In seinem soeben erschienenen Buch Die Schweizer Landwirtschaft stirbt leise macht Jakob Weiss eine Hofbegehung linguistischer Art. Seine These: Mit der Landwirtschaft gehe es bachab, weil wir falsch über sie sprechen. Sie sterbe nicht, weil sie nicht produktiv genug ist, sondern weil wir so tun, als könne sie produktiv sein. Indem wir sie ins Korsett einer technisch-ökonomischen Sprache zwängen, die ihr die Luft zum Atmen abschnüre. Das Lamm hat Jakob Weiss zum Gespräch getroffen.
das Lamm: Die Schweizer Landwirtschaft liegt, so behauptet der Titel Ihres Buches, leise im Sterben. Weshalb?
Jakob Weiss: Das hat – und das mag vielleicht überraschen – in erster Linie damit zu tun, wie wir über die Landwirtschaft reden. Unser Vokabular, mit dem wir uns der Landwirtschaft nähern, ist zunehmend geprägt durch Ökonomisierung und Technisierung. Natürlich kann man jetzt einwenden, die Sprache und das, was ich draussen auf dem Feld „nodere“ (deutsch: herumwühlen, Anmerkung der Redaktion), habe wenig miteinander gemeinsam. Aber gerade das ist meine These: dass diese Dinge sehr viel „mitenand z tue händ“, dass wir die Welt eben so sehen, wie wir sie sprachlich erfassen. Wenn man anfängt, von Produzenten, von Flächen, Mastfutter, Maschinenleistung und so weiter zu sprechen, dann entgeht einem die eigentliche Landwirtschaft, der Boden, „wo me drin noderet”, dessen Fruchtbarkeit man pflegen muss. All dieses fehlgeleitete Sprechen über Landwirtschaft absorbiert unser Denken.
Inwiefern hängt dieser Befund mit dem Bauernsterben zusammen?
Es ist eine direkte Auswirkung eines wirtschaftlichen Denkens. Wenn ein Gewerbler oder ein Betrieb oder ein Fabrikli sagt, ich muss mehr Umsatz machen, ich muss wachsen, dann leuchtet mir das noch ein. Aber in der Landwirtschaft funktioniert dieser Wachstumsansatz, wie ihn Politiker, Wissenschaftler, Behörden oder landwirtschaftliche Zeitschriften preisen, nicht; da kann man nicht sagen, sie müssten immer grössere Betriebe, also mehr Fläche pro Mensch haben, und immer ein bisschen mehr Ertrag pro Hektare rausholen. Das sieht man an einem Baum: Der wächst, und stirbt irgendwann ab. Dann fängt es von Neuem an.
Ist eine produktive Landwirtschaft denn nicht erstrebenswert?
Ich glaube, schon der Begriff „produktiv“ leitet uns fehl. Die Landwirtschaft produziert nicht, sie lässt wachsen. Oder sie begleitet. Bei diesem Most, den wir hier trinken, könnte man vielleicht noch sagen, der sei produziert. Irgendjemand hat die Äpfel durch die Presse geschickt. Aber der Apfel, der ist gewachsen, ob am Spalier oder am Hochstamm. Der Bauer begleitet diesen Prozess. Natürlich könnte man sagen, das sei eine Spitzfindigkeit. Aber es ist eben keine.
Ein bisschen mehr Demut vor den natürlichen Prozessen, das gehört ganz klar dazu. Nur darf man ja das Wort „ganzheitlich“ nicht mehr gebrauchen. Wenn einer sagt, es gehe nicht nur darum, wieviel Weizen im Feld da hinter meinem Haus rauskommt, sondern auch darum, ob der Hase oder die Feldlerche noch in diesem Acker ist, dann wird er als esoterisch oder gar religiös beschumpfen.
Um einen weiteren ‚falschen‘ Begriff aufzugreifen: In Ihrem Buch schreiben Sie, Bauern arbeiten nicht. Was tun sie stattdessen?
Der Bauer geht einsäen, bevor der Regen kommt, er geht melken, oder er geht ins Holz. Der Arbeiter aber geht arbeiten, auch der Angestellte. Der muss um 7 Uhr dort sein, um 17 Uhr darf er wieder nach Hause. Im Begriff der Arbeit ist auch immer eine zeitliche Beschränkung mitgedacht. Der Bauer aber „schafft“ immer. Er kann also gar nicht arbeiten gehen, da er immer schon ‚auf dem Arbeitsplatz‘ ist. Das zeigt sich auch darin, dass der Bauer vor 100 oder gar 50 Jahren den Begriff der Freizeit nicht kannte, ganz zu schweigen von Ferien. Die Welt von uns Nicht-Bauern ist heute in Arbeit und Freizeit unterteilt. Dort ist ganz klar, was Arbeit ist, und die ist bezahlt.
