„Forever Sihl­quai“ bleibt ein Wunschtraum

Im Zürcher Kreis 5 kämpft eine kleine Gruppe von Miete­rInnen gegen die Verdrän­gung aus ihren Wohn- und Gewer­be­räumen durch Coop Immo­bi­lien. Es ist eine Geschichte über schlechte Kommu­ni­ka­tion, mangelnde Trans­pa­renz und frag­wür­dige Methoden. 
Nachdem die Zwischennutzung der Wohnungen durch Intermezzo bekannt geworden war, besetzten Dritte am 9. Mai kurzfristig die Häuser. Die Mieter:innen waren überrascht, zeigten sich jedoch solidarisch. Coop erstattete Anzeige wegen Hausfriedensbruchs. (Foto: Kira Kynd)

Vor den beiden Häusern am Sihl­quai 280 und 282 patrouil­lieren an diesem Mitt­woch zwei private Secu­rity-Ange­stellte. Obwohl „patrouil­lieren“ wohl der falsche Ausdruck ist: Die beiden Männer trinken Kaffee und starren auf die belebte Strasse. Die Stim­mung ist unauf­ge­regt, die Häuser hinter ihnen wirken verlassen.

„Die sind nett, motzen manchmal sogar zusammen mit uns über das Vorgehen von Coop“, sagt Seraina Rohner, als sie die Tür öffnet. Die beiden älteren Wach­männer vom Sicher­heits­dienst DARU-Wache lächeln der 30-Jährigen kurz zu, dann richten sie ihren Blick wieder auf die Strasse.

Drinnen, in der „Schrei­nerei am Fluss“ am Sihl­quai 280 im Zürcher Kreis 5, läuft leise Hip-Hop. Seraina Rohner schenkt Wasser ein und setzt sich an den kleinen Holz­tisch zwischen schweren Maschinen, Holz­sta­peln und fertigen Möbeln. Hinter ihr an der Wand klebt ein Sticker mit der Aufschrift „Gegen Aufwer­tung und Verdrängung“.

Die Immo­bilie, in der sich die Werk­statt befindet, ist seit vielen Jahr­zehnten eine Schrei­ne­rei­werk­statt. Hier hat Rohner 2012 ihre Zweit­aus­bil­dung zur Schrei­nerin gemacht.

Coop Immo­bi­lien ist die Eigen­tü­merin dieser Häuser am Sihl­quai 280 und 282. Hier wie im umlie­genden Quar­tier ist sie Besit­zerin diverser Liegen­schaften. Unmit­telbar neben den histo­ri­schen Häusern befindet sich das Indu­strie­areal der Swiss­mill (eine Divi­sion der Coop Genos­sen­schaft) mit dem unver­kenn­baren Swiss­mill Tower.

Da die Mühlen­an­lage in den alten Mühle­ge­bäuden am Sihl­quai in unbe­stimmter Zukunft saniert werden soll, muss das grosse Büro­ge­bäude am Sihl­quai 306 für die Produk­tion umge­baut werden. Deshalb will Coop die beiden Wohn­häuser am Sihl­quai 280 und 282 nun für über sechs Millionen Franken in Büros, Labo­ra­to­rien und eine Versuchs­bäckerei für Swiss­mill umbauen.

Beinahe hätten Rohner und ihr Kollektiv das Gebäude Hals über Kopf verlassen müssen – nur weil sie sich gegen die Vermie­terin wehrten und einen Gewer­be­miet­ver­trag besitzen, können sie noch bleiben. Andere Mieter:innen hatten weniger Glück. Sie müssen ihre Wohnungen zuerst der Zwischen­nut­zungs­firma Inter­mezzo über­lassen, bevor diese von Coop umge­baut werden.

Rund 320 Objekte in der ganzen Schweiz gehören der Coop Immo­bi­lien AG, einer von sieben Direk­tionen inner­halb der Genos­sen­schaft. Darunter sind Wohn­häuser, Einkaufs­zen­tren und Büro­ge­bäude. Die in Fäll­anden ansäs­sige Inter­mezzo ihrer­seits hat sich darauf spezia­li­siert, ganze Gebäude und einzelne Wohnungen zur Zwischen­nut­zung anzu­bieten. Beson­ders Expats oder Studie­rende greifen gerne auf diese Form von Ange­boten zurück.

