Asyl im Thurgau: Unmensch­lich­keit hat System

Nach der Asyl­ge­setz­re­vi­sion von 2019 wurde der Thurgau zum Ausschaf­fungs­kanton. Ziel: ausrei­se­pflich­tige Personen durch Verschlech­te­rung ihrer Lebens­ver­hält­nisse zur Ausreise zu bewegen. Unter den Folgen leiden viele Menschen bis heute. Eine Analyse am Beispiel der Familie Ademi aus Kosovo. 
Das Durchgangsheim der Peregrina-Stiftung in Frauenfeld ist eine hufeisenförmige Baracke aus zwei langen, dunklen Gängen, von denen die Zimmertüren abzweigen. (Illustration: Wolfgang Wiler)

Zija Ademi und seine 13-jährige Tochter Lena sitzen in einem kleinen, wenig schmucken Zimmer auf dem Sofa und spre­chen für das Zoom­in­ter­view in die Laptop­ka­mera. Von nebenan in der winzigen Wohnung irgendwo in der Schweiz hört man leise die Stimmen seiner Frau Zeljija und der beiden anderen Kinder Ajlin und Hamsa.

„Hier verstecken wir uns“, sagt Lena und deutet mit dem Finger in den Raum. „Wir dürfen nicht raus. Wir haben Angst vor der Polizei.“

Vor einigen Wochen hat sich die Familie an das Lamm gewandt, um ihre Geschichte zu erzählen. Nach endgül­tiger Ableh­nung eines Härte­fall­ge­suchs sollen die Eltern mit ihren Kindern aus der Schweiz ausge­schafft und nach Kosovo gebracht werden, in ein kleines Dorf im Süden des Landes, aus dem sie vor neun Jahren geflohen sind. Jetzt sind sie unter­ge­taucht und müssen jeden Augen­blick damit rechnen, von den Behörden aufge­griffen zu werden.

„In Kosovo verstehen wir Kinder die verschie­denen Spra­chen kaum“, erzählt Lena. Ihr Vater ergänzt: „Wir sind Ange­hö­rige der bosni­schen Minder­heit. Grund­sätz­lich ist die Lage für Minder­heiten in Kosovo schwierig. Es gibt kaum Arbeit, manche Menschen hungern sogar.“

Ademis Gang in die Ille­ga­lität steht am Ende einer jahre­langen prekären Existenz im Asyl­sy­stem des Kantons Thurgau. Die Familie wurde Opfer einer kantonal imple­men­tierten Nothil­fe­stra­tegie, die im Zuge der Asyl­ge­set­zes­re­vi­sion von 2019 in Kraft getreten ist. Ihre Geschichte steht exem­pla­risch für ein System, dem es erklär­ter­massen darum geht, Personen abzu­schrecken und zur Ausreise zu zwingen.

Vor neun Jahren aus Kosovo in die Schweiz geflüchtet

Für die Ademis begann der Leidensweg im Jahr 2014. Damals beschlossen sie, die Familie in der Schweiz bei Verwandten in Sicher­heit zu bringen. Grund waren Anfein­dungen und gewalt­same Über­griffe, denen Zija Ademi als Poli­tiker der Partei SDA (Partei der Demo­kra­ti­schen Aktion) in seinem Heimat­dorf ausge­setzt war. Die SDA kümmert sich in Kosovo um die Belange der bosni­schen Minderheit.

Unmit­telbar nach der Einreise in die Schweiz bean­tragten die Ademis Asyl. Schon einen Monat später wurde der Antrag vom Staats­se­kre­ta­riat für Migra­tion (SEM) mit der Begrün­dung abge­lehnt, dass keine echte Gefähr­dungs­lage zu erkennen sei. Es folgte eine jahre­lange Hänge­partie vor Gerichten, verbunden mit einem beengten Leben in Thur­gauer Durchgangsheimen.

