In normalen Zeiten leitet der selbstständiger Forstingenieur Ambroise M. Naturexkursionen. Solange jedoch Ansammlungen von mehr als fünf Menschen verboten sind, kann er nicht arbeiten. Corona-Taggeld erhält er trotzdem nicht.

Die mit dem klein­sten Einkommen erhalten keine Hilfe

Nach einer langen Zeit der Unge­wiss­heit, erhalten nun auch die indi­rekt betrof­fenen Selbst­stän­digen, wie Taxi­fah­re­rinnen oder Foto­grafen ein Corona-Taggeld. Aber nicht alle. 

Seit Mitte April können auch Selbst­stän­dige, die nicht direkt, aber indi­rekt von den Corona-Mass­nahmen betroffen sind und deswegen weniger oder gar kein Einkommen mehr haben, ein Gesuch auf Corona-Taggeld einrei­chen. Das Taggeld, das die betrof­fenen Selbst­stän­digen geltend machen können, entspricht dabei 80% des durch­schnitt­li­chen Tages­ein­kom­mens aus dem Jahr 2019. Eine Selbst­stän­dige, die im letzten Jahr ein Einkommen von 30’000 bei der Ausgleichs­kasse gemeldet hatte, erhält dementspre­chend rund CHF 2’000.- pro Monat. Unter den momen­tanen Bestim­mungen steht ihr dies für die Zeit vom 17. März bis zum 16. Mai zu. Einzige Bedin­gung: Es wurde im Jahr 2019 ein AHV-pflich­tiges Jahres­ein­kommen zwischen 10’000 und 90’000 Franken bei der Ausgleichs­kasse abge­rechnet. Mit anderen Worten: Wer 2019 selbst­ständig erwer­bend weniger als 10’000.- bei den Ausgleichs­kassen gemeldet hatte, geht leer aus.

Wir haben bei dem zustän­digen Bundesamt für Sozi­al­ver­si­che­rung (BSV) nach­ge­fragt, wie sich eine solche Unter­grenze recht­fer­tigen lässt, denn gerade Personen mit geringem Verdienst konnten wohl kaum Rück­lagen bilden, von welchen sie nun in Corona-Zeiten zehren können.

In mehreren Beiträgen analy­sierte Lamm-Redak­torin Alex Tiefen­ba­cher die Einfüh­rung und Umset­zung der Corona-Hilfe für die Selbstständigen.

Das BSV antwor­tete wie folgt: „Man kann davon ausgehen, dass Selbst­stän­dig­er­wer­bende mit derart tiefem Einkommen nicht allein von diesem Einkommen leben, sondern zu wesent­li­chen Teilen auf andere Einkommen zurück­greifen können. Sehr tiefe Taggeld­be­träge tragen in dieser Situa­tion nur sehr beschränkt zur Existenz­si­che­rung bei.“

Die Logik dahinter erklärt uns Harald Sohns, stell­ver­tre­tender Leiter Kommu­ni­ka­tion beim BSV per Telefon genauer. Es gehe darum, denen zu helfen, die in finan­zi­elle Not geraten sind, bis sich die Situa­tion wieder norma­li­siert. Mit der Unter­grenze wolle man verhin­dern, dass dieje­nigen, die eigent­lich gar nicht wirk­lich von ihrem selbst­stän­digen Erwerb abhängig sind, Leistungen kriegen, obwohl sie diese nicht wirk­lich brau­chen würden.

Dies erläu­tert Sohns mit zwei Beispielen. Ein Student mit einem Stipen­dium und Geld von seinen Eltern, der nebenbei noch selbst­ständig mit Nach­hil­fe­un­ter­richt CHF 4’000.- im Jahr verdient, lebe ja nicht in erster Linie vom Geld dieser Nach­hil­fe­stunden, sondern eben vom Stipen­dium und den Eltern und braucht das Taggeld auf die Nach­hil­fe­stunden deshalb nicht drin­gend. Und auch bei einer Raum­pfle­gerin, die nur gerade mal 9’000.- im Jahr macht, könne man davon ausgehen, dass ihr Haus­halt andere Einkommen hat, die das Gros der Haus­halts­ko­sten tragen. Wie der Student könne auch sie zwei bis drei Monate ohne Taggeld über die Runden kommen.

