Wie hart ist das Aktivist*innen-Leben? Ein Selbstversuch

Demos orga­ni­sieren, Medi­en­mit­tei­lungen schreiben, poli­ti­sche Programme verfassen: Was die Klima­strei­kenden und andere Bewe­gungen stemmen, ist enorm. Und das alles in ihrer Frei­zeit. Wie wirkt sich dieses Enga­ge­ment auf die Aktivist*innen aus? Ein Selbst­ver­such soll es zeigen. 
Next Plenum: um Mitternacht
Next Plenum: um Mitternacht. (Foto: André Rießler)

Zwar gehe ich an die Klima­streiks, aber viel mehr liegt bei mir nicht drin. Dabei sind die paar Stunden Demom­arsch wohl noch der kleinste Teil der Arbeit, die bei den Klima­strei­kenden und anderen Aktivist*innen anfällt. Da werden ja auch Maga­zine geschrieben und gelay­outet, Demos ange­meldet, Medi­en­kon­fe­renzen einbe­rufen und poli­ti­sche Forde­rungen, ja ganze Akti­ons­pläne erstellt, die aufzeigen sollen, wie wir die Pariser Klima­ziele errei­chen können. Und das alles in der Frei­zeit. Niemand in der Klima­streik­be­we­gung kriegt für das, was gemacht wird, einen Lohn.

Wie stressig ist das wirk­lich? Leiden darunter nicht Porte­mon­naie, die Karriere, die Noten im Studium oder im Matu­ra­zeugnis? Und wie wirkt sich das auf zwischen­mensch­liche Bezie­hungen aus? Das wollte ich heraus­finden. Und zwar am eigenen Leib.

Mein Plan war folgender: Ich schliesse mich für zwei Wochen der Akti­ons­küche „Koch­Kol­lektiv“ an, die an der Klima­kon­fe­renz in Madrid für die Aktivist*innen kocht, helfe dort ein wenig beim Schnib­beln mit und treffe mich nebenbei mit verschie­denen Aktivist*innen, um mit ihnen über ihr Leben, ihre Arbeit und ihr Enga­ge­ment zu reden.

Das KochKollektiv in Madrid: Unsere Kochtruppe setzte sich aus Schweizer*innen, Deutschen, Spanier*innen und einem Liechtensteiner zusammen. (by André Rießler)
Das Koch­Kol­lektiv in Madrid: Unsere Koch­truppe setzte sich aus Schweizer*innen, Deut­schen, Spanier*innen und einem Liech­ten­steiner zusammen. (Foto: André Rießler)

Der Plan schien mir super. Einer­seits würde er mir erlauben, die Aktivist*innen vor Ort in Aktion anzu­treffen, ander­seits würde ich so auch gerade selber erleben, was es heisst, mit dabei zu sein. Geklappt hat mein Plan aber leider hinten und vorne nicht.

Zwei Wochen harte Arbeit…

Denn in der Küche gab es richtig viel zu tun. Wer über­nimmt die Verant­wor­tung dafür, dass alles Gemüse gewa­schen und geschnitten wird? Wer steht am Koch­topf? Wer baut das Buffet auf und sorgt dafür, dass die Essens­aus­gabe läuft? Wir kochten bis zu 2000 Mahl­zeiten pro Tag. Nicht nur für die Leute, die vor unserem Küchen­zelt Schlange standen, sondern auch für verschie­dene Protest­gruppen. Wir lieferten täglich Essen zur Unter­kunft von Extinc­tion Rebel­lion, versorgten die Dele­ga­tion der Indi­ge­nous und kümmerten uns gar um das Back­stage-Cate­ring für die Künstler*innen, die nach dem grossen Protest­marsch vor den hundert­tau­senden Demonstrant*innen spielten.

