So will die ETH Lebens­mit­tel­kon­zerne mit Green­peace und WWF versöhnen — aber kann das gelingen?

Über Palmöl gespro­chen wird ja viel. Eine Forschungs­gruppe der ETH wählt einen anderen Ansatz und lädt zur Spiel­ses­sion: Wir sollen für einen Morgen Palm­öl­bauern sein. Ein Erfahrungsbericht. 
Der Spielmaster ist schon einmal begeistert: Claude Garcia präsentiert seine Idee (Foto: D. Nef)

Oh wie habe ich sie gehasst, die Mono­poly-Runden mit meinem fana­ti­schen Bruder, der sich garan­tiert immer den Para­de­platz unter den Nagel reissen konnte, meiner nach allen Regeln der Kunst bescheis­senden Schwe­ster und einer Mutter, der diese Unfair­ness recht egal war. Ich bin kein Mensch, der begei­stert einen Jass chlopft‘. Trotzdem habe ich mich dazu hinreissen lassen, einen ganzen Morgen lang ein Gesell­schafts­spiel zu spielen. Aber ich sagte mir, wenn sich Green­peace, WWF und der Botschafter von Kamerun, die alle­samt bestimmt besseres zu tun hätten als ich, die Ehre geben, dann kann ich auch das Lamm an dieser Spiel­runde vertreten. Ausserdem würde es um Palmöl gehen. Mein Inter­esse war geweckt.

Small­holder Nr. 3 spuckt dem Botschafter Kaffee vor die Füsse

Ich bereue meine Zusagen ziem­lich schnell: Während sich rechts die Vertre­tung des Luc-Hoffman-Insti­tutes, eines WWF-Able­gers, neben mich setzt, nimmt zu meiner Linken der kame­ru­ni­sche Botschafter Platz. Das Problem: Er will plau­dern. Auf Fran­zö­sisch. Ich nehme einen grossen Schluck Kaffee gegen den Stress, verbrenne mich und pruste den Cappuc­cino dem Herrn Botschafter fast aufs blüten­weisse Hemd. Er findet das lustig, ich nicht so sehr. Zum Glück geht das Spiel gleich los. Mein Fran­zö­sisch ist wirk­lich sehr eingerostet.

Das Spiel, entwickelt von ETH-Forsche­rInnen, heisst OPAL und simu­liert eine Palmöl-Liefer­kette in Kamerun. Wir sind 18 Spie­le­rInnen und unge­fähr 9 Spiel­lei­te­rInnen, die sich an diesem Morgen im wohl schön­sten Sitzungs­zimmer der ETH, hoch oben im Turm des CHN-Gebäude mit Blick über ganz Zürich, versammeln.

Wir werden auf zwei ‚ Täler‘ verteilt, zwischen denen es keine Kommu­ni­ka­tion gibt, sprich es sind eigent­lich zwei getrennte Spiele. In jedem Tal gibt es einen Gross­bauern, einen mittel­grossen Bauern und fünf Klein­bauern. Meine Wenig­keit gehört zu letz­teren: Ich bin Small­holder Nr. 3. Zudem werden je zwei Spie­le­rInnen zu einer indu­stri­ellen Mühle zusam­men­getan. Und je zwei Spiel­lei­te­rInnen schmeissen die lokale Dorfmühle.

Was ich nun tun soll? Gute Frage. Ein eigent­li­ches Ziel bekommen wir nicht vorge­geben, aber über­leben ist sicher ein guter Ansatz­punkt: Jeder Spieler, jede Spie­lerin hat eine ID-Karte, auf der die halb­jähr­li­chen Lebens­ko­sten der Familie vorge­geben sind. Diese Kosten müssen wir einmal nach den drei Hoch­saison-Runden und einmal nach der Neben­saison-Runde zahlen, aus denen ein Jahr‘ besteht.

Nach der Ernte gibt es zwei Optionen: Die lokale Mühle oder die städ­ti­sche, indu­strial‘ Mühle. Gewisse NGO-Vertre­te­rInnen an meinem Tisch schnauben schon beim Wortindu­strial‘. Das kann ja heiter werden. Die lokale Mühle zahlt einen zu Beginn der Saison fest­ge­legten Preis. Die indu­stri­elle Mühle in der Stadt zu belie­fern ist natür­lich nur mit einem Truck möglich, auch wenn ich sie von meinem Platz aus berühren kann. Reali­tätsnah: Wieviel die indu­stri­elle Mühle zahlt, ist den Spie­le­rInnen, die diese leiten, selbst überlassen.

