Zwar gehe ich an die Klimastreiks, aber viel mehr liegt bei mir nicht drin. Dabei sind die paar Stunden Demomarsch wohl noch der kleinste Teil der Arbeit, die bei den Klimastreikenden und anderen Aktivist*innen anfällt. Da werden ja auch Magazine geschrieben und gelayoutet, Demos angemeldet, Medienkonferenzen einberufen und politische Forderungen, ja ganze Aktionspläne erstellt, die aufzeigen sollen, wie wir die Pariser Klimaziele erreichen können. Und das alles in der Freizeit. Niemand in der Klimastreikbewegung kriegt für das, was gemacht wird, einen Lohn.
Wie stressig ist das wirklich? Leiden darunter nicht Portemonnaie, die Karriere, die Noten im Studium oder im Maturazeugnis? Und wie wirkt sich das auf zwischenmenschliche Beziehungen aus? Das wollte ich herausfinden. Und zwar am eigenen Leib.
Mein Plan war folgender: Ich schliesse mich für zwei Wochen der Aktionsküche „KochKollektiv“ an, die an der Klimakonferenz in Madrid für die Aktivist*innen kocht, helfe dort ein wenig beim Schnibbeln mit und treffe mich nebenbei mit verschiedenen Aktivist*innen, um mit ihnen über ihr Leben, ihre Arbeit und ihr Engagement zu reden.
Der Plan schien mir super. Einerseits würde er mir erlauben, die Aktivist*innen vor Ort in Aktion anzutreffen, anderseits würde ich so auch gerade selber erleben, was es heisst, mit dabei zu sein. Geklappt hat mein Plan aber leider hinten und vorne nicht.
Zwei Wochen harte Arbeit…
Denn in der Küche gab es richtig viel zu tun. Wer übernimmt die Verantwortung dafür, dass alles Gemüse gewaschen und geschnitten wird? Wer steht am Kochtopf? Wer baut das Buffet auf und sorgt dafür, dass die Essensausgabe läuft? Wir kochten bis zu 2000 Mahlzeiten pro Tag. Nicht nur für die Leute, die vor unserem Küchenzelt Schlange standen, sondern auch für verschiedene Protestgruppen. Wir lieferten täglich Essen zur Unterkunft von Extinction Rebellion, versorgten die Delegation der Indigenous und kümmerten uns gar um das Backstage-Catering für die Künstler*innen, die nach dem grossen Protestmarsch vor den hunderttausenden Demonstrant*innen spielten.
Doch wer glaubt, unser Tageswerk sei nach der Essensverteilung erledigt gewesen, der täuscht sich. Nach dem Essen ist vor dem Abwaschen. Und Töpfe abzuwaschen, mit denen man tausend Menschen satt kriegt, ist Knochenarbeit. Mein Rücken knackte jeden Morgen, als ich mich von meiner Isomatte wieder in die senkrechte Position brachte.
Für die Interviews, die ich eigentlich geplant hatte, blieb schlicht keine Zeit: weder mir noch den Aktivist*innen, die ich im Vorfeld kontaktiert hatte. Einer davon wäre Benjamin gewesen. Er fuhr mit dem Fahrrad von Saarbrücken zur Klimakonferenz. Um die 1600 Kilometer zurückzulegen, brauchten er und sein Kumpel länger als drei Wochen. Damit wollte Benjamin der Menschheit zeigen, dass man es auch ohne Motor nach Madrid schaffen kann. Angekommen ist er aber leider erst, als ich wieder auf dem Weg zurück nach Zürich war. Zwanzig Platten, das windige Wetter und ein familiärer Zwischenfall liessen seine Reise länger ausfallen als geplant. Im Interview wollte ich ihn unter anderem fragen, wie er es geschafft hat, so spontan mehrere Wochen frei zu nehmen. Denn die Klimakonferenz wurde ja erst knapp ein Monat, bevor sie startete, von Chile nach Madrid verlegt.
