Warum wir über 5G spre­chen müssen – jenseits der Strahlenthematik

In der Debatte um den 5G-Ausbau sind die Fronten verhärtet: Hier Strahlengegner*innen, die um ihre Gesund­heit fürchten, dort Verfechter*innen der Digi­ta­li­sie­rung, die 5G am lieb­sten schon morgen überall einge­führt hätten. Zeit, sich der Hysterie zu entle­digen – und sich grund­le­gende Fragen über Vor- und Nach­teile dieser Entwick­lung zu stellen. Jenseits der Strahlenthematik. 
Wer profitiert von der Digitalisierung? (Foto: Su San Lee / Unsplash)

„Fort­schritt heisst Vernet­zung. Und Vernet­zung heisst 5G.“

Mit diesem Mantra befeuert die Swisscom den Ausbau des Mobil­funk­netztes der fünften Gene­ra­tion: höhere Down­load­ge­schwin­dig­keiten, kürzere Reak­ti­ons­zeiten, eine erhöhte Daten­ka­pa­zität und eine gestei­gerte Ener­gie­ef­fi­zienz dank 5G. Dieser Ausbau führe zu einer Fülle an Möglich­keiten der tech­no­lo­gi­schen Inno­va­tion, so die Hoffnung.

4K-Videos ruck­el­frei zu streamen, ist zwar ganz nett. Der Ausbau der 5G-Infra­struktur wird aber vor allem für die zahl­rei­chen indu­stri­ellen Anwen­dungen voran­ge­trieben. Das Internet of Things, selbst­fah­rende Fahr­zeuge und Augmented Reality sind Anwen­dungen mit enormem wirt­schaft­li­chem Poten­zial. Die jetzige Mobil­funk­ge­nera­tion 4G hat Geschäfts­mo­delle wie Uber oder Spotify erst möglich gemacht. Das Internet of Things eröffnet noch einmal neue Möglich­keiten: von Smart Home mit intel­li­genten Gegen­ständen im Haus­halt bis zu Smart Cities, in denen Verkehr, Kommu­ni­ka­tion und andere Systeme vernetzt werden können.

Von Aluhüten und Elektrosensiblen

Oppo­si­tion gegen den geplanten Ausbau der 5G-Infra­struktur kommt vor allem aus einer Ecke: Strahlengegner*innen und Elek­tro­smog-Sensible fürchten sich vor der erhöhten Strah­len­be­la­stung der neuen Tech­no­logie. Deren gesund­heit­li­chen Risiken seien noch nicht voll­ständig geklärt. Verfechter*innen des tech­no­lo­gi­schen Fort­schritts hingegen wittern hier eine Verschwö­rungs­theorie und offe­rieren den Gegner*innen Aluhüte.

Zeit, sich der Hysterie zu entle­digen. Was in der Debatte um den Ausbau der digi­talen Infra­struktur fehlt, sind nüch­terne Über­le­gungen jenseits der Strah­len­the­matik: Welche Vor- und Nach­teile bringt die Entwick­lung? Vier Anstösse für eine kriti­sche Sicht:

1. Effi­zi­en­tere Geräte führen nicht unbe­dingt zu weniger Energieverbrauch

Befürworter*innen des 5G-Ausbaus sehen in der Tech­no­logie die Möglich­keit, Infra­struk­turen intel­li­gent zu vernetzen. Dies gene­riere ein hohes Ener­gie­ef­fi­zi­enz­po­ten­zial und führe damit zu einer Reduk­tion von CO2-Emis­sionen. „Mit 5G kann der Ener­gie­ver­brauch je über­tra­genem Bit um den Faktor Tausend gesenkt werden, das Netz wird nach­hal­tiger und günstiger im Betrieb“, schreibt die Swisscom auf ihrer Webseite.

