Von Impf­my­then und Verschwörungslügen

Verschwö­rungs­theo­rien scheinen stän­dige Beglei­te­rinnen in dieser Pandemie zu sein. Auch um die lebens­ret­tenden Covid-Impf­stoffe ranken sich zahl­reiche Mythen. Ein Faktencheck. 
Mythen über das Impfen sind in dieser Pandemie ständige Begleiter. Die meisten lassen sich leicht widerlegen. (Bild: Diana Polekhina / Unsplash)

Die Welt ist im Ausnahmezustand.

Für fast alle von uns ist es die erste Pandemie, die wir erleben. Die Mensch­heit wurde jedoch immer wieder von Epide­mien und Pande­mien heim­ge­sucht. Die letzte grosse Pandemie wütete nach dem Ersten Welt­krieg: die Spani­sche Grippe. Damals starben allein in Europa zwei Millionen und welt­weit bis zu 50 Millionen Menschen an diesem Virus, das damals als „eine Art Grippe, aber ganz unge­wöhn­lich ansteckend“ beschrieben wurde.

100 Jahre später stecken wir erneut in einer Virus-Pandemie. Die Situa­tion ist vor allem für uns, die wir an ein hoch­ent­wickeltes Gesund­heits­sy­stem gewöhnt sind, surreal. Dieser Schock und diese Hilf­lo­sig­keit bereiten einen frucht­baren Boden für allerlei Verschwörungstheorien.

Geschicht­lich betrachtet hatten Verschwö­rungs­theo­rien in solch tief­grei­fenden Krisen immer Hoch­kon­junktur. Das liegt unter anderem daran, dass sich viele Menschen ihrem Schicksal ausge­lie­fert fühlen und einen gewissen Halt in diesen Theo­rien finden, die einfache Erklä­rungen zu bieten scheinen. Heut­zu­tage kommt ein zusätz­li­cher Verstärker solcher Mythen hinzu: das Internet. Mit Hilfe der digi­talen Kommu­ni­ka­tion ist es um einiges einfa­cher geworden, Menschen mit ähnli­chen Ansichten zu finden und irre­füh­rende Theo­rien zu verbreiten.

Aus diesem Grund wollen wir uns die vier häufig­sten Impf­my­then und deren Wider­le­gung genauer ansehen.

Mythos Nr. 1: „Die Entwick­lung und Zulas­sung der Impf­stoffe ist zu schnell gegangen. Da kann etwas nicht stimmen.“

Diese Angst ist nach­voll­ziehbar. Es gibt jedoch sehr einleuch­tende Gründe, warum dieser Prozess, der oft jahre­lang dauert, dieses Mal so schnell war:

  • Rolling Review: Klini­sche Prüfungen bestehen aus drei Phasen. Norma­ler­weise werden die gewon­nenen Daten erst nach dem Ende der dritten Phase an die Zulas­sungs­be­hörden zur Über­prü­fung über­mit­telt. Beim Rolling Review können die Hersteller:innen ihre Daten schon ab Phase 1 laufend einrei­chen. Die Über­prü­fung und die Studien konnten somit paral­le­li­siert werden.
  • Bestehendes Wissen: Vieles konnte man sich von der Impf­stoff­ent­wick­lung für SARS und MERS abschauen. Die Forscher:innen wusste zum Beispiel schon, dass das Spike-Protein (die kleinen Stacheln) des Virus sich gut als Antigen (Substanz im Impf­stoff) eignet.
  • Koope­ra­tion: Die Impf­stoff­ent­wick­lung wurde zur globalen Prio­rität Nummer 1 erklärt. Welt­weit machten sich unzäh­lige Forschungs­gruppen an die Arbeit und pflegten einen regen Austausch. Zurzeit sind 69 Impf­stoffe in der Test­phase (Stand Februar 2021).
  • Money, Money: Der wich­tigste Faktor von allen ist natür­lich das Geld. Mit nie dage­we­senen, vor allem staat­li­chen Inve­sti­tionen konnten finan­zi­elle Risiken einge­gangen werden, die die Entwick­lung rasant beschleu­nigten. BioNTech/Pfizer wurde zum Beispiel mit 375 Millionen Euro von der deut­schen Bundes­re­gie­rung gefördert.

Mythos Nr. 2: „Es wurde zu kurz gete­stet, um Lang­zeit­folgen abschätzen zu können.“

Der Begriff „Lang­zeit­folgen“ ist sehr irre­füh­rend, da er sugge­riert, dass solche erst nach langer Zeit auftreten. Tatsäch­lich ist es aber so, dass Lang­zeit­folgen in aller Regel inner­halb der ersten sechs Wochen auftreten. Deshalb muss die klini­sche Phase 3 auch minde­stens zwei Monate lang sein.

Oft werden von Impfgegner:innen die unent­deckten Neben­wir­kungen von Pandemrix als Beispiel für eine über­eilte Zulas­sung ange­führt. Pandemrix war ein Impf­stoff gegen die Schwei­negrippe, die 2009/2010 kursierte. Eine:r von 16’000 geimpften Personen erkrankte an Narko­lepsie, der Schlaf­krank­heit. Diese Neben­wir­kung war in der Test­phase nicht aufge­fallen. Das Problem war hier jedoch keine zu kurze Test­dauer, sondern die unzu­rei­chende Anzahl der Proband:innen: Der Impf­stoff wurde nur an weniger als 2’000 Personen getestet.

