Mattea Meyer, betreibt die SP Lagerpolitik?

Was steckt hinter dem Ja der SP zur neuen Asyl­ge­setz­re­vi­sion? Im Inter­view mit das Lamm bezieht die Migra­ti­ons­po­li­ti­kerin und SP-Natio­nal­rätin Mattea Meyer Stel­lung: Wieso hat sie das Gesetz ange­nommen? Hat sie damit linke Kritik an der Asyl­po­litik margi­na­li­siert? Und: Inwie­fern ist die SP mitver­ant­wort­lich für die betrie­bene Abschottungspolitik? 
Die SP-Nationalrätin Mattea Meyer. (Foto: Monika Flueckiger)

Dieses Inter­view baut auf Infor­ma­tionen zum Schweizer Asyl­ge­setz auf, die im kürz­lich bei das Lamm erschie­nenen Text „Die Schweiz: Land der Lager“ erläu­tert werden. 

das Lamm: Mattea Meyer, hast du der letzten Asyl­ge­setz­re­vi­sion zuge­stimmt? Wie stehst du heute zum neuen Asylgesetz?

Mattea Meyer: Ich konnte mich vor vier Jahren zu einem Ja durch­ringen, nach vielen Gesprä­chen mit Asyl­rechts­or­ga­ni­sa­tionen. Vor der Revi­sion haben Asyl­su­chende teils jahre­lang auf ihren Asyl­ent­scheid gewartet. Nicht zu wissen, wie das Leben weiter­geht: Das war und ist unglaub­lich zermür­bend für die Betrof­fenen. Es braucht schnel­lere Entschei­dungs­pro­zesse. Zudem halte ich die unent­gelt­liche Rechts­ver­tre­tung für enorm wichtig. Aber das ist natür­lich nur eine Seite der Medaille. Die kurzen Fristen für Einspra­chen gegen Nega­tiv­ent­scheide sind ein grosses Problem. Und die Frage bleibt, ob das abge­kürzte Verfahren auch trau­ma­ti­sierten Menschen gerecht wird. Das bezweifle ich.

Klar sind kürzere Verfahren gut für dieje­nigen, die bleiben dürfen. Aber kürzere Verfahren bedeuten ja eben auch: kurzer Prozess für dieje­nigen mit schlech­teren Aussichten.

Gut, aber das war auch schon bisher so. Das Staats­se­kre­ta­riat für Migra­tion (SEM) hat schon immer dieje­nigen Asyl­su­chenden prio­ri­siert, die ohnehin schlechte Chancen auf einen Aufent­halts­status hatten. Und dieje­nigen, die bleiben durften, mussten lange warten. Das habe ich immer kritisiert.

Diese Prio­ri­tä­ten­set­zung des SEM wird wohl auch mit dem neuen Gesetz so bleiben. 

Ja, aber die Warte­fri­sten werden trotzdem kürzer, vor allem auch für dieje­nigen mit hoher Chance, bleiben zu können. Und bereits vor der Einfüh­rung der schnel­leren Verfahren gab’s Fast-Track-Verfahren für Leute aus Ländern wie Bosnien und Herze­go­wina, bei denen die Chancen sehr gering sind, dass sie bleiben können. Dublin-Fälle wurden eben­falls schon vor der Revi­sion sehr schnell behandelt.

Gegen­über früher steht den Gesuch­stel­lenden aber keine richtig unab­hän­gige Rechts­hilfe mehr zur Verfü­gung: Seit der Revi­sion wird der Rechts­bei­stand vom SEM und damit von der Gegen­partei zur Verfü­gung gestellt – und er geniesst nicht unbe­dingt das Vertrauen seiner Mandant*innen.

