Aisha Faris* trägt eine bunte Bluse mit schwarzer Brille und steht motiviert im Türrahmen des Kafi Klicks, ein Internetcafé für Armutsbetroffene in Albisrieden. Auf Grund ihrer vielseitigen Sprachkenntnisse übersetzt sie hier manchmal in Austauschrunden. Gemeinsam mit ihrer Tochter kam sie Anfang 2025 nach Zürich «para buscar la vida» – um einen neuen Lebensweg einzuschlagen, ihre ökonomische Situation zu verbessern und ein neues Zuhause aufzubauen.
Das Kafi Klick unterstützt seit über 15 Jahren bei der Arbeits- oder Wohnungssuche und bei administrativen Angelegenheiten jeglicher Art: Etwa bei Einsprachen gegen Entscheide der Sozialdienste oder bei Taggeldkürzungen der Arbeitslosenkasse. Das Kafi bietet niederschwellige Beratungen in mindestens fünf Sprachen an, öffnet jeden Nachmittag seine Türen und bietet neben dem Gratiszugang zu Computern, Kopierern und Internet auch einen Treffpunkt für Austausch, Vernetzung und nicht zuletzt einen geheizten Aufenthaltsraum und Kaffee.
Die 22-jährige Tochter Leila Faris* habe nach ihrem Studium in Australien zurück in Spanien keine Arbeit gefunden. «Die Situation in Spanien ist etwas schwierig – man verdient sehr wenig, wenn man denn überhaupt Arbeit findet.» Als sie dann auf Facebook eine Spanierin kennenlernt, die bereits in Zürich wohnte und ihr eine Wohngelegenheit im selbem Haus organisierte, zog Leila kurzerhand in die Schweiz. Ein paar Wochen später, es war Ende Januar, lässt auch ihre Mutter alles stehen und liegen und reist ihrer Tochter nach.
«Uns ist nichts anderes übriggeblieben, als der Vermieterin zu vertrauen und die Papiere zu unterschrieben.»
Aisha und Leila Faris*
Zu diesem Zeitpunkt wohnte Faris Tochter bereits mit der Bekannten von Facebook in der Peripherie von Dietikon – gemeinsam in einem Zimmer eines mehrstöckigen Einfamilienhauses. In diesem Zimmer befand sich ein drittes Bett, welches die Mutter für 600 Franken pro Monat plus 100 Franken für die monatlichen Reinigungskosten des Hauses mieten konnte. So wohnten Aisha Faris, ihre Tochter und die Bekannte von Facebook zu dritt in einem einzigen Zimmer mit drei Betten.
Wer vermietete den drei ahnungslosen Neuzuzügerinnen ein derartiges Angebot?
Von der Vermieterin betrogen
Aisha Faris ist aufgebracht, wenn sie auf diese Fragen antwortet. «Diese Leute nutzen Personen wie uns knallhart aus, weil wir noch nicht wissen, wie es hier in der Schweiz läuft.» Gründe für diese Aussage hat Aisha Faris einige. Sie erzählt von der zuständigen Vermieterin der Liegenschaft in Dietikon, nennen wir sie Elena Mendez, die für eine spanisch-katholische Kirche arbeite.
Auf deren Webseite präsentiert sich diese als «Internationale Christliche Glaubensgemeinschaft». Einmal in der Woche bieten sie gratis Essen, Unterstützung bei der Arbeitssuche, Deutschkurse und Seelsorge an. Auf Anfrage von das Lamm hat die Kirche zur geschilderten Situation keine Stellung bezogen und sich auf mehrfaches Nachfragen nicht mehr gemeldet. Auch Elena Mendez konnte das Lamm nicht erreichen. Ob Mendez die Zimmer im Auftrag der Kirche oder auf eigene Faust vermietete, bleibt daher unklar. Die drei Frauen aus Spanien haben nie einen Mietvertrag erhalten, der die Mietverhältnisse offenlegen würde.
Unterstütze unabhängigen Journalismus.
Das Lamm finanziert sich durch seine Leser*innen und ist für alle frei zugänglich – spende noch heute!
