Vergiftet

Nach der Umwelt­ka­ta­strophe an der Oder kämpfen die Menschen in Polen um Aufklä­rung und Gewäs­ser­schutz. Doch Polens Regie­rung hat andere Pläne. 
Die Hälfte des Fischbestandes der Oder und ihrer Zuflüsse ist mit der Umweltkatastrophe verendet. (Foto: Colby Winfield / Unsplash)

Die Gift­welle kam in der Nacht. Ryszard Matecki, 55 Jahre alt, und seine Part­nerin Edyta (44) trauten ihren Augen nicht, als sie früh morgens ans Ufer der Oder traten: Auf dem Wasser trieben unzäh­lige tote Fische, viele Kadaver lagen am Ufer.

Ein unan­ge­nehmer Geruch von toten Brassen, Welsen und Zandern hing über dem kleinen Ort Zatoń Dolna, 65 Kilo­meter südlich von Stettin auf der polni­schen Fluss­seite gelegen. Die Leiber fingen bald darauf zu stinken an, es war unge­wöhn­lich heiss in diesem August. Ryszard und Edyta erin­nern sich, dass es ganz still war – die Vögel gaben keinen Laut von sich.

„Wir wussten nicht, was es war, aber wir hatten Angst“, sagt Ryszard, ein grosser, kräf­tiger Mann. Die Worte spru­deln aus ihm heraus, obwohl er erschöpft ist. Das Unglück hat ihn tief getroffen.

Ihr Haus liegt nur ein paar Schritte vom Fluss­ufer entfernt. An jenem Tag trauten sie sich kaum, die Luft einzuatmen.

Kurz vorher hatte ihr Freund Michał Zygmunt sie gewarnt, dass etwas den Fluss hinun­ter­komme. Zygmunt ist Musiker und lebt an der polni­schen Oder. Die meiste Zeit verbringt der Mann mit den Dread­locks auf seinem Boot. Er sammelt Sounds aus der Natur – plät­scherndes Wasser, die Rufe der Vögel – und mischt sie mit elek­tro­ni­scher Musik.

„Fluss­auf­wärts roch das Wasser chemisch“, erzählt der 43-Jährige. Das war einige Tage bevor das Unglück dort ankam, wo die Oder zum Grenz­fluss zwischen Deutsch­land und Polen wird. Michał meldete es den Behörden. „Die taten erst mal nichts. Dann prüften sie die Luft­qua­lität und die war gut. Auf die Idee, Wasser­proben zu nehmen, kamen sie nicht“, sagt er.

An jenem Morgen, als die Gift­welle ankam, stellten Ryszard und Edyta ein Schild am Ufer auf. „Vorsicht Gift! Bleibt vom Fluss weg!“, stand darauf geschrieben.

Sie wussten nicht, ob sie die Fische anfassen durften und was sie tun sollten. Die Behörden hatten sie nicht gewarnt, auch jetzt liess sich niemand blicken. In der Hitze verwe­sten die Fische.

Hunderte Tonnen toter Fisch auf 500 Kilo­me­tern Fluss­lauf sind das Ergebnis dieser gewal­tigen Umwelt­ka­ta­strophe. Auch unzäh­lige Krebse, Schnecken und Muscheln sind verendet.

Wissenschaftler*innen des Leibniz-Insti­tutes für Gewäs­ser­öko­logie und Binnen­fi­scherei (IGB) erklärten bereits am 19. August 2022, dass die hohe Konzen­tra­tion eines Giftes der Brack­was­ser­alge Prymne­sium parvum (Gold­alge) das Sterben der Fische und Weich­tiere in der Oder ausge­löst hat. Eine massen­hafte Ausbrei­tung der Alge konnte später über Satel­li­ten­daten bestä­tigt werden. Die Gold­alge wächst laut IGB bei einem Salz­ge­halt von zwei bis 30 Promille. Süss­wasser beinhaltet norma­ler­weise weniger als ein Promille Salz.

Das IGB machte indu­stri­elle Einlei­tungen für die erhöhten Salz­ge­halte in der Oder verant­wort­lich. Der Expert*innenbericht aus Deutsch­land bestä­tigte dies. Wie und wo genau das Salz in die Oder gelangte, ist aller­dings immer noch nicht bekannt.

Neben dem Salz und der Hitze ist die Aufstauung der Oder mitver­ant­wort­lich für das Unglück. Dadurch wird die Strö­mung des Flusses unter­bunden, die sonst eine massen­hafte Vermeh­rung von Algen, die soge­nannte „Algen­blüte“, verhindert.

