Schutz­we­sten-Schen­kung an Boli­vien: Die StaPo lässt sich vom Regime instrumentalisieren

In Boli­vien begeht die De-facto-Regie­rung unter Jeanine Añez massive Menschen­rechts­ver­let­zungen. Vorletzte Woche erhielt sie eine gross­zü­gige Spende aus der Schweiz: von der Zürcher Stadt­po­lizei. Laut boli­via­ni­schen Medien ein Akt der offi­zi­ellen Diplo­matie, doch bis vor Kurzem wusste das EDA von nichts. Veran­lasst wurde die Schen­kung eigent­lich schon vor zwei Jahren. Was ist passiert? Eine Recherche. 
Die Interimspräsidentin Janine Añez nimmt das Geschenk der StaPo entgegen. (Foto: Screenshot BoliviaTV)

Die Stim­mung ist feier­lich an diesem 10. Juli. Insge­samt 515 dunkel­blaue kugel­si­chere Westen in SBB-Trans­port­ki­sten werden auf einem Vorplatz von Sicher­heits­kräften bewacht. Es seien gespen­dete Westen der Stadt­po­lizei Zürich, heisst es. Und diese Schen­kung, sagt der anwe­sende Gene­ral­kom­man­dant der boli­via­ni­schen Polizei, wider­spiegle die Brüder­lich­keit zwischen der Polizei in Zürich und der Polizei in Bolivien.

Der Anlass ist gut doku­men­tiert: Die boli­via­ni­sche Regie­rung widmet der gross­zü­gigen Geste eine Medi­en­mit­tei­lung, andere Medien greifen das Thema auf. Auf Twitter postet die boli­via­ni­sche Polizei unter dem Hashtag #Coope­ra­ción­In­ter­na­cional Bilder von der Über­gabe. Auch das staat­liche Fern­sehen ist live dabei – und über­trägt eine pathe­ti­sche Rede der zurzeit mäch­tig­sten Boli­via­nerin: „Wir fühlen uns Ihnen zu Dank verpflichtet“, sagt die Inte­rims­prä­si­dentin Jeanine Añez.

Repres­sion mit Hilfe von Paramilitärs

Jeanine Añez trat ihr Amt vergan­genen November an, einen Tag nachdem sich ihr Vorgänger Evo Morales nach Mexiko ins Exil absetzte. Die stramm rechte und reli­giöse Vertre­terin der weissen Wirt­schafts­elite trat offi­ziell nur dafür an, möglichst bald Neuwahlen durch­zu­führen. Und tatsäch­lich war recht bald ein Termin dafür gefunden: der 3. Mai 2020.

Die Wahl wurde später aber verschoben, minde­stens bis zum 6. September. Heute ist Añez immer noch dieje­nige, die Geschenke auslän­di­scher Poli­zei­korps entge­gen­nimmt. Sie regiert ohne demo­kra­ti­sche Legi­ti­ma­tion und ohne parla­men­ta­ri­sche Mehrheit.

Aber mit harter Hand. Die Regie­rung unter Añez beschneidet die Meinungs­äus­se­rungs­frei­heit, verfolgt die Oppo­si­tion und geht mit erschreckender Härte gegen die Proteste vor, die im ganzen Land ausge­bro­chen sind. Die Mission des Hohen Kommis­sars der Vereinten Nationen für Menschen­rechte in Boli­vien kriti­sierte erst kürz­lich, dass auch para­mi­li­tä­ri­sche Gruppen im Auftrag der Regie­rung gegen die Bevöl­ke­rung vorgehen. Als Añez der Polizei mit einer ihrer ersten Amts­hand­lungen erlaubte, scharfe Muni­tion einzu­setzen, wurden in zwei Massa­kern 28 Demonstrant*innen von Sicher­heits­kräften erschossen.

Sie sei mit der Arbeit ihrer Polizei äusserst zufrieden, sagt Añez anläss­lich der Spende der Zürcher Stapo. Und sie nutzt die Gele­gen­heit dafür, hervor­zu­heben, dass die Gewalt auf den Strassen nicht von den Sicher­heits­kräften ausgehe – sondern von Demonstrant*innen. „Wir danken der Schweiz“, sagt Añez. Und sie freue sich für die Polizei, die das Mate­rial drin­gend benötige.

Die Szene mutet absurd an. Wieso sollte die Stadt­po­lizei Zürich eine Schen­kung an ein Regime tätigen, das in krasse Menschen­rechts­ver­let­zungen verwickelt ist und unter anderem mit para­mi­li­tä­ri­schen Gruppen zusam­men­ar­beitet, um die Proteste der eigenen Bevöl­ke­rung zu unterdrücken?

Wer ist Reyna Luisa Lauber?

Eine mässig befrie­di­gende Antwort liefert die Über­tra­gung des Anlasses im boli­via­ni­schen Staats­fern­sehen. Dort tritt nämlich eine gewisse Reyna Luisa Lauber auf, die das gross­zü­gige Geschenk über­gibt. In ihrer Rede sagt sie: „Wir haben uns für die Spende entschieden, weil wir die Kondi­tionen der Polizei in Boli­vien mit der Polizei in der Schweiz vergli­chen haben.“ Kurz: weil es die boli­via­ni­sche Polizei nötig habe.

