„Das ist eine werte­ba­sierte und keine poli­ti­sche Entscheidung“

Als einziger Kanton hält Zürich weiterhin an einem Arbeits­verbot für Sexar­bei­tende fest. Im Gespräch erklärt Lelia Hunziker von der Fach­stelle Frau­en­handel und Frau­en­mi­gra­tion  FIZ die Folgen dieser Rege­lung für die Betroffenen. 

Das Lamm: In allen Kantonen ausser Zürich ist Sexar­beit unter Einhal­tung der Schutz­mass­nahmen wieder erlaubt. Hier gilt weiterhin ein Arbeits­verbot. Wie geht es den Betrof­fenen damit?

Lelia Hunziker: Die Sexar­bei­tenden sind verun­si­chert und noch stärker preka­ri­siert als zuvor. Ausbeu­tungs­me­cha­nismen greifen noch mehr als sonst schon im stark regu­lierten Bereich der Sexar­beit. Das Verbot als weitere Einschrän­kung drängt sie nun in die Ille­ga­lität und schafft Abhän­gig­keiten und Raum für Miss­brauch. Viele Sexar­bei­tende sind auf finan­zi­elle Unter­stüt­zung ange­wiesen, sie brau­chen oft Hilfe, um diese einzu­for­dern. Wer in Zürich unter­wegs ist, stellt gleich­zeitig fest, dass offen­sicht­lich so oder so gear­beitet wird, die Frage bleibt also, wem das Verbot eigent­lich nützt.

Galt das Verbot in Zürich durchgehend?

Nein, bis im Juni 2020 gab es ein natio­nales Verbot. Danach wurde gelockert und mit dem zweiten Shut­down, als die Verant­wor­tung den Kantonen zuge­schoben wurde, führte Zürich ein zweites Verbot ein.

Wie ist es zu erklären, dass der Kanton Zürich im Vergleich mit den anderen Kantonen diesen Sonderweg geht?

Weil es poli­tisch – oder in dieser Frage eher mora­lisch – so gewollt ist. Alle kanto­nalen Regie­rungen kamen offen­kundig zu einem anderen Schluss als Zürich, einige haben im zweiten Lock­down gar kein Verbot ausge­spro­chen, andere spra­chen nur kurz­fri­stig eines aus, etwa Bern. Es gab ein Chaos mit den unter­schied­li­chen kanto­nalen Rege­lungen, aber es zeigte sich schnell, dass die aller­mei­sten Kantone, egal wie poli­tisch die Regie­rungen gefärbt sind, probierten, einen Weg zu finden – ausser Zürich. Für einmal ist das keine Links-rechts-Frage, sondern eine werte­ba­sierte, mögli­cher­weise auch mora­li­sche Entscheidung.

Was bedeutet das konkret?

Banal ausge­drückt: Man will keine Sexar­beit. Es geht nicht um die Gesund­heit, den Schutz der Bevöl­ke­rung oder den Schutz der Sexar­bei­tenden, sondern um ein anderes Konstrukt, welches der Sexar­beit den Status Arbeit abspricht und statt­dessen mora­lisch argumentiert.

Leider scheint die Zürcher Kantons­re­gie­rung immun gegen Fakten zu sein, liegt doch ein natio­naler Bericht von proCore vor, der aufzeigt, wie kontra­pro­duktiv das Arbeits­verbot für Sexar­bei­tende ist. Denn es verschlech­tert die Arbeits­be­din­gungen massiv, erschwert den Zugang von Fach­stellen zu Sexar­bei­tenden, in gewissen Kantonen stiegen während des Verbots gar die Raten an sexuell über­trag­baren Krank­heiten, unge­wollten Schwan­ger­schaften und Gewalt. Mit einem Verbot können die Sexar­bei­tenden sich weniger gut schützen, weniger selbst­be­stimmt arbeiten und sind den Freiern mehr ausgeliefert.

Das momen­tane Arbeits­verbot gilt, nach mehr­fa­cher Verlän­ge­rung, vorläufig bis Ende Mai. Wie lange kann der Kanton dieses Verbot noch aufrechterhalten?