Kurz vor der Essensausgabe bildete sich jeweils eine Menschenmenge vor unseren Küchenzelten. An manchen Tagen kochten wir für mehrere tausend Personen.
Kurz vor der Essens­aus­gabe bildete sich jeweils eine Menschen­menge vor unseren Küchen­zelten. An manchen Tagen kochten wir für mehrere tausend Personen. (Foto: André Rießler)

Doch wer glaubt, unser Tages­werk sei nach der Essens­ver­tei­lung erle­digt gewesen, der täuscht sich. Nach dem Essen ist vor dem Abwa­schen. Und Töpfe abzu­wa­schen, mit denen man tausend Menschen satt kriegt, ist Knochen­ar­beit. Mein Rücken knackte jeden Morgen, als ich mich von meiner Isomatte wieder in die senk­rechte Posi­tion brachte.

Mit diesem Topf kann man für 1000 Menschen kochen. Um ihn danach abzuwaschen, braucht es mindestens zwei. (by André Rießler)
Mit diesem Topf kann man für 1000 Menschen kochen. Um ihn danach abzu­wa­schen, braucht es minde­stens zwei. (Foto: André Rießler)

Für die Inter­views, die ich eigent­lich geplant hatte, blieb schlicht keine Zeit: weder mir noch den Aktivist*innen, die ich im Vorfeld kontak­tiert hatte. Einer davon wäre Benjamin gewesen. Er fuhr mit dem Fahrrad von Saar­brücken zur Klima­kon­fe­renz. Um die 1600 Kilo­meter zurück­zu­legen, brauchten er und sein Kumpel länger als drei Wochen. Damit wollte Benjamin der Mensch­heit zeigen, dass man es auch ohne Motor nach Madrid schaffen kann. Ange­kommen ist er aber leider erst, als ich wieder auf dem Weg zurück nach Zürich war. Zwanzig Platten, das windige Wetter und ein fami­liärer Zwischen­fall liessen seine Reise länger ausfallen als geplant. Im Inter­view wollte ich ihn unter anderem fragen, wie er es geschafft hat, so spontan mehrere Wochen frei zu nehmen. Denn die Klima­kon­fe­renz wurde ja erst knapp ein Monat, bevor sie star­tete, von Chile nach Madrid verlegt.

Ein weiteres Inter­view hatte ich mit der 15-jährigen Paula aus Horgen geplant. Sie ist direkt aus der nord­deut­schen Lausitz ange­reist. Dort hatte sie sich im Rahmen der Massen­pro­teste von Ende Gelände für die Abschal­tung der deut­schen Kohle­kraft­werke einge­setzt, weshalb sie erst in der zweiten Konfe­renz­woche in Madrid ankam. Neben den Protest­ak­tionen, die sie auch in Madrid fort­setzte, fand sie nur ein Mal Zeit, um bei mir in der Küche vorbei­zu­schauen. Leider haben wir uns da verpasst. Aber wahr­schein­lich steckte ich sowieso gerade bis über beide Ohren in Randen, Lauch und Kürbis, die geschnitten werden mussten.

Geschnibbelt wurde manchmal bis spät in die Nacht. (by André Rießler)
Geschnib­belt wurde manchmal bis spät in die Nacht. (Foto: André Rießler)

Auch Jann von der Schweizer Klima­be­we­gung schaffte es erst in der zweiten Woche nach Madrid, weil er in Bern noch mit Vorbe­rei­tungen für die näch­sten Klima­streik­ak­tionen beschäf­tigt war. Trotzdem stand er am zweit­letzten Tag bei mir in der Küche und wir hatten Zeit für einen gemein­samen Kaffee. Leider war mein Hirn da schon so über­näch­tigt, dass man das Ganze nicht mehr wirk­lich als Inter­view bezeichnen konnte. Unser Küchen­team stand jeden Tag von morgens um acht bis abends um zwölf Uhr in der Küche. Draussen. Zum Teil bei waag­rechtem Regen­fall. Spass hatten wir trotzdem.