In Medi­en­be­richten wird Lauber als Vertre­terin der Schweizer Polizei in Boli­vien beschrieben. Das macht Eindruck: Die Schweiz unter­stützt die boli­via­ni­sche Regie­rung. Brüder­lich eben. Nur: Im Dienst des Eidge­nös­si­schen Depar­te­ment für Auswär­tige Ange­le­gen­heiten EDA steht Frau Lauber nicht, wie dieses dem Lamm auf Anfrage mitteilt. Laut LinkedIn arbeitet Lauber für den Klotener Zahn­im­planta­ther­steller Nobel Biocare. Über­haupt gibt das EDA an, an dieser Schen­kung nicht betei­ligt gewesen zu sein. Immerhin hatte der Bundesrat im November alle Parteien zur Been­di­gung der Gewalt in Boli­vien aufge­rufen und diesen Aufruf später noch einmal bekräf­tigt. Diplo­ma­ti­sche Unter­stüt­zung klingt anders.

Eine fami­liäre Angelegenheit

Betreibt die Stadt­po­lizei eigen­händig inter­na­tio­nale Diplo­matie? Und wenn ja: Warum hat sie das nicht öffent­lich bekannt gemacht? Ausführ­liche Antworten liefert das Sicher­heits­de­par­te­ment der Stadt Zürich, zu dem die Stadt­po­lizei gehört. Das Depar­te­ment bestä­tigt gegen­über das Lamm, dass die Stapo tatsäch­lich für die Spende verant­wort­lich ist. Es handle sich dabei um ausge­mu­sterte Westen der Stadt­po­lizei. „Grund­sätz­lich ist das Wieder­ver­wenden von ausge­mu­stertem Mate­rial besser als Wegwerfen – und da Schutz­we­sten keine Waffen sind, sondern Menschen­leben retten können, sieht die Stapo das Wieder­ver­wenden grund­sätz­lich als unpro­ble­ma­tisch an“, schreibt die Medienstelle.

Aber auch wenn mit Schutz­we­sten keine Menschen getötet werden: wieso genau jetzt? Wieso genau Boli­vien? Auch darauf hat das Sicher­heits­de­par­te­ment eine Antwort parat: „Die Stapo wurde von einem pensio­nierten Poli­zi­sten ange­fragt“, schreibt die Medi­en­stelle. „Sein Sohn ist mit einem Major der boli­via­ni­schen Polizei verschwägert.“

Die Polizei habe ihm das Mate­rial unter der Auflage über­lassen, dass er die Westen gratis dem boli­via­ni­schen Poli­zei­korps aushän­digen werde. Die Stapo habe sich damit den admi­ni­stra­tiven Aufwand sparen können; der Pensionär habe die Ausfuhr­be­wil­li­gung selber eingeholt.

Zentral hierbei ist: Der Westen­ex­port nach Boli­vien wurde gemäss Angaben des Sicher­heits­de­par­te­ments bereits 2018 beschlossen, also lange vor dem Macht­wechsel vom letzten November. Dass sie jetzt einer ultra­rechten Präsi­dentin über­geben wurden, konnte damals noch niemand wissen.

Das ändert frei­lich nichts daran, dass dies heute zutrifft. Nicht nur das: Auch das Sicher­heits­de­par­te­ment muss zugeben, dass nicht gänz­lich auszu­schliessen ist, dass die Westen in den Händen von Para­mi­li­tärs landen werden.

Hätte die Schen­kung ange­sichts der poli­ti­schen Entwick­lungen nicht abge­bro­chen werden können? „Jetzt wird die Über­gabe der Westen so darge­stellt, als würde die Schweiz die neue boli­via­ni­sche Regie­rung offi­ziell unter­stützen“, sagt Víctor Gutiérrez, ein Vertreter von Bolivia Pluri­na­cional CH, einer Orga­ni­sa­tion der boli­via­ni­schen Diaspora in der Schweiz. Es wirke so, als unter­stütze die Schweiz die Regie­rung im Kampf gegen die angeb­liche Bedro­hung durch die „bewaff­nete Bevöl­ke­rung“ Boli­viens. Gutiérrez: „Diese Spende wird von der Regie­rung für ihre Propa­ganda instrumentalisiert.“

Ein frag­wür­diger Alleingang

Die Stadt­po­lizei Zürich sticht in ein diplo­ma­ti­sches Wespen­nest. Und die Tatsache, dass sie gänz­lich darauf verzichtet hat, die Schen­kung von sich aus zu kommu­ni­zieren, spricht dafür, dass ihr das bewusst war.

Sicher bewusst war es der Schweizer Botschaft in Boli­vien. Gemäss Quellen von das Lamm wurde sie von der boli­vi­schen Regie­rung ange­fragt, ob sie an der Über­ga­be­ze­re­monie teil­nehmen wolle. Die Schweizer Botschaft habe abge­lehnt. Das EDA antwortet auf Anfrage auswei­chend, bestä­tigt aber, dass die offi­zi­elle Schweiz an der Zere­monie nicht anwe­send war.

Und wer ist Reyna Luisa Lauber, die Frau, die sich in Boli­vien als offi­zi­elle Vertre­terin der Schweizer Polizei ankünden lässt? Eine Verwandte des pensio­nierten Stadt­po­li­zi­sten, die per Zufall im Land gewesen sei, sagt das Sicher­heits­de­par­te­ment. Lauber selbst war für das Lamm nicht erreichbar.

Die Tatsache, dass eine Verwandte eines pensio­nierten Stadt­po­li­zi­sten eine Spende über­gibt, die in den boli­via­ni­schen Medien als offi­zi­elle Schen­kung darge­stellt wird, ist für Víctor Gutiérrez unhaltbar: „Boli­vien muss jetzt unbe­dingt darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass nicht die Schweiz diese Westen gespendet hat“, sagt er. „Sondern eine lokale Polizei, die diesen Entscheid schon vor zwei Jahren gefällt hat.“

*Zuletzt geän­dert am 20.07.2020 um 17:10: Ausschliess­lich Ände­rung des Titels und leichte Ände­rung des Leads.

 


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