„Die erste Beschwerde haben wir schon im Dezember 2014 einge­reicht“, sagt Zija Ademi und schickt die zuge­hö­rigen Unter­lagen über den Zoom-Chat. „Zwei Jahre später wurde sie abgewiesen.“

Gegen die Abwei­sung folgte ein Unzu­mut­bar­keits­an­trag, den das Bundes­ver­wal­tungs­ge­richt 2018 ablehnte; anschlies­send die Bitte um Wieder­auf­nahme des Asyl­ver­fah­rens. Nach weiterem juri­sti­schen Tauziehen wurden alle Wieder­auf­nah­me­ge­suche 2020 endgültig abge­lehnt und die Familie aufge­for­dert, das Land zu verlassen. Als letzten Ausweg stellten die Ademis einen Härte­fallan­trag, der wiederum im Juli 2021 abge­lehnt wurde.

Verfahren um Verfahren

Die Verfahren zogen sich über insge­samt sieben Jahre. Während dieser Zeit gingen die Kinder in der Schweiz zur Schule oder in die Kita. Ihre Sprach­kennt­nisse sind sehr gut und beson­ders Lena, die Älteste, verfügt über einen festen Freun­des­kreis. „Auf keinen Fall“, antwortet sie auf die Frage, ob sie sich vorstellen könne, in Kosovo zu leben. „Ich will das nicht. Meine Tanten erzählen mir manchmal, wie es dort ist. Ich will dort nicht leben. Ich bin Schweizerin.“

Den grössten Teil ihrer Zeit in der Schweiz hat die Familie Ademi im Durch­gangs­heim der Pere­grina-Stif­tung in Frau­en­feld verbracht. Bei dem Heim handelt es sich um eine provi­so­risch wirkende, hufei­sen­förmig ange­legte Baracke am Rand der Stadt. Pere­grina, eine Stif­tung der beiden Landes­kir­chen, ist vom Kanton Thurgau beauf­tragt, sich um Unter­brin­gung und Versor­gung von Asyl­su­chenden zu kümmern und betreibt Durch­gangs­heime und Nothilfeunterkünfte.

Privat­sphäre gibt es in den Unter­künften der Pere­grina-Stif­tung prak­tisch nicht. (Illu­stra­tion: Wolf­gang Wiler)

„Wenn Sie sehen wollen, wie es da zugeht, wenden Sie sich an diesen Mann“, sagt Zija Ademi und schreibt Namen und Tele­fon­nummer von Siniša Timić in den Zoom-Chat. Timić ist ein Freund der Familie, der selbst im Durch­gangs­heim Frau­en­feld lebt. Er erklärt sich bereit, uns die Räum­lich­keiten zu zeigen.

Nach Betreten der Baracke befindet man sich in einem schlauch­för­migen, engen Gang, von dem links und rechts die Zimmer­türen abgehen. Der Gang führt an zwei nach Geschlech­tern getrennten Wasch­räumen vorbei und mündet in die Gemeinschaftsküche.

Die Zimmer, in denen manche Bewohner*innen Jahre verbringen, sind winzig. Bei Timić reicht es nicht mal für einen Klei­der­schrank. Er muss seine Garde­robe auf dem Bett stapeln und sie zur Seite räumen, wenn er nachts darauf schlafen will. „Warum brau­chen Sie auch so viele Klamotten?“, war die Reak­tion des Unter­kunft-Verant­wort­li­chen der Pere­grina-Stif­tung, als Timić auf den Miss­stand hinwies. Viel ist es nicht, was Timić besitzt, – aber zu viel für diesen dunklen, stickigen Raum, in den er sein gesamtes Leben packen muss.

Hinzu kommen offen­sicht­liche Mängel an der Bausub­stanz. Timićs Zimmer grenzt an den Wasch­raum. Unter der dünnen Holz­wand sickert die Feuch­tig­keit durch und löst den Boden neben dem Bett auf, in dem ein fauliges Loch klafft. Man hofft, dass es sich wenig­stens nicht um Abwasser handelt. Der Geruch sagt etwas anderes.

Allge­mein ist die Luft sehr schlecht. Es müffelt aus den Wasch­räumen. Timić öffnet die Tür und zeigt auf eine Dusche, eine Toilette und eine Kabine mit einem Steh-WC, wie es auf billigen Camping­plätzen zu finden ist. Bei den Frauen gegen­über: die gleiche Anord­nung; insge­samt also eine echte Toilette für Männer, eine für Frauen. Das Steh-WC ist für ältere oder kranke Menschen unbrauchbar.