Das BSV ist also der Meinung, dass Menschen, die 2019 weniger als 10’000 gemeldet hatten, per se nicht von solch tiefen Einnahmen abhängig sein können. Bei so geringen Löhnen muss doch einfach noch irgendwo ein lukra­tiver Zweitjob, einE gutver­die­nendeR Part­nerIn oder eine grosse Erbschaft vorhanden sein, so die Überlegungen.

Rück­mel­dungen von Selbst­stän­digen, die dem Lamm vorliegen, zeigen: Das stimmt so nicht. Es gibt durchaus selbst­stän­dige Menschen, die unter diese Grenze fallen, aber das Geld trotzdem nötig hätten.

2019 als Berechnungsgrundlage

Ambroise M. ist einer von ihnen. Er arbeitet als Natur­fo­to­graf und Umwelt­bildner, bietet Work­shops, Exkur­sionen und Kurse für Privat­kun­dInnen, Vereine und verschie­dene NGOs an.

Neben seiner Selbst­stän­dig­keit ist er auch noch ange­stellt: im Zoo Zürich als Zooführer und im Tier­park Goldau als Park­ranger. Beide Insti­tu­tionen sind seit Mitte März geschlossen.

Der Anteil an selbst­ständig erwirt­schaf­tetem Geld hat bei ihm in den letzten Jahren konti­nu­ier­lich zuge­nommen. 2017 waren es 9’100.- Franken. 2018 kam er bereits auf 12’800.- Franken. Und auch für 2020 hat er mit einem selbst­stän­digen Einkommen in dieser Grös­sen­ordung gerechnet, wenn da nicht das Coro­na­virus dazwi­schen­ge­kommen wäre. „Solang nicht mehr als fünf Personen zusam­men­kommen dürfen, werde ich keine Arbeit haben“, sagt Ambroise M. Corona-Erwerbs­er­satz erhält er trotzdem nicht. Wieso? Er war im letzten Jahr mehrere Monate auf Reisen, weshalb er 2019 ledig­lich 5’900.- bei der Ausgleichs­kasse gemeldet hat. Zu wenig für die jetzt geltende Corona-Verord­nung, die sich auf das gemel­dete Einkommen aus dem Jahr 2019 bezieht.

Zwar wird Ambroise M. von seinen zwei Arbeit­ge­bern, dem Zoo Zürich und dem Tier­park Goldau, eine Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gung erhalten, aber die wird sehr bescheiden ausfallen. Da er an beiden Orten auf Stun­den­basis ange­stellt ist, wird als Grund­lage für die Berech­nung einmal mehr das Einkommen aus 2019 heran­ge­zogen. Das Jahr also, in dem Ambroise M. auf Reisen war. Er rechnet mit rund CHF 800.- Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gung für die Monate April und Mai. Danach können die Parks wieder öffnen. Wie viele Führungen es ab Juni für ihn zu leiten geben wird, ist jedoch noch unklar, denn Perso­nen­an­samm­lungen von über fünf Menschen sind nach wie vor verboten. Ohne die Unter­grenze des BSV würde er immerhin noch rund CHF 400.- zusätz­lich erhalten.

