Sagt endlich etwas!

Sexismus ist in unserer Gesell­schaft allge­gen­wärtig. Es ist Zeit, dass Männer sich endlich aktiv dagegen einsetzen – mit Männ­lich­keit als Wunderwaffe. 
Still danebenstehen, während die Kollegen über einen sexistischen Witz lachen, reicht nicht. (Foto: Unsplash/Fabio Alves)

Ein ehema­liger Kollege bezeich­nete Frauen, die gerne und oft Sex haben, als Schlampen; einer meiner Dozenten insi­nu­ierte vor versam­meltem Hörsaal, dass Frauen in Bezie­hungen vor allem aufs Geld aus sind; mein Onkel meint, Frauen könnten nicht Auto fahren; mein Arbeits­kol­lege erklärte mir unge­fragt, wie ich meine Arbeit zu verrichten habe.

Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft ich in einer Situa­tion war, in der ein Mann etwas Sexi­sti­sches gesagt oder getan hat und ich über­legen musste, ob ich jetzt etwas entgegnen soll oder nicht. Ich habe in so einem Fall drei Optionen. Erstens: Ich antworte direkt in der Situa­tion, dass diese Aussage oder Hand­lung sexi­stisch ist und ich das nicht in Ordnung finde. Die Stim­mung ist dahin, besten­falls folgt betre­tenes Schweigen, schlimm­sten­falls werde ich (je nach dem von mehreren Personen) beschimpft.

Zwei­tens: Ich sage in der Situa­tion nichts und spreche den Mann nachher darauf an. Das Risiko ist gross, dass er das Ganze ins Lächer­liche zieht („Ach, so war das doch nicht gemeint“) oder es als mein persön­li­ches Problem darstellt („Du bist so empfindlich“).

Am meisten provo­zieren mich die Männer, die Sexismus mitbe­kommen und dann einfach schweigen.

Drit­tens: Ich sage nichts und laufe den Rest des Tages mit diesem ekligen Bauch­ge­fühl, das ich in solchen Situa­tionen bekomme, herum.

Diese Optionen sind wenig zufrie­den­stel­lend. Die einzige Alter­na­tive ist, solche Situa­tionen ganz zu vermeiden – was ich auch tue, wenn möglich. Wenn es doch passiert, wähle ich meistens die Konfron­ta­tion; damit alle Anwe­senden hören, dass sich jemand gewehrt hat. Viel­leicht bringt es jemanden zum Nach­denken, viel­leicht wird jemand inspi­riert, das nächste Mal selbst etwas zu sagen, viel­leicht ist mir auch einfach jemand dankbar.

Obwohl wir viel über Sexismus und sexi­sti­sches Verhalten spre­chen, ist es sinn­voll, noch mal klar­zu­stellen, was alles damit gemeint sein kann.

Eine mögliche Defi­ni­tion ist: „Sexismus beschreibt die Diskri­mi­nie­rung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts. Sexismus kann sich gegen alle Geschlechter richten, über­pro­por­tional betroffen sind jedoch Mädchen und Frauen sowie Personen, die sich nicht hete­ro­nor­ma­tiven, zwei­ge­schlecht­li­chen Vorstel­lungen von Geschlecht zuordnen lassen.“

Sexi­stisch ist, wenn einer weib­lich gele­senen Person aufgrund ihres Geschlechts eine – oft stereo­ty­pi­sche – Eigen­schaft zu- oder abge­spro­chen wird, um sie negativ darzu­stellen. Beispiele für Alltags­se­xismus, die weib­lich gele­sene Personen erfahren, sind unter anderem:

  • Ihnen wird abge­spro­chen, dass sie stereotyp männ­liche Eigen­schaften haben oder Tätig­keiten ausüben können.
  • Sie werden als über­mässig emotional bezeichnet und darum weniger ernst genommen.
  • Von ihnen wird erwartet, dass sie den Gross­teil der Haushalts‑, Erzie­hungs- und sonstiger Care-Arbeit über­nehmen (wollen).
  • Ihnen wird weniger zuge­traut und sie werden darum belächelt.
  • Sie werden nega­tiver bewertet als männ­lich gele­sene Personen in derselben Situa­tion: hat viele wech­selnde Sexualpartner*innen, ist ein*e strenge*r Chef*in, ist arbei­tender Elternteil.
  • Sie werden unge­fragt ange­fasst beim Vorbei­laufen, zum Beispiel am Arm, an den Schul­tern oder am unteren Rücken.
  • Sie werden auf ihr Aussehen und ihren Körper reduziert.

