Polen: Mord­an­schlag auf den Liberalismus

Vor zwei Jahren wurde Pawel Adamo­wicz, Bürger­mei­ster von Gdansk (Danzig), brutal ermordet. Das Verfahren gegen den Täter steht bis heute aus, , wofür auch die PIS-Regie­rung verant­wort­lich ist. Eine Repor­tage über Hass und Gewalt unter der rechten PIS in Polen. 

Als sich der Todestag von Pawel Adamo­wicz zum zweiten Mal jährte, berich­teten Medien in ganz Polen noch einmal über das furcht­bare Attentat, ganz so, als sei es etwas gewesen, das uner­wartet und schick­sal­haft über das Land kam. Nur wenige Medien trauten sich zu schreiben, dass das Attentat auf den Bürger­mei­ster von Gdansk die Ausdün­stung eines giftigen Gemischs aus Natio­na­lismus und unge­hemmter Hetze war.

Stefan W. hatte am 13. Januar 2019 mit einem Messer auf Adamo­wicz einge­sto­chen, öffent­lich, auf der Bühne einer Wohl­tä­tig­keits­ver­an­stal­tung. Eine Tat, die damals nicht nur in Gdansk die Frage aufwarf, wie viel Hass und Spal­tung es in Polen gibt. Olga Tokar­czuk, die polni­sche Lite­ra­tur­no­bel­preis­trä­gerin des Jahres 2018, schrieb in Die Zeit: „Der Anschlag auf diesen Mann ist auch ein Anschlag auf die Vision von einem libe­ralen Polen.“

Der 27-jährige Täter hatte gerade eben seine Haft­strafe abge­sessen. Er war wegen eines Bank­über­falls zu fünf Jahren Haft verur­teilt worden. Den Mord an Adamo­wicz begrün­dete er mit dem Wunsch nach Rache an der libe­ralen Bürger­platt­form, der Adamo­wicz zu diesem Zeit­punkt gar nicht mehr ange­hörte. Für den Täter machte das keinen Unter­schied, sein Hass rich­tete sich gegen alle, die nicht aufseiten der polni­schen Regie­rungs­partei PIS (Partei für Recht und Gerech­tig­keit) standen.

Jener Stefan W. ist bis heute, trotz eindeu­tiger Beweis­lage, nicht verur­teilt. Gerade hat die Staats­an­walt­schaft ein drittes Gutachten über seine Zurech­nungs­fä­hig­keit einge­for­dert und das, so sagt Piotr Adamo­wicz, der Bruder von Pawel Adamo­wicz, habe poli­ti­sche Gründe. Die Regie­rung wolle ein Gerichts­ver­fahren gegen den Täter so lange wie möglich hinaus­zö­gern, auch deshalb, weil dabei heraus­kommen könnte, dass Stefan W. durch die hass­erfüllte und propa­gan­di­sti­sche Bericht­erstat­tung in den Staats­me­dien zu seiner Tat aufge­hetzt wurde.

Die regie­rungs­nahen Medien hatten in den Jahren zuvor Adamo­wicz auf alle erdenk­liche Art und Weise verleumdet und geschmäht. Er wurde als Homo­se­xu­eller, Verbre­cher und Verräter bezeichnet. Die rechts­extreme Allpol­ni­sche Jugend Młod­zież Wszech­polska stellte 2017 einen „Toten­schein“ für Adamo­wicz ins Netz, darauf stand, er sei gestorben an „Libe­ra­lismus, Multi­kul­tu­ra­lismus und Dummheit“.

„Gdansk ist die wunder­barste Stadt der Welt“

Es war ein kalter Janu­artag, als Adamo­wicz auf der seit vielen Jahren statt­fin­denden Wohl­tä­tig­keits­ver­an­stal­tung zur Weih­nachts­hilfe sprach, die im Fern­sehen über­tragen wurde. Am Ende seiner Rede sagte er: „Gdansk ist die wunder­barste Stadt der Welt.“ Es waren seine letzten Worte. Wenig später stürzte Stefan W. auf die Bühne und stach auf ihn ein.

