Der Lunge der Welt geht die Luft aus

Die Sozi­al­päd­agogin Susanne Birchler ist seit Februar im Amazo­nas­ge­biet von Peru in einem Ayahuasca-Retreat. Gegen­über Das Lamm berichtet sie von der Situa­tion im Amazo­nas­ge­biet während der Corona-Pandemie. 
Susanne Birchler freut sich, in den Dschungel zurückzukehren. (Foto: Susanne Birchler)

Peru ist nach Brasi­lien das latein­ame­ri­ka­ni­sche Land mit den zweit­mei­sten Corona-Fällen. Insge­samt sind es (Stand 27. Mai) 129’751 bestä­tigte Infek­tionen und 3’788 Todes­fälle. In den Amazo­nas­ge­bieten sind die Fall­zahlen sehr hoch. Beson­ders stark von der Pandemie betroffen ist die Stadt Iquitos. Der engli­sche Guar­dian hat in letzter Zeit immer wieder über die Situa­tion in Peru berichtet. Zum Beispiel hier.

Iquitos liegt mitten im Amazo­nas­ge­biet. „Die Stadt ist nur per Flug­zeug oder Schiff zu errei­chen“, sagt Susanne Birchler. Die 38-jährige Sozi­al­päd­agogin aus Einsie­deln ist im Februar in den Dschungel gereist, um in einem Ayahuasca-Retreat in der Nähe von Iquitos zur Ruhe zu kommen, wie sie sagt. Die Unzu­gäng­lich­keit macht die Situa­tion in der von Armut geprägten Stadt beson­ders prekär. Hilfe kommt nur schwer an, das Gesund­heits­sy­stem ist unter­fi­nan­ziert und überlastet.

Peru hat am 16. März strenge Quaran­täne-Mass­nahmen einge­führt. Neben Abstands­re­geln gibt es Ausgangs­sperren, Geschäfte, Restau­rants und Hotels wurden geschlossen. „Einkaufen darf man nur montags, mitt­wochs und frei­tags. Am Sonntag ist komplette Ausgangs­sperre“, berichtet Birchler. Zudem dürfe man sich morgens nur bis neun Uhr auf den Strassen aufhalten.

Doch warum steigen die Zahlen trotz der strengen Mass­nahmen weiter an? „In Iquitos sind die Mass­nahmen schwierig durch­zu­setzen – die wenig­sten halten sich daran“, sagt Birchler – trotz der Präsenz von Militär und Polizei, welche vor allem am Anfang des Lock­downs syste­ma­tisch Strassen abge­sperrt haben. Die Menschen würden zwar Masken tragen und sich an die Abstands­re­geln halten, aber nach wie vor auf die Strassen gehen.

Im Dschungel ist der Kampf gross

Ayahuasca ist ein Pflan­zensud mit psyche­de­li­scher Wirkung, mit dem der indi­gene Stamm der Shipibo Rituale zur inneren Heilung durch­führt. Diese Rituale ziehen hilfe­su­chende Menschen aus der ganzen Welt in den Regen­wald. Auch die indi­genen Shipibo sind auf die Einnahmen aus den Ayahuasca-Retreats ange­wiesen. Doch seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie bleibt die Kund­schaft weg. Birchler hat seit über einem Jahr Kontakt zu den Shipibo und war im November 2019 bereits im Dschungel – Celia, die Leiterin des kleinen Retreats, und sie sind enge Vertraute geworden. Zur Unter­stüt­zung von Celia und ihrer Familie hat Birchler schon mehr­mals die über einstün­dige Fahrt nach Iquitos unter­nommen, um die Hand­ar­beiten der Shipibo, bestickte Tücher und Schmuck, per Face­book zu verkaufen. Im Retreat gibt es keinen Internetzugang.

Birchler Schlan­ge­stehen in der Amazo­nas­stadt Iquitos. (Foto: Susanne Grädel)

Wenn Birchler nach Iquitos fährt, erle­digt sie auch Einkäufe für die Familie. In den Läden der umlie­genden Amazo­nas­dörfer, die meist nur aus etwa acht Häusern und einer Kirche bestehen, sind Lebens­mittel rar geworden. Im Dschungel hilft man sich mit ein paar Hühnern, Fischen und Früchten. „Die Menschen im Dschungel können nirgends mehr hin, denn der ganze Verkehr wurde lahm­ge­legt. Öffent­liche Busse fahren nicht mehr“, erzählt Birchler. Zwar bestehe die Möglich­keit, mit einem Moto­taxi – einem Motorrad mit Kabine – in die Stadt zu fahren. Aber das können sich nur die wenig­sten leisten. Zudem werden die Lebens­mittel auch in der Stadt immer teurer. Das Kilo Tomaten koste mitt­ler­weile 20 Soles – fast siebenmal mehr als vor der Krise, so Birchler.

Iquitos hat neben dem Ausbruch des Coro­na­virus eben­falls seit mehreren Monaten mit dem Dengue­fieber zu kämpfen. Da Iquitos zur Zeit von der Aussen­welt abge­schnitten ist, werden neben Lebens­mit­teln auch die Medi­ka­mente knapp. „Man geht hier davon aus, dass nur 30 Prozent der Medi­ka­mente bei den Ärzten ankommen“, sagt Birchler. Der Rest werde auf dem Schwarz­markt teuer verkauft. Auch fehlen Beatmungs­ge­räte für Covid-19-Pati­enten, die Kran­ken­häuser sind über­füllt und über 120 Ärzte und Ärztinnen erkrankten an Covid-19. Drei davon starben an Sauer­stoff­mangel (Stand 4. Mai 2020). Die Menschen kämpfen jeden Tag ums Über­leben – wirt­schaft­lich und gesundheitlich.

Zur Zeit unseres Gesprächs befindet sich Birchler in Iquitos. Kurz darauf reist sie zurück in den Dschungel. Wie sieht die Situa­tion dort aus? Gibt es auch bei den Shipibo Covid-19-Erkran­kungen? Aufgrund von Krank­heits­sym­ptomen, die sie und Celias ganze Familie hatten, ist Birchler über­zeugt, dass sie alle Covid-19 hatten. „Testen lassen haben wir uns aber nicht.“

Im Dschungel wird versucht, das Land zu bewirt­schaften. Hier mit einem Biotop, in dem Fische gezüchtet werden. Diese reichen aber kaum aus, um die Gemein­schaft im Regen­wald zu ernähren. (Foto: Susanne Birchler)

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