Noch ist unklar, welche lang­fri­stigen Folgen die Umwelt­ka­ta­strophe hat und wie schnell sich die Oder erholen wird. Die natür­liche Wider­stands­fä­hig­keit des Flusses ist jedoch bereits stark geschwächt.

Durch die Effekte des Klima­wan­dels befürchtet das IGB zudem, dass ein Zusam­men­treffen der für die Kata­strophe ursäch­li­chen Faktoren in den kommenden Jahren wahr­schein­li­cher wird. Es kann also erneut zu einer Algen­blüte kommen.

Eine Natur­ka­ta­strophe, aber eine menschen­ge­machte: Zwar wurden die Fische durch eine Alge vergiftet. Diese konnte sich aber nur deshalb ausbreiten, weil der Mensch die Bedin­gungen schaffte, die die Alge benö­tigte, um sich zu vermehren.

Diese Geschichte handelt vom Umgang des Menschen mit der Natur. Von einem Fluss, dessen Leben davon abhängt, dass man ihn in Ruhe lässt. Von einer Regie­rung, die die Umwelt nicht zu inter­es­sieren scheint, sondern die ihr – im Gegen­teil – schadet.

Aber vor allem handelt sie von den Menschen, die an der polni­schen Oder leben. Menschen, die nicht mehr schweigen gegen­über einer Politik, die Flüsse als Schiff­fahrts­strassen oder als Abwas­ser­ka­näle betrachtet.

Vergif­tetes Geschenk

Zwei Wochen nachdem die Gift­welle in Zatoń Dolna ankam, wird Anfang September rund 35 Kilo­meter südlich eine neue Fuss­gän­ger­brücke über die Oder mit einem Festakt einge­weiht. Sie verbindet den deut­schen Ort Neurüd­nitz und das polni­sche Siekierki.

Ryszard ist vor Ort, denn er hat einen Protest orga­ni­siert. Ryzsard ist Künstler und Grafik­de­si­gner, aber Edyta und er leben von ihrem Food­truck, mit dem sie Essen an Tourist*innen an der Oder verkaufen. Den werden sie jetzt verkaufen, weil die Einnahmen in den letzten Monaten gegen null gingen – die Tourist*innen kamen nicht mehr. Wie bei vielen, die an und von der Oder leben, ist ihre Existenz gefährdet.

Auf die Trauer, die Ryszard in seiner Kunst verar­bei­tete – düstere Bilder von Massen toter Fische, folgte Kampf­geist. Jetzt will er den Oder­ausbau stoppen und sich für den Fluss und die Umwelt einsetzen.

An diesem Morgen fliesst die Oder dahin, als wäre nichts gewesen. Es riecht noch etwas algig, aber keine Spur mehr von toten Fischen. Auf dem Grund jedoch werden laut dem Leibniz-Institut für Gewäs­ser­öko­logie und Binnen­fi­scherei (IGB) noch tonnen­weise Kadaver liegen.

Begleitet wird Ryszard von Umweltaktivist*innen der Initia­tive Save the Rivers, einem Zusam­men­schluss von Menschen aus Deutsch­land, Polen und Tschechien.

Im Vorfeld hatte die polni­sche Polizei versucht, ihn einzu­schüch­tern und den Protest zu verhin­dern, sagt Ryszard. Hinter der Brücke im Wald stehen Poli­zei­wagen bereit. Zunächst blockieren die rund 20 Aktivist*innen die Brücke. An den Trägern der Brücke haben sie ein Banner aufge­hängt: „Save Oder Die!“, steht darauf.

Dann gehen sie zum Festakt, stellen sich neben die Bühne und halten dabei blaue Schilder hoch, auf denen die Namen polni­scher Flüsse stehen: Odra, Pliszko, Wisła, Warta.

Nach den offi­zi­ellen Reden gehen die Aktivist*innen auf die Bühne. Justyna Odrich von den River Sisters – einem Kollektiv akti­vi­sti­scher Künst­le­rinnen – über­reicht Karsten Birk­holz, dem Amts­di­rektor von Barnim-Oder­bruch, und Adam Zarzycki, dem Bürger­mei­ster des nahe gele­genen Ortes Cedynia, ein Geschenk: Ein Mosaik der Jung­frau Maria mit dem Gesicht eines Toten­kopfes und einem toten Fisch im Arm. Tage später geht das Gerücht um, dass sie wegen Verlet­zung reli­giöser Gefühle ange­klagt werden soll.

