Kann etwas, das zu 10 Prozent aus Gift besteht, biolo­gisch abbaubar sein? Der Rauch­zu­be­hör­pro­du­zent OCB ist der Meinung, dass das geht.

Mit biolo­gisch abbau­baren Ziga­ret­ten­fil­tern will ich meine Raucher­lunge ein biss­chen mit meinem Ökoherz versöhnen. Aber geht das über­haupt? Und was steckt hinter den grossen Ökover­spre­chen von OCB? 
Gehört zu jedem Öko-Hipster-Survival-Kit dazu: Ungebleichte Filter (Foto: Alex Tiefenbacher)

Wenn man sich genauer anschaut, was Rauchen alles anrichtet, so bleibt einem der blaue Dunst ziem­lich direkt im Hals stecken. Dass ich mit den Glimm­stän­geln meine eigene Gesund­heit ruiniere, ist dabei eigent­lich noch das kleinste Übel. Um Platz für den Anbau der Pflanze und Brenn­holz zum Trocknen des Tabaks zu gewinnen, geht so einiges an Regen­wald drauf. Für das Trocknen von einem Kilo­gramm Tabak braucht es beispiels­weise rund 160 Kilo­gramm Holz. Deswegen vernichtet ein durch­schnitt­li­cher deut­scher Raucher alle drei Monate einen Tropen­baum.

Zudem arbeiten die Tabak­bauern und ‑bäue­rinnen zumeist unter üblen Bedin­gungen. Kaum eine Tabak­packung oder eine Ziga­ret­ten­schachtel schmückt sich mit einem Fair-Trade-Label. Und bei der Ernte nehmen die Bauern, Bäue­rinnen und ihre Kinder, die beim Ablesen der Blätter oft mithelfen, das Nikotin direkt über die Haut auf. Das kann zu Übel­keit und Erbre­chen, Kopf­schmerzen, Muskel­schwäche und Schwindel oder gar Schlaf- und Essstö­rungen führen. Als die Grüne Tabak­krank­heit wird dieses Krank­heits­bild beschrieben.

Kann der Ökofilter unsere Bade­strände sauberer machen?

All das kann auch der Tabak­zu­behör-Hersteller OCB mit seinem Ökofilter nicht verbes­sern. Aber das behauptet er auch gar nicht. Dafür verspricht OCB etwas anderes.

OCB will für ein riesiges Problem eine Lösung gefunden haben: für die Massen an Ziga­ret­ten­stum­meln, die sich an den Stras­sen­rän­dern, neben den Park­bänken oder an gut besuchten Sand­stränden anhäufen. Laut einer Unter­su­chung der Tech­ni­schen Univer­sität Berlin aus dem Jahr 2014 liegen in Berlin auf einem Quadrat­ki­lo­meter Frei­fläche durch­schnitt­lich 2,7 Millionen Kippen. Die zwei Dreh­ta­bak­filter OCB Organic Slim und die OCB Unblea­ched Slim Virgin sollen dieses Problem lösen. Sie sind nämlich biolo­gisch abbaubar.

Das Verspre­chen von OCB: Während normale Stummel 10 bis 15 Jahre brau­chen, bis sie sich zersetzt haben, seien die Öko-Filter von OCB nach 28 Tagen zu 84 Prozent verrottet. Und deshalb ziert OCB die Packung dieser Filter mit dem Schriftzug «Umwelt­freund­liche Filter».

Doch obwohl sich die Filter angeb­lich natür­lich und umwelt­freund­lich zersetzen, fordert mich OCB dazu auf, meine Kippen im Abfall­eimer zu entsorgen. Das macht mich stutzig. Was bringt es, wenn ich einen biolo­gisch abbau­baren Filter in den Abfall­eimer schmeisse? Dann landet er ja genau gleich wie ein normaler Stummel in der Kehricht­ver­bren­nungs­an­lage? Wieso kann ich einen Ziga­ret­ten­filter, der sich natür­lich zersetzt, nicht einfach am Strand liegen lassen oder aus dem fahrenden Auto schmeissen? Nach 28 Tagen, so die Behaup­tung von OCB, sollte er doch so gut wie aufge­löst sein – und zwar ohne, dass irgend­welche Gifte in der Natur zurück­bleiben. Oder ist da etwas faul?

