Podcast: 17 Jahre ille­ga­li­siert in Zürich — Ein Porträt von Mohamadu

Poli­zei­willkür, Angst und Recht­lo­sig­keit. Ein Betrof­fener erzählt aus seinem Leben als Sans-Papiers. 
Leibesvisitationen, eine alltägliche Demütigung der Polizei gegenüber Sans-Papiers. (Illustration: Jacek Piotrowski, @jaski_art)

Moha­madu* flüchtet als junger Mann vor Bürger­krieg, Armut und Korrup­tion aus Guinea in die Schweiz. Sein Traum von einem besseren Leben in Zürich platzt schnell, er bekommt kein Asyl. Moha­madu bleibt, da er ein Leben ohne Aufent­halts­titel in der Schweiz der Rück­kehr in die krisen­ge­schüt­telte Heimat vorzieht.

„Ich musste mich jedes Mal nackt ausziehen und bücken“

Moha­madu lebt 17 Jahre ille­ga­li­siert in Zürich und wird immer wieder von der Stadt­po­lizei verhaftet, weil er keine Aufent­halts­be­wil­li­gung hatte. Er wird auf den Poli­zei­po­sten gebracht und muss sich jedes Mal nackt ausziehen. 

Dies, obwohl Leibes­vi­si­ta­tionen im Intim­be­reich bei Poli­zei­kon­trollen recht­lich nur zulässig sind, wenn beispiels­weise der konkrete Verdacht auf ein Straf­de­likt oder auf Selbst­ge­fähr­dung vorliegt. Das war bei Moha­madu aber nie der Fall, wie seine Akten zeigen. Moha­madu hat – ausser dem Umstand, dass er ohne Aufent­halts­titel in der Schweiz geblieben ist – nie gegen das Gesetz verstossen.

Moha­madu wurde in den vielen Jahren seines ille­ga­li­sierten Aufent­halts minde­stens fünf­zehn Mal von der Stadt­po­lizei verhaftet. Dabei muss er sich jedes Mal auf dem Poli­zei­po­sten einer Leibes­vi­si­ta­tion unter­ziehen, obwohl dafür objektiv kein Anlass bestand. In diesem Audio­bei­trag erzählt Moha­madu seine Geschichte. Zwischen Gewalt, Racial Profiling und stän­diger Angst:

„Es ist wahn­sinnig demü­ti­gend und erniedrigend“

Moha­madu lebte als Sans-Papiers in Zürich. Sein Asyl­ein­trag wurde abge­lehnt, deshalb wohnt er nun offi­ziell in einer Notun­ter­kunft. Bei abge­lehnten Asyl­an­trägen kommt es immer wieder vor, dass die Schweiz die Personen nicht ausschaffen kann. Dies entweder weil die Personen unter­tau­chen, weil die Heimat­staaten der Ausschaf­fung nicht zustimmen oder nicht ermit­telt werden kann, woher die Person kommt.

In diesem Fall wird Moha­madu immer wieder kontrol­liert und kann für beschränkte Zeit fest­ge­nommen werden, Leibes­vi­si­ta­tionen inklu­sive. Bea Schwager, Stel­len­lei­terin der Sans-Papiers Anlauf­stelle (SPAZ) in Zürich, bestä­tigt, dass es immer wieder vorkomme, dass sich Sans-Papiers ohne Grund einer Leibes­vi­si­ta­tion unter­ziehen müssten: „Es ist wahn­sinnig demü­ti­gend und ernied­ri­gend. Von Seiten der Polizei wird jeweils argu­men­tiert, dass sie fest­stellen müssen ob der Kontrol­lierte irgend­welche Drogen am Leibe habe. Es sind aber Leute, bei denen nie etwas gefunden wurde. Diese Leibes­vi­si­ta­tionen der Stapo Zürich bei Sans-Papiers sind eine gängige Praxis. Es kommt häufig vor.“


Im Gross­raum Zürich leben laut Angaben der SPAZ um die 28.000 Sans-Papiers. Damit werden alle Menschen gemeint, die ohne gültige Aufent­halts­pa­piere in der Schweiz leben. Dies können Migrant:innen sein, die hier seit Jahren arbeiten, nie einen Aufent­halts­titel hatten, ihn verloren haben oder dessen Asyl­an­trag abge­lehnt worden ist.

Die grosse Mehr­heit dieser Sans-Papiers sind zwischen 18 und 45 Jahre alt, wie eine Studie des Amts für Wirt­schaft und Arbeit und des Migra­ti­ons­amts des Kantons Zürich vom März 2020 zeigt.

Gemäss dieser Unter­su­chung leben zwischen 2000 und 3700 Sans-Papiers seit minde­stens zehn Jahren im Kanton Zürich und erfüllen damit die zeit­li­chen Voraus­set­zungen für eine Härte­fall­re­ge­lung. Sans-Papiers haben die Möglich­keit, ein Gesuch um eine Härte­fall­be­wil­li­gung zu stellen, also konkret um Ertei­lung einer B‑Bewilligung, die den Aufent­halt in der Schweiz lega­li­sieren würde.

Der posi­tive Entscheid eines Harte­fäll­ge­suchs ist sehr selten. Viele Sans-Papiers verzichten daher darauf, da sie dabei ihre Iden­tität offen­legen müssten. Wenn das Härte­fall­ge­such dann abge­wiesen würde, hätten sie eine Ausschaf­fung zu befürchten. Von den im Kanton Zürich gestellten Gesu­chen werden gemäss Staats­se­kre­ta­riat für Migra­tion (SEM) im Schnitt rund 30 pro Jahr gutge­heissen. Es gibt keine offi­zi­ellen Zahl zur Summe der Anträge, die gestellt werden.


Moha­madu erzählt, er würde bei den meisten erwähnten Kontrollen von der Stadt­po­lizei Zürich geduzt. Auch dies ist kein Einzel­fall und schon länger ein Problem: „Ja, das haben wir wirk­lich schon sehr oft gehört“, so Bea Schwager. Auch von der Ombuds­stelle Stadt Zürich wird dies bestä­tigt: „Wir haben schon häufig gehört, dass Leute von der Polizei geduzt worden sind“. Die Stadt­po­lizei Zürich nimmt zu diesen Vorwürfen nur sehr beschränkt Stellung.

Bei der Stadt­po­lizei Zürich heisst es in Bezug auf die Leibes­vi­si­ta­tionen und das Duzen bei den Kontrollen – auch nach mehr­ma­ligem Anfragen – ledig­lich: „Ohne konkrete Angaben zu Personen und/oder Angaben zu Örtlich­keit sowie Zeit und Datum können wir keine Auskunft geben.“

Damit lässt sie offen, ob ihr derar­tige Vorfälle bekannt sind oder nicht.

Es kommt aber auch zu deut­lich schwer­wie­genden Fällen:

* Auf Verlangen von Moha­madu wird nur sein Vorname genannt. Der Autor des Beitrags kennt den Betrof­fenen seit 15 Jahren und hat sein Leben in der Schweiz begleitet. Aufgrund dessen wird Moha­madu vom Autor geduzt.

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