„Wenn wir keinen inter­na­tio­nalen Druck aufbauen, kommt es in Rojava zu einem Massaker“

Im Norden Syriens hat sich auf Initia­tive der kurdi­schen Bewe­gung ein demo­kra­ti­sches und soli­da­ri­sches Projekt etabliert: Rojava. Von allen Seiten droht Gefahr. Wir haben zwei Schweizer Inter­na­tio­na­li­stinnen getroffen, die mehrere Monate in Rojava verbracht haben. Um sich auszu­tau­schen – und um das Projekt zu unterstützen. 
Ein neues Frauenzentrum in Menbic. An der Wand im Hintergrund hängen Porträts älterer Kämpferinnen. (Foto: S. und P.)

2011 brach in Syrien der Bürger­krieg aus, und schon kurze Zeit später war die syri­sche Regie­rung unter Macht­haber Baschar Hafiz al-Assad gezwungen, ihre Truppen aus den über­wie­gend kurdi­schen Gebieten Nord­sy­riens abzu­ziehen. Die unter bishe­riger Herr­schaft unter­drückte kurdi­sche Bevöl­ke­rung über­nahm die Kontrolle. Rojava entstand: ein Projekt, das sich als demo­kra­tisch und anti­ka­pi­ta­li­stisch versteht.

Vor allem aufgrund der Befreiung zahl­rei­cher Gebiete durch die kurdi­sche Miliz YPG in Koali­tion mit den USA wuchs das kontrol­lierte Gebiet seither stark an. Und es umfasst bei weitem nicht mehr nur kurdi­sche Gebiete, sondern auch solche mit über­wie­gend arabi­scher Bevöl­ke­rung. Auch um den Einbezug anderer Bevöl­ke­rungs­gruppen zu gewähr­lei­sten, wurde 2016 die Verfas­sung revi­diert und die Demo­kra­ti­sche Föde­ra­tion Nord­sy­rien (DFNS) ausge­rufen. Späte­stens seit diesem Zeit­punkt ist Rojava – der inof­fi­zi­elle Name ist immer noch in Gebrauch – nicht mehr nur ein kurdi­sches Projekt, sondern eines, an dem alle Bevöl­ke­rungs­gruppen teilhaben.

Aber von allen Seiten droht Rojava Gefahr. Niemand erkennt die Unab­hän­gig­keit der DFNS an. Im Süden herrscht Assads Regime, im Norden liegt die Türkei, die schon mehrere Angriffs­kriege gegen Rojava initi­iert hat. Als die USA im Dezember 2018 ihren Trup­pen­abzug aus Syrien verkün­deten, brachte sich die türki­sche Armee an der Grenze sogleich in Stellung.

Das Projekt erfährt aber auch viel Soli­da­rität: von Linken auf der ganzen Welt. Sie sehen in Rojava eine Alter­na­tive zum herr­schenden Kapi­ta­lismus. Zum einen bringen sie ihre Unter­stüt­zung in Demon­stra­tionen zum Ausdruck, zum anderen reisen zahl­reiche Linke von über­allher nach Rojava, um sich auszu­tau­schen oder um das Projekt zu unter­stützen: die Internationalist*innen.

Das Lamm hat zwei von ihnen getroffen. S. und P. möchten anonym bleiben: aus Angst vor Repres­sion und weil eine erneute Reise nach Rojava durch die Publi­ka­tion ihres Namens wohl verun­mög­licht würde. Sie waren während mehrerer Monate dort. Auch im Dezember, als ein verhee­render Angriff durch die Türkei drohte. Im Inter­view erzählen sie, wie sie Rojava erlebt haben, wie das Projekt funk­tio­niert – und wie es damit weitergeht.

Das Lamm: Ihr wart während mehrerer Monate in Rojava. Wie habt ihr das Projekt wahrgenommen?

S.: Natür­lich haben wir uns auf unsere Zeit in Rojava vorbe­reitet. Wir hatten schon viel zum Thema gelesen und mit Personen gespro­chen, die schon dort gewesen waren. Deshalb hatten wir auch Erwar­tungen an unseren Aufent­halt. Etwa die Erwar­tung, dass Rojava eine revo­lu­tio­näre Perspek­tive ist; ein Beispiel dafür, dass die Gesell­schaft auch anders funk­tio­nieren könnte. Auch die Schweizer Gesell­schaft. Diese Erwar­tungen haben sich erfüllt: Rojava ist ein befreites Gebiet und in allen Lebens­be­rei­chen von Prozessen geprägt, die von unten ausgehen. Überall versu­chen die Bewohner*innen, selbst­be­stimmt das gesell­schaft­liche Leben in den Kommunen aufzubauen.