Siniša Timić ist schwer­krank. Er hat Diabetes, Probleme mit der Prostata, war wegen Schi­zo­phrenie in Behand­lung und leidet unter Inkon­ti­nenz. Trotzdem muss er morgens manchmal über eine Stunde warten, bevor er auf die Toilette gehen kann – unmög­lich bei seiner Kran­ken­ge­schichte. Nicht selten ist er gezwungen, in seinem Zimmer einen Eimer zu benutzen.

Der Auftrag: für schlechte Unter­brin­gung und unaus­halt­bare Lebens­ver­hält­nisse zu sorgen

Wer genauer nach­forscht, findet schnell heraus, dass diese Zustände weder ein Einzel­fall sind noch auf das indi­vi­du­elle Versagen der Verant­wort­li­chen bei der Pere­grina-Stif­tung zurück­ge­führt werden können. Sie sind Teil einer kanto­nalen Stra­tegie zur Abschreckung ausrei­se­pflich­tiger Asyl­su­chender, die inner­halb der Stif­tung seit Jahren disku­tiert wird.

Schon 2019 reichten Mitar­bei­tende um den evan­ge­li­schen Synodalen Hans Peter Nieder­häuser eine Inter­pel­la­tion ein, um gegen die Miss­stände vorzu­gehen. Dabei wurde diese Stra­tegie als Grund­pfeiler des Thur­gauer Asyl­sy­stems klar benannt.

Die Inter­pel­la­tion trägt den Titel „Nothilfe und Menschen­würde“ und bezieht sich auf das revi­dierte Asyl­ge­setz vom 1. März 2019. Sie vertritt die These, dass der Thurgau mit diesem Gesetz zu einem „Ausschaf­fungs­kanton für ausrei­se­pflich­tige Personen (AP)“ geworden ist, wobei der Pere­grina-Stif­tung bei Abwick­lung der Auswei­sungen eine unrühm­liche Rolle zukäme.

Weiter heisst es: „Die Thur­gauer Nothil­fe­stra­tegie basiert auf vier Stufen, in denen den Betrof­fenen gleichsam die Daumen­schraube immer weiter ange­zogen wird.“ Ziel sei es, den Menschen klar­zu­ma­chen, dass – und hier folgt ein Origi­nal­zitat aus der Kanto­nalen Nothil­fe­stra­tegie (KNS) – „ihre Situa­tion konti­nu­ier­lich unan­ge­nehmer wird.“ Die Pere­grina-Stif­tung erfülle diesen Leistungs­auf­trag sehr genau, indem sie zum Beispiel für schlechte Unter­brin­gung und unaus­halt­bare Lebens­ver­hält­nisse sorge.

Die Folgen, da lässt die Inter­pel­la­tion keinen Zweifel, seien klar: „Die Nothil­fe­stra­tegie im Thurgau zielt auf eine bewusst herbei­ge­führte Verelen­dung der betrof­fenen Menschen hin, welche mittel­fri­stig vermehrt psychi­sche Erkran­kungen und ein Abgleiten in die Krimi­na­lität zur Folge haben dürfte.“ Und weiter: „Es gibt Anzei­chen von schi­ka­nie­render Behand­lung gegen­über ausrei­se­pflich­tigen Personen seitens Unter­kunft-Verant­wort­li­cher. Schon jetzt zeigt sich, dass viele Betrof­fene untertauchen.“

„Die Zustände in der Baracke in Frau­en­feld sind poli­tisch gewollt. Für mich ist das Folter.“

Zija Ademi

Nach Beant­wor­tung der Inter­pel­la­tion durch den Kirchenrat unter weit­ge­hender Zurück­wei­sung der enthal­tenen Forde­rungen wurde die Nothil­fe­stra­tegie mitt­ler­weile in der Wort­wahl ange­passt. Der Vier­stu­fen­plan ist gestri­chen. Die dahin­ter­ste­hende Absicht, Menschen durch Verschlech­te­rung ihrer Lebens­be­din­gungen zur Ausreise zu zwingen, scheint jedoch weiter aktiv zu sein.