Die Marke­ting­ab­tei­lung von OCB muss sich ziem­lich winden

Es macht den Eindruck, als hätte OCB irgend­etwas zu verbergen. Und das Lamm hat auch bereits einen Verdacht: Sobald man nämlich durch einen Ziga­ret­ten­filter eine Ladung Tabak gezogen hat, wird auch der unge­bleich­teste Ökofilter zur Dreck­schleuder. Der Filter einer Ziga­rette hält bis zu 50 Prozent des im Ziga­ret­ten­rauch enthal­tenen Teers zurück. Zudem enthält ein Stummel knapp zwei Milli­gramm Nikotin. Deshalb wollte ich von OCB wissen, ob ihr Prädikat «biolo­gisch abbaubar» auch für die gerauchten Filter gelte.

„Guten Tag liebe OCB, ich kaufe eure Produkte gerne. Kürz­lich bin ich auch auf die OCB EcoPaper Filter umge­stiegen, da es mir sinn­voll erscheint, auch beim Rauchen die ökover­träg­lichste Vari­ante zu wählen (auch wenn Rauchen an und für sich halt nicht so gut ist ;-). Nun hätte ich aber eine Frage: Auf der Verpackung steht, die Filter zersetzen sich auf natür­liche Weise. Bezieht sich das auf die unge­rauchten Filter oder die gerauchten Filterstummel?“

OCB antwortet kurz und knackig.

„Wir bestä­tigen hiermit, dass unsere OCB Organic Slim Filter als auch unsere OCB Unblea­ched Slim Virgin Filter biolo­gisch abbaubar sind und sich auf natür­liche Weise zersetzen. Dies gilt für unge­brauchte sowie für gebrauchte Filter.“

Aber was passiert mit den Gift­stoffen in den Ziga­ret­ten­stummel, wenn sich die Ökofilter zersetzt haben, will ich nun von OCB wissen:

„Vielen Dank für das Feed­back. Es ist sehr nett, dass sie sich für mich Zeit nehmen. Leider ist aber meine eigent­liche Frage noch nicht beant­wortet. Was passiert denn mit den Gift­stoffen (Teer und Nikotin), die im Filter zurück­ge­halten werden, wenn ich den Ziga­ret­ten­stummel in die Natur werfe. Die werden ja nicht biolo­gisch abge­baut, oder? Dementspre­chend wären auch nur die unge­rauchten Filter biolo­gisch abbaubar, oder?“

Diese Frage scheint selbst für geübte Marke­ting­mit­ar­beiter eine Heraus­for­de­rung zu sein.

„Die Schad­stoffe machen ca. 10 Prozent des Gesamt­ge­wichts des Filters aus. Die biolo­gi­sche Abbau­bar­keit unserer Organic und Unblea­ched Filter bleibt unver­än­dert bestehen. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir nur für unsere Produkte spre­chen können. Der Umwelt zu Liebe sollten Sie Ihre Ziga­ret­ten­reste jedoch auch weiterhin verant­wor­tungs­be­wusst in den Müll werfen.“

Es bleibt also para­do­xer­weise zu hoffen, dass möglichst wenig der poten­tiell biolo­gisch abbau­baren OCB-Filter dann auch wirk­lich biolo­gisch abge­baut, also einfach in der Natur entsorgt werden. Denn die 10 Prozent Gift­stoffe will ja wohl niemand in der Umwelt haben. Bei 2,7 Millionen Kippen pro Berliner Quadrat­ki­lo­meter und einem Kippen­ge­wicht von 0.5 Gramm wären das über hundert Kilo Nikotin, Teer und Co. pro Quadrat­ki­lo­meter. Auch biolo­gisch abbau­bare Filter gehören, sobald sie zum Einsatz gekommen sind, deshalb in den normalen Müll, damit sie in einer Kehricht­ver­bren­nungs­an­lage entsorgt werden können.