P.: Eine echte Alter­na­tive zum bestehenden poli­ti­schen System ist hier in der Schweiz für unsere Gene­ra­tion (P. und S. sind ca. 30 Jahre alt; Anm. d. Red.) unglaub­lich weit weg. Aber nach Rojava zu gehen und die dort frei­ge­setzte Dynamik zu spüren, macht die Vorstel­lung einer anderen Gesell­schaft fassbar.

Das klingt alles recht abstrakt. Könnt ihr das konkre­ti­sieren? Wie sieht denn diese andere Gesell­schaft aus? Was bedeutet das, „alle Prozesse sollen von unten ausgehen“?

S.: Das Ziel ist es, dass das ganze Leben, wirk­lich alles, von der Bevöl­ke­rung selbst orga­ni­siert – und damit selbst bestimmt wird. Zentral dafür ist die Orga­ni­sa­ti­ons­struktur. Die wich­tigste Orga­ni­sa­ti­ons­ein­heit ist die Kommune, und die Kommune ist auch die kleinste Einheit. Bei uns wäre das wohl etwa ein Quar­tier. An einer Kommune sind etwa zwischen 60 und 200 Personen beteiligt.

Wie sind diese klein­sten Orga­ni­sa­ti­ons­ein­heiten, die Kommunen, organisiert?

S.: Es gibt einen allge­meinen Rat, der sich je nach Kommune alle paar Monate trifft. Im Rat werden ausführ­liche Diskus­sionen geführt und die wich­tig­sten Entscheide gefällt. Zudem gibt es Kommis­sionen, in denen man sich enga­gieren kann: eine Gesund­heits­kom­mis­sion, eine Bildungs­kom­mis­sion, eine Kommis­sion für Stadt­ver­wal­tung, in der Ange­le­gen­heiten wie etwa die Müll­ent­sor­gung orga­ni­siert werden. Weiter gibt es in jeder Kommune eine Gerech­tig­keits­kom­mis­sion, die entspricht dann etwa dem Justiz­sy­stem, und eine Selbst­ver­tei­di­gungs­kom­mis­sion. Sie ist für die Vertei­di­gung der Kommune gegen aussen verantwortlich.

P.: Und natür­lich gibt es in jeder Kommune eine Kommis­sion für Ökonomie. Das sind vor allem Verteil­stellen, wo die für eine Grund­ver­sor­gung notwen­digen Güter wie Benzin oder Grund­nah­rungs­mittel je nach Bedürfnis verteilt werden. Man befindet sich aber natür­lich immer noch in einem Aufbauprozess.

Kämp­fe­rinnen der jesi­di­schen Selbst­ver­tei­di­gungs­ein­heit in der vom IS befreiten Stadt Şingal . (Foto: S. und P.)

Wie hoch ist denn der Orga­ni­sa­ti­ons­grad? Sind es einige wenige enga­gierte Personen, die alle wich­tigen Entschei­dungen fällen?

S.: Natür­lich sind nicht alle Personen in den Kommunen gleich aktiv. Aber wie gut das System schon etabliert ist, zeigt ein Beispiel: Das Dorf, das unserer Unter­kunft am näch­sten lag, war ein über­wie­gend arabi­sches Dorf und ein Dorf, in dem bei weitem nicht alle Leute von Anfang an aktiv das Projekt unter­stützten. Aber auch dort gibt es einen Kommu­nenrat, und es ist völlig klar, dass das gesell­schaft­liche Leben in diesem Rat orga­ni­siert wird: Er hat den von Assad dikta­to­risch geführten Staat ersetzt.

Und wie sind diese Kommunen mitein­ander verbunden?

