Wofür ist eine Universität da? Diese Frage würde wohl jede Generation von Studierenden etwas anders beantworten. Für die Generationen nach der Bologna-Reform würde die Antwort wohl lauten: um Studierende auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Diese Ansicht kann man teilen. Die Universität Zürich mit ihren von Grosskonzernen gesponserten Vorlesungssälen, Vorträgen von Rechtsaussen-PolitikerInnen und Fällen von Sexismus im Lehrbetrieb sollte aber genauso auch ein Ort der Auseinandersetzung sein. Doch die Universitätsleitung sieht das anders – und möchte kritische Stimmen lieber verstummen lassen.
Geschehen soll das über die sogenannte universitäre Disziplinarverordnung. Wird an der Uni Zürich demonstriert oder ein Plagiatsfall aufgedeckt, greift das Regelwerk, in dem die Sanktionen festgelegt sind. Jetzt, während die Uni coronabedingt geschlossen bleibt, will der Universitätsrat im Auftrag der Universitätsleitung die Disziplinarverordnung revidieren, was im vorliegenden Fall bedeutet: verschärfen.
Wie die Zürcher Studierendenzeitung ZS schreibt, reichen momentan die Sanktionsmöglichkeiten bei Verstössen gegen die Disziplinarverordnung von schriftlichen Verweisen über den Ausschluss aus einzelnen Einrichtungen bis hin zu einer Suspendierung von einem bis zu sechs Semester. Das ist streng – aber bis zu einem gewissen Grad trifft es auch alle gleich.
Ganz im Gegensatz zu den nun angedachten Änderungen: Neu sollen Geldstrafen von bis zu 5’000 Franken eingeführt werden; wenn die Betroffenen nicht zahlen können oder möchten, können sie mit bis zu 40 Stunden sogenannter gemeinnütziger Arbeit bestraft werden. All diese Verschärfungen kommen zusätzlich zu den bisher geltenden Massnahmen und Repressalien. Gegenüber 20 Minuten sagte Universitätssprecher Beat Müller, dass der Grund für die Anpassung „unlauteres Prüfungsverhalten wie etwa Plagiate“ sei und „im Gegensatz zu früher machen diese heute die meisten Verfahren aus“.
Transparente unterwünscht
Für Teile der Studierendenschaft sind dies lediglich Vorwände. Nicht Plagiate seien ausschlaggebend für die verschärfte Verordnung, sondern wieder aufkeimender politischer Protest. „Wir glauben einfach nicht, dass es ein Zufall ist, dass in einer Zeit, in der Themen wie Klima-Aktivismus oder queerfeministische Streiks und Aktionen wieder an Aufwind und Zulauf gewinnen, eine solche Änderung durchgewunken werden soll“, sagt etwa Mara vom feministischen Hochschulkollektiv gegenüber das Lamm. Das Kollektiv hatte sich rund um den feministischen Streik letztes Jahr gegründet und macht seither immer wieder mit vielfältigen, kreativen Aktionen auf sexistische und diskriminierende Strukturen innerhalb der Universität aufmerksam.
„Die Leitung der Universität Zürich behauptet, die Motivation sei, Plagiate schärfer zu bestrafen – doch dann sollte der Fokus explizit darauf liegen. Denn mit der jetzigen Formulierung werden künftig auch alle Formen politischer Intervention – von Transparenten bis zu kritischen oder feministischen Ausstellungen – sanktioniert. Studierende werden eingeschüchtert und in ihrem politischen Handeln eingeschränkt, an dem Ort, der ihr freies Denken fördern sollte“, schreibt die Mediengruppe des Frauenstreiks Zürich in einer entsprechenden Medienmitteilung.
Die Streichung der kleinen Nebenfächer, das nicht anhaltende Trommelfeuer gegen Studiengänge der Philosophischen Fakultät, Präsenzlisten, Studienzeitbeschränkungen, Multiple-Choice-Prüfungen: Dass nun auch Protest an der Universität faktisch verunmöglicht werden soll, passt ins Bild einer zunehmend ökonomisierten, normierten Institution.