Aber der Bauer wurde und wird ja auch für seine Arbeit bezahlt?
Er hat irgendwann Geld erhalten, wenn er ein Kalb verkauft hat, ja. Aber er hat nicht gewusst, wieviel Wert seine Arbeit hat im Sinne eines Stundenlohns. Die Stunde als Masseinheit für Arbeit trifft man heute bei Bauern überall an: „He, jetzt bini 5 Stund ufem Acher gsi”, oder „jetzt hani 3 Stund müesse Uchrut jäte”. Besonders konkret habe ich das bei einer Bäuerin beobachtet, die vor ihrer Heirat im Spital gearbeitet hat. Sie hat ihr geregeltes Arbeitsverständnis vom Spital mit auf den Hof gebracht. Abends um zehn habe sie gestern noch Wasser auf die Weide bringen müssen!! Das so zu sagen, käme einem Bauern oder einer Bäuerin im alten Geist gar nicht in den Sinn. Mit der fehlenden Abgrenzung von Arbeit und auch mit dem ausufernden ‚Pflichtenheft‘ hat sie sehr gehadert.
Wir haben viel darüber gesprochen, wie man nicht über Landwirtschaft sprechen und denken sollte. Was sind Ihre Verbesserungsvorschläge?
Mit der Natur gemeinsam haushalten, das scheint mir eine angebrachte Sprechweise zu sein. Sie gibt einem etwas, dann haut sie einem eine rein, und man muss ein bisschen schauen und lernen. Dieser kooperative Ansatz steht dem der technischen Beherrschbarkeit gegenüber. Möglichst kontrolliert die Landwirtschaft abwickeln können, und wenn möglich gentechnisch veränderte Sorten entwickeln, die noch mehr Ertrag abwerfen, die gegen alles resistent sind. Und vorzugeben, damit auch gleich noch alle armen Bauern in Asien zu retten – das ist einfach nicht mein Weltbild.
Zu Ihrem Weltbild. Der Untertitel Ihres Buches lautet: „Lasst die Bauern wieder Bauern sein“. Das klingt doch sehr regressiv.
Ich meine damit nicht die Bäuerlichkeit, die die SVP an Erst-August-Reden zelebriert. Einem älteren Verständnis von Bäuerlichkeit können wir aber trotzdem Elemente dieser anderen Art von Arbeitsverständnis entnehmen, die heute nötig wäre, vor allem in ihrem Verhältnis zu natürlichen Prozessen. Das betrifft natürlich nicht nur LandwirtInnen. Moderne Bäuerlichkeit, wie ich mir sie vorstelle, soll auch städtische Bewegungen einschliessen. Ich denke da an Projekte wie die Vertragslandwirtschaft, die durchaus das Potenzial haben, den Graben zwischen Stadt und Land zu überbrücken. „Ich bin ein rechter Bauer, der andere nicht”, das ist nicht gut. Die Bauern müssen in dieser modernen Bäuerlichkeit, wie ich sie mir vorstelle, auch offen sein gegenüber anderen Ideen.
Ideen welcher Art?
Gartengenossenschaften wie ortoloco zum Beispiel, die versuchen, Diesel- mit Muskelkraft zu ersetzen. Biobetriebe, die möglichst ohne fremde bzw. fossile Energie auszukommen versuchen.
Wie genau kriegen wir den Diesel raus, der, so eine Ihrer Thesen, den Selbstversorgungsgrad der schweizerischen Landwirtschaft auf 0 % herabsetzt?
Man kann mehr Tiere einsetzen, man kann Menschen einsetzen, aber wir brauchen auch andere Anbauweisen. „Permakultur” ist da so ein Wort, ein Bebauen des Bodens nach Vorbild stabiler natürlicher Ökosysteme mit weniger menschlichen Eingriffen. Ich verstehe das Wort nicht als scharfen Begriff, sondern offen, als etwas, woraus man aus der gleichen Fläche, ohne ökologische Schäden, viel mehr essbare Energie ‚gewinnen‘ kann.
Also doch mehr Ertrag pro Fläche?
