Nicht deine Demo

Der femi­ni­sti­sche Streiktag nähert sich. Während FINTA fleissig Aktionen planen und violette Fahnen von Balkonen flat­tern, zerbre­chen sich gewisse cis Männer über eine Frage den Kopf: Dürfen Männer an der femi­ni­sti­schen Demo teilnehmen? 
Am 14. Juni 2019 besuchten rund 160'000 FINTA die Demonstration in Zürich. (Foto: Emma-Louise Steiner)

Ich war kürz­lich wieder einmal im Ausgang. Meine Cousine und ich zogen an der Lang­strasse von einer Bar zur näch­sten und hatten eine gute Zeit. Das heisst, abge­sehen davon, dass ich in einer Zeit­spanne von fünf Stunden tatsäch­lich von vier unter­schied­li­chen Männern blöd ange­macht oder belä­stigt worden war – einer schnauzte mich an, einer mans­plainte mir etwas, einer schrie mich an und einer kam mir körper­lich viel zu nahe.

Die Inter­ak­tionen waren anstren­gend, emotional aufwüh­lend und liessen mich frustriert zurück. Ich fragte mich, ob es daran gelegen hat, dass wir uns in einem männ­lich domi­nierten Party-Umfeld bewegt haben.

An Orten, die haupt­säch­lich FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) besu­chen, ist mir so etwas nämlich noch nie passiert. Auch wenn cis Männer anwe­send sind, sind es eben meistens dieje­nigen cis Männer, die das Prinzip Konsens verstanden und ihre Privi­le­gien zumin­dest ange­fangen haben zu reflek­tieren. Ich fühle mich wohler, wenn mein Umfeld haupt­säch­lich aus Nicht-Männern besteht. Und das bringt mich zum Thema dieser Kolumne.

Lohn­un­gleich­heit, unbe­zahlte Care-Arbeit, sexua­li­sierte Gewalt, aber auch der Kampf gegen toxi­sche Masku­li­nität, die Abschaf­fung der Wehr­pflicht und homo­so­ziale Gewalt sind femi­ni­sti­sche Themen – und werden als „Frau­en­sache“ abge­stem­pelt. Dadurch werden diese Themen einer­seits abge­wertet, ande­rer­seits die Verant­wor­tung für die Lösung dieser Probleme auf FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) übertragen. 

Das ist nicht nur unlo­gisch, sondern auch unnütz: Die Ursache des Problems liegt nicht auf der Betroffenen‑, sondern auf der Täter­seite. Es sind eben Männer­sa­chen. Deshalb müssen Männer als Teil der privi­le­gierten Gruppe Verant­wor­tung über­nehmen und diese Probleme angehen.

Möglich­keiten gibt es genug

Der femi­ni­sti­sche Streiktag rückt immer näher (juhu). In verschie­denen Kantonen sind über den ganzen Tag verteilt unter­schied­liche Aktionen geplant und wie immer mündet der 14. Juni in violetten, kämp­fe­ri­schen, femi­ni­sti­schen Demonstrationen. 

Während die femi­ni­sti­schen Kollek­tive sich intensiv auf den Tag vorbe­reiten und FINTA sich die Demo fett in die Agenda schreiben, stellen gewisse cis Männer wieder einmal sich selbst ins Zentrum: „Dürfen Männer an die Demo kommen? Wieso schliesst ihr Männer aus, wenn ihr wollt, dass wir uns für Gleich­stel­lung einsetzen? Das ist doch umge­kehrter Sexismus?“ Die Fragen tauchen unter Insta­gram-Posts der femi­ni­sti­schen Streik­kol­lek­tive, in meinen DMs (direct messages) und in persön­li­chen Gesprä­chen auf.

Dass FINTA auf die Strassen gehen und mit dieser Demon­stra­tion so viel öffent­li­chen Raum einnehmen, ist ein Akt der Selbstermächtigung.