Auch wenn es Knochenarbeit war. Der Humor ging nie verloren. (by André Rießler)
Auch wenn es Knochen­ar­beit war: Spass hatten wir trotzdem. (Foto: André Rießler)

Mein letzter Inter­view­partner wäre Sacha gewesen. Er koor­di­niert das Koch­Kol­lektiv und hat es sich zur Aufgabe gemacht, Demon­stra­tionen, Klima­camps und weitere akti­vi­sti­sche Events mit veganem Essen zu versorgen. Denn mit einem leeren Bauch lässt sich schlecht prote­stieren. Doch obwohl wir jeden Tag zusammen in der Küche standen, fanden wir keinen ruhigen Moment für ein ausführ­li­ches Gespräch. Zwischen kilo­weise Zwie­beln, Essens­lie­fe­rungen für verschie­dene Protest­gruppen und Küchen­plenen war einfach keine Zeit dafür.

Ein seltener Moment: Küchenplenum in der Sonne. (by André Rießler)
Ein seltener Moment: Küchen­plenum in der Sonne. (Foto: André Rießler)

Trotz Kälte, Rücken­schmerzen und Schlaf­mangel würde ich sofort wieder mit Sacha und dem Koch­Kol­lektiv mitfahren, denn wir waren ein super Team. Aber neben diesem Küchenjob auch noch vertieft für eine Repor­tage zu recher­chieren, ist unmög­lich. „Wir haben es alle ein biss­chen unter­schätzt, glaube ich“, schreibt mir Paula, als ich ihr entschul­di­gend aus dem Van zurück Rich­tung Zürich erkläre, dass wir unser Gespräch wohl in die Schweiz verschieben müssen. Es hat schlichtweg nicht mehr reingepasst.

…aber kein Lohn

Ich kam in Madrid also an meine Grenzen. Anders meine Mitköch*innen: „Das hier ist für uns gerade Erho­lung. Da kann man wenig­stens mal den Kopf abschalten“, meinte Annik. Sie ist zusammen mit vier Freund*innen aus der Klima­streik­be­we­gung zum Kochen nach Madrid gereist, um ein wenig runter­zu­fahren. „Sonst schreiben wir Medi­en­mit­tei­lungen, müssen Treffen orga­ni­sieren und uns mit viel Admin- und Orgakram herum­schlagen. Hier sieht man wenig­stens direkt, was man gemacht hat“, erklärte sie mir. Die 18-jährigen Aktivist*innen waren froh, dass sie für einmal einfach anpacken können, ohne viel planen zu müssen.

 Trotz harter Arbeit bleiben Annik, Cita, Mattia, Tiziano und Fiona, die fünf Klimaaktivist*innen in unserem Kochteam durchgehend gut gelaunt. (by André Rießler)

Trotz harter Arbeit blieben Annik, Cita, Mattia, Tiziano und Fiona, die fünf Klimaaktivist*innen in unserem Koch­team, gut gelaunt. (Foto: André Rießler)

Und wie sieht das bei Sacha aus? Seine Teen­ager­jahre liegen schon ein wenig länger zurück und mit der mobilen Akti­ons­küche ist er bereits seit 2011 enga­giert im Akti­vismus mit dabei. „Nach einem solchen Anlass brauche ich schon ein paar Tage, um wieder runter­zu­fahren“, meinte er. Sein Einsatz war sogar noch um einiges länger als meiner. Sacha fuhr schon zwei Wochen vor der Klima­kon­fe­renz nach Madrid, um mit dem lokalen Koch­team und den Infra­struk­tur­gruppen die Zusam­men­ar­beit aufzu­gleisen. Der Anlass war für ihn also ein voller Monat Arbeit. Nur, dass er dabei keinen Rappen verdient hat.

Wie er das mache, wollte ich von ihm wissen. „Kosten redu­zieren“, antwor­tete er mir. „Je weniger Geld man ausgibt, desto weniger ist man darauf ange­wiesen, dass man einen Lohn kriegt.“ Und Sacha ist gut im Redu­zieren. Er wohnt in einem Wohn­wagen, kauft sich eigent­lich nichts Neues und über­legt sich sogar, ob er seinen Wohn­sitz nach Spanien verlegen soll, weil dort die Kran­ken­kasse billiger ist. Zudem hat man, wenn man sich als Akti­ons­koch enga­giert, auch immer genug zu Essen um sich herum.