Mehr wird uns nicht erklärt. Die kame­ru­ni­schen Bauern seien ja auch nur mässig infor­miert und das Leben ohnehin voller Über­ra­schungen. Meine Hände werden immer schwitziger.

Aber ich bin nicht die einzige. Ich fange einige ratlose Blicke auf. Man merkt: Auch für Leute, die sich viel mit Palmöl beschäf­tigt haben, ist das eine unge­wohnte Situa­tion. Später wird mit der Leiter der Forschungs­gruppe sagen, dass das unter anderem ein Ziel des Spiels ist: Die Leute aus ihren gewohnten Rollen mit den gewohnten Stand­punkten und schon gebil­deten Meinungen reissen. Wird ihm das gelingen? Werden die NGO-Vertre­te­rInnen bald zu gierigen KapitalistInnen?

Jahr 1 oder The struggle is real

In meinem Selbst­bild als sehr mässige Spie­lerin werde ich schon am Ende der ersten Runde bestä­tigt: Ich stehe kurz vor dem Konkurs. Zwar habe ich bei der Liefe­rung einen Vertrag mit der indu­stri­ellen Mühle unter­zeichnet, aber dafür noch kein Bargeld erhalten. Denn so funk­tio­niert das in der indu­stri­ellen Mühle: Vertrag bei Liefe­rung, Bargeld irgend­wann später. Viel­leicht sollte ich mich doch den schnau­benden NGO-Vertre­te­rInnen anschliessen.

Ein weiteres Problem: Meine Lebens­hal­tungs­ko­sten muss ich zahlen, bevor ich Bares sehe. Ein kurzer Check meines Konto­standes ergibt, dass das unmög­lich ist. Mich erfasst Panik. Ich will nicht, dass meine Kinder verhun­gern. Vor allem nicht bereits in Runde 1.  Auch wenn es ‚ledig­lich‘ fiktive Kinder sind. Doch Rettung naht. Die Spiel­lei­tung eröffnet eine Bank, die sich bereit erklärt, meine Verträge gegen Cash aufzu­kaufen. Natür­lich deut­lich unter deren Wert. Schweine.

Doch es gäbe noch eine andere Option. Bei Ivo, dem Gross­bauern von gegen­über, stapelt sich das Geld (ich bin sicher, wenn mein Bruder hier wäre, wäre er der Gross­bauer). Die Stapel reichen gut, um seine Kinder zu ernähren. Neidisch denke ich an all die Fest­mahle, die er wohl schmeisst und zu denen ich nie einge­laden war. Ich besinne mich, dass das Spiel keine Möglich­keit zu Einla­dungen zu Fest­mahlen vorsieht und dass sich mein Neid auf Mono­poly-Geld bezieht. Ich schiebe meinen Stolz zur Seite und bitte Ivo um Geld. Ivo ist ein netter Gross­bauer: Er gibt mir ein Darlehen, das mich deut­lich billiger zu stehen kommt als ein Deal mit der Bank. Ich bin Ivo dankbar, denn meine fiktiven Kinder verdanken ihm ihr Leben — oder zumin­dest ihre Ausbildung.

Die Mitglieder der Forschungs­gruppe tigern um uns herum, belau­schen uns und krit­zeln hektisch in ihre Notiz­bü­cher, inter­ve­nieren aber nie. Uns dämmert langsam, dass wir uns hier nicht an ein Regel­büch­lein halten müssen und diese Erkenntnis erhöht den Spass­faktor — zumin­dest bei mir persön­lich — deutlich.

Unvor­her­seh­bar­keit nervt

Wir haben Lehr­geld gezahlt, doch jetzt, in der zweiten Runde, verstehen wir unge­fähr, wie das Ganze funk­tio­niert. Glauben wir zumin­dest. Ich teile mir mit Kamerun, das übri­gens den mittel­grossen Bauern reprä­sen­tiert und ständig auf einem riesigen Taschen­rechner herum tippt, die Miete für einen Truck. Gemeinsam machen wir uns auf den weiten Weg zur indu­stri­ellen Mühle. Aber wir haben uns verspe­ku­liert. Die indu­stri­elle Mühle zahlt jetzt zu wenig, als dass wir damit unsere Trans­port­ko­sten decken könnten. Die lokale Mühle wäre wohl klüger gewesen.

