Poli­ti­scher Weichspüler

Themen wie soziale Gerech­tig­keit, Gleich­be­rech­ti­gung und Nach­hal­tig­keit sind en vogue und werden mitt­ler­weile auch von Konzernen verein­nahmt. Doch wer auf Wachstum und Profit­stei­ge­rung aus ist, kann niemals Teil des sozialen Wandels sein. 
Bunt angemalt und mit den nötigen Labels versehen, verkaufen profitorientierte Unternehmen allerhand Mist. (Illustration: Luca Mondgenast)

In den letzten Jahren sind poli­ti­sche Themen – wie die Bewäl­ti­gung der Klima­krise – immer weiter in den Fokus der Öffent­lich­keit gerückt. Auch die Frage nach unserem sozialen Zusam­men­leben oder der Kampf gegen
Diskri­mi­nie­rung und Ausbeu­tung hat an Aufmerk­sam­keit zuge­legt. Dass sich nun mehr Menschen sozial enga­gieren, ist erst mal eine gute Nach­richt.

Doch dabei bleibt es nicht: Auch für Konzerne wird es zuneh­mend attrak­tiver, sich vorgeb­lich um eine ökolo­gi­sche und soziale Verän­de­rung zu bemühen. Denn: Poli­tisch sein ist heute cool – und immer notwen­diger für ein funk­tio­nie­rendes Marke­ting. Ganz nach dem Prinzip: Der Markt muss reagieren, wenn die Nach­frage zunimmt. Und die Nach­frage nach ethisch korrektem Konsum steigt rasant.

Kauft bei uns, wir sind die Guten

Diese vermeint­li­chen Bemü­hungen um eine gesell­schaft­liche Verän­de­rung kommen in allen mögli­chen Formen daher. Von Kritiker*innen werden sie green-, queer- und diver­sity-washing genannt oder direkt als social-
und woke-washing zusam­men­ge­fasst.

Diese Über­be­griffe vereinen das ganze Bündel des vermeint­lich ethi­schen
Handelns: Neben Klima­schutz auch Arbeits- und Menschen­rechte, Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit, Mass­nahmen gegen Rassismus und Ablei­smus und so weiter. Firmen und Konzerne eignen sich also immer weiter das Narrativ der sozialen Retter*innen an, die Verant­wor­tung für die Gesell­schaft übernehmen. 

In den meisten Fällen geht es aber nicht um die konse­quente Umset­zung progres­siver Ideen, sondern um Profit. So werden poli­ti­sche Forde­rungen und Begriffe bis zur kompletten Entpo­li­ti­sie­rung weich­ge­spült. Wie kalku­liert, absurd aber wirkungs­voll diese Stra­te­gien sind, zeigen einige Beispiele von multi­na­tio­nalen Konzernen.

Als grösster Rohstoff­kon­zern und führender Profi­teur im Handel mit Braun­kohle genoss Glen­core bislang keinen beson­ders guten Ruf. Steu­er­ver­mei­dung in Milli­ar­den­höhe und gesund­heits­schä­di­gende Arbeits­be­din­gungen halfen auch nicht dabei, als progres­sives Unter­nehmen zu gelten. 

Doch neu setzt Glen­core ganz auf die Marke­ting­stra­tegie eines Öko-Unter­neh­mens: „Sie arbeiten auf eine nach­hal­ti­gere Zukunft hin.
Wir auch.“, prangt auf der Start­seite des Rohstoff­multis. Im näch­sten Slide: Ein glück­li­cher Schwarzer Arbeiter. Klickt man auf das Menü der Website, offen­bart sich einem die ganze Palette des neuen, sozialen und grünen Anstrichs des Gross­kon­zerns: Hinter dem Begriff „Nach­hal­tig­keit“ geht es weiter mit den
Themen „Gesund­heit“, „Umwelt“, „Klima­wandel“ und „Menschen­rechte“.

Für einen Moment könnte man glatt vergessen, dass es Glen­cores Kern­ge­schäft ist, uns wort­wört­lich die Erde unter den Füssen wegzubaggern.