P.: Die Kommunen wählen einen Co-Vorsitz, der sich immer aus einem Mann und einer Frau zusam­men­setzt. Sie werden für eine begrenzte Amts­zeit gewählt und können jeder­zeit abge­wählt werden. Diese Vorsit­zenden sind dann wiederum in Stadt­teil- oder Dorf­ge­mein­schafts­räten orga­ni­siert, die genau gleich aufge­baut sind wie die Kommunen: mit Kommis­sionen und Vorsit­zenden. Auf der nächst­hö­heren Ebene, dem Stadtrat, wird es komplexer. Dort kommen Parteien sowie Quoten für die verschie­denen Bevöl­ke­rungs­gruppen, etwa für die jesi­di­sche oder die arabi­sche Bevöl­ke­rung, ins Spiel.

S.: Wichtig ist zudem, dass es von allen gesell­schaft­li­chen Struk­turen eine Paral­lel­struktur der Frauen gibt, in der alle Geschäfte zusätz­lich bespro­chen werden. So wird die Frau­en­per­spek­tive immer mitberücksichtigt.

Was meint ihr mit Parallelstruktur? 

P.: Alles ist doppelt: von der Kommune bis zur höch­sten Verwal­tungs­ebene. Für die Frauen gibt es immer zwei Sitzungen: die gemischte und dann eben die Frauensitzung.

S.: Es gilt der Grund­satz, dass sich die Frauen in jedem Bereich selbst orga­ni­sieren müssen. Wenn die Gesund­heits­kom­mis­sion entscheidet, an einem bestimmten Ort eine Arzt­praxis bauen zu wollen, dann beraten die Frauen unter sich, ob das ihrer Meinung nach sinn­voll ist.

P.: Und die gemischten Struk­turen dürfen in keinem Bereich über Frauen entscheiden. Wenn es zu Fällen von häus­li­cher Gewalt kommt, dann liegt die Verant­wor­tung dafür bei der Frau­en­struktur. Frauen sollen in jedem Fall über Dinge entscheiden, die sie betreffen. Auch in der Sicher­heit: Zivile Sicher­heits­struk­turen gibt es immer auch parallel von und für Frauen.

Sind das nur struk­tu­relle Konstrukte oder gibt es auch tatsäch­lich ein entspre­chendes Bewusstsein?

P.: Die harten patri­ar­chalen Struk­turen sind noch nicht einfach verschwunden. Aber die Frau­en­be­we­gung ist dyna­misch. Zum einen entwickelt sich unter den Frauen eine enorme Soli­da­rität. Aber auch gesamt­ge­sell­schaft­lich entwickelt sich ein neues Bewusstsein.

S.: Dass die Frauen aus dem engen Fami­li­en­sy­stem heraus­treten und sich selbst­ständig orga­ni­sieren, hat einen grossen Effekt: Die Dinge ändern sich, die patri­ar­chale Struktur der Gesell­schaft wird immer weiter aufge­bro­chen. Ein Beispiel: Wir haben eine Frau getroffen, die uns gesagt hat, noch vor sechs Jahren hätte sie nicht selbst entschieden, welche Kleider sie trägt. Und als wir dann in einer Runde von 100 Frauen eine Frage gestellt haben, stand diese Frau auf und hielt einen Vortrag über die Befreiung der Frau – in einer unglaub­li­chen Offen­heit und Klarheit.

P.: In Rojava wird immer wieder betont, dass die Befreiung der Frau die Befreiung der Gesell­schaft ist. Dadurch tragen die Frauen in diesem Prozess eine grosse Verant­wor­tung, aber sie haben auch einen hohen Stel­len­wert. Man spürt, dass bei ihnen auch deshalb ein grosses Selbst­be­wusst­sein vorhanden ist. Ein Bewusst­sein dafür, dass ihnen in Rojava eine elemen­tare Rolle zukommt.

S.: Die Gesell­schaft in Rojava ist aber auch wider­sprüch­lich. Jetzt haben wir viel über Verän­de­rungen gespro­chen. Parallel zu diesen Verän­de­rungen besteht das Alte aber natür­lich weiter. Es gibt Gross­fa­mi­lien, in denen sich der Patri­arch von seiner Frau den Tee bringen lässt – während seine Tochter in den Bergen mit der Guerilla kämpft.

Wie steht es um die ökono­mi­sche Selbst­er­mäch­ti­gung in Rojava?