Ein weiteres Interview hatte ich mit der 15-jährigen Paula aus Horgen geplant. Sie ist direkt aus der norddeutschen Lausitz angereist. Dort hatte sie sich im Rahmen der Massenproteste von Ende Gelände für die Abschaltung der deutschen Kohlekraftwerke eingesetzt, weshalb sie erst in der zweiten Konferenzwoche in Madrid ankam. Neben den Protestaktionen, die sie auch in Madrid fortsetzte, fand sie nur ein Mal Zeit, um bei mir in der Küche vorbeizuschauen. Leider haben wir uns da verpasst. Aber wahrscheinlich steckte ich sowieso gerade bis über beide Ohren in Randen, Lauch und Kürbis, die geschnitten werden mussten.
Auch Jann von der Schweizer Klimabewegung schaffte es erst in der zweiten Woche nach Madrid, weil er in Bern noch mit Vorbereitungen für die nächsten Klimastreikaktionen beschäftigt war. Trotzdem stand er am zweitletzten Tag bei mir in der Küche und wir hatten Zeit für einen gemeinsamen Kaffee. Leider war mein Hirn da schon so übernächtigt, dass man das Ganze nicht mehr wirklich als Interview bezeichnen konnte. Unser Küchenteam stand jeden Tag von morgens um acht bis abends um zwölf Uhr in der Küche. Draussen. Zum Teil bei waagrechtem Regenfall. Spass hatten wir trotzdem.
Mein letzter Interviewpartner wäre Sacha gewesen. Er koordiniert das KochKollektiv und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Demonstrationen, Klimacamps und weitere aktivistische Events mit veganem Essen zu versorgen. Denn mit einem leeren Bauch lässt sich schlecht protestieren. Doch obwohl wir jeden Tag zusammen in der Küche standen, fanden wir keinen ruhigen Moment für ein ausführliches Gespräch. Zwischen kiloweise Zwiebeln, Essenslieferungen für verschiedene Protestgruppen und Küchenplenen war einfach keine Zeit dafür.
Trotz Kälte, Rückenschmerzen und Schlafmangel würde ich sofort wieder mit Sacha und dem KochKollektiv mitfahren, denn wir waren ein super Team. Aber neben diesem Küchenjob auch noch vertieft für eine Reportage zu recherchieren, ist unmöglich. „Wir haben es alle ein bisschen unterschätzt, glaube ich“, schreibt mir Paula, als ich ihr entschuldigend aus dem Van zurück Richtung Zürich erkläre, dass wir unser Gespräch wohl in die Schweiz verschieben müssen. Es hat schlichtweg nicht mehr reingepasst.
…aber kein Lohn
Ich kam in Madrid also an meine Grenzen. Anders meine Mitköch*innen: „Das hier ist für uns gerade Erholung. Da kann man wenigstens mal den Kopf abschalten“, meinte Annik. Sie ist zusammen mit vier Freund*innen aus der Klimastreikbewegung zum Kochen nach Madrid gereist, um ein wenig runterzufahren. „Sonst schreiben wir Medienmitteilungen, müssen Treffen organisieren und uns mit viel Admin- und Orgakram herumschlagen. Hier sieht man wenigstens direkt, was man gemacht hat“, erklärte sie mir. Die 18-jährigen Aktivist*innen waren froh, dass sie für einmal einfach anpacken können, ohne viel planen zu müssen.
Und wie sieht das bei Sacha aus? Seine Teenagerjahre liegen schon ein wenig länger zurück und mit der mobilen Aktionsküche ist er bereits seit 2011 engagiert im Aktivismus mit dabei. „Nach einem solchen Anlass brauche ich schon ein paar Tage, um wieder runterzufahren“, meinte er. Sein Einsatz war sogar noch um einiges länger als meiner. Sacha fuhr schon zwei Wochen vor der Klimakonferenz nach Madrid, um mit dem lokalen Kochteam und den Infrastrukturgruppen die Zusammenarbeit aufzugleisen. Der Anlass war für ihn also ein voller Monat Arbeit. Nur, dass er dabei keinen Rappen verdient hat.