Es gibt gewisse Anzei­chen dafür, dass auf Anfang Juni nun endgültig gelockert werden soll. Es gibt mitt­ler­weile eine breite Allianz von Parlamentarier:innen, die auf eine Locke­rung pochen. Sollte das Verbot Ende Mai wieder verlän­gert werden, wird es auf kanto­naler Ebene sicher­lich Vorstösse und Diskus­sionen mit Vertreter:innen der Regie­rung geben.

Die Stadt Zürich, wo ein grosser Teil der Sexar­beit statt­findet, hatte den Kanton aufge­rufen, das Verbot fallen zu lassen, und auch die Nach­bar­kan­tone haben ein grosses Inter­esse an einem Ende des Verbotes, welches sie direkt negativ tangiert. Über­steuern kann man die Regie­rung jedoch nicht, auch nicht vonseiten des Bundes.

Wie ist das zu verstehen, dass auch andere Kantone vom Arbeits­verbot in Zürich betroffen sind?

Viele Sexar­bei­tende wollen und müssen arbeiten, und die aller­mei­sten möchten das lieber legal tun, was dazu führt, dass sie in anderen Kantonen, meist den Nach­bar­kan­tonen, arbeiten. Auf der anderen Seite nutzen auch Kund:innen die Möglich­keit, in anderen Kantonen Dienst­lei­stungen einzu­kaufen. Gene­rell ist das Geschäft in der Pandemie aber zurück­ge­gangen, was auch die Konkur­renz unter den Anbie­tenden erhöht, und wenn plötz­lich viele Arbei­tende aus dem Nach­bar­kanton ankommen, sorgt das für Verun­si­che­rung, Verdrän­gung und Streit.

Wie sieht es denn mit finan­zi­ellen Entschä­di­gungen für Sexar­bei­tende im Kanton Zürich aus?

Es gibt Erwerbs­er­satz und es gäbe Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gung, aber nicht alle Sexar­bei­tenden haben Anrecht darauf. Sozi­al­hilfe ist noch einmal schwie­riger – zum einen, weil Personen, die hier arbeiten, nicht Sozi­al­hilfe berech­tigt sind oder aber Angst vor den auslän­der­recht­li­chen Konse­quenzen haben. Auf den entspre­chenden Stellen werden die Frauen zusätz­lich oftmals mit Diskri­mi­nie­rung und Stig­ma­ti­sie­rung konfron­tiert. Die Löcher, durch die Sexar­bei­tende im Netz der Unter­stüt­zungs­mass­nahmen fallen können, sind gross, sehr gross. Die Einkünfte sind notwendig – lebens­not­wendig. Die Basis­hilfe, welche Raphael Golta kürz­lich für die Stadt Zürich präsen­tiert hatte, ist hingegen ein Schritt in die rich­tige Rich­tung. Basis­hilfe, die im Gegen­satz zur Sozi­al­hilfe von auslän­der­recht­li­chen Konse­quenzen entkop­pelt ist, ist gerade für Sexar­bei­tende, bei denen der Anteil an Pendelmigrant:innen vergleichs­weise hoch ist, sehr wichtig. Leider ist dies aber keine kanto­nale Lösung und schon gar keine nationale.

In den letzten Monaten waren Sexar­bei­tende in der Schweiz gene­rell sehr stark von den Mass­nahmen betroffen und mussten schneller Einschrän­kungen hinnehmen als andere im direkten Kontakt vergleich­bare Gewer­be­sparten. Wie ist das zu erklären?

In vielen Verfü­gungen und Erklä­rungen zu diesem Thema stand immer wieder, dass man dem Sexge­werbe nicht zutraue, die Mass­nahmen einzu­halten. Das ist erstaun­lich, da ja gerade Sexar­bei­tende seit jeher Hygie­ne­mass­nahmen einhalten müssen und dies ganz selbst­ver­ständ­lich tun. Zudem haben wir mit anderen Stellen zusammen ein Covid-19-Schutz­kon­zept für die Sexar­beit entwickelt.

