Männer­theater

Im Theater „Auto­staat” wollen sich zwei Männer mit ihren Vätern und eigenen Rollen­bil­dern ausein­an­der­setzen. Dabei werden sie unwei­ger­lich zur Kari­katur männ­li­cher Unfä­hig­keit und Geltungs­drang. Es ist ein Sinn­bild der fest­ge­fah­renen Männlichkeitsdebatte. 
Im Theaterstück "Autostaat" erfährt das Publikum nichts, was es nicht bereits über Männlichkeit wüsste. (Bild: zVg)

Zwei Männer sitzen in einem selbst­ge­ba­stelten Auto auf der Thea­ter­bühne im Tojo Theater in der Berner Reit­schule und wollen männ­liche Rollen­bilder verhan­deln. Hinter ihnen hängt eine grosse Lein­wand. Auf dieser läuft ein Video, in dem dieselben Männer zu sehen sind, diesmal in einem echten, fahrenden Auto. Die Männer auf der Bühne rücken die zwei als Rück­spiegel montierte Bild­schirme zurecht und starren ins Leere, während hinter ihnen eine Nebel­wolke aufsteigt.

Das von den beiden Thea­ter­schaf­fenden Johannes Maas und Kerim El-Mokdad konzi­pierte Stück „AUTO­STAAT – oder was wir unseren Vätern schon immer sagen wollten” soll „eine thera­peu­ti­sche Spuren­suche” sein, mit dem Ziel, die „Bezie­hung zu ihren Vätern neu zu verstehen”. Laut Beschrei­bungs­text würde das Auto „zum Schutz­raum, zur Ausrede, sich nicht mit den emotional heraus­for­dernden Themen” ausein­an­der­zu­setzen. Schliess­lich gerieten die beiden Prot­ago­ni­sten aber auf „die Über­hol­spur” und kämen nicht mehr umhin, sich „den unaus­weich­li­chen Fragen zu stellen”.

Doch die beiden Männer vermeiden die Ausein­an­der­set­zung mit Männ­lich­keit bis zum Schluss und repro­du­zieren so ledig­lich den verharrten Stand der Männlichkeitsdebatte.

Alles so gewollt?

Das ganze Stück über beob­achtet man die beiden Männer, wie sie sich selbst beim Auto­fahren – in einem roten Toyota Carola einer ihrer Väter – filmen und dabei den „unaus­weich­li­chen Fragen” auswei­chen. Die Auto­at­trappe auf der Bühne verlassen die beiden Performer während einer Stunde nur selten: Einmal raufen sie sich, ein andermal liest ein Performer einen fiktiven Brief seines Vaters vor. Die Hand­lung spielt sich fast ausschliess­lich auf der Lein­wand hinter ihnen ab.

Die Männer im Video reden unun­ter­bro­chen mitein­ander. Dabei disku­tieren sie Kame­ra­ein­stel­lungen, reden über Formel 1 oder schreien andere Auto­fah­rende an. Ständig streiten sich die beiden, fallen einander ins Wort und hören sich nicht zu. In wenigen kurzen Momenten stellen sie sich Fragen über ihre Männ­lich­keit und die Bezie­hung zu ihren Vätern. Antworten geben sie auf die Fragen aber keine. Wann immer eine Aussage droht, inhalt­liche Tiefe zu erlangen, bricht der Faden ab. Die offenen Fragen lassen die beiden Performer im Raum stehen und widmen sich erneut belang­losen Gesprächen.

Das ganze Theater ist das zur Schau gestellte Bewusst­sein über das eigene Versagen.

Nichts von dem Gesagten bringt die Diskus­sion über männ­liche Rollen­bilder weiter. In der Analogie des Stückes stehen die Männer durch­ge­hend im Stau – emotional, intel­lek­tuell, poli­tisch. Über die Väter der Prot­ago­ni­sten erfährt das Publikum kaum etwas, genauso wenig wie über das Verhältnis der beiden Männer zu ihnen oder zu ihrer eigenen Männ­lich­keit. Das Einzige, was durch­dringt: Ein Wider­wille, sich den Vätern anzunähern.

Aber wieso machen sie dann ein Thea­ter­stück darüber?

Die ganze Perfor­mance – Autos, alberne Männer, Video­technik und Nebel­ma­schine – ist die wohl männ­lichste Art sich mit Männ­lich­keit ausein­an­der­zu­setzen: nämlich gar nicht. Das Zugucken wird zuneh­mend lang­weilig, die innere Frage danach, ob „da noch etwas kommt”, beant­wortet die Männer­show mit einem vorher­seh­baren „Nein”. Natür­lich nicht – denn es soll ein rohes Abbild männ­li­cher Realität sein. Und diese lautet, in der Ausein­an­der­set­zung mit dem eigenen Rollen­bild festzustecken.

Der Schluss des etwa einstün­digen Videos beendet eine skur­rile Szene, in der beide Männer als Schweine verkleidet Abso­lu­tion bei einer weib­li­chen Mythen­figur suchen, die sie aber nicht erhalten. Die Szene soll vermut­lich andeuten, dass den Männern bewusst ist, dass sie hier keinen sinn­stif­tenden Beitrag zur Männ­lich­keits­de­batte leisten. Das Problem ist nur: Diese Erkenntnis ist leider sowohl für das Thea­ter­pu­blikum als auch für den Rest der Gesell­schaft nichtsnutzig. 