… das ist wieder einmal ein Beleg dafür, wie schwierig es ist, aus dem gewohnten Lauf der Sprache auszubrechen. Ja, mehr Ertrag, aber unter anderen Voraussetzungen. Der Begriff „Perma“ ist sehr nahe an Nachhaltigkeit, er bindet aber zusätzlich, anders als der „Produktivismus“, den sozialen Aspekt des gemeinsamen Arbeitens mit ein und die Ökologie dazu.
Sie kritisieren nicht nur den Begriff der Produktion, sondern auch seine pornographische Ästhetik. Was verstehen Sie unter Agrarporno?
Es ist ein Vorgaukeln von falscher Lust, von Erfüllung. Der strotzende Erfolg mit herzigen Ferklein oder Bibeli dank eines UFA-Futters und Antibiotika; die Bauernfamilie, die in Agrarzeitschriften so proper posiert, blitzblank und alles im Griff habend; steile Maiskolben, die aus dem Boden gestampft werden. Diese Art von machbarer Fruchtbarkeit und fake dargestellter Lust ist obszön. Mit dieser falschen Welt, die in Agrarmedien den Inbegriff des Bäuerlichen vorgaukelt, ist es wie mit dem Porno, der vorgaukelt, was Sexualität ist.
Agrarporno zeigt sich vor allem in der Ästhetik von Werbung, die Dinge anpreist wie „Non-stop pressen von Siloballen“, „Dickste Tomaten mit diesem Dünger“, „strotzende Euter dank Muni sowieso“, „Total kontrollierte Feldbestellung dank Spektralkamera“, „top-pig Hochenergiekonzentrat für Muttersauen“. Wenn man einmal diesen Blick gewonnen hat, kann man ihn kaum wieder ablegen. Die landwirtschaftlichen Zeitungen, die UFA-Revue, alles ist voll davon.
Wie wäre es mit Erotik statt Pornographie?
Ich kann hier nur meine eigene Erfahrung als Beispiel anführen. Wir haben ein Maiensäss, und ich mache gerne Schindeln. Ich suche dann eine Tanne ohne Drehwuchs, fälle sie, dann mache ich die Schindeln und nagle sie schliesslich aufs Dach. Zu diesem Dach habe ich dann eine lange ‚Liebesbeziehung‘. Gut, das mache ich jetzt nicht mehr. Aber wenn ich wieder einmal im Boden wühlen kann, spüre, wie fein der Boden ist, und dann einen Steckling pflanze. Wie diese ‚Erotik‘, die viel Zeit einschliesst, im grossen Rahmen zu verwirklichen wäre, diese Frage ist offen. Ich hoffe einfach, dass viele Köpfe zusammenfinden und zu einer – wenn man so will – neuen Erotik finden.
Welche Haltung müssten wir gegenüber einer Natur einnehmen, zu der wir in einer erotischen Beziehung stehen könnten?
Es bedarf einer gewissen Demut. Ich kann keinen Baum fällen, auch nicht fürs Schindeln machen, ohne dass es mich irgendwie reut, bewegt. Die bäuerlichen Arbeiten dürfen einen nicht kalt lassen.
Und doch gehen Sie in Ihrem Buch relativ hart ins Gericht mit Vegetariern und Veganern….
Mit Vegetariern nicht, nein. Ich schiesse nur gegen Veganer. Und eigentlich auch nur dann, wenn sie meinen, sie hätten das Allerweltsheilmittel gefunden. Wenn einer das für sich macht, dann ist es mir egal. Aber wenn er mir den impliziten Vorwurf macht, „du bist ja noch Fleischfresser”, dann stört es mich.
Aber: Welches Fleisch kann man noch mit gutem Gewissen essen?
Ich hatte einen Freund, der war Tierarzt im Schlachthof. Dort hat es mir dann wirklich abgelöscht. Aber es gibt Alternativen. Nils Müller hier in meiner Nachbarschaft macht Weideschlachtungen. Er ist übrigens der einzige Bauer in der Schweiz, der das darf. Es ist alles höchst aufwendig reguliert, und er hat Jahre von Behördengängen hinter sich, um das tun zu dürfen. Die ganze Herde kommt in eine Koppel, ist völlig ruhig. Er hockt in seinem verdeckten Sitz und nimmt dasjenige Tier, das ideal vor seinem Lauf steht. Nach dem Betäubungsschuss muss das Tier innert 90 Sekunden ausgeblutet sein. Das Ganze wird von einem Tierarzt vom Kanton überwacht. Letztlich zu viel Bürokratie über zum Teil seltsame Details, aber das ist ein anderes Thema.