Toxi­sche Beziehung

Die deut­schen Behörden hatten ihren polni­schen Kolleg*innen schwere Vorwürfe gemacht, als sie erfuhren, dass die Fische in der polni­schen Oder schon im Juli starben. Warum waren sie nicht infor­miert worden? Das zwischen den Ländern verein­barte Warn­sy­stem hatte nicht funktioniert.

Die polni­sche Seite wies alle Vorwürfe zurück. Die Bezie­hungen, um die es ohnehin nicht gutstand, verschlech­terten sich. Eine Rolle spielte hierbei auch, dass die polni­sche rechts­na­tio­nale Regie­rungs­partei Recht und Gerech­tig­keit (PiS) bereits in den Wahl­kampf­modus umschal­tete – näch­stes Jahr finden Parla­ments­wahlen statt – und wegen Welt­kriegs­ver­bre­chen Repa­ra­ti­ons­for­de­rungen in Höhe von 1.3 Billionen Euro an Deutsch­land stellte. Der polni­sche Staats­se­kretär für Infra­struktur und Wasser­wirt­schaft, Marek Grób­ar­czyk, speku­lierte sogar, dass die Deut­schen die Oder absicht­lich vergiftet hätten, um Polen zu schaden.

In diesem poli­tisch aufge­la­denen Klima schleppte sich auch die Ursa­chen­auf­klä­rung dahin. Erst Mitte August fanden Wissenschaftler*innen des IGB heraus: Der Tod kam durch eine hoch­gif­tige Alge, die soge­nannte Gold­alge, Fach­be­griff: Prymne­sium parvum. Eigent­lich im Salz­wasser heimisch, gelangte sie irgendwie in den Fluss.

Die Alge vermehrte sich rasant. Eine ganze Reihe von Faktoren begün­stigte das seltene Ereignis: Die extreme Hitze, das Nied­rig­wasser und eine hohe Nährstoffkonzentration.

Aber am Anfang war das Salz. Die Gold­alge benö­tigt davon sehr viel, um sich zu vermehren. Die Frage ist daher: Was macht die Gold­alge in einem Süss­was­ser­fluss? Oder: Wie kommt eigent­lich so viel Salz in die Oder?

Abwässer

Der Ort Oława liegt etwa 30 Kilo­meter südlich von Breslau, dem polni­schen Wrocław, tief in Nieder­schle­sien. Die Oder schlägt hier eine Kurve nach Norden, verzweigt sich dabei in einem Netz aus Kanälen und Flussläufen.

Die Klein­stadt mit ihren 32’000 Einwoh­nern galt früh als mögli­cher Ausgangs­punkt des Unglücks. Hier meldeten Angler*innen den Behörden bereits im Juli, dass die Fische starben.

Marek Drabiński ist Teil der Bürger­initia­tive „Alle für Oława“. Der 47-Jährige macht seit Jahren auf die Wasser­ver­schmut­zung durch die örtliche Indu­strie aufmerksam. Bisher ohne Erfolg.

„Als die Fische starben, infor­mierten wir die Wasser­schutz­be­hörden. Sie nahmen Proben aus einem der Kanäle, aber nicht aus dem, wo sich bereits die toten Fische anhäuften. Über drei Tonnen haben wir heraus­ge­holt“, sagt er.

Die Aufräum­ar­beiten mussten die Bewohner*innen von Oława selbst in die Hand nehmen. Laut Drabiński hätte der Bürger­mei­ster Tomasz Frisch­mann Hilfe anfor­dern müssen. „Alles, was er getan hat, war, uns Hand­schuhe und Säcke zur Verfü­gung zu stellen“, sagt Drabiński.

Frisch­mann sagte dem Fern­seh­sender RBB dazu, alle Hinweise über ster­bende Fische an die zustän­digen Behörden weiter­ge­leitet zu haben. Die Proben, die entnommen worden sind, seien ja auch gar nicht umwelt­schäd­lich gewesen, so der Bürgermeister.

Dieser Meinung ist Drabiński nicht: Er macht giftige, ille­gale Einlei­tungen von Abwäs­sern durch die örtliche Indu­strie für das Unglück verantwortlich.

„Seit Jahren leiten hier die Firmen ihre Abwässer ins Gewässer. Immer wieder sterben die Fische. Nur waren es dieses Jahr wegen Hitze und Nied­rig­wasser viel mehr als sonst“, sagt er.