Wie er das mache, wollte ich von ihm wissen. „Kosten reduzieren“, antwortete er mir. „Je weniger Geld man ausgibt, desto weniger ist man darauf angewiesen, dass man einen Lohn kriegt.“ Und Sacha ist gut im Reduzieren. Er wohnt in einem Wohnwagen, kauft sich eigentlich nichts Neues und überlegt sich sogar, ob er seinen Wohnsitz nach Spanien verlegen soll, weil dort die Krankenkasse billiger ist. Zudem hat man, wenn man sich als Aktionskoch engagiert, auch immer genug zu Essen um sich herum.
Dieselbe Strategie verfolgt auch Jann. Er arbeitet seit etwa einem Jahr Vollzeit für den Klimastreik. Aber eben: ohne Lohn. Etwa einmal pro Monat geht er als Filmer oder Fotograf für einen Tag gegen Geld arbeiten. Seine Freundin und er unterstützen sich gegenseitig. Mal verdient sie mehr, mal er. Viel Geld haben die zwei jedoch nicht zur Verfügung. „Meine Freundin und ich geben zusammen etwa 1500 Franken pro Monat aus“, meinte Jann.
Sich voll für das Klima einzusetzen, sei für ihn jedoch die einzig logische Konsequenz, wenn man sich die Fakten zur Klimakrise genau anschaue. Dass es dafür kein Geld gibt, ist für ihn zweitrangig. Ob ihn das nicht nerve, will ich von ihm wissen. Ob er nicht froh wäre, wenn er das nicht machen müsste. „Jein“, sagte Jann. Er sei auch froh, dass er Teil dieses gesellschaftlichen Wandels sein dürfe. Aber es sei schon nicht immer einfach: „Leider reproduzieren wir auch im Aktivismus täglich unsere Leistungsgesellschaft. Häufig arbeiten wir mehr als zehn Stunden pro Tag, ohne Wochenende. Darunter leiden viele alte Freundschaften. Im Endeffekt ist das natürlich absurd, weil wir zur Überwindung der Klimakrise primär die Zwischenmenschlichkeit stärken müssten. Fühlst du dich geborgen, brauchst du weniger unnötigen Konsum und definierst dich weniger über die eigenen Leistungen.“
Wer sich unbezahlt engagiert, muss in der Freizeit arbeiten gehen
Zwei Wochen habe ich mitgemacht. Und auch wenn es eine super Zeit war, kann ich mich mit dem Gedanken, dass dies eine Erholungsphase hätte sein sollen, nicht richtig anfreunden. Denn die zwei Wochen waren hart. So hart, wie Küchenarbeit eben ist. Einfach, dass man für die Mitarbeit in der Protestküche keinen Lohn kriegt.
Für zwei Wochen ist das ja auch kein Problem. Aber wenn man sich in einem solch hohen Ausmass ehrenamtlich engagiert, wie es zum Beispiel Sacha oder Jann machen, bleibt einem eigentlich nur die Freizeit, um Geld zu verdienen. Denn irgendwie muss man Miete, Krankenkasse und Handyabo ja trotzdem bezahlen. Dass dabei nur noch wenig Zeit für Erholung und Freundschaften bleibt, liegt auf der Hand.
Wie die Leute, die ich an der Klimakonferenz getroffen habe oder zumindest treffen wollte, damit klarkommen; was das für sie finanziell, emotional, psychisch und zwischenmenschlich bedeutet: Das werdet ihr noch zu lesen kriegen. Denn die Interviews, die ich mit ihnen führen wollte, werde ich natürlich nachholen. Porträts und Analyse folgen, sobald ich mich von meiner Gratisarbeit erholt habe. Aber jetzt brauche ich erst mal eine Pause.
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