Brau­chen könnte er den Zustupf allemal. Denn Kran­ken­kasse, Miete und Essen zahlt ihm momentan seine schwan­gere Part­nerin. „Wir brau­chen nicht unbe­dingt viel Geld zum Leben, aber es macht schon unsi­cher, da wir ab Anfang Juli zu dritt sein werden und wir nicht wissen, wie die Situa­tion nach dem Mutter­schafts­ur­laub aussehen wird.“

Mehr als 10’000 verdient und doch keinen Anspruch

Die glei­chen Unsi­cher­heiten dürften auch Raphael H. plagen. Neben seiner Selbst­stän­dig­keit als freier Presse- und Event­fo­to­graf arbeitet er für zwei Tage die Woche als Ange­stellter auf dem Bauernhof seiner Eltern. Sein Haupt­ein­kommen sei aber die Foto­grafie, auch wenn ihn das nicht reich mache. „Ich lebe bescheiden und komme damit über die Runden“, meint er. Seit Corona-Beginn sind ihm prak­tisch alle Foto­jobs weggebrochen.

Raphael H. hat seine Steu­er­erklä­rung zwar noch nicht ganz fertig, aber er rechnet damit, dass er 2019 mit seiner Selbst­stän­dig­keit trotz grös­serer Anschaf­fungen über CHF 10’000 Gewinn gemacht hat. Corona-Taggeld gibt es für ihn aber trotzdem nicht. Denn die Ausgleichs­kassen inter­es­sieren sich nicht für Einkom­mens­be­rech­nungen aus noch provi­so­ri­schen Steu­er­erklä­rungen, sondern stützen sich auf das beitrags­pflich­tige Einkommen, dass von der Ausgleichs­kasse zur Berech­nung der Akonto-Beiträge für das Jahr 2019 heran­ge­zogen wurde. Und dieses lag bei Raphael H. bei 4’200.- Franken.

Raphael H. verdient sein Geld als Veranstaltungsfotograf. Hier ist er an der Jahreskonferenz vom netzwerk recherche e.V. im Einsatz. Das ist eine der grössten Konferenzen für investigativen Journalismus im deutschsprachigen Raum. Die diesjährige Konferenz wird coronabedigt nicht stattfinden (Bild: Nick Jaussi)
Raphael H. verdient sein Geld als Veran­stal­tungs­fo­to­graf. Hier ist er an der Jahres­kon­fe­renz vom netz­werk recherche e.V. im Einsatz. Das ist eine der grössten Konfe­renzen für inve­sti­ga­tiven Jour­na­lismus im deutsch­spra­chigen Raum. Die dies­jäh­rige Konfe­renz wird coro­nabe­dingt nicht statt­finden (Bild: Nick Jaussi).

Wie kann das sein? Da die Selbst­stän­digen erst immer Ende Jahr wissen, wie viel sie tatsäch­lich verdient haben, bezahlen sie ihre Sozi­al­ab­gaben in einem ersten Schritt über Akonto-Beiträge, also im Voraus. Die Ausgleichs­kassen verrechnen diese Akonto-Zahlungen dann mit den tatsäch­lich geschul­deten Zahlungen, sobald die Steu­er­erklä­rung geprüft und damit das defi­ni­tive Einkommen, auf welches AHV, IV und EO zu bezahlen sind, bekannt ist. Dies kann aber mehrere Jahre dauern. Bei den meisten dürften die jüng­sten defi­ni­tiven Steu­er­daten aus dem Jahr 2017 stammen.

Um die Akonto-Beiträge trotz der fehlenden defi­ni­tiven Zahlen berechnen zu können, müssen die Ausgleichs­kassen deshalb eine Einschät­zung des selbst­ständig erzielten Einkom­mens vornehmen. Liegt keine andere Zahl vor, beziehen sich die Ausgleichs­kassen auf die neue­sten defi­ni­tiven Steu­er­daten, momentan also zumeist jene aus dem Jahr 2017. Die Selbst­stän­digen haben jeweils am Anfang des Jahres auch die Möglich­keit, eine Selbst­de­kla­ra­tion einzu­rei­chen. Sprich: Sie schätzen selbst, wie viel sie im Folge­jahr etwa verdienen werden. Und aufgrund dieser Schät­zung werden ihnen dann die Akonto-Beiträge berechnet. Wer also im Januar 2019 hoch gepo­kert hat, kriegt heute mehr Corona-Taggeld. Dass eine geschätzte Zahl die Grund­lage für das Taggeld bildet, findet Raphael H. befrem­dend. „Man könnte auch die letzten defi­ni­tiven Steu­er­daten heran­ziehen. Die wären dann wenig­stens nicht total aus der Luft gegriffen. In meinem Fall wären sogar bereits die Zahlen aus 2018 definitiv.“