«Die Vermieterin wusste genau, dass wir dringend eine Meldeadresse brauchen», sagt Aisha Faris heute. Frau Mendez bot an, den Anmeldeprozess für Faris und ihre Tochter zu erledigen. «Ein All-Inklusiv-Paket sozusagen». Mendez wickelte den Prozess in grosser Eile ab, erklärte den Neuzuzügerinnen wenig bis gar nichts. Selbst eine Krankenkasse schloss die Vermieterin für die beiden Spanierinnen ab.
«Sie hat uns zwischen Tür und Angel Papiere zum Unterschreiben hingestreckt.» Die Papiere waren natürlich auf Deutsch, und Aisha und Leila Faris verstanden kein Wort. Die beiden wussten nicht einmal, dass sie in der Schweiz eine Krankenversicherung brauchen. «Uns ist nichts anderes übriggeblieben, als Elena zu vertrauen und die Papiere zu unterschrieben.» Als dann die erste Rechnung kam, mussten sie feststellen, dass Mendez zusätzlich zur Grundversicherung etliche Zusatzversicherungen abgeschlossen hatte. Als sich Faris bei der entsprechenden Krankenkasse beklagte, konnten diese nachverfolgen, dass Frau Mendez eine Drittperson beauftragt hatte, um das Geschäft abzuwickeln. Dieses Vorgehen sei selbst der Versicherung nicht recht gewesen, und sie hätten wenigstens der Tochter die Zusatzleistungen annulliert.
2024 wurden insgesamt 270 Fälle von betrügerischen Wohnungs-Inseraten gemeldet.
In jenem Haus, in dem die beiden Faris zu Beginn ihrer Zeit in der Schweiz untergebracht waren, haben laut Aisha Faris vor allem spanischsprachige Personen gewohnt. Sie seien alle in einer ähnlichen Situation wie sie und ihre Tochter gewesen: Zehn Personen verteilt auf fünf Zimmer, die sich zwei Bäder und eine Küche teilen mussten. «Um zu kochen, mussten wir Schlange stehen. Alle kamen um die gleiche Uhrzeit von der Arbeit nach Hause.» Nach vier Wochen konnten Mutter und Tochter über einen Bekannten in ein Zimmer einer 2.5‑Zimmerwohnung in Schlieren ziehen. Aber auch das ist nur eine Übergangslösung. «Wir haben keine Privatsphäre,» denn die beiden müssen sich die Wohnung mit einem Mann teilen, den sie vorher nicht kannten. Ausserdem käme der Besitzer der Wohnung gelegentlich für ein paar Nächte unangemeldet vorbei und wohne dann im Wohnzimmer.
Die Wohnkrise in Zürich ist allgegenwärtig. Doch die Debatte darüber – etwa, was überhaupt als «bezahlbare Wohnung» gilt – richtet sich meist an den städtischen, gut gebildeten und gutverdienenden Mittelstand.
Die Artikelserie «Wohnungssuche am Limit» ist eine Kooperation zwischen das Lamm und dem Kafi Klick. Sie stellt jene in den Mittelpunkt, die besonders gefährdet sind: Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, in prekären Arbeitsverhältnissen oder mit geringem Einkommen – ebenso ältere Menschen, alleinerziehende Personen oder solche mit fehlenden Sprach- und Digitalkenntnissen.
Obwohl Faris vor mehr als zehn Monaten ausgezogen ist, wartet sie noch heute auf die Rückzahlung ihrer Mietkaution von Elena Mendez. Diese verweigert die Auszahlung mit der Begründung, sie hätte Faris das Bett einen Monat lang freigehalten. «Natürlich haben wir nichts dergleichen vereinbart, geschweige denn irgendetwas unterschrieben.» Deshalb möchte Aisha Faris ihre ehemalige Vermieterin gerne anzeigen, fürchtet aber Kosten und Aufwand.