Auch der VSUZH, das offizielle Organ der Studierendenschaft, steht den geplanten Änderungen kritisch gegenüber, wie er in einer Medienmitteilung festhält: „Der Studierendenverband ist der Meinung, dass die Universität Zürich keine Geldstrafen benötigt. Unseres Wissens gibt es auch kaum Wiederholungstäter*innen. Die aktuellen Sanktionsmöglichkeiten scheinen somit ausreichend, um Studierende, die gegen die Disziplinarordnung verstossen, von weiteren Vergehen abzuhalten.“
Nicht alle Studierenden könnten sich von einer Strafe freikaufen. Bisher kennen nur die Uni St. Gallen und die Uni Fribourg Geldstrafen – wenn auch viel niedrigere als die in Zürich vorgesehenen 5’000 Franken. „Vermögende werden bevorzugt“, sagt Mara. Der VSUZH schreibt hierzu: „Das Problem von Geldstrafen ist, dass diese Sanktionen nicht für alle Studierenden gleich einschneidend sind. Während ein bedingter Verweis oder gar ein Ausschluss jede Person unabhängig von ihrem finanziellen Hintergrund in ihrem Studium betrifft, tangieren Geldstrafen Studierende auch ausserhalb der Universität.“
Mara: „Was zusätzlich nicht erklärbar ist, ist die maximale Geldleistung, welche von der UZH eingefordert werden könnte. Gerade im Vergleich zu Fribourg, wo die maximale Geldleistung bei 500 Franken liegt. Uns ist einfach nicht klar, wie man auf die horrende Summe von 5’000 Franken kommt.“
Störenfriede raus
Bereits 2009 kam es an der Universität Zürich zu einer Hörsaalbesetzung aus Protest gegen die Bologna-Reform und die zunehmende Ökonomisierung der Bildung. Damals versprach die Universitätsleitung Dialog. Nun, über zehn Jahre später, soll aus Dialog Repression werden. Dabei hat Streiken, Protestieren und auch Rebellieren an der UZH eigentlich Tradition. Die teilweise stark verklärten Proteste der 68er-Bewegung werden gar auf der UZH-Seite gewürdigt: „Tumulte rund um die Uni-Schliessung zu Beginn der 1970er Jahre, der heisse Zürcher Sommer von 1980, Studierendenproteste gegen Sparmassnahmen in den 1990er Jahren: Neben dem alltäglichen Lehrbetrieb war die Universität Zürich immer wieder Austragungsort von Konflikten, die nicht nur praktische Probleme des Lehrbetriebs zum Inhalt hatten, sondern grundsätzliche gesellschaftliche Fragen aufwarfen“, schreibt die Uni bezüglich einer Ausstellung unter dem Titel „Studieren und Rebellieren“, die 2015 stattgefunden hat.
Die Bestrebungen, schärfer durchzugreifen, sind nicht neu. Seit 2009, dem Jahr der Uni-Besetzung, gab es im Kantonsrat Forderungen von Seiten der SVP, sogenannte Störenfriede auszuschliessen. Damals hatte die bis heute aktive Aktionsgruppe „Uni von unten“ dazu aufgerufen, einen Auftritt von Novartis-Chef Daniel Vasella zu stören, woraufhin die Veranstaltung ganz abgesagt wurde. Claudio Zanetti (SVP) reichte als Reaktion darauf im Kantonsrat einen Vorstoss ein, die Formulierung „Wer einen Gast der Universität an einem Auftritt hindert oder einen Vortrag in schwerwiegender Weise stört, wird von der Universität ausgeschlossen“ im Uni-Gesetz zu verankern. Die Vorlage scheiterte klar im Kantonsrat, einzig die SVP und EDU unterstützten sie.
Beim feministischen Hochschulkollektiv vermutet man, dass die Ereignisse von 2009 den Startpunkt für die nun anstehende Revision markierten. Mara: „Vom VSUZH wissen wir, dass der Vorstoss spätestens 2017 innerhalb der Universitätsleitung angerissen wurde.“ Es hätte immer wieder Anläufe gegeben, eine Revision zu realisieren. „Und nach letztem Herbst mit seinen politischen Aktionen und stärker werdenden Strömungen wurde er wieder voll gepusht – das ist doch kein Zufall“, so Mara.
