Klima­flücht­linge schützen, aber wie?

Klima­flücht­linge gibt es schon heute. Und ihre Zahl wird gemäss den neue­sten Erkennt­nissen auch im Fall der vorbild­lich­sten Mass­nahmen gegen den Klima­wandel weiter steigen. Sie zu schützen ist aufgrund der Komple­xität der Proble­matik aller­dings schwierig – und so werden ihre Flucht­gründe weiterhin nicht anerkannt. 
Das World Climate Refugee Camp vor dem Bahnhof Hannover 2009. Die Kunstaktion sollte auf die Nöte der schon jetzt vom Klimawandel Bedrohten hinweisen. (Foto: Sven Kindler)

Wahr­schein­lich ist der Sonder­be­richt des Inter­go­vern­mental Panel on Climate Change (IPCC; Welt­kli­marat), der Anfang Oktober publi­ziert wurde, bei vielen schon in Verges­sen­heit geraten. Zeitungsleser*innen, die mit einem guten Gedächtnis gesegnet sind, erin­nern sich viel­leicht, dass der Bericht das an der Klima­kon­fe­renz in Paris noch etwas vage formu­lierte Ziel von „deut­lich unter zwei Grad Klima­er­wär­mung gegen­über der vorin­du­stri­ellen Periode“ genauer eingrenzt. Das IPCC setzt nämlich eine Ober­grenze: Eine maximal 1.5 Grad höhere Durch­schnitts­tem­pe­ratur sei unbe­dingt einzu­halten. Aus dem Bericht geht auch hervor, dass, wenn wir so weiter­ma­chen wie bisher, diese Ober­grenze bereits 2040 erreicht sei. Das bedeutet, dass Mass­nahmen für den Klima­schutz am besten gestern statt heute getroffen werden. Denn dieses halbe Grad weniger macht einen mass­geb­li­chen Unter­schied für unser Ökosy­stem aus.

Die Wochen­zei­tung erklärt, dass bei 1.5 Grad Erwär­mung statt 99 Prozent aller Korallen „nur“ 70 bis 90 Prozent sterben würden, 18 statt 6 Prozent aller Insekten und 8 statt 16 Prozent aller Pflan­zen­arten vom Aussterben bedroht wären. Ausserdem ist anzu­nehmen, dass Folgen wie stär­kere Versal­zung der Böden, längere Dürre­pe­ri­oden und tropi­sche Wirbel­stürme weniger häufig bezie­hungs­weise weniger stark auftreten.

In einem „Echo der Zeit“-Beitrag spricht Phil­ippe Thal­mann, Umwelt­ökonom der ETH Lausanne, davon, dass der Meeres­spiegel sich bei zwei Grad Erwär­mung kritisch erhöhen würde, was dazu führt, dass „dutzende Millionen mehr Menschen“ ihre wich­tigste Lebens­grund­lage verlieren: den Boden, auf und von dem sie leben. Was bei Thal­manns Beitrag auch klar wird: Es geht nicht darum, ob es in Zukunft klima­be­dingte Migra­tion gibt, es geht um die Grös­sen­ord­nung: „Dutzende Millionen mehr oder weniger“ im Vergleich zu den 19 Millionen Flüch­tenden, 3 Millionen Asyl­su­chenden und fast 40 Millionen Binnenmigrant*innen 2017. Migra­tion wird uns also weiter beschäf­tigen, insbe­son­dere die regio­nalen und globalen Migra­ti­ons­be­we­gungen hervor­ge­rufen durch den Klimawandel.

Das Problem dabei ist, dass diese Migrant*innen bis jetzt kaum inter­na­tio­nalen Schutz geniessen. Denn es gibt bis heute keine konkrete, inter­na­tional aner­kannte Stra­tegie zur Siche­rung der Rechte von Menschen, die vor den Folgen des Klima­wan­dels fliehen. Die UNO-Flücht­lings­kon­ven­tion aner­kennt Verfol­gung aufgrund von Rasse, Reli­gion, Natio­na­lität, sozialer Gruppe oder poli­ti­scher Anschauung, Gefähr­dung des Rechts auf Leben oder Frei­heit und geschlechts­spe­zi­fi­scher Diskri­mi­nie­rung als Flucht­grund an. Warum nimmt man Klima­ver­än­de­rung nicht einfach in den Katalog auf?