Die Kritik von Raphael H. ist berech­tigt. Bei vielen Selbst­stän­digen klafft zwischen dem selbst­de­kla­rierten und dem defi­ni­tiven Einkommen eine grosse Lücke. Denn nicht wenige Selbst­stän­dige belassen die Schät­zung auf dem Mini­mal­be­trag von CHF 4’200.-, weil sie zu Beginn eines Jahres noch nicht einschätzen können, wie viel sie etwa verdienen werden und befürchten, zu hohe Akonto-Beiträge nicht berappen zu können. Bei diesem Vorgehen zahlen Selbst­stän­dige bei der Endab­rech­nung zwar einen Verzugs­zins von 5% drauf, müssen sich aber nicht vor unbe­zahl­baren Rech­nungen fürchten. Gerade für Personen, deren Einkommen nur selten über einen längeren Zeit­raum hinweg stabil ist, kann das eine nach­voll­zieh­bare Stra­tegie sein.

Nur: Wer sich 2019 für dieses doppel­bo­dige Vorgehen entschieden hat, zieht jetzt den Kürzeren. Norma­ler­weise können Selbst­stän­dige diese Selbst­ein­schät­zung jeder­zeit anpassen. Um jedoch das Corona-Taggeld nicht in ein Wunsch­kon­zert zu verwan­deln, in welchem jeder und jede seine Selbst­de­kla­ra­tion noch schnell nach oben anpasst, bevor er das Gesuch einreicht, hat das BSV nun  entschieden, dass allfäl­lige Anpas­sungen nur bis zum 17. März akzep­tiert werden durften. Eine nach­voll­zieh­bare Entschei­dung, um allfäl­ligen Miss­bräu­chen vorzu­beugen. Aber auch ein grosses Problem, für all dieje­nigen, welche wie Raphael H. ihr beitrags­pflich­tiges Einkommen tatsäch­lich zu tief einge­schätzt hatten. „Wer sein Einkommen nicht vorher ange­passt hat, hat seine Melde­pflicht nicht wahr­ge­nommen“, heisst es hierzu trocken vom BSV.

Doch so einfach scheint das nicht zu sein. Denn laut einer Meldung von impressum, dem Berufs­ver­band der Medi­en­schaf­fenden, habe das BSV die Ausgleichs­kassen nun in einem Kreis­schreiben darauf aufmerksam gemacht, dass die bis anhin ange­wandte Berech­nungs­me­thode proble­ma­tisch sei. Das sieht man beim BSV anders: Bei impressum habe man die im Kreis­schreiben kommu­ni­zierten Neue­rungen falsch inter­pre­tiert. An den Regeln zur Bemes­sung des Corona-Erwerbs­er­satzes habe sich nichts geän­dert. „Die Anpas­sung des Kreis­schrei­bens bezieht sich auf Fälle, in welchen bei einzelnen Antrag­stel­lenden der Corona-Erwerbs­er­satz zwar rege­lungs­kon­form auf der Basis der Akonto-Beiträge 2019 berechnet wurde, die Akonto-Beiträge 2019 aber nicht auf dem neue­sten Stand waren, obwohl eine aktu­el­lere defi­ni­tive Steu­er­ver­an­la­gung vorlag, oder obwohl die versi­cherte Person ein geän­dertes Einkommen recht­zeitig gemeldet hatte (also vor dem 17. März 20).“

Wie sich die bei den Ausgleichs­kassen ange­wandte Praxis entwickeln wird, scheint noch offen zu sein. Wer aufgrund der bisher ange­wandten Berech­nungs­me­thode kein oder zu wenig Taggeld erhalten hat, tut sicher nicht schlecht daran, ein Wieder­erwä­gungs­ge­such zu stellen. Dies ist laut impressum auch nach abge­lau­fener Beschwer­de­frist noch möglich.