Kamerun beschwert sich bei den Besit­ze­rInnen der Mühle. Aus den verständ­nis­losen Blicken, die er erntet, schliesse ich, dass ich nicht die einzige mit mässigem Fran­zö­sisch bin. Empört nehmen wir den Verlust hin, etwas anderes bleibt uns nicht wirk­lich übrig.

Um Fran­zö­sisch zu lernen bleibt keine Zeit. Schon stellt sich das nächste Problem: Plötz­lich wollen natür­lich alle an die lokale Mühle liefern, die leider aber nur eine beschränkte Kapa­zität hat. Unsere Verhand­lungen, wer wo liefern darf, arten in Geschrei aus. Wir schaffen es gerade so, als Dorf genug sozial zu sein, um Small­holder Nr. 2/Luc-Hoff­mann-Institut, der absolut pleite ist und es deshalb aus eigener Kraft gar nicht in die Stadt schaffen kann, den Vortritt zu lassen. Danach heisst es Anar­chie, dä schnäller isch de gschwinder. Und weil bei Nicht­aus­lie­fe­rung die Früchte verderben und die Uhr tickt — pro Runde haben wir nur drei Minuten Zeit -, rennen einfach alle in Panik zu einer Mühle. Meine Laune steigt beim Anblick von Menschen im Anzug, die zu einer imagi­nären Mühle rennen, damit ihre imagi­nären Früchte nicht schlecht werden. Was nicht heisst, dass ich nicht auch ein biss­chen schubse, um schneller da zu sein.

Kaum ist dieses Unheil abge­wendet, liegt uns auch noch die second indu­stry, reprä­sen­tiert vom Spiel­leiter Claude Garcia, in den Ohren, dass wir nicht genug effi­zient produ­zieren. Soll doch die verdammte second indu­stry meine Kinder füttern.

Spielen für die Verständigung

Claude Garcia/Spielleiter/second indu­stry leitet die zustän­dige Forschungs­gruppe an der ETH. Er ist Anfang vierzig, halb Spanier, halb Fran­zose, und sein Englisch ist entspre­chend schwer verständ­lich. Viel Charisma und wohl der eine oder andere Kommu­ni­ka­ti­ons­work­shop machen ihn trotzdem zu einem guten Redner. Er trägt Jeans zum V‑Aus­schnitts-Pulli und man merkt schnell, dass er seine Spiele liebt. „You are here because we believe that you have know­ledge and ideas that we don’t have. And we want to know about them“, begrüsste er uns.

Das Spiel soll Palmöl weder verteu­feln noch anpreisen. Garcia will mit dem Spiel besser verstehen, was die Bauern beschäf­tigt und welche Mass­nahmen bei ihnen zu welchen Hand­lungen führen. Und im Fall von heute will er, dass die Schweizer Parteien, zumin­dest dieje­nigen, die gekommen sind, einmal von einem anderen Sicht­punkt aus agieren und sich mit den Heraus­for­de­rungen, wie sie von den tatsäch­li­chen Bauern beschrieben werden, ausein­an­der­setzen. Und er möchte wissen, wie wir diese Situa­tion verän­dern würden.

Düngen ist böse, Abholzen ist böser

Das dritte Jahre hält plötz­lich eine ganz neue Möglich­keit bereit, die Hoff­nung und viel Zwie­tracht sät: Dünger! Die Green­peace-Vertre­terin, ihrer­seits Small­holder Nr. 1, versucht sich verzwei­felt Gehör zu verschaffen. Dünger sei böse, niemand solle Dünger kaufen. Ivo, dem Gross­bauern von gegen­über, ist das egal. Ivo hat genug Cash, also kauft Ivo Dünger. Ich werfe ein, dass wir ja nicht wissen, welche Art Dünger es ist. Viel­leicht handelt es sich um einen weniger ‚bösen‘ orga­ni­schen Dünger. Small­holder Nr. 1 igno­riert mich. Kamerun findet Dünger zwar eine gute Idee, aber in diesem Fall zu teuer. Aus meiner Perspek­tive als Bauer muss ich ihm mit Blick auf mein Konto und mit Gedanken an meine Kinder beipflichten. Ich kann mir keinen Dünger leisten, zumin­dest noch nicht. Ivo ist momentan der einzige, der düngt und dafür verächt­li­chen Blicke von Small­holder Nr. 1 erntet. Ivo ist das egal, Ivo ist damit beschäf­tigt, sein Geld zu zählen.