Die meisten Streik­kol­lek­tive lösen die Frage mitt­ler­weile diplo­ma­tisch, indem sie FINTA im Demo­aufruf anspre­chen, cis Männer hingegen weder explizit ein- noch ausladen. In Zürich, Basel und Bern gibt es zudem Gruppen von Soli-Männern, die am 14. Juni unter anderem Kinder betreuen, die Soli-Bar betreiben und Aufräum­ar­beiten übernehmen.

Ich kann verstehen, dass Femi­nismus-Neulinge etwas verwirrt sind: Wie soll ich mich enga­gieren, wenn ich nicht an die Demon­stra­tion kommen darf?

Darum hat denn auch das Zürcher Streik­kol­lektiv zusammen mit der Soli-Gruppe zwei Veran­stal­tungen orga­ni­siert, um cis Männern zu erklären, wie sie den femi­ni­sti­schen Streik unter­stützen können. Auch „Die Femi­ni­sten“ sind dieser Frage im Rahmen einer Podi­ums­dis­kus­sion nach­ge­gangen und haben auf Insta­gram eine Liste mit „Do’s“ publiziert.

Cis Männern werden also mehrere Möglich­keiten aufge­zeigt, wie sie sich enga­gieren können: Leistet Care-Arbeit, über­nehmt die Arbeits­schicht eure*r Kolleg*in, enga­giert euch in der Soli-Gruppe, räumt auf, fragt FINTA in eurem Umfeld, wie ihr sie unter­stützen könnt und bleibt anson­sten im Hinter­grund. Nur zur Demo sind cis Männer halt nicht ausdrück­lich einge­laden. Viele lesen das als: Ich bin dort nicht willkommen.

Einige fragen sich jetzt: Wie kann das femi­ni­stisch sein? Sollten nicht alle Geschlechter gleich­ge­stellt und überall will­kommen sein?

Die Antwort ist kompliziert.

Eine Demo als safer space

Das Thema Raum­po­litik und die Frage, wer wo wann will­kommen ist, beschäf­tigt femi­ni­sti­sche Aktivist*innen schon lange. Eine mögliche Lösung kann mit dem Stich­wort safer space (dt. siche­rerer Ort) zusam­men­ge­fasst werden. Der Ursprung des Konzepts ist nicht klar defi­niert, es soll aber schon in den 1960er- Jahren in der Frau­en­be­we­gung und parallel in der queeren Commu­nity benutzt worden sein.

In einem safer space wird keine Diskri­mi­nie­rung oder Gewalt tole­riert, und es soll eine Möglich­keit für diskri­mi­nierte Gruppen darstellen, unter sich zu sein. Für viele entfällt so eine Anspan­nung oder Angst, sich immer wieder erklären oder sogar Grenz­über­schrei­tungen erleben zu müssen.

Für queere Menschen kann ein safer space ein Ort ohne cis-hetero Menschen bedeuten, für People of Colour ein Ort ohne weisse Menschen, für FINTA kann das ein Ort ohne cis Männer sein. Es ist keine exakte Wissen­schaft, sondern ein Versuch, einen oft zeit­lich und örtlich begrenzten Raum zu schaffen, in dem diskri­mi­nierte Personen zur Ruhe kommen und Gemein­schaft finden können.

Wir können nicht verleugnen, dass ein Ort, an dem keine cis Männer sind, für viele FINTA sicherer wirkt und darum wert­voll ist.

Das Konzept funk­tio­niert nicht immer und kann auch proble­ma­tisch sein: Eine Kontrolle lässt sich kaum durch­führen und gewisse Menschen, die eigent­lich einge­schlossen werden sollten, fühlen sich manchmal ausge­schlossen. Zum Beispiel können trans oder non-binäre Personen an FINTA-Veran­stal­tungen Ableh­nung oder gar Grenz­über­schrei­tungen erfahren, wenn sie als (cis) männ­lich gelesen werden. Das führt natür­lich dazu, dass sie sich nicht wohl fühlen und den Veran­stal­tungen fern­bleiben – was den Grund­ge­danken des safer space wieder aushebelt.