Adamo­wicz, 53 Jahre alt, war nicht sofort tot. Die ganze Nacht über und noch am näch­sten Morgen beteten die Menschen in den Kirchen für sein Leben. Doch die Gebete halfen nicht. Gegen Mittag des 14. Januar kam die offi­zi­elle Nach­richt von seinem Tod.

Seine Frau Magda­lena, eine Juri­stin und gerade zu einer Vortrags­reise im Ausland unter­wegs, konnte keinen Abschied mehr nehmen. Obwohl man ihr eine Regie­rungs­ma­schine schickte, kam sie zu spät. In Gdansk versam­melten sich noch am selben Tag Zehn­tau­sende in der Fuss­gän­ger­zone und gedachten ihres Bürger­mei­sters. An der Verab­schie­dung in und vor der Mari­en­kirche nahmen 45’000 Menschen teil, darunter viele hoch­ran­gige Politiker:innen.

Zwei Jahre nach der Tat sitzt Piotr Adamo­wicz vor seinem Bild­schirm für ein Zoom-Gespräch mit der Autorin und fährt sich mit den Händen müde über das Gesicht. Er hat einen Tag mit Anwält:innen und Berater:innen hinter sich. Er will endlich Gerech­tig­keit. Nicht nur für sich, für die Ehefrau und die Kinder seines Bruders, auch für seine Eltern und für ganz Polen, dessen Ruf als Rechts­staat auf dem Spiel stehe.

Soli­da­rität

Der Bruder des Ermor­deten hat eine Peti­tion verfasst, mit der die Regie­rung gezwungen werden soll, den Prozess gegen Stefan W. zu eröffnen. Nicht, weil die Regie­rung irgend­etwas auf Peti­tionen geben würde, sagt Adamo­wicz. Viel mehr hofft er, mit der grossen Zahl an Unter­schriften das Ausland auf den Fall aufmerksam zu machen und so den Druck auf die Regie­rung zu erhöhen.

Am Anfang betei­ligten sich nur Freund:innen der Familie, dann kamen alte „Gefährt:innen“, wie Adamo­wicz sie nennt, hinzu. Lech Wałęsa, der Soli­dar­nosc-Führer und ehema­lige polni­sche Präsi­dent, ist dabei, auch Olga Tokar­czuk, Verfassungsrichter:innen, Anwält:innen, Bürgerrechtler:innen und Künstler:innen. Insge­samt 19’000 Menschen haben bislang unter­schrieben und es sollen noch mehr werden. Die Peti­tion sei vor allem ein Zeichen der Soli­da­rität, so Adamo­wicz, doch man werde sie in ein poli­ti­sches Instru­ment verwan­deln. „Dass so viele Menschen auf unserer Seite stehen, ist auch wichtig für uns als Familie.“

Adamo­wicz, eine Leitfigur

Mit Adamo­wicz starb einer der belieb­te­sten Poli­tiker Polens und der Hoff­nungs­träger der polni­schen Libe­ralen. Adamo­wicz war ein über­zeugter Euro­päer, ein Gegner des Natio­na­lismus und ein Streiter für Menschen­rechte. Auch wenn seine Amts­zeit nicht unbe­fleckt war – verschie­dent­lich war er in den Verdacht der Korrup­tion und Berei­che­rung gekommen – galt er den Widerständler:innen, den Rebell:innen, der Bohème und den Streiter:innen für ein aufge­klärtes, modernes und säku­lares Polen als Leitfigur.

Adamo­wicz selber sah sich jedoch nie als natio­naler Poli­tiker, sondern als Ober­haupt seiner Stadt. Zwar wählten ihn vornehm­lich die Intel­lek­tu­ellen und die Mittel- und Ober­schicht, sein Credo war dennoch stets: Ich bin der Bürger­mei­ster aller Danziger:innen.

Er gehörte dem Welt­par­la­ment der Bürgermeister:innen an, die alle­samt ihre jewei­lige Stadt zu Leucht­feuern des frei­heit­li­chen Denkens machen und dem Rechts­po­pu­lismus die Stirn bieten wollen. Und er bemühte sich um einen versöhn­li­cheren Blick auf das archi­tek­to­ni­sche und kultu­relle deut­sche Erbe Danzigs, ohne die histo­ri­schen und poli­ti­schen Verbre­chen zu igno­rieren. Diese Haltung brachte ihm weitere Kritiker:innen und den Zorn der Warschauer Regie­rung ein.

