I am not a virus

„Aber du hast halt einfach solche Augen“

Anti­asia­ti­scher Rassimus ist nicht erst seit Ausbruch der Pandemie ein Thema- auch in der Schweiz.  Ein Gast­bei­trag des Vereins Diversum dazu, was es bedeutet  anti­sia­ti­schem Rassismus, Vorur­teilen und scheinbar gutge­meinten Bemer­kungen aufzu­wachsen und zu leben. 

„An einen Moment in meiner Kind­heit kann ich mich noch sehr gut erin­nern. Ich ging mit meiner Mutter nach dem Einkauf an die Kondi­to­rei­t­heke, da sie einen Kuchen abholen wollte, den sie bestellt hatte. Als sie bedient wurde, erklärte sie der Verkäu­ferin auf Hoch­deutsch ihr Anliegen. Die Verkäu­ferin schien meine Mutter nicht zu verstehen und sie wieder­holte sich. Die Verkäu­ferin verstand sie wieder nicht. Dieses Mal war aber klar, dass sie meine Mutter nicht verstehen wollte. Mir wurde langsam unwohl, da ich merkte, dass die Stim­mung gereizt war. Meine Mutter wieder­holte sich ein drittes Mal und man konnte das Zittern in ihrer Stimme hören. Die Verkäu­ferin schnauzte meine Mutter an, dass sie Deutsch spre­chen müsse, denn sie verstehe kein Chine­sisch. Ich stand neben meiner Mutter und verspürte vor allem Scham. Es war mir unan­ge­nehm, dass sich alle Leute zu uns gedreht hatten und uns anstarrten. In diesem Moment wünschte ich mir so sehr, dass meine Mutter einfach Schwei­zer­deutsch spre­chen könnte.“

Bereits als Kind erfährt Melanie anti­asia­ti­schen Rassismus. Bei anti­asia­ti­schem Rassismus handelt sich um eine spezi­fi­sche Diskri­mi­nie­rung von als ost- und südost­asia­tisch gele­senen Menschen. Wenn von Asien gespro­chen wird, ist oft Ost- und Südost­asien gemeint. Diese Unter­schei­dung ist wichtig, denn viele asia­ti­sche Menschen machen diese spezi­fi­sche Rassis­mus­er­fah­rung nicht. Mani [Grün­dungs­mit­glied vom Verein Diversum, Anm. d. Red.] beispiels­weise ist als West­asiatin unter anderem von anti­mus­li­mi­schem Rassismus, aber nicht von anti­asia­ti­schem Rassismus betroffen. Die Bezeich­nung an sich repro­du­ziert so bereits wieder rassi­sti­sche Stereo­type: dass nur bestimmte Asiat:innen „rich­tige“ Asiat:innen sind.

Mela­nies Mutter kommt aus Südkorea, doch die eingangs beschrie­bene Verkäu­ferin setzt alle Menschen, die sie als asia­tisch liest, mit Chines:innen gleich. Dies ist ein häufiges Phänomen von anti­asia­ti­schem Rassismus, dass zwischen ost- und südost­asia­ti­schen Menschen keine Unter­schiede gemacht werden, dass alle Asiat:innen gleich aussehen und die verschie­denen Spra­chen, die sie spre­chen, nicht zu unter­scheiden sind. Dabei werden rassi­stisch abwer­tende Begriffe wie „Ching Chang Chong“ verwendet, um sich so über ost-und südost­asia­ti­sche Menschen lustig zu machen.

Vor einem Monat stürmte im Gross­raum Atlanta ein 21-jähriger Mann drei Massa­ge­stu­dios. Dabei erschoss er aus rassi­sti­schen Motiven acht Menschen. Sechs von den acht Opfern waren Frauen mit ost- oder südost­asia­ti­scher Herkunft. Während die Anschläge in Atlanta aufzeigen, welche gewalt­vollen Auswir­kungen anti­asia­ti­scher Rassismus haben kann, ist der Alltag von vielen als asia­tisch gele­senen Menschen in der Schweiz auch von subti­leren Formen von Rassismus geprägt. Eine davon ist Exotisierung.