Auch Nieder­häuser denkt, dass sich daran nichts geän­dert hat: „Soweit ich das über­blicken kann“, sagt er im Tele­fon­in­ter­view, „sind die Miss­stände in den Heimen immer noch gravie­rend.“ Dann erklärt er, wie es seiner Meinung nach dazu gekommen ist: „Vor der Asyl­ge­setz­re­vi­sion hat die Pere­grina-Stif­tung eigent­lich gute Arbeit gemacht. Aber danach hat sich der Auftrag an die Stif­tung geän­dert: Nicht mehr erste Inte­gra­ti­ons­schritte waren das Ziel, sondern Ausschaf­fung von ausrei­se­pflich­tigen Personen. So wurde die Stif­tung Hand­lan­gerin der Nothilfestrategie.“

„Klar“, sagt Zija Ademi und zuckt mit den Schul­tern, „die Zustände in der Baracke in Frau­en­feld sind poli­tisch gewollt. Für mich ist das Folter.“ Obwohl es sich um ein Durch­gangs­heim und keine Nothil­fe­un­ter­kunft handelt, war die ausrei­se­pflich­tige Familie dort unter­ge­bracht – bei schul­pflich­tigen Kindern wird von einer Verle­gung meist abge­sehen. Die Behand­lung der Ademis folgte also der Nothilfestrategie.

Es wimmelt von Bett­wanzen. Die Kinder sind übersät mit Stichen. (Illu­stra­tion: Wolf­gang Wiler)

„Meine Kinder leiden bis heute psychisch darunter“, sagt er und holt Fotos hervor, die er zu Beweis­zwecken aufge­nommen hat. Ein Bild zeigt zwei seiner Kinder schla­fend im gemein­samen Bett, die Haut übersät mit Insek­ten­sti­chen. Auf einem anderen sind Bett­wanzen zu erkennen. Es folgen Aufnahmen aus der Küche von kilo­weise altem Brot, wahr­schein­lich verschim­melt, auf jeden Fall nicht mehr geniessbar. Im Hinter­grund sitzen halb­wüch­sige Jungs nur mit Hand­tuch bekleidet vor dem Fernseher.

„Wegen der schmut­zigen Küche waren wir sogar gezwungen, in unserem nur sech­zehn Quadrat­meter grossen Raum auch noch zu kochen.“ Auf Beschwerden bekam Zija Ademi die gleiche Ableh­nung zu spüren wie Siniša Timić: „Ich habe alles ordnungs­ge­mäss dem Unter­kunft-Verant­wort­li­chen gemeldet“, sagt Timić. Die Antwort war: „Wenn es dir nicht gefällt, verlasse die Schweiz.“ Solche Antworten passen in die Thur­gauer Nothil­fe­stra­tegie, die darauf abzielt, Menschen mit unhalt­baren Zuständen zu vergraulen.

Auf Anfrage von das Lamm bestreitet Beat Keller von der Pere­grina-Stif­tung zwar, dass es solche Abschreckungs­mass­nahmen gäbe. Dennoch sagt auch er: „Die Stra­tegie ist, die Leute zur Ausreise zu bewegen. Das ist tatsäch­lich so.“ Er besteht jedoch darauf, dass die Stif­tung einen ange­mes­senen Umgang pflegt. „Uns ist es wichtig, dass dabei nicht die Mensch­lich­keit auf der Strecke bleibt. Wir versu­chen, den Respekt zu wahren, freund­lich zu bleiben, den Leuten Anstand entgegenzubringen.“

Solchen Beschwich­ti­gungen zum Trotz gerät bei Pere­grina gerade einiges in Bewe­gung. Nach der Inter­pel­la­tion von 2019 folgte 2021 ein Bericht mehrere Thur­gauer Gemeinden, welcher der Pere­grina-Stif­tung grosse Probleme beschei­nigt, darunter: allge­mein mangelnde Kompe­tenzen, Distanz, unge­nü­gender Kontakt und Betreuung und mangelnde Inte­gra­ti­ons­för­de­rung. Als vorläu­figer Höhe­punkt dieser schwe­lenden Krise wurde am 31. Januar 2023 Susanne Höll­warth gekün­digt. Sie war zustän­dige Gesamt­lei­terin für die Betreuung von Asyl­su­chenden und 30 Jahre lang im Thur­gauer Asyl­wesen tätig.