Ein paar Meter von der Strasse entfernt im Gebüsch, in dem sich mehrere Zuflüsse zur Oder kreuzen, zeigt Drabiński auf ein Abwas­ser­rohr, das aus dem Ufer­hang hinaus­ragt und aus dem mit hohem Druck Abwasser in den schmalen Kanal­lauf spru­delt. Sie hinter­lassen einen öligen Film auf der Wasser­ober­fläche. Blickt man in die Rich­tung, aus der das Wasser kommt, erhebt sich hinter den Bäumen zuerst ein Zaun, dann eine große Fabrik­an­lage – Jack-Pol, eine der zwei Papier­fa­briken im Ort.

Die Firma bestreitet in einer Erklä­rung, etwas mit dem Fisch­sterben zu tun zu haben. Der Geschäfts­führer Jacek Woźniak bezeichnet es als Verleum­dung, dass Jack-Pol von Vielen als Sünden­bock hinge­stellt werde. Er beruft sich darauf, dass die Behörden in den Gewäs­sern keine Schad­stoffe fest­ge­stellt hätten.

Doch Drabiński ist sich sicher: „Die Firmen hier vergiften die Gewässer. Und sie haben nichts zu befürchten. Denn die Menschen, die in den Behörden arbeiten, sind inkom­pe­tent. Diese Posten wurden als Gefäl­lig­keiten vergeben. Es gibt kein Inter­esse an Kontrolle oder Aufklä­rung“, sagt er.

System­fehler

Als im Juli die Meldungen über ster­bende Fische in Oława und Umge­bung eingehen, schlug Małgorzata Tracz Alarm. Sie ist Co-Partei­vor­sit­zende der polni­schen Grünen und eine von drei Parla­ments­ab­ge­ord­neten der Partei. Am 4. August wurden schließ­lich auch in ihrem Wahl­kreis in Breslau giftige Substanzen in der Oder festgestellt.

Der Kampf der jungen Abge­ord­neten für den Umwelt­schutz gleicht dem Kampf gegen Wind­mühlen. Genau so fühlte es sich für sie an, als sie Anfang August die Behörden auf das Problem aufmerksam machen wollte. Sie verfasste Briefe an verschie­dene Behörden – sogar an das Justiz­mi­ni­ste­rium –, weil sie ein Verbre­chen vermutete.

Tracz ist sich sicher, dass die Einlei­tungen der Indu­strie das Problem verur­sacht haben. Immer wieder kommt es hier zu Fisch­sterben. Sie forderte eine Untersuchung.

Doch von den Behörden kam nur Schweigen.

„Das Problem ist, dass Flüsse rein wirt­schaft­lich gesehen werden, die Natur an sich hat für die PiS keinen Wert“, sagt Tracz. Die Regie­rung setzt ihrer Meinung nach Umwelt­re­gu­la­rien nur unzu­rei­chend oder gar nicht um. Vor allem wenn sie von der EU kommen.

Dem stimmt Krzy­sztof Cibor von Green­peace Polen zu. „Den Flüssen in Polen geht es durch die lasche Umwelt­po­litik und den Indu­strie­ver­schmut­zungen nicht gut“, sagt er.

Die Papier­fa­brik mag ein Übel­täter sein, aber tatsäch­lich ist an der Oder viel Indu­strie ange­sie­delt: Eine der größten Kupfer­minen Europas liegt in Fluss­nähe in dem Ort Rudna. Ein Kohle­berg­werk befindet sich nahe Gliwice. Dort kam es Anfang September erneut zu einem Fisch­sterben, das aber kaum Beach­tung fand.

Green­peace Polen vermutet, dass Berg­bau­firmen für das Fisch­sterben verant­wort­lich sind. In deren Nähe haben die Umweltschützer*innen hohe Salz­kon­zen­tra­tionen und Schwer­me­talle gemessen. Aller­dings ist das Vorgehen der Indu­strie nicht immer unbe­dingt illegal. „Die Auflagen und Regu­la­rien sind schwach. Die Einlei­tungen können sogar legal sein. Aber sie werden nicht kontrol­liert, die Konse­quenzen nicht bedacht. Das führt dazu, dass die Summe der Einlei­tungen kata­stro­phale Folgen für den Fluss haben kann“, sagt Cibor.