Auch Swisscom, das grösste Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­un­ter­nehmen der Schweiz, möchte den Eindruck erwecken, im Kampf gegen die Klima­krise ganz vorne mit dabei zu sein. So wirbt die Firma damit, ab sofort klima­neu­tral zu sein. Dass diese Bemü­hungen vor allem auf der Kompen­sa­tion durch CO2-Zerti­fi­kate beruhen, dürfte den meisten Konsument*innen dabei entgehen. Durch Zerti­fi­kate werden keine Emis­sionen einge­spart. Sie sind ledig­lich ein Weg, sich die Klima-Abso­lu­tion zu erkaufen. 

Im Umkehr­schluss bedeutet das, dass andere Betriebe und Länder weniger
CO2 zur Verfü­gung haben, weil Firmen wie Swisscom sie bereits aufge­braucht und als „klima­neu­tral“ vermarktet haben.

Experte im green- und social-washing ist auch IKEA, der beliebte multi­na­tio­nale Einrich­tungs­kon­zern, dessen Erben seit Jahren die Rang­liste der reich­sten Schweizer*innen anführen. Das Billig­mö­bel­ge­schäft mit fami­liärem Charme, schwe­di­schem Akzent und gemüt­li­chen Zier­kissen hinter­lässt einen vertrau­ens­wür­digen Eindruck bei der Kundschaft. 

Die Tatsache, dass der grösste Holz­ver­brau­cher der Welt illegal Wälder rodet und fälsch­li­cher­weise mit FSC-Siegeln zerti­fi­ziert wurde oder bis vor Kurzem mit unde­mo­kra­ti­schen Staaten wie Belarus Geschäfte machte, scheint dem Firmen­image kaum geschadet zu haben. Eine Art Second-Hand-Store mit einer Hand­voll ausran­gierter Möbel, eine Anlei­tung zur Holz­pflege oder ein Desi­gner­buch über nach­hal­tige Ideen wischen schnell wieder weg, wofür IKEA eigent­lich steht: Grosse Produk­tion für grossen Profit.

Profit­ori­en­tierte Unter­nehmen sind nie Teil der Lösung

Die Liste der vermeint­lich sozialen und ökolo­gi­schen Unter­nehmen geht ins Unend­liche: Vom Schweizer Finanz­platz, der grösste CO2-Emit­tent der Schweiz, der sich einmal im Jahr gerne queer­freund­lich in Regen­bo­gen­farben hüllt bis hin zum euro­päi­schen Grenz­schutz­verein Frontex, der dasselbe tut aber nebenbei Menschen im Mittel­meer ertrinken lässt, über Mode­kon­zerne wie H&M, die ihre mit „Femi­nist Power“ bedruckten T‑Shirts zu menschen­feind­li­chen Kondi­tionen fabri­zieren lassen oder multi­na­tio­nale Lebens­mit­tel­her­steller wie Unilever, der sich an einer Vier-Tage-Woche probiert, da somit die Produk­ti­vität der Arbeiter*innen gestei­gert werden kann.

Tatsäch­lich stehen all jene grossen und kleinen Firmen auf der Liste, die profit­ori­en­tiert wirt­schaften. Doch die Logik, dass die Produk­tion weiterhin wachsen, dabei aber klima- und menschen­freund­lich sein wird, kann nicht aufgehen. Ein Rück­gang der Emis­sionen und der dazu­ge­hö­rige soziale Wandel basiert auf der Prämisse, dem kapi­ta­li­sti­schen Wachs­tums­zwang zu entkommen. 

Und dieje­nigen Akteur*innen, die unsere Lebens­grund­lage und Arbeits­kraft ausbeuten, können niemals Teil des gesell­schaft­li­chen Wandels sein, den wir so drin­gend brauchen.

Bis dahin sollten wir uns von den Verspre­chen profit­ori­en­tierter Unter­nehmen nicht täuschen lassen – auch wenn sie vermeint­lich freund­lich, bunt und progressiv daherkommen.

Dieser Text wurde zuerst in der P.S.-Zeitung publiziert.


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