Natür­lich konnten diese seltenen Neben­wir­kungen bei so wenigen Test­per­sonen nicht aufge­spürt werden. Bei den Covid-Impf­stoffen wurden jedoch um ein Viel­fa­ches mehr Test­per­sonen als bei anderen klini­schen Studien einge­schlossen (Astra­Ze­neca: 24’000 Personen, Moderna: 30’000 Personen, BioNTech/Pfizer: 44’000 Personen). Die Impf­stoffe sind also minde­stens genauso sicher wie andere zuge­las­sene Arzneimittel.

Mythos Nr. 3: „Die Covid-Impfung macht unfruchtbar.“

Dieses Gerücht ist nicht neu. Der Mythos der Unfrucht­bar­keit als Neben­wir­kung von Impfungen wird immer wieder von Gegner:innen gestreut. So auch bei der Polio-Impfung 2004 in Nigeria sowie bei der Tetanus-Impfung 2014 in Kenia.

Neu ist jedoch die pseudo-wissen­schaft­liche Argu­men­ta­tion. Impfgegner:innen behaupten, dass das Protein Syncytin‑1, das für den Aufbau der Plazenta wichtig ist, grosse Ähnlich­keiten mit dem Spike-Protein des Virus habe. Aufgrund dieser Ähnlich­keiten würden die durch die Impfung aufge­bauten Anti­körper nun nicht nur das Virus angreifen, sondern auch Syncytin‑1. Dem Mythos zufolge mache dieser Vorgang Menschen mit Gebär­mutter unfruchtbar.

Doch das ist völliger Blöd­sinn. Empi­ri­scher Gegen­be­weis: Falls es wirk­lich zu dieser Verwechs­lung („Kreuz­re­ak­tion“ genannt) kommen würde, müssten alle Menschen mit Gebär­mutter, die eine Covid-Krank­heit hinter sich haben, unfruchtbar sein, da sie dieselben Anti­körper wie geimpfte Personen besitzen. Doch eine solche Wirkung ist nicht eingetreten.

Für den mole­ku­lar­bio­lo­gi­schen Gegen­be­weis können wir uns die Struktur der beiden Proteine genauer ansehen: Proteine bestehen aus vielen anein­an­der­ge­ket­teten Amino­säuren. Diese Bausteine kann man sehr gut mitein­ander verglei­chen. Es stellt sich dabei heraus, dass die Über­lap­pungen von Syncytin‑1 und dem Spike-Protein nur spora­disch und rein zufällig vorkommen.

Es ist sogar so, dass manche Schnup­fen­viren mehr Über­lap­pungen mit Syncytin‑1 haben als das Spike-Protein. Nach der Logik der Impfgegner:innen müssten wir also nach jedem Schnupfen Angst haben, unfruchtbar zu werden. Das ist glück­li­cher­weise nicht der Fall.

Mythos Nr. 4: „Impfen löst Autismus aus.“

Dieser Mythos, der durch eine einzige gefälschte Studie entstanden ist, hält sich seit über 20 Jahren hart­näckig. 1998 sieht Andrew Wake­field in seiner Studie einen Zusam­men­hang zwischen der MMR-Impfung (Masern-Mumps-Röteln) und Autismus. Die Studie wurde im renom­mierten Magazin The Lancet veröf­fent­licht, aber später wieder zurück­ge­zogen und vom Heraus­geber des Maga­zins als „unwis­sen­schaft­lich und uneh­ren­haft“ bezeichnet.

Die Studie, die seit Jahr­zehnten als Beweis für den Autismus-Mythos gilt, wurde an ledig­lich zwölf Kindern durch­ge­führt. Noch dazu kam später heraus, dass die Beschwerden bei den meisten Kindern bereits vor der Impfung aufge­treten waren. Wake­field hatte die Daten gefälscht. Es gab ausserdem grosse Inter­es­sens­kon­flikte, da Wake­field selbst ein Patent auf einen alter­na­tiven Impf­stoff gegen MMR besass und deshalb grosses Inter­esse an der Diskre­di­tie­rung des aktu­ellen Impf­stoffes hatte.

Trotz all dieser Unge­reimt­heiten wurden seit 1998 unzäh­lige Studien zu diesem Thema durch­ge­führt. Und alle kamen zum selben Ergebnis: Es gibt keinen Zusam­men­hang zwischen Impfen und Autismus. Die aktu­ellste und grösste ist eine däni­sche Studie mit 60’000 Kindern aus dem Jahr 2019.

Wake­field wurde mitt­ler­weile die Arzt-Lizenz entzogen. Was ihn aber nicht davon abhält, als Impf­gegner-Idol zum Beispiel in seinem Film Vaxxed Impf-Lügen zu verbreiten. Und auch im deutsch­spra­chigen Raum erlebt die MMR-Impf-Skepsis ein Revival, was zu einem trau­rigen Come­back von Masern und Masern-Toten geführt hat.

Was jedoch kein Mythos ist: Impfungen sind die grösste medi­zi­ni­sche Erfolgs­story der Geschichte und verhin­dern jedes Jahr Millionen von Todes­op­fern. Und auch jetzt ist die Impfung das wich­tigste Werk­zeug, um die Pandemie zu beenden. Damit das so schnell wie möglich passiert, müssen endlich die Patente der Impf­stoffe frei zugäng­lich sein. Erst dann kann der so drin­gend benö­tigte Impf­stoff überall auf der Welt produ­ziert werden. Erst dann können wir sicher­stellen, dass Länder im Globalen Süden nicht erst 2023 Zugang zum lebens­ret­tenden Impf­stoff haben.

Die Impf­stoffe konnten nur durch immense staat­liche Inve­sti­tionen entwickelt werden. Sie gehören der ganzen Mensch­heit. Lasst uns deshalb Menschen­leben über Profit­in­ter­essen stellen und den Impf­stoff so schnell wie möglich und kostenlos für alle Menschen überall auf der Welt zur Verfü­gung stellen.


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