Wichtig zu betonen ist, dass es neben Alltags­se­xismus auch struk­tu­rellen Sexismus gibt, der die Benach­tei­li­gung von FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) aufgrund der Orga­ni­sa­tion unserer Gesell­schaft beschreibt. Beispiele dafür sind Lohn­un­gleich­heit, Fehlen eines dritten Geschlechts­ein­trags, ungleiche Eltern­zeit und das bis vor Kurzem fehlende Frauenstimmrecht.

Zudem gibt es FINTA, die neben Sexismus auch von Ablei­smus, Rassismus oder Queer­feind­lich­keit betroffen sind, was als Mehr­fach­dis­kri­mi­nie­rung bezeichnet wird.

Am meisten provo­zieren mich die Männer, die Sexismus mitbe­kommen und dann einfach schweigen; still dane­ben­stehen, während ein Dude eine miso­gyne Aussage nach der anderen macht. Wenn ihr denkt, dass ihr nicht auffällt, weil ihr nichts gesagt habt, täuscht ihr euch gewaltig. Wir sind hier nicht in der Wildnis, wo ihr euch wie eine Maus vor einer Schlange retten könnt, indem ihr erstarrt.

Eure Stille ist laut. Wenn sich einer eurer Freunde sexi­stisch äussert und ihr nichts sagt, wird das als still­schwei­gende Zustim­mung gedeutet; von ihm, aber auch von allen anderen, die zuhören. Ally­ship funk­tio­niert anders.

Ein ally (dt. Verbündete*r) ist eine Person in einer privi­le­gierten Posi­tion, die diskri­mi­nierten Personen beisei­te­steht. Theo­re­tisch gesehen sind sich allies bewusst, welche Macht sie als Mitglied einer domi­nanten sozialen Gruppe haben und fühlen eine gewisse Verant­wor­tung für die Unge­rech­tig­keit, die diskri­mi­nierte Personen erfahren.

Mich beschäf­tigt (offen­sicht­lich) die Frage, wie wir Männer für Unge­rech­tig­keit sensi­bi­li­sieren und für Femi­nismus moti­vieren können. Insbe­son­dere die Männer, die sich kaum mit dem Thema ausein­an­der­setzen oder finden, dass „der Femi­nismus zu weit geht“. Wie es die Logik aber so will, würden Männer, die Frauen nicht respek­tieren, mir als Frau nie zuhören.

Versteht ihr eigent­lich, wie frustrie­rend das ist?

Sobald ihr riskiert, selbst in eine etwas unan­ge­nehme Situa­tion zu raten und ein biss­chen an Cool­ness einzu­büssen, ist Schluss mit eurer Solidarität.

Das Einzige, das ich tun kann, ist euch – den Männern, die gewillt sind, mir zuzu­hören – versu­chen zu erklären, dass und wie ihr euer Privileg nutzen und gute allies sein könnt.

Also, liebe Leser: Sagt endlich etwas! Macht das Maul auf, wenn euer Arbeits­kol­lege rumer­zählt, die Kollegin hätte die Beför­de­rung aufgrund ihres Ausse­hens erhalten, sagt eurem besten Freund, wenn er im Ausgang zu aufdring­lich ist und erklärt eurem Vater, dass er fremde junge Frauen nicht als „Schätzli“ bezeichnen kann.

Ihr seid konfron­ta­ti­ons­scheu? Das macht nichts, ihr könnt das üben. Fängt an mit einem „Ich finde das nicht lustig“ oder „Ich stimme dir nicht zu“. Auch ein „Das ist nicht in Ordnung“ oder das expli­zite „Das ist sexi­stisch“ funk­tio­nieren sehr gut.