Es stimmt nicht, dass das SEM den Rechts­bei­stand zur Verfü­gung stellt. Das SEM vergibt das Mandat an nicht­staat­liche Rechts­be­ra­tungs­stellen. Es gibt hier also schon eine klare Tren­nung. Proble­ma­tisch ist eher, dass ein Fall pauschal vergütet wird – egal, wie kompli­ziert er ist. Sprich: Es stellt sich die Frage, ob die Rechts­bei­stände sich immer voll und ganz für die Mandant*innen einsetzen werden. Das System ist sicher nicht perfekt. Aber neu hat eine asyl­su­chende Person vom ersten Moment an eine unent­gelt­liche Rechts­ver­tre­tung an der Seite. Das war bisher nicht der Fall. Früher waren die Asyl­su­chenden darauf ange­wiesen, die rich­tigen Infor­ma­tionen recht­zeitig zu bekommen und sich recht­zeitig bei einer Rechts­be­ra­tungs­stelle zu melden. Die unent­gelt­liche Rechts­ver­tre­tung ist ein Fort­schritt im Vergleich zu früher, trotz verkürzter Rekursfristen.

Der Rechts­bei­stand ist aber ange­halten, sein Mandat nieder­zu­legen, wenn er eine Beschwerde gegen einen Nega­tiv­ent­scheid für aussichtslos erachtet. Eine neue juri­sti­sche Vertre­tung als Ersatz zu finden, wird dann aber enorm schwierig – weil die Personen ja kaum mehr mit der Zivil­ge­sell­schaft in Kontakt kommen. 

Wie gesagt, es ist nicht perfekt und die zu kurzen Beschwer­de­fri­sten sind sehr stos­send. Hier braucht es Korrek­turen. Es besteht zwar immer noch die Möglich­keit, bei einer Rechts­be­ra­tungs­stelle eine neue juri­sti­sche Vertre­tung zu finden, aber dafür sind die Hürden für mich klar zu hoch.

Verschwinden die Leute nicht einfach irgendwo in einem Zentrum und werden dann ausgeschafft? 

Dieses Problem hat auch schon mit dem alten Verfahren bestanden. Ich halte es für zentral, dass die Öffent­lich­keit Zugang zu den Bundes­asyl­zen­tren (BAZ) hat. Nicht zu den Schlaf­zim­mern; die Leute wohnen ja dort. Aber dass es Räume gibt, die für beide Seiten zugäng­lich sind. Wichtig ist jetzt, dass man genau hinsieht und Druck aufbaut. Denn die poli­ti­schen Verhält­nisse vor Ort entscheiden. So hat die Stadt Zürich etwa gross­zü­gi­gere Öffnungs­zeiten als andere Zentren.

Zürich dient aber auch als Vorzei­ge­zen­trum des neuen Asyl­sy­stems. Im BAZ auf dem Glau­ben­berg­pass etwa sieht die Situa­tion ganz anders aus: Dort ist es eigent­lich egal, wie ‚offen‘ das ist. Da kommt niemand hin. Ähnli­ches gilt für die vielen Zentren ohne Verfah­rens­funk­tion: Da kann man von Lagern spre­chen. Ohne Perspek­tive und ohne Kontakt zur Gesellschaft.

Hier geht es nicht um die Asyl­ge­setz­re­vi­sion, sondern um die Frage, wo die Menschen wohnen sollen. Asyl­zen­tren möglichst abge­legen plat­zieren zu wollen, finde ich ein Problem. Viele Stand­orte sind schreck­lich. Etwa in Altstätten, wo das BAZ zwischen einem Schies­stand und einem Gefängnis liegen wird. Diese Bundes­asyl­zen­tren sind natür­lich ein Sinn­bild dafür, wie man allge­mein mit Asyl­su­chenden umgeht in unserer Gesell­schaft: Man drängt sie an den Rand und aus den Augen der Öffentlichkeit.

Und genau deshalb führen wir dieses Inter­view: Geflüch­tete werden an den Rand gedrängt; das ist nicht beson­ders neu. Neu ist, dass wir mit dem neuen Gesetz einen Rahmen dafür haben, der von den grossen linken Parteien mitge­tragen wurde. Neu ist, dass man jetzt davon ausgeht: Diese Abschot­tungs­po­litik wird auch von links mitgetragen. 

Bei der Asyl­ge­setz­re­vi­sion ging es im Kern darum, schnel­lere Verfahren in Bundes­asyl­zen­tren einzu­führen, die Betrof­fenen nicht jahre­lang im Unge­wissen zu lassen sowie einen unent­gelt­li­chen Rechts­bei­stand einzu­führen. Ich halte es für zu weit herge­holt, die Stim­mung inner­halb der Linken auf die Zustim­mung zu diesem Gesetz zu beschränken. Ich glaube, es ist klar, dass die Abschot­tungs­po­litik von links nicht mitge­tragen wird und wir diese vehe­ment kritisieren.

