Geht verpackungs­freies Gemüse und Obst viel­leicht doch?

Immer noch verpacken Super­märkte ihr Gemüse und Obst in Plastik­säcke. Beson­ders absurd ist das bei Biopro­dukten. Eine neue Technik könnte nun Verpackungen über­flüssig machen. 
Fein und lecker, aber richtig verpackt? (Foto: Sharon Pittaway / unsplash)

In Waddinx­veen, einem Ort in den Nieder­landen in der Nähe von Gouda, steht eine unschein­bare, aber mögli­cher­weise revo­lu­tio­näre Maschine: ein Förder­band, ein Kasten, dann wieder ein Förder­band — so sehen viele Anlagen in Fabriken aus. Aber dieser Kasten könnte die Welt etwas besser, sprich, etwas plastik­freier machen. Denn im Kasten steckt ein Laser.

Eigent­lich handelt es sich bei dem Gerät um eine Art Brand­zei­chen­setzer für Obst und Gemüse. Mittels Nied­rig­energie-Kohlen­di­oxid­laser brennt er all das auf Avocados und Süss­kar­tof­feln, was früher auf eine Etikette gedruckt wurde, die auf einer Plastik­ver­packung klebte: Herkunft, Nummer, Logo, Sorten­name — kurz: Alles, was Konsu­men­tInnen wissen müssen, um einen vernünf­tigen Kauf­ent­scheid zu fällen. Der Laser erhitzt hierzu die gewünschten Punkte in der ober­sten Scha­len­schicht, bis die Farbe sozu­sagen wegge­brannt ist.

Der Laser, der Verpackungen über­flüssig machen soll, gehört der Firma eosta. Sie ist nach eigenen Angaben die grösste euro­päi­sche Impor­teurin von Bioge­müse und ‑obst. Eosta belie­fert Super­markt­ketten in ganz Europa, Jahres­um­satz: 100 Millionen Euro. Und eosta weiss: Eigent­lich ist es offen­sicht­lich wider­sinnig, Bioge­müse und Bioobst in Plastik einzu­packen, aber man erkläre das mal bitte sehr Super­märkten. Diese wollen sicher­gehen, dass die teuren biolo­gi­schen Produkte von konven­tio­nellen Produkten unter­scheidbar sind. Manche Super­märkte wie die Migros in der Schweiz haben in der Vergan­gen­heit auch etwas spezi­el­lere Gründe gesucht, um zu recht­fer­tigen, weshalb einer einzelnen Biogurke ein Kondom über­ge­zogen werden muss: Es müsse verhin­dert werden, dass das Bioge­müse durch Pesti­zide der konven­tio­nellen Gemüse konta­mi­niert wird. Gerade bei den Beispielen der Biogurke oder Bananen, die ja eigent­lich durch ihre Schale bereits verpackt sind, ist dieses Argu­ment nur schwer nachvollziehbar.

Für die Bioim­por­teurin eosta, die ganz Europa belie­fert, war der Verpackungs­müll ein Ärgernis grös­seren Ausmasses. Alleine in Deutsch­land verur­sacht die Verpackung von Gemüse und Obst jedes Jahr 90’000 Tonnen Müll. Die Lösung fand eosta im Süden Europas, dort, wo das Gemüse, das später in Plastik verpackt durch Europa wandert, geerntet wird: In Valencia versuchte die Firma Laser­food ihre Laser­tech­no­logie mit Unter­stüt­zung der EU, einem ameri­ka­ni­schen Konzern und der Univer­sität von Valencia so weiter­zu­ent­wickeln, dass Gemüse bela­sert werden konnte, ohne Schaden zu nehmen. Der Hinter­ge­danke war kein ökologischer.

Denn Carre­four Spanien hatte ein Problem: Der Detail­han­dels­gi­gant führte in seinem Sorti­ment zwei Sorten Wasser­me­lonen: Günstige und deut­lich teurere Premium-Wasser­me­lonen. Um zu sparen, begannen die KundInnen die Kleber der Premium-Wasser­me­lonen mit den Klebern von Budget-Wasser­me­lonen auszu­tau­schen. Die Laser­tech­no­logie versprach eine Lösung: Carre­four verpflich­tete alle Liefe­ranten von Premium-Wasser­me­lonen, fortan das Premium-Siegel direkt auf die Wasser­me­lonen zu lasern.

Eosta erkannte: Diese Tech­no­logie ergibt gerade für Bioge­müse und ‑obst beson­ders Sinn. Die Nieder­län­de­rInnen lizen­zierten die Tech­no­logie und suchten KundInnen. Fündig wurden sie — wie könnte es anders sein — in Schweden. Für die Super­markt­kette ICA verpackt eosta die Bioavo­cados seither nicht mehr in Plastik­schalen, sondern lasert die Infor­ma­tionen direkt auf die einzelnen Früchte. Für das Lasern einer Avocado sollen 0,2 Prozent des CO2 einge­setzt werden, das für einen Sticker glei­cher Grösse notwendig wäre. ICA will so 725’000 Plastik­schalen und ‑folien pro Jahr einsparen. Das sind 2042 Kilo­gramm Plastik. In einem Jahr. Das rettet die Welt zwar noch nicht. Aber es ist ein Anfang.

Auch sonst ist die Tech­no­logie nicht unein­ge­schränkt einsetzbar: Das Verfahren eignet sich auch nicht für jede Art von Früchten. Die Schale von Zitrus­früchten zum Beispiel erneuert sich ständig. Wegla­sern gleicht da einer Sisyphusarbeit.

Avocados, Wasser­me­lonen: die Laser­ad­vo­ka­tInnen beginnen ihren Feldzug gegen die Verpackung bewusst mit Produkten deren Schale ohnehin nicht verzehrt wird. Denn Konsu­men­tInnen, so glauben sie, könnten verun­si­chert sein, wenn sie wissen, dass ein Laser ihr Gemüse und ihre Früchte verbrennt.“ Dabei müssen sie sich keine Sorgen machen: Mittels Laser gebrand­markte Lebens­mittel sollen genau gleich sicher sein wie mit Plastik umwickelte. Wenn man die Weich­ma­cher im Plastik mitbe­denkt, womög­lich sogar gesünder. Die EU und die USA haben dann die Methode auch bereits zuge­lassen. Auch in der Schweiz wäre die Technik dank bila­te­raler Abkommen mit der EU bereits erlaubt.

Laser­food sagt auf Anfrage von das Lamm, dass verschie­dene Schweizer Super­märkte Inter­esse hätten. Um wen es sich dabei handelt, will die Firma nicht verraten. Migros erklärte auf Nach­frage, dass sie kürz­lich von der Methode erfahren hätten und diese genau prüfen würden. Und auch Coop prüft momentan, wie er die Verpackung von Bioge­müse und ‑früchten redu­zieren kann. Das Lasern der Produkte ist dabei einer von unter­schied­li­chen mögli­chen Ansätzen“, sagt Coop gegen­über das Lamm. Das klingt viel­ver­spre­chend. Wobei — welche anderen Ansätze prüft Coop denn noch? Zum Beispel Aufkleber.“


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