohl sich diese Texte haupt­säch­lich auf die Contai­ner­schiff­fahrt und den damit einher­ge­henden globalen Konsum sowie Kreuz­fahrt­schiffe beziehen, stiften sie mit Titeln wie „Schiff­fahrt — Das schmut­zigste Gewerbe der Welt“, „Das schmut­zigste Gewerbe der Welt bleibt auf Kurs” oder „Schiffe verpe­sten Luft mehr als Flug­zeuge” mächtig Verun­si­che­rung für Reisende.

Im Fern­seher der Bord-Cafe­teria läuft James Bond. Sogar er hat Mühe, die Welt zu retten. Die Zuschaue­rInnen essen Popcorn und freuen sich, dass sich die Cruise Smeralda langsam der italie­ni­schen Küste nähert. Nach 52 Stunden wieder festen Boden unter den Füssen zu haben — ist das ein gutes Gefühl. Noch besser fühlt sich dies mit einem beru­higten Umwelt­ge­wissen an. Schiff­fahren auf so einer Fähre kann ein Erlebnis sein, ist aber in erster Linie ein State­ment. Denn ein Flug killt jede Ökobilanz.

*Natür­lich muss darauf hinge­wiesen werden, dass die Emis­sionen einer Schiff­fahrt bezie­hungs­weise einer Flug­reise immer vom tatsäch­li­chen Maschi­nentyp (Stand der Technik), vom Treib­stoff, von der Ausla­stung, ja sogar von der Wetter­lage abhängen. Gewisse Fakten sind somit verhan­delbar, die Botschaft jedoch nicht.


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