Das ganze Theater ist das zur Schau gestellte Bewusst­sein über das eigene Versagen. Es führt jedoch nicht über bekannte Muster hinaus – statt Refle­xion oder Entwick­lung bleibt es bei der Darstel­lung der längst bekannten Sprach­lo­sig­keit. Die Performer sind sich diesem Problem vermeint­lich bewusst und heben sich in ihrem Selbst­bild dadurch viel­leicht sogar von ihren unre­flek­tierten Zeit- und Geschlechts­ge­nossen ab – obwohl sie in der Praxis nichts anders machen als diese, nur eben auf einer Thea­ter­bühne vor Publikum.

Den Männern gefällt’s

Nachdem die Männer die Bühne verlassen haben, bleibt das Publikum geduldig sitzen. War’s das schon? Nach einer stillen Weile erklären die Thea­ter­schaf­fenden das Stück mit einem Ruf aus dem Off für beendet, es folgt verhal­tenes Klatschen.

Ein älterer Mann verlässt dennoch schwär­mend den Thea­ter­saal. „Manchmal wünschte ich, ich wäre ein Agent”, sagt der Mann begei­stert. „Das Stück muss nach Berlin!”. Was ihm an dem Stück gefallen hat: die Technik, die Bild­schirme, das Auto. „Auf den Inhalt kommt’s für mich nicht so drauf an – bei mir geht’s eher über die Emotionen”. Es erfor­dere Mut, auf eine Bühne zu stehen, das beein­drucke ihn immer wieder.

Bereits vor einein­halb Jahren feierte das Stück im Zürcher Maximtheater Premiere, diesen April kam es ins linke Kultur­zen­trum nach Bern. Nach Berlin kommt das Stück vorerst nicht, doch Anfang 2026 soll basie­rend auf dem Theater eine Webserie online gehen. Der Unter­titel dafür steht bereits fest: „Und was ist eigent­lich mit uns selbst?“

Die Stärke von Kunst wäre es, über das hinaus­zu­gehen, was ohnehin schon sichtbar ist.

Nach der Show erklären die beiden Performer im Inter­view, dass sie sich während der Entwick­lung des Stückes sehr nahe­ge­kommen seien. Das Gezeigte sei völlig authen­tisch, einfach so, wie die beiden halt seien. Verletz­lich gezeigt hätten sie sich aber nicht. „Viel­leicht hätten wir das mehr tun sollen”, fügt Maas kurz an, bevor er weiter­spricht: über die derzei­tige Rele­vanz des Themas und wie die beiden mit dem Stück weiter­ma­chen wollten. Seinem Vater hätte er nichts zu sagen – oder doch, vieles – aber das sei zu anstrengend.

„Heute Abend läuft eine Drag­show – ich glaube, das würde euch beiden guttun”, der Betreiber des Thea­ters gesellt sich dazu. Als die beiden Performer wieder verschwunden sind, beginnt er das Stück zu loben: Es sei witzig, den beiden beim Schei­tern zuzu­sehen. Die ganze Zeit auf der Bühne zu sitzen und nichts zu tun, während im Hinter­grund ein Video läuft, sei „fast schon frech”. Dabei hätten die beiden das Reflek­tieren ihrer eigenen Männ­lich­keit doch gar nicht nötig, findet der ältere Mann. „Ich fand es gut, wie die beiden gezeigt haben, wie wir Männer so sind”, sagt er. Wenn sie sich ins Ohr fassten oder etwas anschmissen, statt Zunei­gung zu zeigen, berühre ihn das.

Aber bitte nicht auf einer Bühne

Das Schei­tern der Männer an ihnen selbst scheint ihnen nicht unan­ge­nehm zu sein, im Gegen­teil: Sie bringen das Ganze als vermeint­lich rele­vanten Beitrag zur Männ­lich­keits­de­batte auf eine Bühne. Dabei können sich die Performer der eigenen Unfä­hig­keit bewusst sein oder auch nicht – es spielt keine Rolle: Das Stück bleibt ein Abbild des trau­rigen Standes der Männlichkeitsdebatte.

Als Publikum muss man eine Stunde lang beob­achten, wofür es keine Bühne bräuchte. Denn minde­stens der weib­lich sozia­li­sierte Teil des Publi­kums erträgt das bereits jeden Tag: Männer, die labern. Männer, die „keine Lust” haben, die Anstren­gung einer tatsäch­li­chen Ausein­an­der­set­zung auf sich zu nehmen. Männer, denen es zwar leider nicht die Sprache verschlagen hat, die aber keine Worte für ihre Gefühle und Gedanken über ihre Väter und eigene Männ­lich­keit suchen wollen. Und Männer, die zwar nichts zu sagen haben – und das viel­leicht sogar wissen – dabei aber trotzdem gehört und gesehen werden (wollen).

Die Stärke von Kunst wäre es, über das hinaus­zu­gehen, was ohnehin schon sichtbar ist. Die verpasste Chance in diesem – und vermut­lich einigen anderen Werken von Männern zum selben Thema – liegt darin, über die Repro­duk­tion des Status Quo hinaus­zu­weisen. Das könnte bedeuten, die Konse­quenzen des eigenen Schei­terns zu thema­ti­sieren, auszu­spre­chen, was sonst meist verschwiegen wird. Sich dorthin zu wagen, wo Mann verletz­lich wird, wo es unbe­quem wird und wohin erst wenige vorge­drungen sind. Sich der eigenen Unfä­hig­keit bewusst zu sein, ist ein erster Schritt – aber ohne Weiter­ent­wick­lung bleibt es bei einer Zustands­be­schrei­bung. Auch das darf seinen Platz haben. Der passende Ort dafür wäre aber der private Männer­kreis – und keine Thea­ter­bühne mit Publikum.


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