Aber es ist ja nicht nur Zustim­mung. Das Gesetz wurde von einer SP-Bundes­rätin erar­beitet. Und das ist kein Einzel­fall: SP-Exekutivpolitiker*innen prägen die Schweizer Asyl­po­litik wesent­lich mit. 

Natür­lich trägt das Asyl­ge­setz die Hand­schrift von Simo­netta Somma­ruga. Bei früheren Asyl­ge­setz­re­vi­sionen gingen wir immer auf die Barri­kaden. Etwa bei der Abschaf­fung des Botschafts­asyls. Das waren massive Verschär­fungen, die wir, leider erfolglos, bekämpft haben. Diese neue Revi­sion hat zum ersten Mal auch Verbes­se­rungen gebracht. Neben Verschlech­te­rungen natür­lich, es war und ist aber nicht mein Wunsch­ge­setz. Aber ich konnte es mittragen und ich stehe weiterhin dahinter. Die Frage, wie man mit Asyl­su­chenden umgeht, misst sich nicht nur an einem Gesetz. Es geht hier um eine allge­meine Stim­mung, zu der Exekutiv-Mitglieder der SP auf kanto­naler, kommu­naler und natio­naler Ebene ihren Teil beitragen – positiv wie negativ.

Ich finde es beäng­sti­gend, dass in der Asyl­po­litik jetzt eine parla­men­ta­ri­sche, linke Gegen­stimme fehlt. Man sagt ja nicht nur Ja zu einer Revi­sion; man gibt die Zustim­mung zu einem Gesetz, das einen bestimmten Umgang mit Asyl­su­chenden vorgibt: Isola­tion, Halb­ge­fan­gen­schaft und möglichst effi­zi­ente Ausschaffungen. 

Die Ausgangs­frage war ja, wie ich damals abge­stimmt habe, und das habe ich erklärt. Aber dass ich es haar­sträu­bend finde, wie wir mit Asyl­su­chenden umgehen, wie die Stim­mung ist: Das ist selbst­re­dend. Ich mache das einfach nicht an der Zustim­mung zu diesem Gesetz fest. Die Asyl­ge­setz­re­vi­sion war nicht ein Wende­punkt in der Geschichte. Sie ist ein Teil­chen, das diese Geschichte weiter­erzählt. Und dass diese Geschichte negativ geprägt ist, ist klar – aber das wäre auch bei einem Nein nicht anders gewesen.

Natür­lich kann die ganze gesell­schaft­liche Stim­mung im Asyl­be­reich nicht an dieser Revi­sion aufge­hängt werden. Aber irgendwo muss man ja ansetzen. Wo sonst? Was muss passieren, damit es besser wird? 

Was sicher wichtig ist, ist eine zivil­ge­sell­schaft­liche Stimme, die gegen­über dem Asyl­pro­zess kritisch bleibt. Die tragen wir übri­gens auch weiterhin ins Parla­ment. Es ist entschei­dend, dass man weiterhin hinsieht und kriti­siert. Aber nicht nur beim Asyl­ge­setz, sondern auch bei anderen Themen: etwa bei Eingren­zungen, beim Umgang mit abge­wie­senen Asyl­su­chenden, bei Ausschaf­fungen, beim frag­wür­digen Status der Vorläu­figen Aufnahme oder bei Dublin-Rück­füh­rungen, deren Zahl im Vergleich zu anderen euro­päi­schen Ländern beson­ders hoch ist. Da muss man den Finger drauf­halten. Ich glaube, das ist die einzige Chance, dem lauten Gekrei­sche von rechts entgegenzustehen.

Also mit lautem Gekrei­sche von links?

Ja, ich finde es zentral, dass es laute Kritik von links gibt und wir auch mutige Forde­rungen stellen. Wir müssen nicht den Kompro­miss schon vorwegnehmen.

Also sollte man sich radi­kaler positionieren?