Weniger umwelt­feind­lich ist noch nicht unbe­dingt umweltfreundlich

Sind diese Ökofilter dementspre­chend für rein gar nichts gut? Doch! Immerhin werden für die Filter nach­haltig ange­baute Zellu­lo­se­fa­sern mit einem FSC-Label verwendet und ihre Herstel­lung kommt mit weniger Energie und Chemi­ka­lien aus. Zudem lancierten die OCB-Leute im Rahmen der «100% Natural Expe­ri­ence-Kampagne» weitere «ökolo­gi­sche» Neue­rungen. Zum Beispiel bietet OCB auch Blätt­chen für Dreh­tabak aus biolo­gisch ange­bautem Hanf mit einem Kleb­streifen aus Akazi­en­gummi an. Und auf der OCB-Website kann man nach­lesen, dass die Firma ein internes Umwelt­ma­nage­ment aufge­gleist hat. Dafür ein ehrli­ches Lob an OCB.

Trotzdem ist die Behaup­tung, dass nun dank der neuen Ökofilter auf eine umwelt­freund­liche Art geraucht werden kann, weil sich diese auf natür­liche Weise zersetzten, einfach falsch. Denn das Umwelt­pro­blem von Ziga­ret­ten­stum­meln beruht in erster Linie nicht auf dem Filter­ma­te­rial selber, sondern auf den in den gerauchten Filtern enthal­tenen Gift­stoffen, die durch den Regen ausge­wa­schen werden und schluss­end­lich im Wasser und in der Erde landen.

Zwar können Filter, die schon nach wenigen Tagen verrottet und damit verschwunden sind, unsere Stras­sen­gräben, Park­beete und Strand­pro­me­naden, rein ästhe­ti­sche betrachtet, aufwerten. Die darin enthal­tenen Gift­stoffe lösen sich deswegen aber nicht einfach in Luft auf, sondern gelangen durch den Zerset­zungs­pro­zess in die natür­li­chen Kreis­läufe. Even­tuell wäre eine Kippe, die man auch noch Jahre später zusam­men­sam­meln kann deswegen fast besser. Auch wenn das in der Land­schaft unschön aussieht.

Zudem ist es ziem­lich verwir­rend, wenn etwas, das eindeutig in den Rest­müll gehört, das Prädikat «biolo­gisch abbaubar» trägt. Ich habe mehr als einem Kumpel erklären müssen, dass auch Ökofilter in den Abfall­eimer und nicht in die Blumen­beete gehören.

Das Fazit: Umwelt­freund­lich zu rauchen, geht nicht. Und dies, wie bereits betont, nicht nur wegen den giftigen Stummel. Das muss ich mir als Raucherin einfach bewusst sein. Auch mit Ökofil­tern und Blätt­chen aus Biohanf werden sich die Tabak­bauern weiterhin bei der Ernte vergiften, und der Regen­wald wird weiter wegen meiner Sucht schrumpfen.

Da OCB keinen Tabak, sondern nur Raucher­zu­behör verkauft, lässt sich das fran­zö­si­sche Tradi­ti­ons­un­ter­nehmen nur bedingt für die schlechte soziale und ökolo­gi­sche Bilanz des Tabak­an­baus verant­wort­lich machen. Aber ohne Tabak keinen Dreh­zi­ga­retten. Und ohne Dreh­zi­ga­retten keine OCB-Filter. Und deshalb müsste man den Werbe­slogan «Helfen sie uns, den Planeten zu schützen» immerhin umän­dern in «Helfen sie uns, den Planeten ein biss­chen weniger zu zerstören». Das wäre ein ehrli­ches Marke­ting. Obwohl, viel­leicht geht halt Ehrlich­keit und Marke­ting genauso schlecht zusammen, wie giftig und biolo­gisch abbaubar.

PS: Laut Wiki­pedia besitzt der Mutter­kon­zern von OCB, Bolloré, Anteile an verschie­denen Plan­ta­gen­be­trei­bern in Entwick­lungs­län­dern. Falls sich darunter auch Tabak­plan­tagen befinden, beschert dies OCB nicht nur eine gewisse Verant­wor­tung bezüg­lich der Tabak­her­stel­lung, sondern auch einen Hand­lungs­spiel­raum, den es im Rahmen eines glaub­wür­digen Umwelt­ma­nage­ments zu nutzen gebe.


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