„So etwas Unpro­fes­sio­nelles habe ich selten erlebt“

Im November 2020 lädt Coop Immo­bi­lien alle Miet­par­teien der beiden Häuser am Sihl­quai 280 und 282 in den Swiss­mill Tower ein. In Einzel­ge­sprä­chen wird allen Miet­par­teien die Kündi­gung ausge­spro­chen. „Es kam aus dem Nichts“, erin­nert sich Rohner heute. Zu Swiss­mill hätte die Schrei­nerei immer einen guten Kontakt gehabt, sogar Aufträge über­nommen. Immer wieder gab es Gerüchte über Reno­va­ti­ons­ar­beiten oder Umbauten an den beiden Immo­bi­lien, die jedoch stets aus Kosten­gründen wieder verworfen wurden.

Coop Immo­bi­lien kündigte Rohners Schrei­nerei per Ende Mai 2021, den Mieter:innen der Wohnungen in den beiden Häusern bereits auf Ende März.

„Als wir die Werk­statt 2018 über­nahmen, handelten wir mit Coop einen neuen Vertrag aus“, erzählt Rohner. Schliess­lich lag ein Fünf­jah­res­ver­trag mit einer unechten Option vor. Eine unechte Option bedeutet, dass nach den fünf Jahren eine Verlän­ge­rung möglich ist – aller­dings können je nachdem die Miet­kon­di­tionen nach der ersten Vertrags­dauer ange­passt werden. „Unser Ziel war es immer, minde­stens zehn Jahre hier drin zu bleiben und hier zu arbeiten“, so Rohner.

Nach dem Gespräch mit Coop Immo­bi­lien verein­barte das Schrei­ne­rei­kol­lektiv ein Gespräch beim Mieter:innenverband. Ein Anwalt dort stellte fest: Der Vertrag, ein Geschäfts­miet­ver­trag, ist nicht kündbar vonseiten der Vermie­terin. Wenig später erhält Rohner einen Anruf von Coop Immo­bi­lien: Das alles sei ein Miss­ver­ständnis gewesen. „So etwas Unpro­fes­sio­nelles habe ich selten erlebt“, sagt Rohner.

Das Kollektiv „Schrei­nerei am Fluss“ hält nun an dem bestehenden Miet­ver­trag fest. Er läuft erst im November 2022 aus. Die Wohnungsmieter:innen der beiden Häuser nebenan hatten hingegen noch weniger Glück.

Wenig Gesprächs­be­reit­schaft

Zur selben Zeit, als Rohner die Kündi­gung bekam, teilte Coop auch Dino Resi­dovic (31) mit, dass er seine Wohnung verlassen müsse. Er wohnt seit über sechs Jahren als Unter­mieter in einer Zweier-WG am Sihl­quai. Die Kündi­gung kam auch für ihn über­ra­schend, doch als Unter­mieter war seine recht­liche Hand­habe einge­schränkt. Obwohl Resi­dovic über eine Voll­macht des Haupt­mie­ters verfügte, verwei­gerte Coop Immo­bi­lien zuerst aus Prinzip das Gespräch mit einer Unter­miet­partei. Erst als Resi­dovic mit Nach­druck auf einem Gespräch beharrte, lenkte Coop schliess­lich ein.

Nach der Kündi­gung im Oktober 2020, erhielt die Wohn­ge­mein­schaft im November auch die schrift­liche Kündi­gung zuge­stellt. Im Namen des Haupt­mie­ters reichten die beiden Männer ein Erstreckungs­be­gehren ein. Die Mieter:innen setzten sich zusammen und riefen unter dem Motto „Forever Sihl­quai“ eine Kampagne ins Leben, invol­vierten den Mieter:innenverband und holten Politiker:innen an Bord.

„Coop signa­li­sierte von Anfang an keine Gesprächs­be­reit­schaft. Also gestal­teten wir die Peti­tion mit unseren Forde­rungen an Stadtrat Oder­matt, die Swiss­mill und Coop“, sagt Resi­dovic, der seither die Social-Media-Kanäle der Kampagne betreut. Von den 25 ursprüng­lich invol­vierten Personen hat sich eine Mehr­heit mitt­ler­weile jedoch zurück­ge­zogen. Gerade Rentner:innen und Fami­lien mit Kindern konnten die Unsi­cher­heit nicht auf sich nehmen und zogen aus. Rebecca Veiga, Leiterin der Medi­en­stelle Coop, teilt auf Anfrage mit, man habe „mit der grossen Mehr­heit der Miete­rinnen und Mieter Lösungen gefunden“ und „ledig­lich mit zwei Miet­par­teien laufen derzeit noch Gespräche“.