Diese Argu­men­ta­tion greift aber zu kurz. Grund dafür ist der Rebound-Effekt. Dieser besagt, dass eine erhöhte Ener­gie­ef­fi­zienz nicht zu Einspa­rungen, sondern zu Mehr­nach­frage führt. Im schlimm­sten Fall heisst mehr Effi­zienz einen real erhöhten Energie- und Ressour­cen­ver­brauch. Wie kommt das?

Die zuneh­mende Vernet­zung durch das Internet of Things kann gemäss den Ökonomen Tilman Sant­a­rius und Steffen Lange gleich drei­fach zu einem höheren Ener­gie­ver­brauch führen. In ihrem Buch Smarte grüne Welt? führen sie die Gründe auf. Erstens verbrau­chen die intel­li­genten Geräte mehr Energie, weil sie vernetzt sind und neue Schnitt­stellen brau­chen. Zwei­tens müssen Daten­ströme der Geräte aufge­zeichnet, gespei­chert und über­tragen werden, was zusätz­liche Energie auf Servern und für die Über­tra­gung benö­tigt. Und drit­tens werden die sich beschleu­ni­genden Inno­va­ti­ons­zy­klen die Entwick­lung von neueren Geräten befeuern – und damit den Ressour­cen­ver­brauch erhöhen.

Effi­zienz allein sei also nicht die Lösung für das Ener­gie­pro­blem. Wenn zukünftig alle Kühl­schränke mit Kaffee­ma­schinen kommu­ni­zieren können müssen, dann werde die Heraus­for­de­rung, die Ener­gie­ver­sor­gung mit erneu­er­baren Ener­gien sicher­zu­stellen, nicht kleiner, schreiben Sarto­rius und Lange.

2. Spre­chende Toaster und denkende Kühl­schränke: über Sinn und Unsinn von 5G

In der Debatte um Strah­len­werte und Aluhüte kommt eine entschei­dende Frage zu kurz: Was bringt der 5G-Ausbau eigent­lich konkret? Welche heute bestehenden Probleme löst er?

Der deut­sche Popu­lär­phi­lo­soph Richard David Precht stellt in seinem Buch Jäger, Hirten, Kritiker die provo­ka­tive Frage, ob die Digi­ta­li­sie­rungs­in­no­va­tionen aus dem Silicon Valley über­haupt je Probleme gelöst hätten, die es vorhin schon gab. Man muss Precht nicht mögen. Es tut uns jedoch sicher­lich gut fest­zu­stellen, dass digi­tale Inno­va­tionen allein nicht alle bestehenden Probleme des 21. Jahr­hun­derts lösen werden.

In der Diskus­sion um 5G ist es daher durchaus legitim zu fragen, ob wir alle selbst­fah­rende Autos, Alexa als Gesprächs­part­nerin und einen denkenden Kühl­schrank brau­chen. Und ob diese Gadgets unser Leben und unsere Gesell­schaft wirk­lich besser machen. Dies als wohl­tu­ende Alter­na­tive zum teil­weise sektie­re­risch anmu­tenden Geschrei nach Digi­ta­li­sie­rung, Inno­va­tion und Disrup­tion der Silicon-Valley-Päpste.

3. Die alte Macht­frage: Wer profi­tiert von der Digitalisierung?

Späte­stens seit Roger Federer an gefühlt jedem Bahnhof für 5G wirbt, weiss man: Die Schweizer Tele­kom­an­bieter wollen den Ausbau schnell voran­treiben. Das Internet of Things, Augmented Reality und selbst­fah­rende Autos sind schliess­lich ein sich öffnender Milli­ar­den­markt für die Internet- und Technologiefirmen.

Einst gab es die roman­ti­sche Idee einer demo­kra­ti­schen digi­talen Ordnung: Die Produk­ti­ons­ver­hält­nisse würden demo­kra­ti­siert, das Netz bringe alle näher zusammen, dank BigData, Algo­rithmen und der Sharing Economy würden die Probleme der Mensch­heit gelöst.

