Guy Parmelin sagte an der Pressekonferenz vom 1. April (Minute 2): „Der Bundesrat will den indirekt betroffenen Selbstständigen wie zum Beispiel Taxifahrern und anderen Härtefällen helfen. Das Departement des Inneren muss zusammen mit dem Wirtschaftsdepartement und dem Finanzdepartement bis nächsten Mittwoch konkrete Lösungsvorschläge ausarbeiten.“ Was haben die Departemente also erarbeitet? Nun, anscheinend nicht viel. Parmelin scheint sein Versprechen innerhalb einer Woche gar vergessen zu haben. Denn erst auf Nachfrage einer Journalistin (Minute 42) erklärt Parmelin in der Pressekonferenz am besagten „nächsten Mittwoch“, dass das Problem sehr komplex sei und man noch genauer abklären müsse, wer was erhalten soll. Dabei ist es offensichtlich, dass die Selbstständigen und die Angestellten momentan nicht dieselben Möglichkeiten haben.
In mehreren Beiträgen analysierte Lamm-Redaktorin Alex Tiefenbacher die Einführung und Umsetzung der Corona-Hilfe für die Selbstständigen.
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- Teil 1: Bundesrat Parmelin vergisst die Selbstständigen (14. April 20)
- Teil 2: Die mit den kleinsten Einkommen erhalten keine Hilfe (25. Mai 20)
- Teil 3: Selbstständige werden benachteiligt: So erklären sich die Bundesämter (29. Juni 20)
- Teil 4: Viele GmbHler und AGler kriegen noch immer keine Corona-Unterstützung. Das ist willkürlich (6. Sept. 20)
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Im Moment gibt es zwei Instrumente, wie Arbeitende, deren Einkommen von den Corona-Massnahmen des Bundes betroffen sind, trotzdem zu Geld kommen können. Für die Angestellten können die Unternehmen Kurzarbeitszeitentschädigung beantragen. Dadurch erhalten die Firmen von der zuständigen Arbeitslosenkasse 80 Prozent der betroffenen Löhne, damit sie dieses Geld an ihre Mitarbeitenden weiterleiten können. Für Selbstständigerwerbende wurde das Corona-Taggeld ins Leben gerufen. Wer hierfür zugelassen wird, kann 80 Prozent des letztjährigen Einkommens in Form einer Tagespauschale geltend machen. Aber zwischen den beiden Instrumenten bestehen entscheidende Unterschiede.
Selbstständige müssen direkt betroffen sein, bei Unternehmen genügt eine indirekte Betroffenheit
Damit ein Unternehmen Kurzarbeitsentschädigung beantragen kann, muss ein ausserordentliches Ereignis vorliegen, welches zu kurzfristigen und unvermeidbaren Arbeitsausfällen führt. Der Bundesrat hat in seiner Pressekonferenz vom 16. März Corona zu einem solchen Ereignis erklärt und dadurch Unternehmen, die nun direkt, indirekt oder superindirekt unter den Corona-Massnahmen leiden, erlaubt, Kurzarbeit zu beantragen. Und das haben sie getan: etwa die Gastrobetriebe, weil ihnen das Arbeiten schlichtweg verboten wurde. Die SWISS, weil die Nachfrage nach Flügen eingebrochen ist oder die Tamedia, zu welcher auch der Tages-Anzeiger gehört, weil die Zeitung nicht mehr genug Geld über Inserate einnehmen könne. Die Unterstützung wird breit gestreut.
Ganz anders sieht das bei den Selbstständigen aus. Diese kriegen nur dann ein Corona-Taggeld, wenn sie direkt von den bundesrätlichen Verboten betroffen sind. Das heisst: Nur wer seinen Betrieb wegen den vom Bundesrat verhängten Verboten zwangsschliessen musste oder direkte Erwerbseinbussen hat, weil der Bund alle privaten und öffentlichen Veranstaltungen untersagt hat, kriegt Corona-Taggeld.
Laut dem Echo der Zeit (Minute 4) gibt es 270’000 Selbstständige, die nicht direkt, aber indirekt von der Corona-Krise betroffen sind. Sprich: Sie dürfen ihren Beruf theoretisch zwar noch ausüben, aber finden schlichtweg keine Kundschaft mehr. Es sind Fotografinnen, Graphiker, Übersetzerinnen, Physiotherapeuten oder Taxifahrerinnen, aber auch Ärzte und Zahnärztinnen. Viele von ihnen erzielen auch in normalen Zeiten keine sehr hohen Einkommen. Laut einem Beitrag der NZZ erzielen Selbstständige im Schnitt ein Monatseinkommen von 5’000 Franken, also 1’500 Franken weniger als der Schweizer Medianlohn. Und dies, obwohl neben vielen Niedriglohnjobs auch einige sehr gut bezahlte Berufszweige, wie eben die Ärztinnen und Zahnärzte, den Schnitt sogar noch nach oben ziehen dürften. Viele Selbstständige müssen also mit wenig durchkommen. Und im Moment dürfte es noch weniger sein. Denn die meisten von ihnen sind, obwohl sie kein Geld mehr verdienen können, nicht berechtigt, Corona-Taggeld zu beantragen. Wären sie irgendwo angestellt, würde der Bund ihnen helfen.