Fehlende Transparenz, bürokratische Wege
Obwohl schon lange inoffiziell auf dem Tisch, wurde der Vorstoss laut VSUZH erst im November 2019 überhaupt öffentlich. Zu diesem Zeitpunkt war er durch die Gremien der Unileitung bereits revidiert und verabschiedet und wartete nun nur noch auf die Genehmigung durch den Universitätsrat. Dass der Änderungsvorschlag hier noch scheitern könnte, hält weder die Hochschulgruppen noch der VSUZH für wahrscheinlich. „Das Krasse ist ja nicht nur, dass wir es so spät mitbekommen, sondern dass wir nie eine Mitsprachemöglichkeit hatten“, sagt Mara.
„An der Uni ist alles so undurchsichtig, als Studierende kriegen wir so wenig mit – auch wenn wir interessiert sind an der Mitgestaltung.“ Die gesamte Gesetzgebung der Universität sei so institutionalisiert, dass es für nicht parlamentarisch organisierte Menschen quasi unmöglich sei, überhaupt Einblicke zu erhalten und an Informationen zu kommen. „Von der Möglichkeit, sich einzubringen und etwas zu verändern, ganz zu schweigen“, so Mara weiter.
Auf Rückfragen bezüglich der Vorwürfe aus der Studierendenschaft und als Möglichkeit der Stellungnahme erhielt das Lamm von der Universitätsleitung lediglich ein Copy-Paste-Statement. Darin heisst es: „Der Universitätsrat hat über diesen Antrag noch nicht beraten und folglich auch noch keinen Beschluss gefasst. Bei diesem Stand des Geschäfts kann dazu auf Stufe Universitätsrat derzeit keine Stellung bezogen werden.“ Auch die Bildungsdirektion unter Präsidentin Silvia Steiner schweigt sich bisher aus und ist auf eine entsprechende E‑Mail von das Lamm nicht eingegangen.
„Es gab nie ein klares Statement, oder eine transparente Kommunikation mit der gesamten Studierendenschaft“, sagt Mara. „Es reicht doch nicht aus, als Studierendenschaft von einer einzelnen Studierenden im Unirat vertreten zu sein“. Gerade bei einem Vorstoss wie diesem sei es wichtig, mit allen Betroffenen zu kommunizieren, statt mit einigen wenigen, strukturell involvierten Studierenden.
Der Universitätsrat, der nun über die Änderung der Disziplinarverordnung bestimmen wird, besteht aus acht Mitgliedern mit Stimmrecht – und 13 ohne, wobei die studentische Vertretung zu Letzteren gehört, genauso wie Mitglieder der Universitätsleitung, des Mittelbaus und der Gesundheitsdirektion. Die acht Mitglieder mit Stimmrecht lesen sich dagegen wie der Kader einer straff geführten, renommierten Firma: Präsidentin des Universitätsrates ist die Präsidentin der Bildungsdirektion und CVP-Regierungsrätin Silvia Steiner. Unter den fünf Männern im Rat finden sich etwa Peter Bodmer, CEO und Chairman der auf Business-Development spezialisierten BEKA Global Group, Präsident der Stiftung Innovationspark Zürich und „ausgewiesener Immobilienexperte“; der renommierte Volkswissenschaftler Beat Hotz-Hart; oder Urs Oberholzer, von 2003 bis 2011 Präsident des Bankrates der Zürcher Kantonalbank ZKB und Präsident des Verwaltungsrates der Swiss Tertianum International AG, die sich auf Luxuswohnheime für Senior*innen spezialisiert hat.
In ihren Kurzportraits auf der UZH-Seite schreiben sie alle von der Förderung kritischen Denkens, persönlicher Entwicklung und der Selbstständigkeit der Studierenden. Um was es hinter den blumigen Formulierungen aber eigentlich geht, bringt Ratsmitglied Ulrich Jakob Loser, ehemaliger Partner bei McKinsey und Vorstandsmitglied von Economiesuisse in seinem Kurzportrait auf den Punkt: „Die Universität Zürich leistet […] einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Lebens- und Wirtschaftsraums Schweiz. Sie vertraut auf ihre Stärken in Forschung und Lehre und schöpft im Rahmen ihrer Autonomie ihre gestalterischen Freiräume zukunftsgerichtet aus. Damit ist die Universität Zürich im globalen Wettbewerb eine attraktive Institution für Forschende, Lehrende und Lernende.“
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