Ja, wir sollten grund­sätz­li­chere Forde­rungen einbringen.

Aber wieso sagt dann die SP Ja zu so einem Asyl­ge­setz? Das ist ja das Gegenteil!

Das ist doch nicht der Kern der Sache!

Viel­leicht nicht – aber trotzdem wichtig. 

Noch­mals: Wir können bei der Asyl­ge­setz­re­vi­sion eine unter­schied­liche Einschät­zung haben, aber ich finde es falsch, nur diese im Fokus zu haben und daran zu messen, ob jemand kritisch gegen­über der aktu­ellen Politik ist oder nicht. Wir sollten aus meiner Sicht zum Beispiel über die Abschaf­fung des Botschafts­asyls spre­chen. Die einzige legale Möglich­keit, in der Schweiz Asyl zu erhalten, haben die bürger­li­chen Parteien abge­schafft. Oder etwa auch, dass die Verwei­ge­rung des Wehr­diensts nicht mehr als Flucht­grund aner­kannt wird. Das hat den Eritreer*innen in diesem Land nach­haltig geschadet.

Man kann sich ja nicht immer nur daran orien­tieren, was sonst noch alles schlimm ist. Und es ist ja schon so, dass die Abschot­tung mit den Bundes­asyl­zen­tren noch grösser wurde. Früher mussten die Personen im Asyl­ver­fahren ja nicht um 17:00 Uhr zuhause sein. Sondern sie konnten sich eben auch aktiv an zivil­ge­sell­schaft­li­chen Ange­boten betei­ligen. Zwischen­mensch­liche Kontakte, Kontakte zu soli­da­ri­schen Grup­pie­rungen mit Verbin­dungen zu Anwält*innen wurden jetzt ganz gezielt abge­schafft – weil so immer wieder Blei­be­recht erkämpft werden konnte. 

Das muss auch unbe­dingt weiterhin möglich sein; das muss gewähr­lei­stet werden und dafür setze ich mich übri­gens im Parla­ment auch ein. Vieles wird auf Verord­nungs­stufe gere­gelt und hier sehe ich grossen Verbes­se­rungs­be­darf. Auch für die Aufnahme von Geflüch­teten braucht es mehr poli­ti­schen Druck. Während der Bundesrat öffent­lich kommu­ni­ziert, an Relo­ca­tion-Programmen teil­zu­nehmen und 1500 Flüch­tende aufzu­nehmen, schafft die Schweiz dreimal so viele Menschen zurück nach Italien, weil diese Menschen den euro­päi­schen Boden in Italien betreten haben (soge­nannte Dublin-Fälle). Und an den EU-Aussen­grenzen herr­schen unhalt­bare Zustände. Es werden rechts­staat­liche Prin­zi­pien verletzt, und die Schweiz schaut einfach zu – weil man sich die Flücht­linge vom Hals halten will.

Das führt mich zurück zum meiner anfäng­li­chen These: Wo bleibt die Empö­rung? Wieso stellt sich die SP nicht quer?

Die SP macht das längst. Es gibt viele Parteivertreter*innen, die regel­mässig Druck aufbauen und Kritik üben. Teil­weise auch sehr vehe­ment. Da zähle ich mich dazu. Aber klar: Ich wünschte mir immer mal wieder mehr Mut. Hier geht es um die Grund­rechte von verletz­li­chen Personen. Grund­rechte sind erst dann etwas wert, wenn sie für alle Menschen gelten.

Auch mich erschreckt immer wieder, wie wenig das Thema die Leute noch zu bewegen vermag. Ich finde es krass, wie unwürdig die Gesell­schaft mit Leuten umgeht, die keinen Pass haben. Und wie wir als Gesell­schaft nicht wahr­haben wollen, dass man anstelle der Bekämp­fung von Flücht­lingen endlich damit anfangen sollte, Flucht­ur­sa­chen zu bekämpfen. Die Schweiz hätte hierfür viele Ansatz­punkte; linke Politik muss diese Zusam­men­hänge thema­ti­sieren. Die Zusam­men­hänge zwischen Asyl­po­litik und dem Schaden und unglaub­li­chen Leid, den die Schweiz welt­weit verursacht.


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