„An einer Party ruhte ich mich für einen kurzen Moment aus. Ein Typ gesellte sich zu mir und wir begannen ein lockeres Gespräch zu führen. Irgend­wann wollte er wissen, von wo ich denn ursprüng­lich sei. Die Frage war mir unan­ge­nehm, dennoch beant­wor­tete ich seine Frage, da ich ihn eigent­lich sympa­thisch fand. Als ich ihm sagte, dass meine Mutter Südko­rea­nerin ist, nickte er begei­stert. Er habe es vermutet, da seine Ex-Freundin auch korea­ni­sche Wurzeln habe. Ich war etwas irri­tiert über seine Aussage, trotzdem führte ich das Gespräch mit ihm fort, bis ich mich dann auf die Tanz­fläche verab­schie­dete. Ein paar Wochen später traf ich ihn per Zufall wieder an und seine neue, eben­falls als asia­tisch gele­sene Freundin stand neben ihm. Er stellte mich ihr als „andere coole Asiatin“ vor. Ich konnte es gar nicht fassen und seine Freundin und ich sahen uns nur noch verstört an.“

Exotisch bedeutet: aus einem fremden Land stam­mend, fremd­artig wirkend, über­see­isch oder auslän­disch. Während des Kolo­nia­lismus wurden Menschen als „exotisch“ bezeichnet, die aus den euro­päi­schen Kolo­nien stammten. Wenn wir Personen exoti­sieren, dann machen wir sie immer auch fremd. Asia­ti­sche Frauen werden auf eine spezi­fi­sche Weise exoti­siert und sexua­li­siert. Sie gelten beispiels­weise als beson­ders unter­würfig und ihnen wird ein eigener Wille abge­spro­chen. Sie werden nicht als Menschen, sondern zum Beispiel als gehor­same Haus­frauen oder als hübsche, schüch­terne und devote Acces­soires von Männern wahrgenommen.

Asia­ti­sche Männer hingegen werden voll­kommen desexua­li­siert. Sie gelten als feminin und unmänn­lich, da ihnen beispiels­weise männ­liche Attri­bute wie körper­liche Stärke aberkannt werden. Ihnen werden viel­fach die Rolle des Mathe­ge­nies und des stillen Aussen­sei­ters zugeschrieben.

Anti­asia­ti­scher Rassismus in der Schweiz

Die Geschichte des anti­asia­ti­schen Rassismus in der Schweiz beginnt nicht erst mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie. Seither nimmt diese Form des Rassismus einfach stetig zu, wird etwas sicht­barer und auch inner­halb der weissen Mehr­heits­ge­sell­schaft öfters thema­ti­siert als zuvor.

Der Ursprung der Stereo­type und Vorur­teile, die heute über Asiat:innen existieren, lässt sich bis ins Europa des 13. Jahr­hun­derts zurück­ver­folgen.

Auch in der Schweiz lässt sich zeigen, dass anti­asia­ti­scher Rassismus kein neues Phänomen ist. 1960 wurde etwa die erste Gruppe von Tibeter:innen, welche aufgrund eines blutig nieder­ge­schla­genen Volks­auf­standes hatte flüchten müssen, in der Schweiz aufge­nommen. Tibeter:innen wurde als „ange­passtes Berg­volk“ verhan­delt und deren Aufnahme bis weit ins rechte Lager des Partei­en­spek­trums unter­stützt. (Schmidt, Chri­stian (2009). „Exil Schweiz. Tibeter auf der Flucht. 12 Lebens­ge­schichten.“) Als die Schweiz zwischen 1978 und 1982 rund 10 000 viet­na­me­si­sche Flücht­linge aufnahm, veran­lasste der Bundesrat, dass diese im ganzen Land verteilt werden, damit sich keine Ghettos bilden würden, die zu einer Zunahme rassi­stisch moti­vierter Über­griffe hätten führen können.