    1. Weil man nicht vor der Klima­er­wär­mung, sondern vor deren Folgen flieht und diese nicht immer einfach zu bestimmen sind. Steigt der Meeres­spiegel und lässt Boden verschwinden, ist eine — minde­stens mittel­fri­stige — Migra­tion unum­gäng­lich. Werden bestehende Umwelt­pro­bleme wie Dürre­pe­ri­oden vom Klima­wandel verstärkt, ist die Situa­tion weitaus schwie­riger. Denn dadurch müssen Menschen nicht unmit­telbar fliehen, und je nach sozio­öko­no­mi­schen und geogra­fi­schen Bedin­gungen stehen völlig unter­schied­li­chen Alter­na­tiven für die Betrof­fenen offen. Während ein reiches Land die Folgen einer schlechten Ernte mit Importen abfe­dern kann, schwillt Armut in einem anderen mitunter bis zu einer schwer­wie­genden huma­ni­tären Krise an.
    2. Weil entschieden werden muss, ob anti­zi­pierte klima­ti­sche Verän­de­rungen bereits als Flucht­grund ausrei­chen oder ob genaue Richt­li­nien über die Befugnis zur Flucht fest­ge­legt werden müssen. Würden solche Richt­li­nien einge­führt, würden sie die unter Punkt drei genannte Proble­matik noch verstärken. Und die Möglich­keit, würde­voll zu fliehen, stünde vermehrt Besit­zenden offen.
    3. Weil Klima keine isolierte Variable ist, sondern andere Flucht­gründe wie Krieg oder Verfol­gung anfeuert. Das führt zu fehlender Trenn­schärfe bezüg­lich unter­schied­li­cher Flucht­gründe. Je nachdem, ob eine Praktik restrik­tiver wäre als die andere, könnte dies zu unge­recht­fer­tigten Rück­wei­sungen führen, wenn man den „falschen“ Asyl­grund angibt.
    4. Weil der Klima­wandel die Länder des globalen Südens am frühe­sten und stärk­sten trifft. Das Konzept des „Klima­flücht­lings“ läuft also Gefahr, sich über Armut zu defi­nieren. Denn zusätz­lich zur Tatsache, dass reiche Länder sich eher vor den Folgen des Klima­wan­dels schützen können, haben ihre Bewohner*innen auch eher die Möglich­keit, regulär zu migrieren. Wenn nun Bewohner*innen des globalen Südens ihre Lebens­grund­lage verlieren und auf das Wohl­wollen von Asyl­prak­tiken vom Westen ange­wiesen sind, verstärkt das das globale Machtgefälle.

All diese Einwände machen es schwierig, eine grif­fige Defi­ni­tion von Klima­flücht­lingen zu formu­lieren, die diese auch wirk­lich schützen. Es stellt sich also die Frage, ob klima­be­dingte Migra­tion wirk­lich als tradi­tio­neller Flucht­grund verstanden werden sollte, oder viel­mehr nach einer eigenen Rege­lung verlangt. Denn das Risiko der poli­ti­schen Instru­men­ta­li­sie­rung ist beträcht­lich. Nicht nur würden Staaten, die den Klima­wandel verleugnen, eine restrik­tive Ausle­gung fordern, sie könnten damit auch die Dring­lich­keit von Mass­nahmen gegen den Klima­wandel unterminieren.

Der Klima­wandel wird Menschen gewaltsam aus ihrem gewohnten Leben reissen, in das sie unter Umständen nie wieder zurück­kehren können. Doch dieses Szenario muss nicht zu einer weiteren „Flücht­lings­krise“ führen. Es braucht Migra­ti­ons­mög­lich­keiten, die Menschen auch vor der Vernich­tung ihrer Lebens­grund­lage offen­stehen. Migra­tion sollte nicht als uner­wünschte Folge von Klima­wandel konzi­piert werden; sie sollte viel­mehr als präven­tives Instru­ment verstanden werden, um dessen fatale Folgen einzudämmen.

Doch davon sind wir weit entfernt. An der Klima­kon­fe­renz in Cancún 2010 hat die Staa­ten­ge­mein­schaft klima­be­dingte Migra­tion zwar als Heraus­for­de­rung aner­kannt. Und an der Pariser Klima­kon­fe­renz wurde eine Task Force ins Leben gerufen, die konkrete Vorschläge zur „Kata­stro­phen­vor­sorge“ erar­beiten soll. Die soge­nannte Nansen-Initia­tive versucht, eine kohä­rente, inter­na­tio­nale Antwort auf den fehlenden Schutz der Klimamigrant*innen zu geben.

Die 2016 gegrün­dete Plat­form on Disaster Displa­ce­ment ist die Nach­fol­gerin der Nansen-Initia­tive, die unter anderem syste­ma­tisch Daten zu klima­be­dingter Migra­tion sammelt, was bis anhin nicht gemacht wurde. Nur wie bei allen Mass­nahmen, die mit dem Klima­schutz zu tun haben, gilt auch hier: Sie werden viel zu langsam vorangetrieben.

 


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