P.: Das ist ein viel­schich­tiges Thema. Vor dem Bürger­krieg galt Rojava als Korn­kammer Syriens. Es wurde vor allem Weizen ange­baut. Das Land gehörte zu 80% dem Staat und wurde von Grossgrundbesitzer*innen gepachtet.

S.: Mit der Revo­lu­tion wurden diese Leute entmachtet – der Staat war ja dann nicht mehr da. Zum grössten Teil wurde das Land dann nach und nach verteilt.

P.: Diese Vertei­lung war der grösste Eingriff, den es im Zug der Revo­lu­tion gegeben hat. Anson­sten wurden kaum Enteig­nungen durch­ge­führt. Es herrscht die Ansicht vor, dass es nicht sinn­voll ist, gewaltsam eine bestimmte Politik zu imple­men­tieren. Statt­dessen setzt man auf einen Bildungs­pro­zess. Einen lang­samen Aufbau von kollek­tiven, alter­na­tiven Struk­turen. Der Grund­satz: Eine andere Wirt­schaft kann nur dann aufge­baut werden, wenn die Leute das wollen – sie also ein entspre­chendes Bewusst­sein dafür haben, dass es für sie besser ist, in kollek­tiven Struk­turen zu wirtschaften.

S.: Eine beson­dere Rolle kommt den Koope­ra­tiven zu, in deren Aufbau viel Zeit und Mittel inve­stiert werden. Es sollen immer mehr Koope­ra­tiven entstehen, die mitein­ander vernetzt sind. Ein Beispiel dafür ist eine Chips-Fabrik, die wir eher zufällig besucht haben. Etwa 15 Frauen arbeiten in dieser Koope­ra­tive an einer Maschine, deren Arbeits­schritte sie über­wa­chen, und alle haben denselben, guten Lohn. Das funk­tio­niert ganz ohne Chef oder Chefin, dafür mit gegen­sei­tigem Vertrauen.

P.: Zurzeit wird etwa ein Drittel der Güter in Koope­ra­tiven produ­ziert, was ange­sichts der Tatsache, dass Rojava erst sechs Jahre alt ist, ein hoher Prozent­satz ist. Ein weiterer Drittel der Güter wird zentral orga­ni­siert und verteilt. Das sind Grund­mittel wie Benzin und Brot. Das übrige Drittel stammt von profit­ori­en­tierten Betrieben im Privat­ei­gentum, die sich bis heute gehalten haben, aber immer weniger wichtig werden.

Für sich betrachtet scheinen die Struk­turen also relativ stabil. Ihr wart aller­dings im Dezember in Rojava, als der Abzug der US-Truppen aus Syrien ange­kün­digt wurde. Was hat diese Ankün­di­gung für Konsequenzen?

P.: Tatsäch­lich hat sich die Situa­tion schon im November massiv verschärft, als die Türkei ihre Angriffe an der Grenze wieder aufge­griffen hatte. Es kam zu Bombar­de­ments und Schüssen. Mitglieder der zivilen Selbst­ver­tei­di­gungs­struktur sind gefallen.

S.: Im November wurden zudem erst­mals kurdi­sche PKK-Kader von den USA zur Fahn­dung ausge­schrieben. Mit einem hohen Kopf­geld von mehreren Millionen Dollar – und auf einer Seite, wo sonst nur isla­mi­sti­sche Terrorist*innen ausge­schrieben werden. Das war ein Angriff auf die kurdi­sche Befrei­ungs­be­we­gung und damit auch ein starkes poli­ti­sches Zeichen: „Wir sind zwar noch hier, aber wir sind auch bereit, das Projekt anzugreifen.“

P.: Man wusste in Rojava immer, dass der Krieg irgend­wann kommen würde. Und die Leute sind darauf vorbe­reitet. Natür­lich herrscht Angst. Aber viel stärker ist der Wille, Rojava zu vertei­digen. Die Menschen haben jetzt etwas zu verlieren. Das ist spürbar. Man läuft durch die Strasse und trifft eine alte Mutter, die sagt: „Gib mir ein Gewehr, und ich ziehe in den Kampf.“ Die Koali­tion mit den USA gegen den IS war von Beginn weg ein rein takti­sches Bündnis. Es war immer klar, dass das eine inter­es­sen­ge­lei­tete, insta­bile Zusam­men­ar­beit ist. Rojava ist ein anti­im­pe­ria­li­sti­sches, anti­ka­pi­ta­li­sti­sches und anti­pa­tri­ar­chales Projekt – und steht damit auch in ideo­lo­gi­scher Oppo­si­tion zu den USA. Hinzu kommt, dass die USA und die Türkei verbün­dete sind. Die Türkei ist ein NATO-Staat.