Dies, obwohl ost- und südost­asia­ti­sche Menschen nach wie vor oft als „Vorzeigemigrant:innen“ bezeichnet werden. Ihnen wird zuge­schrieben, dass sie zurück­hal­tend, arbeitsam und leistungs­be­reit seien. Diese Stereo­type und Vorur­teile sind wirk­mächtig und beein­flussen, wie asia­ti­sche Menschen gesehen werden. Aber sie prägen auch ihr Selbst­bild. So fällt es Melanie noch heute schwer, für sich einzu­stehen, da sie unter anderem inter­na­li­siert hat, möglichst unauf­fällig zu sein. Bereits als Kind lernte sie sich dafür zu schämen, dass ihre Mutter kein Deutsch spricht, statt auf die offen­sicht­lich rassi­sti­sche Verkäu­ferin wütend zu werden.

Auch ihre Mutter hat Melanie beigebracht, auf rassi­sti­sche Aussagen mit Verständnis zu reagieren. Wenn die Kinder im Kinder­garten mit ihren Fingern die Augen in die Länge zogen und sie als „Schlitz­auge“ beschimpften und Melanie das Erlebte anschlies­send unter Tränen ihrer Mutter erzählte, meinte diese nur: „Du hast halt einfach solche Augen.“ Heute weiss Melanie, dass ihre Mutter versucht hat, sie durch diese Verharm­lo­sung zu schützen. Die Verlet­zungen, welche rassi­sti­sche Taten auslösen, lassen sich durch Verharm­lo­sung aber nicht rück­gängig machen. Heute benennt Melanie den Rassismus, den sie erfährt, weil sie über­zeugt ist, dass wir ihn nur so über­winden können.

Eigene Vorur­teile hinterfragen

Dass dies unbe­dingt notwendig ist, beweist die massive Zunahme von rassi­sti­schen Vorfällen gegen­über als asia­tisch gele­senen Menschen. In Deutsch­land belegen Daten eine Zunahme von Angriffen gegen als asia­tisch gele­senen Menschen – ausge­löst durch die Coro­na­krise. Dafür haben Wissenschaftler:innen unter anderem von der Humboldt-Univer­sität zu Berlin zwischen Juli und Dezember vergan­genen Jahres 700 Menschen befragt, die als asia­tisch gelesen werden. Der Studie nach gaben 49 Prozent der Befragten an, die Diskri­mi­nie­rung gegen sie habe zuge­nommen. 62 Prozent von ihnen hätten verbale Angriffe erlebt, elf Prozent körperliche.

Ein Grund dafür sei die mediale Bericht­erstat­tung in der Pandemie, heisst es in der Studie. Diese sei nämlich „viel­fach klischee­be­laden und stereotyp“ und nehme Schuld­zu­wei­sungen vor. Das Coro­na­virus ist ein biolo­gisch-medi­zi­ni­sches Phänomen, doch es wird in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung häufig mit China in Verbin­dung gebracht. So sprach der ehema­lige US-Präsi­dent Donald Trump immer wieder vom „chine­si­schen Virus“. Für die Schweiz fehlen entspre­chende Zahlen, doch es ist anzu­nehmen, dass die Situa­tion auch hier ähnlich ist.

Um anti­asia­ti­schen Rassismus zu bekämpfen, müssen wir uns zuerst mit unseren eigenen Stereo­typen und Vorur­teilen ausein­an­der­setzen. Wir alle sind davon beein­flusst, welche Narra­tive seit Hunderten von Jahren über ost- und südost­asia­ti­sche Menschen verbreitet werden. So können wir verstehen, welchen Einfluss diese Narra­tive auf unsere persön­liche Haltung und Einschät­zung gegen­über ost- und südasia­ti­schen Menschen haben. Mit diesem Bewusst­sein fällt es uns leichter, Menschen nicht in unsere vorge­fer­tigten Kate­go­rien einfügen zu müssen.

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