Die Betrugsgeschichte von Aisha und Leila Faris ist indes keine Ausnahme. Laut dem National Cyber Security Centre (NCSC) wurden 2024 insgesamt 270 Fälle von betrügerischen Wohnungs-Inseraten gemeldet, in denen Wohnungssuchende durch falsche Anzeigen getäuscht wurden. Für 2025 sind bisher 32 weitere Fälle gemeldet worden (Stand Anfang 2025).
«Bei der Wohnungssuche verlieren viele Leute viel Geld. Das macht mich wirklich wütend!»
Aisha Faris*
Der Zürcher Mieterinnen- und Mieterverband schätzt, dass in der Stadt Zürich «mehrere hundert Mietverhältnisse» existieren könnten, die illegale Übermietung oder Wucher darstellen – etwa im Sinne von überhöhten Mieten an vulnerable Gruppen. Es gibt allerdings keine offiziellen amtlichen Statistiken, sondern nur Schätzungen der Verbände.
Faris war schon immer eine Kämpferin
Besser als die Wohnungssuche lief es für Faris bei der Suche nach einer Anstellung. In Zürich fand sie schnell einen Job als Zimmermädchen in einem Hotel. «Housekeeping eben», sagt sie und zuckt mit den Schultern. «Wenn du die Sprache nicht beherrscht, bist du gezwungen, bei null anzufangen.» Aber das macht Faris nichts aus: «Ich bin schon mein ganzes Leben lang eine ‚Luchadora‘, eine Kämpferin.»
Gemeinsam mit ihrer Tochter sucht sie nun eine einigermassen zentrale 2‑Zimmer-Wohnung, denn Leila Faris arbeitet als Kellnerin bis spätabends. «Lieber eine zu kleine Wohnung als keine Privatsphäre.» Es verstreicht kein Tag, ohne dass Faris die Wohnungsportale durchstöbert. Die Tochter ist digital allerdings besser unterwegs und spricht Englisch, daher trägt sie die Hauptverantwortung bei der Wohnungssuche. Aber auf Grund ihrer Arbeitszeiten kann sie nicht immer kurzfristig reagieren, wenn es beispielsweise um die Bestätigung eines Besichtigungstermins gehe. «Die Suche ist extrem frustrierend.»
Ausserdem gibt es weitere Betrüger*innen, von denen sich die beiden in Acht nehmen müssen. Einmal wurde die Tochter bei der Wohnungssuche um 3000 Franken gebracht: Sie fand im Internet eine Anzeige für eine 2.5‑Zimmerwohnung. Ihr wurden Fotos der Wohnung und einen Vertrag zugeschickt, die Adresse existierte. Alles schien einwandfrei. Sie müsse nur eine Vorauszahlung von 3000 Franken machen, um die Schlüssel zu erhalten. Zum verabredeten Termin der Schlüsselübergabe kam aber niemand. Als sie die Adresse aufsuchte und klingelte, öffnete eine wütende Frau und meinte nur: «Jeden Monat kommen irgendwelche Leute und wollen meine Wohnung ansehen!» Sie hätte bereits Anzeige erstattet.
«Bei der Wohnungssuche verlieren viele Leute viel Geld. Das macht mich wirklich wütend! Meine Tochter arbeitet hart und dieses hart verdiente Geld sackt dann irgendwer vom Schreibtisch aus ein.» Deshalb möchte Aisha mit diesem Thema an die Öffentlichkeit: «Ich möchte, dass alle meine Geschichte kennen.»
*Namen von der Redaktion geändert
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 16 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1092 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 560 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 272 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Solidarisches Abo
Nur durch Abos erhalten wir finanzielle Sicherheit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unterstützt du uns nachhaltig und machst Journalismus demokratisch zugänglich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.
Ihr unterstützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorgfältig recherchierte Informationen, kritisch aufbereitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unabhängig von ihren finanziellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Journalismus abseits von schnellen News und Clickbait erhalten.
In der kriselnden Medienwelt ist es ohnehin fast unmöglich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkommerziell ausgerichtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugänglich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure solidarischen Abos angewiesen. Unser Lohn ist unmittelbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kritischen Journalismus für alle.
Einzelspende
Ihr wollt uns lieber einmalig unterstützen?