„Dass mit dem Gross­teil der Mieter:innen Lösungen gefunden worden sei und nur noch mit zwei Parteien Gespräche laufen, stimmt nicht“, sagt Rohner. „Wenn sie von zwei Miet­par­teien spre­chen, dann meinen sie die beiden Hauptmieter:innen, die noch drin sind. Die anderen beiden Miet­par­teien sind Unter­miet­par­teien, welche sie nicht beachten. Und auch mit uns, die wir Haupt­mieter sind, haben sie noch keine Lösung gefunden.“

Gemäss den beiden Miet­par­teien machte Coop allen Betrof­fenen ein Angebot: Sie können eine Wohnung im Letzi­park beziehen. Dort steigen die Mieten nach einer sechs­mo­na­tigen Periode zu glei­chem Miet­zins per Vertrag konti­nu­ier­lich in vorbe­stimmten Kaskaden. Am Ende beträgt die Miete dort das zwei- bis drei­fache des Miet­zinses der Wohnungen am Sihl­quai. Das Angebot hat einen weiteren bitteren Nach­ge­schmack: Im Letzi­park­block kündigte Coop Immo­bi­lien 2013 68 Mieter:innen ihre Verträge, um eine Total­sa­nie­rung vorzu­nehmen und die Wohnungen teurer wieder zu vermieten. Auch hier waren die Kündi­gungen kurz­fri­stig und über­ra­schend erfolgt.

Ein einziger Mieter, selbst bei Coop ange­stellt, habe dennoch das Angebot ange­nommen, sagt Rohner. Eine betrof­fene Familie mit zwei Kindern bean­tragte hingegen ein Härte­fall­ge­such, woraufhin Coop ihnen eine Wohnung auf Lebzeiten zu fixem Miet­preis anbot. „Alle anderen haben selber eine Lösung finden müssen. Coop hat damit rein gar nichts zu tun“, so Resi­dovic. Viele der ehema­ligen Mieter:innen konnten mit der Unge­wiss­heit, wie es mit ihrem Zuhause weiter­geht, nicht umgehen und haben sich unter Druck um neue Wohnungen bemüht.

Verän­derte Bedürf­nisse oder gebro­chenes Versprechen?

Dass Coop Immo­bi­lien die beiden Häuser zu Büros und Labo­ra­to­rien für die Swiss­mill umbauen und in den Räum­lich­keiten der Schrei­nerei eine Test­bäckerei aufbauen will, stösst bei den Mieter:innen auf Unverständnis.

In ihrem State­ment vom vergan­genen Winter schrieb die Mieter:innen-Gruppe, dass dieses Vorgehen nicht das Verspre­chen der Coop Immo­bi­lien einlöse, „ausge­prägte Durch­mi­schung von Wohnen und Arbeiten“ am Sihl­quai zu ermög­li­chen. So formu­lierte es die Firma, als 2011 über den Swiss­mill Tower abge­stimmt wurde.

Stadt- und Gemein­derat empfahlen damals mit Nach­druck die Annahme der Vorlage, die den Bau des 120 Meter hohen Getrei­de­spei­chers bezie­hungs­weise dessen Aufstockung von 40 auf exakt 118 Meter ermög­lichte. Die Vorlage wurde mit 58.3 Prozent der Stimmen angenommen.

„Die Swiss­mill, Coop und der Stadtrat hatten damals bei der Abstim­mung zum Gestal­tungs­plan des Swiss­mill Towers zuge­si­chert, dass es rein um Lager­ka­pa­zität und nicht um Produk­ti­ons­ka­pa­zität ginge“, erin­nert sich Rohner. Doch jetzt, zehn Jahre später, passiere das Gegenteil.

„Sie werden nicht das bestehende Büro­ge­bäude in eine Produk­ti­ons­an­lage umbauen und hier in die Wohn­häuser Büros rein­ma­chen, nur um nach der Sanie­rung der Mühle das alte Büro­ge­bäude wieder als Büro zu brau­chen.“ Und: „Was sie hier machen ist unglaub­lich teuer, das macht ja auch ökono­misch keinen Sinn, diese alten Wohn­häuser zu Büros umzu­bauen, wenn es nicht um eine Produk­ti­ons­stei­ge­rung geht.“

Gemäss der Medi­en­stelle von Coop sei der Umbau die Folge verän­derter Bedürf­nisse, es gehe ausserdem um die Siche­rung von Arbeits­plätzen. Auf die Frage, ob Coop mit diesem Vorgehen nicht den bezahl­baren Wohn­raum im Quar­tier verknappe, geht die Medi­en­spre­cherin nicht ein.