Sacha Schlegel koordiniert seit 20xx das Kochkollektiv und reist mit seinen Riesentöpfen mehrmals jährlich an aktivistische Anlässe. (by André Rießler)
Sacha koor­di­niert seit 2011 das Koch­Kol­lektiv und reist mit seinen Riesen­töpfen mehr­mals jähr­lich an akti­vi­sti­sche Anlässe. (Foto: André Rießler)

Dieselbe Stra­tegie verfolgt auch Jann. Er arbeitet seit etwa einem Jahr Voll­zeit für den Klima­streik. Aber eben: ohne Lohn. Etwa einmal pro Monat geht er als Filmer oder Foto­graf für einen Tag gegen Geld arbeiten. Seine Freundin und er unter­stützen sich gegen­seitig. Mal verdient sie mehr, mal er. Viel Geld haben die zwei jedoch nicht zur Verfü­gung. „Meine Freundin und ich geben zusammen etwa 1500 Franken pro Monat aus“, meinte Jann.

Sich voll für das Klima einzu­setzen, sei für ihn jedoch die einzig logi­sche Konse­quenz, wenn man sich die Fakten zur Klima­krise genau anschaue. Dass es dafür kein Geld gibt, ist für ihn zweit­rangig. Ob ihn das nicht nerve, will ich von ihm wissen. Ob er nicht froh wäre, wenn er das nicht machen müsste. „Jein“, sagte Jann. Er sei auch froh, dass er Teil dieses gesell­schaft­li­chen Wandels sein dürfe. Aber es sei schon nicht immer einfach: „Leider repro­du­zieren wir auch im Akti­vismus täglich unsere Leistungs­ge­sell­schaft. Häufig arbeiten wir mehr als zehn Stunden pro Tag, ohne Wochen­ende. Darunter leiden viele alte Freund­schaften. Im Endef­fekt ist das natür­lich absurd, weil wir zur Über­win­dung der Klima­krise primär die Zwischen­mensch­lich­keit stärken müssten. Fühlst du dich geborgen, brauchst du weniger unnö­tigen Konsum und defi­nierst dich weniger über die eigenen Leistungen.“

Wer sich unbe­zahlt enga­giert, muss in der Frei­zeit arbeiten gehen

Zwei Wochen habe ich mitge­macht. Und auch wenn es eine super Zeit war, kann ich mich mit dem Gedanken, dass dies eine Erho­lungs­phase hätte sein sollen, nicht richtig anfreunden. Denn die zwei Wochen waren hart. So hart, wie Küchen­ar­beit eben ist. Einfach, dass man für die Mitar­beit in der Protest­küche keinen Lohn kriegt.

Für zwei Wochen ist das ja auch kein Problem. Aber wenn man sich in einem solch hohen Ausmass ehren­amt­lich enga­giert, wie es zum Beispiel Sacha oder Jann machen, bleibt einem eigent­lich nur die Frei­zeit, um Geld zu verdienen. Denn irgendwie muss man Miete, Kran­ken­kasse und Handyabo ja trotzdem bezahlen. Dass dabei nur noch wenig Zeit für Erho­lung und Freund­schaften bleibt, liegt auf der Hand.

Wie die Leute, die ich an der Klima­kon­fe­renz getroffen habe oder zumin­dest treffen wollte, damit klar­kommen; was das für sie finan­ziell, emotional, psychisch und zwischen­mensch­lich bedeutet: Das werdet ihr noch zu lesen kriegen. Denn die Inter­views, die ich mit ihnen führen wollte, werde ich natür­lich nach­holen. Porträts und Analyse folgen, sobald ich mich von meiner Gratis­ar­beit erholt habe. Aber jetzt brauche ich erst mal eine Pause.


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