Diese Sicht­weise ist längst Geschichte. Die Tech­no­lo­gie­un­ter­nehmen im Silicon Valley haben sich das Feld unter den Nagel gerissen. Im Valley, dem Tal des liber­tären, weissen, tech­no­philen Mannes, gelten die eisernen Gesetze des freien Markts. Wer nicht mitkommt, ist schwach – und gehört eliminiert.

Digi­ta­li­sie­rung und Vernet­zung haben nicht zur erhofften Demo­kra­ti­sie­rung der Welt geführt, sondern im Gegen­teil zu perverser Macht­kon­zen­tra­tion in den Händen von einigen wenigen Gross­kon­zernen. Dies wird sich mit der Einfüh­rung von 5G noch weiter verstärken.

Wer profi­tiert von der Digi­ta­li­sie­rung? (Foto: Su San Lee / Unsplash)

4. Mehr Daten­auf­zeich­nung heisst mehr Überwachung

Wenn das Internet of Things mehr Geräte mitein­ander vernetzt, werden auto­ma­tisch viel mehr Daten erhoben. Dies ist in zwei­erlei Hinsicht proble­ma­tisch. Erstens können die neuen Daten benutzt werden, um Benutzer*innenprofile zu perfek­tio­nieren und die näch­sten Produkte noch besser auf die Konsument*innen anzu­passen. Damit steigen der Konsum, der Profit der Digi­tal­branche und schliess­lich auch der Ressourcen- und Energieverbrauch.

Zwei­tens ist die erwar­tete Daten­flut auch demo­kra­tie­po­li­tisch kritisch zu hinter­fragen. Die Möglich­keiten für Über­wa­chung und Kontrolle nehmen mit dem Ausbau zu. An der letzten SXSW-Konfe­renz meinte Amy Webb, Grün­derin des Future Today Insti­tute, dass wir uns mit dem Ende der Privat­sphäre abfinden müssten. Diese Entwick­lung sei sowieso nicht zu verhindern.

Die Privat­sphäre und damit die Unter­schei­dung zwischen öffent­lich und privat ist jedoch zentral und unbe­dingt notwendig für Rechts­staat und Demo­kratie. Oder in den Worten des Sozio­logen Harald Welzer: „Der poli­ti­sche Bürger braucht die Sicher­heit der Privat­sphäre, damit er in der Öffent­lich­keit auftreten kann.“

Wie viel Digi­ta­li­sie­rung wollen wir als Gesellschaft?

Die Debatte um 5G ist verhärtet. Sie ist geprägt von gegen­sei­tigen Vorwürfen und Verschwö­rungs­theo­rien. Dabei würde das Thema eine gute Gele­gen­heit bieten, sich über Grund­satz­fragen der Digi­ta­li­sie­rung auszutauschen.

Diesen Dialog müssen wir in der Schweiz führen. Die Antwort auf die Frage, wie viel Digi­ta­li­sie­rung wir wollen, wird nicht im Silicon Valley oder in Shen­zhen entschieden, sondern in Sion und Schaffhausen.

„Die Digi­ta­li­sie­rung wird sowieso kommen, man kann nichts dagegen tun.“ Das oft gehörte Argu­ment hilft nicht weiter. Die Frage, in welcher Gesell­schaft man leben möchte, beant­wortet nach wie vor die Gesell­schaft selbst.

Die Digi­ta­li­sie­rung kann sicher­lich viel Posi­tives bewirken. Der einzige Schlüssel und die Lösung der Probleme dieser Welt ist sie jedoch nicht.

 


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 11 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 832 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Löse direkt über den Twint-Button ein Soli-Abo für CHF 60 im Jahr!

Ähnliche Artikel

12 statt 21 Franken pro Stunde

Der Brief- und Paketzusteller Quickmail wirbt mit einem Stundenlohn von 21 Franken. Sobald Mitarbeitende aber weniger schnell sind als von der Firma verlangt, sinkt das Gehalt – schlimmstenfalls weit unter das Existenzminimum.