Dann kommt im Spiel die Option hinzu, Regen­wald abzu­holzen, und jetzt ist natür­lich die Hölle los. Die Green­peace-Vertre­tun­g/Small­holder Nr. 1 wird krei­de­weiss im Gesicht und versucht ein Dorf­mee­ting abzu­halten. Als das miss­lingt, verlangt sie eine Audienz beim Umwelt­mi­ni­ste­rium. Garcia macht sich kurzer­hand selbst zum Mini­ster und stimmt einem Treffen zu. Small­holder Nr. 1 will Ausgleichs­zah­lungen, damit wir darauf verzichten, abzu­holzen. Das Umwelt­mi­ni­ste­rium entgegnet, es sei leider pleite. Diskus­sion beendet. Greenpeace/Smallholder Nr. 1 kommt frustriert zurück ins Dorf.

Während­dessen versucht Ivo bei der Indu­strie heraus­zu­finden, wie teuer ihn das Abholzen zu stehen kommt. Die meisten anderen von uns über­legen noch, was wir jetzt mit dieser Infor­ma­tion anstellen, als die Runde schon vorbei ist. Ivo war nicht erfolg­reich in seinen Verhand­lungen und alle anderen waren nicht orga­ni­siert genug, über­haupt solche zu starten. Dass bei uns der Regen­wald stehen bleibt, ist also vor allem dem Zeit­druck zu verdanken. Nicht so im anderen ‚Tal‘. Da hat es jemand geschafft, Platz für ein weiteres Feld zu gewinnen, eben dort, wo einst Regen­wald stand.

Ich über­lege, ob die Spiel­ma­ster einge­griffen hätten, wenn ich mir den Regen­wald einfach genommen hätte. Meine bishe­rigen Erfah­rungen mit dem Spiel lassen mich auf nein tippen. Ich bereue ein wenig, dass ich das unter­lassen habe. Natür­lich bin ich eigent­lich gegen Regen­wald­ab­hol­zung. Aber jetzt gerade bin ich Small­holder Nr. 3, und Small­holder Nr. 3 hat eine Runde lang schlecht gewirt­schaftet und ist dadurch wieder einmal in Geldnot. Leider gibt es keine weitere Runde, in der ich mir Regen­wald schnappen könnte, denn das Spiel wird an diesem Punkt abgebrochen.

Debrie­fing

Etwas frustriert sind wir wohl alle. Kaum jemand, der im Debrie­fing nicht einwirft, es sei zu wenig Zeit für Diskus­sionen gelassen worden. Der Grup­pen­leiter Claude Garcia wieder­holt mantra­mässig, das Modell solle die Haupt­sorgen der kame­ru­ni­schen Bauern aufgreifen, mit denen das Spiel übri­gens entwickelt wurde, und die stehen nun einmal unter Druck.

Ich finde auch, dass wir zu wenig Zeit hatten, aber mehr im Sinne von Runden. Das Spiel wird gewöhn­lich auch über einen ganzen Tag gespielt, was wohl aufschluss­rei­cher wäre.

Eine Kritik die auch immer wieder aufkommt: Das Spiel biete zu wenig Anreize zu umwelt­freund­li­chem Handeln. Diese Kritik leuchtet mir nicht ganz ein. Also, eigent­lich schon — bloss ist das korrek­ter­weise Kritik an der tatsäch­li­chen Situa­tion, die das Spiel ja abbilden will, und nicht am Spiel selbst.

Wenn sich ein Raum voller West­eu­ro­päe­rInnen ernst­haft darüber ärgert, dass man als Bauern den Preis­schwan­kungen der Mühlen ausge­setzt und ständig im Stress ist, weil die Kinder hungern und deshalb leider keine Dorf­mee­tings zum Regen­wald­schutz abhalten kann, dann ist wahr­schein­lich schon mal etwas erreicht. Wenn dann aber die Schuld daran dem Spiel gegeben wird, kann es sein, dass der entschei­dende Punkt nicht ganz ange­kommen ist.

Das Mass an Undif­fe­ren­ziert­heit einiger dieser sehr gebil­deten und infor­mierten Menschen erstaunt mich. Man hat das Gefühl, sie sind gekommen um ihre bereits gemachte Meinung zu Palmöl aufsagen zu dürfen. Und sie sind trotzig, dass sie das (noch) nicht durften. Die Leute aus ihren ange­stammten Rollen zu reissen ist wohl schwie­riger, als ich mir gedacht hatte.

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