Und wisst ihr was? Wenn ihr – im Gegen­satz zu mir, eurer Arbeits­kol­legin oder eurer Schwe­ster – eure Mitmänner kriti­siert, ist die Chance sogar relativ gross, dass es einen posi­tiven Effekt hat. Das hat eine Studie schon vor zwanzig Jahren gezeigt: Wenn Männer Sexi­sten konfron­tierten, empfanden diese die nega­tive Rück­mel­dung als legi­timer und fühlten sich schul­diger, wie wenn eine Frau sie konfron­tiert hätte.

Eine weitere Studie kommt zum Schluss, dass eine Konfron­ta­tion mehr Wirkung hat, wenn sie von jemandem ausgeht, der als ähnlich wahr­ge­nommen wird. In diesem Fall von einem anderen Mann, der sagen kann: „So machen wir Männer das nicht“.

Ihr seid also nicht einmal das Ziel des Sexismus und werdet trotzdem ernster genommen, wenn ihr ihn verur­teilt. Das macht mich sowohl wütend wie auch hoff­nungs­voll, denn hier ist glas­klar: Ohne euch kommen wir nicht weiter.

Fast alle Männer, die ich persön­lich darauf ange­spro­chen habe, finden es schwierig, in solchen Situa­tionen etwas zu sagen. Man wolle nicht als Spiel­ver­derber dastehen oder die kolle­giale Bezie­hung gefährden. Solche Gespräche seien nicht üblich. Klar­text: Sobald ihr riskiert, selbst in eine etwas unan­ge­nehme Situa­tion zu raten und ein biss­chen an Cool­ness einzu­büssen, ist Schluss mit eurer Solidarität.

Das finde ich schwach.

Ich weiss, dass mein kurzer Ausflug aus meiner Komfort­zone kein Vergleich ist zu den ener­gie­rau­benden und teils trau­ma­ti­schen Erfah­rungen, die mehr­fach diskri­mi­nierte Personen machen müssen.

Als weisse, studierte, hetero-gele­sene cis Frau ohne Behin­de­rung habe ich extrem viele Privi­le­gien. Diese möchte ich nutzen, indem ich auch diskri­mi­nie­rende Aussagen und Hand­lungen kriti­siere, die nicht mich betreffen. Heisst das, dass mir das immer gelingt, ich immer die Energie dazu habe oder ich es super einfach finde? Nein.

Aber ich sehe es als meine Verant­wor­tung, weil mir je nachdem eher zuge­hört wird und ich in der privi­le­gierten Posi­tion weitaus weniger zu verlieren habe als die Betrof­fenen. Und ich weiss, dass mein kurzer Ausflug aus meiner Komfort­zone kein Vergleich ist zu den ener­gie­rau­benden und teils trau­ma­ti­schen Erfah­rungen, die mehr­fach diskri­mi­nierte Personen machen müssen.

Ich glaube dran, dass die aller­mei­sten von euch keine Arsch­lö­cher sein wollen. Aber dann müsst ihr auch endlich bereit sein, ein paar Minuten Unwohl­sein auszu­halten und hie und da schwie­rige Gespräche zu führen. Es wird sich lohnen.

Lohn­un­gleich­heit, unbe­zahlte Care-Arbeit, sexua­li­sierte Gewalt, aber auch der Kampf gegen toxi­sche Masku­li­nität, die Abschaf­fung der Wehr­pflicht und homo­so­ziale Gewalt sind femi­ni­sti­sche Themen – und werden als „Frau­en­sache“ abge­stem­pelt. Dadurch werden diese Themen einer­seits abge­wertet, ande­rer­seits die Verant­wor­tung für die Lösung dieser Probleme auf FINTA (Frauen, inter, non-binäre, trans und agender Personen) übertragen. 

Das ist nicht nur unlo­gisch, sondern auch unnütz: Die Ursache des Problems liegt nicht auf der Betroffenen‑, sondern auf der Täter­seite. Es sind eben Männer­sa­chen. Deshalb müssen Männer als Teil der privi­le­gierten Gruppe Verant­wor­tung über­nehmen und diese Probleme angehen.


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