Daraus resultiert die absurde Situation, dass ein Taxiunternehmen für seine Angestellten zwar Kurzarbeitszeitentschädigung beantragen kann, einem selbstständigen Taxifahrer aber kein Corona-Taggeld zusteht. Auch Irene Tschopp, Medienverantwortliche beim Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich bestätigt uns das. Eine offensichtliche Ungleichbehandlung.
Angesprochen auf diesen Unterschied zwischen Taggeld und Kurzarbeit sagt man eine Verwaltungsebene höher, also beim Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Folgendes: „Das Ziel der Kurzarbeitsentschädigung ist der Erhalt von Arbeitsplätzen […]. Es soll verhindert werden, dass infolge kurzfristiger und unvermeidbarer Arbeitsausfälle Kündigungen ausgesprochen werden. […] Folglich müssen Unternehmen, die wegen Corona Kurzarbeit beantragen, im Prinzip direkt vom Corona-Virus und seinen Folgen betroffen sein.“ Das SECO versucht den Widerspruch also zu lösen, indem eine weitere Kategorie erfunden wird: die im Prinzip direkt Betroffenen. Könnte es sein, dass sich das SECO dieser Ungleichbehandlung durchaus bewusst ist, sie aber nicht zugeben will?
Angestellte können doppelt so viel kriegen wie Selbstständige
Und auch diejenigen unter den Selbstständigen, die Corona-Taggeld beantragen können, sind bei weitem noch nicht gleichgestellt mit den Angestellten. Denn das Corona-Taggeld ist bei maximal 196.- CHF pro Tag gedeckelt, was etwa einem Monatslohn von 6’000.- CHF entspricht. Laut dem SECO liegt das Maximum, das als Kurzarbeitsentschädigung ausbezahlt werden kann, hingegen bei etwa 12’000.- CHF. Also doppelt so hoch.
6’000 Franken ist zwar nicht wenig, aber: Viele Selbstständige müssen, anders als die Angestellten, über ihre Einnahmen auch noch betriebliche Fixkosten, wie zum Beispiel die Taxilizenz oder die Miete für den Atelierplatz selbst tragen. Und für Branchen, die ihre Einnahmen mit starken saisonalen Schwankungen erzielen, gibt es noch ein zusätzliches Problem. Denn das Corona-Taggeld, das sie potenziell geltend machen können, richtet sich nach dem Durchschnitt der Einnahmen von 2019. Bei GärtnerInnen, die jetzt im Frühling viel zu tun hätten, aber anscheinend auch bei vielen Tattoo-KünstlerInnen, widerspiegelt das Corona-Taggeld dementsprechend nicht das, was sie momentan erwirtschaften könnten. Und wieso Angestellten bis zu doppelt so viel zusteht – dafür gibt es sowieso keine sinnvolle Erklärung.
Einmal mehr scheinen die Behörden die Schicksale, die näher bei ihren eigenen Lebensrealitäten liegen, besser auf dem Schirm zu haben, als die, welche weiter entfernt sind. Es ist sehr begrüssenswert, dass sich der Bund um die ArbeiterInnen kümmert. Dies sollte aber in einer ausgeglichenen Art und Weise passieren. Und vor allem sollte der Bundesrat seine Versprechen einhalten. Auch wenn er sie am 1. April gibt.
Update aus der Pressekonferenz des Bundesrates vom 16.4.2020:
Der Bundesrat weitet den Corona-Erwerbsersatz auf indirekt betroffene Selbstständige aus. Voraussetzung ist, dass ihr AHV-pflichtiges Erwerbseinkommen höher ist als 10‚000 Franken, aber 90‚000 Franken nicht übersteigt. Sie können wie bereits die direkt betroffenen Selbstständigen rückwirkend ab dem 17. März ein Corona-Taggeld beantragen, das sich aus ihrem letztjährigen Einkommen berechnet aber maximal 196.- Franken pro Tag sein kann (*). Dies ist ein grosser Schritt in Richtung Gleichbehandlung. Weshalb jedoch der maximale Betrag beim Corona-Taggeld halb so hoch ist wie bei der Kurzarbeit, dass die Berechnungsart des Corona-Taggelds saisonale Einkommensschwankungen nicht berücksichtigt und weshalb die am wenigsten verdienenden Personen, also die mit weniger als 10‚000 Jahreseinkommen, nichts kriegen, bleibt fragwürdig. Vor allem, weil dieser Gruppe sowieso nur ein sehr bescheidenes Corona-Taggeld von 22.- Franken pro Tag zustehen würde. Teuer wäre es also nicht auch diejenigen miteinzubeziehen, die es am meisten bräuchten (*).
(*) Das Corona-Taggeld berechnet sich, indem das Einkommen aus dem Jahr 2019 durch 360 Tage dividiert wird und mit dem Faktor 0.8 multipliziert wird. So erhält man 80% des letztjährigen durchschnittlichen Tageseinkommens. Ist das höher als 196.- dann kriegt man nur die 196.- pro Tag.
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