Solche Praktiken oder einem selber bekannte Bauern mit guter Tierhaltung sollte man dadurch unterstützen, dass man ihr Fleisch kauft und dann natürlich auch isst. Aber nicht nur das Filet, sondern auch mal Fleisch von einer alten Kuh, das gibt immer noch gutes Siedfleisch. Oder ein Suppenhuhn.
Auch Bio kommt in Ihrem Buch schlecht weg. Mein Einwand: Ich kann unser falsches Sprechen über Landwirtschaft nicht im Alleingang ändern, aber schon mal ganz praktisch Biogemüse auf dem Markt einkaufen. Was ist falsch daran?
Zuerst: ich bin im Herz immer noch Biobauer und schätze viele Bauern sehr. Aber hier, hinter und in dieser Pet-Flasche Bio-Apfelsaft aus dem Coop, steckt wohl schon ein Viertel Liter Diesel. Und wenn man dann noch diese grüne „Knospe” draufmacht … mit dem bin ich nicht so glücklich.
Das Bio-Label führt zu einem Polarisieren zwischen Bauern, die es richtig machen, und Bauern, die es falsch machen. In dieser Polarisierung geht unter, welche Landwirtschaft erstrebenswert wäre. Denn auch Bio-Bauern sind dem Optimierungsdruck ausgesetzt. Denken Sie an Rathgeb, der Rüebli für den Migros liefert: Ich weiss nicht, ob der ein gutes Beispiel für Biolandwirtschaft ist. Bio ist einfach gelabelled und folgt strengeren Richtlinien, aber es ist nicht per se die Landwirtschaft, die „verhebet” punkto Nachhaltigkeit. Ich habe Angst, dass die Knospe ein Feigenblatt wird. Gewissensberuhigung für Konsumenten.
Zum Schluss: Würden Sie es nochmals wagen, als Bauer anzufangen?
Nein. Das ist jetzt einfach rausgerutscht. Ich muss es mir noch überlegen. Jetzt bin ich dann 70. Da denkt man, ich mag einfach nicht mehr. Früher hatte ich den Plausch am Schaffen, einen sportlichen Hang zum Krampfen; ohne den geht es nicht. Aber ich habe meine Liebe zur bäuerlichen Tätigkeit und zu gewissen Tierrassen und würde da sofort wieder einsteigen und einem Bauern helfen, im Stall etwas machen. Aber in der jetzigen Landwirtschaft: nein. Ausser, es wäre ein Projekt mit mehreren Involvierten. Ortoloco, oder eine Betriebsgemeinschaft, chli so öppis, das könnte ich mir gut vorstellen.
Zu Person und Buch:
Jakob Weiss hatte schon im Gymnasium eine Affinität zum Bauern und verbrachte seine Ferien oft auf einem Weingut. Später war er als Gast- und Hilfsbauer in Hombrechtikon und in Kanada tätig, dann m Zürcher Oberland und im Bündner Berggebiet „beitragsberechtigter” Kleinbauer mit eigenem Land und in eigener Verantwortung. In dieser Zeit hat er an der ETH Zürich zur Befindlichkeit der Bauern eine Dissertation geschrieben. Er hat immer gezögert, sich selber Bauer zu nennen. „Es war ein Lebensexperiment. Das widerspricht ein bisschen dem Bäuerlichen.” Gegenwärtig setzt er sich bei der Zeitschrift Kultur & Politik der Vereins Bioforum Schweiz für ein neues Verständnis des Bäuerlichen ein.
Die Schweizer Landwirtschaft stirbt leise. Lasst die Bauern wieder Bauern sein ist im April 2017 bei Orell Füssli erschienen.
Journalismus kostet
Die Produktion dieses Artikels nahm 15 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 1040 einnehmen.
Als Leser*in von das Lamm konsumierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demokratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produktion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rechnung sieht so aus:
Wir haben einen Lohndeckel bei CHF 22. Die gewerkschaftliche Empfehlung wäre CHF 35 pro Stunde.
CHF 525 → 35 CHF/h für Lohn der Schreibenden, Redigat, Korrektorat (Produktion)
CHF 255 → 17 CHF/h für Fixkosten (Raum- & Servermiete, Programme usw.)
CHF 260 pro Artikel → Backoffice, Kommunikation, IT, Bildredaktion, Marketing usw.
Weitere Informationen zu unseren Finanzen findest du hier.
Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!