S.: Sichtbar wurde die Verbin­dung etwa, als im Dezember Luft­an­griffe auf die kurdi­schen Städte Mexmûr und Şingal im Irak verübt wurden.

Durch die USA?

P.: Nein, die Türkei hat sie ausge­führt. Aber der Luft­raum wird von den USA kontrol­liert. Das heisst, die USA müssen ihn vor jedem Angriff frei­geben. Sie waren also invol­viert. Wer den Luft­raum kontrol­liert, ist zentral. Im Moment wird der Luft­raum über Rojava von den USA kontrol­liert. Sollte er frei­ge­geben werden und die Türkei einen Luft­krieg starten, dann ist die tech­no­lo­gi­sche Über­macht riesig. Mili­tä­risch wird es dann sehr, sehr schwierig, Rojava zu verteidigen.

Anti­kriegs­de­mon­stra­tion in Rojava. (Foto: S. und P.)

Wie gehen denn die Menschen in Rojava mit dem Wider­spruch um, dass man mit den USA auf die grösste impe­ria­li­sti­sche Macht der Welt ange­wiesen ist, um zu überleben?

S.: In Rojava wird keine dogma­ti­sche Linie verfolgt, wonach mit defi­nierten Feinden auf keinen Fall zusam­men­ge­ar­beitet werden kann. Viel­mehr ist allen klar, dass sie dialek­tisch denken müssen, um vorwärts zu kommen. Dass sie stra­te­gisch die verschie­denen grossen Mächte gegen­ein­ander ausspielen müssen. Die Koali­tion mit den USA war eine Koali­tion, die wichtig war. Und sie bleibt ja auch noch bestehen. Aber das poli­ti­sche Verständnis war immer klar: Ewig wird man sich auf die USA nicht verlassen können. Sie bleiben, so lange sich die Inter­essen in manchen Berei­chen decken.

P.: Beim Bündnis mit den USA handelt es sich um ein mili­tär­tak­ti­sches Bündnis, das Raum schuf für den internen Selbst­or­ga­ni­sie­rungs­pro­zess. Natür­lich ist die Zusam­men­ar­beit bis zu einem gewissen Grad wider­sprüch­lich. Aber wer auf die perfekten Bedin­gungen wartet, wird nie vorwärtskommen.

Jetzt werden ja anschei­nend auch wieder Gespräche mit Assad geführt. 

S.: Genau. Die YPG hat das Regime zur Hilfe in der Stadt Menbîç aufge­for­dert. Es sollen Truppen dort statio­niert werden. Die Stadt steht zwar immer noch unter der Kontrolle der dortigen Selbst­ver­tei­di­gungs­ein­heiten, aber die Truppen des Regimes sind jetzt näher an der Stadt posi­tio­niert. Und weil das Regime unter dem Einfluss von Russ­land steht, bedeutet diese Trup­pen­prä­senz den Einbezug von Russ­land. Das ist natür­lich gefähr­lich: Das Regime steht ja ganz klar auch nicht auf ihrer Seite. Aber so soll verhin­dert werden, dass die Türkei einen direkten Luft­an­griff auf Menbîç eröffnen kann. Denn der Luft­raum wird jetzt von Russ­land kontrol­liert. So werden die verschie­denen Parteien gezielt gegen­ein­ander ausgespielt.

Und wie geht es jetzt weiter?

P.: Das hängt mass­geb­lich davon ab, ob der Luft­raum über Rojava frei­ge­geben wird. Wenn ja, dann kommt es zu einem Massaker durch die Türkei. Dann wird alles wegge­bombt werden. Deshalb sind wir auch hier in der Schweiz gefor­dert. Bei dieser Entschei­dung ist Europa invol­viert. Wenn genü­gend grosser inter­na­tio­naler Druck aufge­baut wird, dann kann ein Luft­an­griff durch die Türkei viel­leicht verhin­dert werden. Es ist jetzt zentral, sich zu posi­tio­nieren – und für Rojava einzustehen.


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