Hans Peter Nieder­häuser sieht in der Entlas­sung Höll­warths zumin­dest einen Schritt in die rich­tige Rich­tung. „Zusammen mit einem Wechsel an der Spitze der Pere­grina-Stif­tung – die Leitung hat jetzt der katho­li­sche Kirchen­rats­prä­si­dent Cyrill Bischof inne –, könnte das ein Signal sein, dass der Stif­tungsrat verstanden hat, wie schlimm die Lage ist.“

„Wenn es dir nicht gefällt, verlasse die Schweiz.“

Verant­wort­li­cher der Peregrina-Stiftung

Scheinbar zeigt sich der Stif­tungsrat auch bereit, mit dem Netz­werk Asyl Thurgau zusam­men­zu­ar­beiten, einer Gemein­schafts­or­ga­ni­sa­tion im Asyl­be­reich enga­gierter Personen und Orga­ni­sa­tionen, der auch Nieder­häuser ange­hört. Ende März erging eine Einla­dung an das Netz­werk für einen Termin im Mai. Dort soll über den Stand der Reformen infor­miert und ein Bericht des Netz­werks Asyl ange­hört werden.

Es bleibt die Frage, ob sich mit einem solchen Dialog wirk­lich etwas ändern lässt. Denn ein wich­tiger Verant­wort­li­cher hinter der Nothil­fe­stra­tegie ist weder einge­laden, noch wird er in der Ankün­di­gung über­haupt benannt: der Kanton Thurgau.

„Nein“, heisst es lapidar vonseiten des Migra­ti­ons­amts in einer schrift­li­chen Stel­lung­nahme, „es ist nicht das Ziel, AP durch Verschlech­te­rung ihrer Lebens­be­din­gungen zur Ausreise zu bewegen. Die Nothil­fe­stra­tegie hat zum Ziel, die Koope­ra­tion dieser ausrei­se­pflich­tigen Personen im Kanton bei der Ausrei­se­or­ga­ni­sa­tion zu fördern und auf die frei­wil­lige Ausreise hinzuwirken.“

Dass noch bis 2021 wort­wört­lich in der Nothil­fe­stra­tegie stand, es solle „der Person klar­ge­macht werden, dass ihre Situa­tion konti­nu­ier­lich unan­ge­nehmer wird“, scheint für Kanton und Stif­tung heute keine Rolle mehr zu spielen. Damit setzen sich die Hauptakteur*innen im „Ausschaf­fungs­kanton Thurgau“ über die jüngste Vergan­gen­heit hinweg, als wäre nichts geschehen.

Diese Möglich­keit – einfach wegsehen und weiter­ma­chen – haben die Opfer der Nothil­fe­stra­tegie nicht. Sie kämpfen bis heute mit Folgen der Behand­lung, die schon 2019 in der Inter­pel­la­tion progno­sti­ziert wurden: psychi­sche Probleme – beson­ders bei den Kindern – und eine Verdrän­gung in die Illegalität.

Ein letztes Mal leitet Zija Ademi ein Doku­ment via Zoom weiter: ein psycho­lo­gi­sches Gutachten für seine Tochter Lena. Unter Bezug­nahme auf die bedrän­gende Wohn­si­tua­tion im Heim der Pere­grina-Stif­tung kommt die Psycho­login zu dem Schluss, dass das Kind unter „massiven körper­li­chen und psychi­schen Symptomen“ leide, darunter: „Albträume, Schweiss­aus­brüche, Tremor, Beklem­mungs­ge­fühl, Appe­tit­lo­sig­keit, Verzweif­lung und Hoff­nungs­lo­sig­keit, Einengung der Aufmerk­sam­keit, offen­sicht­liche Desori­en­tie­rung, Panik­at­tacken, Muskel­ver­span­nung, Konzentrationsschwierigkeiten.“

Das Gutachten schliesst mit den Worten: „Prognose: Ungün­stig […]. Die Ausschaf­fung eines 12-jährigen Kindes nach 7 Jahren erfolg­rei­cher Inte­gra­tion in der Schweiz verletzt aus meiner Sicht das Kindeswohl.“

„Für mich habe ich jede Hoff­nung aufge­geben“, sagt Zija Ademi und zeigt in die Wohnung, in der die Familie jetzt als Sans Papiers lebt. Sie ist klein, aber immer noch geräu­miger und sauberer als das Zimmer im Durch­gangs­heim. „Jetzt geht es um meine Kinder. Ich will wenig­stens, dass bekannt wird, wie sie in den Heimen der Pere­grina-Stif­tung leben mussten.“


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