Der an der Peti­tion der Mieter:innen betei­ligte AL-Gemein­derat und Spre­cher des Mieter:innenverbandes Walter Angst teilt unter­dessen Rohners Einschät­zung: „Es ist völlig unglaub­würdig, wenn der Gross­ver­teiler behauptet, wegen zwei Büros und ein paar Labor­räumen ein solches Mega­puff zu veranstalten.“

Die Peti­tion von Forever Sihl­quai erreichte auch mit Bezug auf die Verspre­chen von damals fast 10 000 Unter­schriften. Auf den Druck der Kampagne hin setzte Stadtrat Andre Oder­matt, Vorsteher des Hoch­bau­de­par­te­ments, einen runden Tisch mit Vertreter:innen der Mieter:innenschaft, Coop Immo­bi­lien und der Stadt auf Ende Mai an. Man wolle noch mal mitein­ander spre­chen. Auf Anfrage heisst es: „Der Stadtrat kennt die Anliegen und kann die Sorgen durchaus verstehen. Deshalb hat sich die Stadt auch nach der Möglich­keit eines Kaufs der Liegen­schaft erkun­digt. Dieses Angebot hat die Coop Immo­bi­lien AG abge­lehnt.“ Dem vom Gemein­derat gefor­derten runden Tisch hätten die Verant­wort­li­chen zuge­stimmt. „Der Stadt obliegt damit die Rolle einer Vermitt­lerin zwischen Mieter­schaft und privater Eigen­tü­mer­schaft“, heisst es in der schrift­li­chen Antwort von Lucas Bally, Spre­cher des Hoch­bau­de­par­te­ments, weiter.

So warteten also alle Betei­ligten auf Ende Mai. Kurz vorher, am 7. Mai, betrat jedoch uner­wartet ein neuer Player das Feld.

Zwischen­nut­zung ohne Vorwarnung

„An diesem Freitag schickte mir eine Person ein Inserat auf wgzimmer.ch zu, es war eine Wohnung hier am Sihl­quai. Ich schickte es der Mieter:innenschaft, weil ich dachte, dass es ein Fake ist“, erin­nert sich Rohner. Im Laufe des Nach­mit­tags wurde den Parteien dann klar, dass es sich um keinen schlechten Witz handelte. Die leer­ste­henden Wohnungen hat Coop der Zwischen­nut­zungs­firma Inter­mezzo über­lassen. Diese Firma schreibt seither einzelne Zimmer zur Zwischen­nut­zung aus – zu Miet­zinsen, die bis zu 60 Prozent höher sind als zuvor. Für die noch verblie­benen sowie die vertrie­benen Mieter:innen war diese Zwischen­nut­zung durch Inter­mezzo ein Schlag ins Gesicht.

Von den Mieter:innen war niemand über dieses Vorgehen infor­miert worden. Coop schreibt auf Anfrage, es sei geplant gewesen, dass die Umbau­ar­beiten „umge­hend beginnen, sobald die Wohnungen leer stehen“. Da gewisse Miet­par­teien aller­dings eine Erstreckung bean­tragt hätten, habe man sich entschieden, die bereits leer­ste­henden Wohnungen bis zum voraus­sicht­li­chen Erstreckungs­termin für eine Zwischen­nut­zung zu vermieten.

Walter Angst findet deut­liche Worte: „In einer Stadt, in der Räume für Zwischen­nut­zungen so stark nach­ge­fragt werden wie in Zürich, sind Firmen wie Inter­mezzo über­flüssig.“ Auch Dino Resi­dovic hat kein Verständnis für dieses Vorgehen: „Die ausge­schrie­bene Wohnung, die wir gesehen haben, hat einer Mieterin gehört, die vorher 35 Jahre hier gewohnt hatte und aus Stress und Angst gegangen ist. Sie hat für zwei­ein­halb Zimmer rund 1 000 Franken gezahlt, Inter­mezzo will aber 750 Franken pro Zimmer, was den Preis um 500 Franken erhöht.“ Auf Anfrage schreibt Inter­mezzo Geschäfts­führer Gabriel Jundt, dass man die vorhe­rigen Miet­preise nicht kenne und die neuen Preise pro Zimmer für gerecht­fer­tigt halte.

Auch den Vorwurf der Mieter:innen, mit diesem Vorgehen trage die Firma zum Gentri­fi­zie­rungs­pro­zess in der Innen­stadt bei und verknappe günstigen Wohn­raum, lässt Jundt nicht gelten: „Während der Zwischen­nut­zung selbst können wir ja günstigen Wohn­raum anbieten.“ Er fügt hinzu: „Was die Gentri­fi­zie­rung voran­treibt, was ihre Vor- und Nach­teile sind etc., ist komplex. Wie würde Zürich heute aussehen, wenn man vor hundert Jahren alle Inve­sti­tionen in Neubauten und den Zuzug von grossen Firmen bekämpft hätte?“ Zürich sei eine Wohn­stadt in dauerndem Wandel.