Dennoch wurde hier, statt Mass­nahmen einzu­führen, erst einmal dichtgemacht.

Sexar­bei­tende zahlen Steuern und Sozi­al­ver­si­che­rungen, sie müssen unglaub­lich viel Büro­kratie bewäl­tigen, was man ihnen offen­sicht­lich zutraut und von ihnen auch klar gemei­stert wird. Aber sobald es um Gesund­heits­prä­ven­tion geht, sieht das anders aus und man traut ihnen nicht zu, dass sie sich und die Kund:innen schützen können. Von der Polizei wissen wir, dass bei den Kontrollen fest­ge­stellt werden kann, dass die Mass­nahmen des Schutz­kon­zepts gut einge­halten werden. Natür­lich ist es nicht in allen Berei­chen gleich gut, es gibt ja nicht „die“ Sexar­beit. Je preka­ri­sierter und abhän­giger eine Person ist, desto schlechter werden die Mass­nahmen umge­setzt und desto weniger gut erreichbar sind die Betrof­fenen, was wiederum zeigt: Ein Verbot schützt sie nicht.

Die Politik hört nicht auf die Sexarbeitenden?

Sexar­bei­tende und deren Anliegen finden in der Politik nur wenig Gehör. Die Sexar­beit hat eine schwache Lobby und die Lobby, die sie hat, wird oft auch verunglimpft.

Inwie­fern?

Das hängt wohl mit der Grund­satz­dis­kus­sion um ein gene­relles Sexar­beits- bezie­hungs­weise Sexkauf­verbot zusammen. Wir stellen zudem oft fest, dass gerade wir Fach­stellen als Lobby­gruppen hinge­stellt werden, obwohl wir fach­lich argu­men­tieren und arbeiten. Ich würde auch soweit gehen, zu sagen, dass dem ganzen auch ein gewisser Gender­aspekt zugrunde liegt. Wir sind alles Frauen, die sich haupt­säch­lich für Frauen einsetzen. Und wenn Frauen poin­tiert und klar etwas darlegen, wird es oft als Lobby­ieren oder gar als „hyste­risch“ und kämp­fe­risch wahr­ge­nommen und ausge­legt. Hinzu kommt, dass es einen riesigen Mythos darüber gibt, was Sexar­beit eigent­lich ist. Das hat schlichtweg mit dem Tabu Sex per se zu tun. Wir argu­men­tieren fach­lich, mit Erfah­rung und zusammen mit den Sexarbeitenden.

Gerade für Abolitionist:innen, welche gene­rell für ein Verbot der Sexar­beit einstehen, schienen die Mass­nahmen im Kanton Zürich ja eine Möglich­keit zu sein, zu sagen: „Schaut es geht auch ohne Sexar­beit, die Gesell­schaft macht weiter.“ Ist das bestehende Arbeits­verbot ein Fuss in der Tür für sie?

Heute sage ich: Nein. Es gab letztes Jahr eine Phase, als auch verschie­dene Vorstösse aus der aboli­tio­ni­sti­schen Ecke plat­ziert wurden und viel darüber gespro­chen wurde, die Chance zu nutzen und das Verbot doch gleich beizu­be­halten. In den letzten Monaten stellte ich aber fest, dass die Soli­da­rität in der Bevöl­ke­rung riesig ist, die Fach­stellen erhielten so viele Spenden und in den Medien wurde von Sexar­beit als Arbeit gespro­chen. Im Diskurs um die Mass­nahmen wurde die Branche neben anderen Bran­chen als gleich­wer­tiger und von den Mass­nahmen stark betrof­fener Sektor genannt. Das ist sowohl für die Gesell­schaft als Ganzes als auch insbe­son­dere für die Sexar­bei­tenden selbst im Bezug auf die Entstig­ma­ti­sie­rung und ihr Selbst­ver­ständnis enorm wichtig. Deswegen glaube ich, dass wir heute weiter weg sind von einem Sexkauf­verbot als vor einem Jahr, weil sich gerade durch die Pandemie und die damit einher­ge­henden Mass­nahmen gezeigt hat, dass Sexar­beit Arbeit ist.


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