Logi­scher­weise sollte das Verhalten einer Person ausschlag­ge­bend dafür sein, ob sie an einem Ort oder Anlass will­kommen ist oder nicht. Und dennoch können wir nicht verleugnen, dass ein Ort, an dem keine cis Männer sind, für viele FINTA sicherer wirkt und darum wert­voll ist.

Dass die femi­ni­sti­sche Demon­stra­tion, die Haupt­ver­an­stal­tung des 14. Juni, also FINTA vorbe­halten sein soll, hat auch damit zu tun. FINTA, die sexua­li­sierte oder häus­liche Gewalt erlebt haben, möchten oder können viel­leicht nicht neben einer lauten Männer­gruppe dagegen demonstrieren.

Ich finde es absurd, wenn sich cis Männer darüber aufregen, dass sie jetzt ausnahms­weise nicht inklu­diert sind. Als gäbe es nicht unend­lich viele Räume, die FINTA struk­tu­rell verwehrt bleiben: von Sitzungen in Teppiche­tagen über den Frei­han­tel­be­reich im Gym bis zu buch­stäb­lich jedem Park nach Einbruch der Dunkel­heit – und das scheint euch herz­lich wenig zu stören.

Ein Akt der Selbstermächtigung

Der für mich viel wich­ti­gere Punkt ist aber: Dass FINTA auf die Strassen gehen und mit dieser Demon­stra­tion so viel öffent­li­chen Raum einnehmen, ist ein Akt der Selbstermächtigung.

Cis Männer domi­nieren gewöhn­li­cher­weise den öffent­li­chen Raum, ob durch Laut­stärke, Auftreten oder Menge. Ihr redet oft und laut, ihr setzt euch breit­beinig in den ÖV, ihr läuft mit grossen Schritten die Strasse entlang, kurz: Ihr nehmt euch den Platz, den ihr wollt. Und wenn ihr dann noch in einer Gruppe unter­wegs seid, verzehn­facht sich dieser Effekt. Das Problem ist, dass ihr so anderen Menschen – lies: FINTA – ihren Platz wegnehmt und sogar Grenzen überschreitet.

Ihr läuft mit einer solchen Selbst­ver­ständ­lich­keit durch die Welt und merkt gar nicht, was für ein Privileg das ist.

Das Ganze hat System: Unsere Infra­struktur ist für Männer gebaut, unsere Medizin auf Männer ausge­legt, unsere Lohn­ar­beit an Männern aufge­hängt und unsere Gesell­schaft von und für Männer gestaltet.

Ihr lauft mit einer solchen Selbst­ver­ständ­lich­keit durch die Welt und merkt gar nicht, was für ein Privileg das ist. Ich wünschte mir, dass ihr all diese über­schüs­sige Energie – die ihr habt, weil ihr geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Diskri­mi­nie­rungen nicht erleben müsst – nutzen würdet.

Es gibt nämlich viele Protest­formen und viel unsicht­bare Arbeit, die in der Vorbe­rei­tung auf so einen Tag steckt. Sie mag nicht so spek­ta­kulär sein, wie an einer lauten, bunten Demon­stra­tion mit Prosecco und guter Musik mitzu­laufen, aber sie ist nötig, sodass diese Demo über­haupt statt­finden kann.

Darum noch mal liebe Männer: Ihr stellt die falsche Frage. Statt „Dürfen Männer an die femi­ni­sti­sche Demo?“, fragt doch einfach „Wie kann ich euch unter­stützen?“, und akzep­tiert die Antwort.

Wenn ihr euch aber an dem klit­ze­kleinen Fakt aufhängt, dass ihr an ein-zwei Demos im Jahr nicht einge­laden werdet, geht’s euch nicht darum, euch für femi­ni­sti­sche Forde­rungen einzu­setzen – sondern um euer eigenes Vergnügen.


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