Schon als Student orga­ni­sierte Adamo­wicz Proteste, ein Wider­ständler blieb er. Streikten die Gdansker:innen gegen die Justiz­re­form, die Verschär­fung des Abtrei­bungs­rechts oder für die Frei­heit von Kunst und Wort, war Adamo­wicz dabei, baum­lang und immer vorneweg. Als die polni­sche Regie­rung es ablehnte, Geflüch­tete aufzu­nehmen, hat er laut gesagt, in seiner Stadt seien diese willkommen.

Für sein Eintreten für Recht und Frei­heit erhielt er eine päpst­liche Medaille und das silberne Verdienst­kreuz seines Landes. Wider­stand, sagte er wenige Monate vor seinem Tod in einem Gespräch mit der Autorin, sei den Bewohner:innen von Gdansk in die Wiege gelegt. „Die Biogra­phie der Stadt war wech­sel­haft, aber der libe­rale Geist war immer da. Und seit Soli­dar­nosc hat sich dieser so verfe­stigt, dass er nicht mehr klein­zu­kriegen ist.“

Dorn im Auge der PIS

Den Machthaber:innen in Warschau war Adamo­wicz stets ein Dorn im Auge und ihre Fern­seh­sender haben das trans­por­tiert. Stefan W. hatte im Gefängnis diese Hetz­pa­rolen konsu­miert, seinen persön­li­chen Hass mit dem poli­ti­schen verbunden und beides auf Pawel Adamo­wicz projiziert.

Die Staats­an­walt­schaft von Polen möchte im Täter offenbar einen Geistes­kranken sehen. Denn wäre W. ein Mann mit schweren psychi­schen Problemen, könnten sich die Regie­rung und die Medien jeder Mitschuld entle­digen, glaubt Piotr Adamowicz.

Im Rechts­sy­stem Polens, sagt er, seien Staats­an­wälte nicht mehr frei in ihren Entschei­dungen und Hand­lungen, sondern unter­stünden direkt der Regie­rung. Vermutet er poli­ti­sches Kalkül hinter den Verzö­ge­rungen? „Logisch.“

Nicht nur Gdansk, sondern auch die Part­ner­stadt Bremen hat eine Strasse nach Pawel Adamo­wicz benannt. Gdansk hat inzwi­schen eine Bürger­mei­sterin. Aleksandra Dulkie­wicz ist 42 Jahre alt, allein­er­zie­hende Mutter und setzt die Arbeit von Adamo­wicz fort. Auch sie bekommt Hassmails.

Zum 80. Jahrestag des Angriffs auf die Halb­insel Wester­platte durch die deut­schen Nationalsozialist:innen hatte Dulkie­wicz auch den deut­schen Schrift­steller Dieter Schenk und den Vize­prä­si­denten der Euro­päi­schen Kommis­sion Frans Timmermans einge­laden. Dafür bekam sie sexi­sti­sche und anti­se­mi­ti­sche Beschimp­fungen von Anhänger:innen der PIS und ehema­ligen Solidarnosc-Aktivist:innen.

Pawel Adamo­wicz’ Witwe Magda­lena hat eine Kampagne gegen Hass­reden im Netz und ausser­halb ins Leben gerufen. 2019 wurde sie ins Euro­pa­par­la­ment gewählt. Dort will sie ein euro­pa­weites Gesetz gegen hate speech durchsetzen.

Dass der Fall Adamo­wicz und die Verur­tei­lung des Täters nicht allein eine natio­nale Ange­le­gen­heit sei, sondern ganz Europa etwas angehe, findet auch Piotr Adamo­wicz. Er hat seine Peti­tion beim Euro­pa­par­la­ment einge­reicht, aller­dings noch keine Antwort erhalten. Sollte die polni­sche Justiz keine Anklage gegen Stefan W. erheben, will Adamo­wicz in Strass­burg beim Euro­päi­schen Gerichtshof für Menschen­recht klagen. „Jede dieser Hand­lungen fordert von uns als Familie einen emotio­nalen Tribut. Aber wir sehen es auch als unsere Pflicht, Gerech­tig­keit für den Mord an meinem Bruder zu erwirken.“


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