Die Auto­demo zeigte: Die Corona-Regeln gelten für alle ausser die Polizei

Unter dem Motto „Safety for all Refu­gees“ wurde in Zürich am Samstag eine Auto­de­mon­stra­tion veran­staltet. Schon im Vorfeld hatte die Stadt repres­sive Mass­nahmen ange­kün­digt. Dabei stützte sie sich auf das Corona-Veran­stal­tungs­verbot. Die Schutz­mass­nahmen miss­ach­tete dann aber vor allem die Polizei. 
Die ganze Situation habe weniger den Anschein von Bevölkerungsschutz als von Machtmissbrauch erweckt. Bild: barrikade.info

Die Auffor­de­rung, Abstand zu halten und zuhause zu bleiben, klingt in Anbe­tracht der Situa­tion in den über­füllten Asyl­la­gern wie blanker Hohn. Dass zum Beispiel in Moria auch jetzt noch fast 20’000 Personen in einem Lager unter­ge­bracht sind, das eigent­lich für 3’000 Personen vorge­sehen wäre, ist ebenso bekannt wie die darin herr­schenden unmensch­li­chen Zustände: der mangelnde Zugang zu flies­sendem Wasser, sani­tären Anlagen, medi­zi­ni­scher Versor­gung und Privat­sphäre. Das alles war schon vor der Pandemie Normal­zu­stand. Doch selbst im Ausnah­me­zu­stand hält man nach der derzeit gern gepre­digten Soli­da­rität verge­bens Ausschau.

Einen Licht­blick gab es am Sams­tag­nach­mittag in der Nähe des Escher-Wyss-Platzes: Dort standen in etwa dreissig Autos und auf einigen Fahr­rä­dern rund hundert Personen in den Start­lö­chern, um gegen die herr­schende Hölle in den Flücht­lings­la­gern zu demon­strieren. Doch der Protest­umzug kam nicht ins Rollen. Unmengen von Strei­fen­wagen hinderten die mit Trans­pa­renten behängten Autos am Losfahren. „Aufgrund der COVID-19-Verord­nung des Bundes sind Veran­stal­tungen jegli­cher Art verboten“, schreibt das Sicher­heits­de­par­te­ment der Stadt. Doch wie sich zeigen sollte, stellte das, was die Polizei an diesem Nach­mittag veran­stal­tete, die eigent­liche Gefahr dar.

Ein Beispiel dafür sind Szenen, die sich an der Hein­rich­strasse abspielten und von denen Aktivist*innen berichten: „Unsere WG hatte sich gemeinsam ein Auto gemietet. Doch bevor wir auch nur einen Meter weit kamen, begann bereits die Perso­nen­kon­trolle.“ Ebenso seien Fahr­zeuge und Demo-Mate­rial beschlag­nahmt worden. Zudem seien zahl­reiche Wegwei­sungen ausge­stellt und einige Menschen verhaftet worden. Worauf die Polizist*innen aller­dings nicht achteten: die Einhal­tung der Schutz­mass­nahmen. Weder seien die Sicher­heits­ab­stände einge­halten noch die konfis­zierten Gegen­stände desin­fi­ziert worden, während man mit ernster Miene die Menschen für mangelnde Corona-Diszi­plin büsste.

Die Demonstrant*innen, ausge­rü­stet mit Mund­schutz und Desin­fek­ti­ons­mittel, filmten die absurde Situa­tion mit ihren Handys. „Ein Poli­zist kam auf mich zu und packte mich am Arm, um an das Telefon zu gelangen“, berichtet eine Akti­vi­stin. Daraufhin sei sie gezwungen worden, das Video­ma­te­rial zu löschen. „Auch die Unter­lagen und Stifte wurden nie desin­fi­ziert. Die Polizist*innen trugen weder Masken noch Hand­schuhe und hielten den Mindest­ab­stand partout nicht ein. Sie fassten uns sogar an.“

Die ganze Situa­tion habe weniger den Anschein von Bevöl­ke­rungs­schutz als von Macht­miss­brauch erweckt: „Als eine Akti­vi­stin die Quit­tung, die sie im Gegenzug zu ihrem konfis­zierten Auto­schlüssel erhielt, vorher lesen wollte, wurde der Poli­zist plötz­lich aggressiv.“ Diese recht­mäs­sige Forde­rung der Demon­strantin habe ihr direkt die zweite Wegwei­sung und, damit einher­ge­hend, eine Anzeige beschert. Das auto­ri­täre Vorgehen der Polizei über­rascht die Demonstrant*innen nicht. „Der Staat nutzt die Krise, um Grund­rechte auszu­he­beln und kriti­sche Stimmen mundtot zu machen sowie rassi­sti­sche Verhält­nisse aufrecht­zu­er­halten“, schreiben die Veranstalter*innen in ihrer Stel­lung­nahme nach der Aktion.

„Die Corona-Regeln gelten für alle.“ Diese Worte rich­tete der Zürcher Sicher­heits­di­rektor Mario Fehr am Samstag an die Demonstrant*innen. Damit sie nicht zynisch klingen, muss man wirk­lich daran glauben, dass die Gesetzeshüter*innen sich nur nicht daran­halten, um selbstlos in den direkten Kampf gegen das Virus zu ziehen. Dabei ist viel­mehr offen­sicht­lich: Bekämpft wurde an diesem Sams­tag­nach­mittag nicht das Virus, sondern die drin­gend benö­tigte Soli­da­rität, die sich nicht an Landes­grenzen hält.


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