Diesen Sommer hat die PiS versucht, das Problem totzu­schweigen. Von ihr kontrol­lierte Medien hatten zunächst gar nicht darüber berichtet. Aber die Gescheh­nisse an der Oder waren nun nicht mehr zu verschleiern.

Zudem kam das Unglück nun in Deutsch­land an, wo die Oder auf 180 Kilo­me­tern Länge eine natür­liche Grenze zu Polen bildet. Am 9. August wurden bei Frank­furt an der Oder toxi­sche Substanzen im Fluss fest­ge­stellt. Und hier wollte man wissen, was passiert war.

Täter­pro­file

Deutsch­land und Polen rich­teten schliess­lich eine gemein­same Unter­su­chungs­kom­mis­sion ein, die die Unglücks­ur­sache aufklären sollte. Doch die Kommis­sion schei­terte, weil die Vorstel­lungen über Ursache und Schluss­fol­ge­rungen auseinandergingen.

Beide Länder veröf­fent­lichten daher Ende September jeweils eigene Berichte mit unter­schied­li­chen Narrativen.

Worin sich Polen und Deut­sche einig sind: Das Gift der Gold­alge hat die Fische getötet. Klima­ti­sche Faktoren wie Hitze und der nied­rige Wasser­stand haben dazu geführt, dass sich die Alge massen­weise vermehren konnte. 

Aber für Polen endet hier die Geschichte – eine natür­liche Katastrophe.

Die Deut­schen bohren weiter: Wie kann sich eine Gold­alge, die nur in Salz­wasser über­leben kann, auf fast zwei Drit­teln des Süss­was­ser­flusses ausbreiten?

Schuld an der hohen Salz­kon­zen­tra­tion im Fluss und damit auch am Massen­sterben müsse mensch­li­ches Versagen sein, so die deut­sche Posi­tion. Das Salz muss durch indu­stri­elle Einlei­tungen – und zwar auf dem Gebiet Polens–, in die Oder gekommen sein.

Die deut­sche Umwelt­mi­ni­sterin Steffi Lemke hatte da den Oder­ausbau bereits gestoppt und will Umwelt­auf­lagen nun ganz neu bewerten.

In Polen hingegen: Busi­ness as usual. Der Ausbau der Oder geht weiter. Die Bagger standen auch während des Unglücks nie still. Momentan heben sie eine Fahr­rinne von 1.80 Metern Tiefe aus, damit auch größere Schiffe Platz haben.

Marek Grób­ar­czyk, der Staats­se­kretär für Infra­struktur, kündigte auf Twitter bereits an: „Die Moder­ni­sie­rung der Oder mit dem Bau von Wasser­strassen und einem Contai­ner­ter­minal hat für uns Prio­rität. Wir machen keinen Schritt zurück!“

Im Fluss

Zurück in Zatoń Dolna blicken Ryszard und Edyta Matecki auf die nun scheinbar fried­liche Oder. Sie sorgen sich um den Zustand unter der Ober­fläche. „Tränen fliessen die Oder hinab, salzige Tränen“, sagt Ryszard.

Eine Woche nach Vorstel­lung der Unter­su­chungs­be­richte stellt Ryszard seine Fisch­bilder im polni­schen Stettin aus. Es sind düstere schwarz-weiss Grafiken, auf denen sich Fisch­ka­daver tummeln, durch­bro­chen von reli­giösen Motiven. Auf einem Bild entsteigen tote Fische dem Fluss, schweben hinauf in Rich­tung Himmel.

Sicher ist, dass viele Faktoren zur Umwelt­ka­ta­strophe geführt haben. Aber die Wahr­schein­lich­keit, dass sie genau so wieder auftreten werden, hat sich durch Klima­wandel und Trocken­heit erhöht. „Und daran sind wir schliess­lich auch schuld oder nicht? Von wegen Natur­ka­ta­strophe“, sagt Ryszard.

Er und die polni­schen Umweltaktivist*innen werden daher nicht aufhören, gegen die Feinde des Flusses zu kämpfen. Sie kündigen an, Brücken zu blockieren. Sie klagen vor dem Verwal­tungs­ge­richt in Warschau. Sie planen ein Bottom-up-Fluss­mo­ni­to­ring, um mit eigenen Mess­sta­tionen die Wasser­qua­lität der Oder zu messen.

„Der Fluss gehört ja nicht der PiS“, sagt er.

Ryszard und die anderen – sie haben gerade erst ange­fangen zu kämpfen.


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