Staub­sauger­ge­räu­sche und Schuhe vor der Türe

Am folgenden Sonntag fand eine Soli­da­ri­täts­be­kun­dung statt. Zwischen­zeit­lich kam es im Rahmen davon zu einer Beset­zung der Liegen­schaft durch Dritte. „Die Beset­zung hatte uns über­rascht, auch wenn wir verstehen können, dass so auf Leer­stand reagiert wird“, so Rohner. Am folgenden Tag sollte das Haus bereits wieder geräumt werden. Coop hatte, wie die Firma auf Anfrage bestä­tigt, Anzeige wegen Haus­frie­dens­bruchs erstattet. Gemäss Dino Resi­dovic standen kurz vor zehn Uhr rund 30 Personen in Voll­montur vor der Haus­türe. Die Besetzer:innen hatten das Gebäude zu diesem Zeit­punkt bereits verlassen, sodass die Polizei ledig­lich die Trans­pa­rente abhängte.

„Der Immo­bi­li­en­chef von Coop war da, genauso wie zwei Vertreter von Inter­mezzo, welche uns unter­stellten, dass wir etwas mit dieser Beset­zung zu tun hätten“, erin­nert sich Rohner. „Seither steht der von Coop enga­gierte Sicher­heits­dienst hier, der dafür sorgen soll, dass die Häuser nicht wieder besetzt werden.“

Die Mieter:innen erheben derweil Vorwürfe gegen das intrans­pa­rente Vorgehen der Zwischen­nut­zungs­firma: „Inter­mezzo hat in den leer­ste­henden Wohnungen Zeit­schalt­uhren und Staub­sauger­ge­räu­sche instal­liert, Schuhe und Gegen­stände im Haus verteilt, um sie belebt wirken zu lassen“, erzählt Dino Resi­dovic. „Plötz­lich standen da fremde Menschen im Haus und hatten Schlüssel“, sagt Rohner. Da niemand darüber infor­miert worden sei und die Bewohner:innen davon ausgingen, dass die Wohnungen leer stehen, hat dieses Vorgehen für viel Unbe­hagen gesorgt.

Zerschla­genes Geschirr

Den runden Tisch Ende Mai wollen Resi­dovic und Rohner nutzen, um ihre Forde­rungen zu stellen und Coop in die Verant­wor­tung zu nehmen, wie Resi­dovic sagt.

„Mit der Abgabe der freien Wohnungen an Inter­mezzo und dem Straf­an­trag hat Coop weiteres Geschirr zerschlagen. Mit dem Umnut­zungs­pro­jekt und dem Versuch, dieses mit der Brech­stange gegen Quar­tier und Stadt durch­zu­setzen, hat man sich ins Abseits manö­vriert“, resü­miert Walter Angst.

Das Hoch­bau­de­par­te­ment schreibt auf Anfrage, dass der Stadtrat den Anspruch an „einen durch­mischten Kreis 5 mit Indu­strie, Wohnen und Klein­ge­werbe“ teile und seine Verant­wor­tung wahr­nehme. Bei einem ganz­heit­li­chen Blick auf den Kreis 5 sei die Durch­mi­schung „immer noch sehr intakt“. Und weiter: „Gleich­zeitig ist der Stadtrat nicht allmächtig. Es handelt sich um eine private Eigen­tü­mer­schaft, die ihre Räume für ihr Geschäft braucht. Der Stadtrat tut hier sein Bestes inner­halb der gesetz­li­chen Limiten.“

Seraina Rohner und Dino Resi­dovic nützen diese Worte nur wenig. „Vor zehn Jahren haben der Stadtrat und der Gemein­derat einen privaten Konzern mit viel Good­will im Quar­tier dabei unter­stützt, diesen Turm zu bauen. In dieser Abstim­mung damals wurde immer wieder gesagt, dass ein guter, bele­bender Mix aus Indu­strie, Klein­ge­werbe und Wohn­raum entstehen würde, wenn dieser Turm gebaut und die Indu­strie in der Stadt gehalten werden können“, fasst Seraina Rohner ihre Enttäu­schung in Worte. „Jetzt, zehn Jahre später, vernichtet Coop Wohn­raum und Gewerbefläche.“


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