Keine Hilfe für Selbst­stän­dige im Aufbau

Die Band­breite an mögli­chen Lebens­ent­würfen, Einkom­mens­struk­turen sowie auch die Beschei­den­heit der Verhält­nisse, mit welchen viele Menschen klar­kommen oder klar­kommen müssen, scheint den Behörden nicht bewusst zu sein. Das musste auch Sonja Z. fest­stellen. Ihr Fall zeigt: Auch für Menschen, die gerade erst im Aufbau ihrer Selbst­stän­dig­keit sind, zeigt man beim BSV wenig Kulanz.

Sonja Z. hat als Zulie­ferin in der Gastro­branche eine Nische für ihre Selbst­stän­dig­keit gefunden. Sie beschriftet und illu­striert Schilder, Tafeln und Fenster für Bars und Restau­rants. Nebenbei arbeitet sie als Ange­stellte in einer Bar.

Sonja Z. hat sich ihre Selbstständigkeit hart erarbeitet und sich damit einen Traum erfüllt. Die Pandemie und die fehlende Unterstützung von Seiten des Staates könnten diesen nun aber zerstören (Bild: ZVG)
Sonja Z. hat sich ihre Selbst­stän­dig­keit hart erar­beitet und sich damit einen Traum erfüllt. Die Pandemie und die fehlende Unter­stüt­zung vonseiten des Staates könnten diesen nun aber zerstören (Bild: ZVG)

Auch bei Sonja Z. gibt es nach­voll­zieh­bare Gründe, weshalb ihr beitrags­pflich­tiges Einkommen 2019 unter der Grenze von CHF 10’000 lag, ohne dass dabei ein lukra­tiver Zweitjob, einE gutver­diendeR Part­nerIn oder eine Millio­nen­erb­schaft eine Rolle gespielt hätte. Denn sie hat ihre Selbst­stän­dig­keit erst 2019 ange­meldet, rück­wir­kend auf Mitte 2018. „Zuerst habe ich eher zöger­lich Zeit in die Selbst­stän­dig­keit inve­stiert, denn die Entschei­dung, sich selbst­ständig zu machen, gerade im krea­tiven Bereich, ist ein grosser und beäng­sti­gender Schritt. Man weiss am Anfang ja noch nicht so recht, ob es laufen wird oder nicht.“ Als die Anfragen jedoch langsam zunahmen, hat sich Sonja Z. dazu entschieden, die Schilder zu einem zweiten Stand­bein auszu­bauen. Ihre Geschäfts­zahlen zeigen, dass sie trotz dieses zöger­li­chen Starts im Jahr 2019 bereits CHF 4’700.- mit ihrer Selbst­stän­dig­keit verdienen konnte. Kein schlechtes Resultat für einen Start aus dem nichts – aber nicht genug für die BSV-Kriterien.

Um nicht voll­ständig von dem erst anlau­fenden Geschäft abhängig zu sein, behielt Sonja Z. ihren Bar-Job. Zum Glück: Den immerhin kriegt sie von dort nun CHF 1’200.- Kurz­ar­beits­ent­schä­di­gung. Das genüge jedoch nicht, um ihre Fixko­sten zu decken. Sonja Z. wäre um jeden Franken Corona-Taggeld zusätz­lich froh. Denn neben dem Einkommen aus der selbst­stän­digen Tätig­keit ist ihr auch das Trink­geld wegge­bro­chen. „Mit dem Bar-Job und der Selbst­stän­dig­keit war es schon vorher knapp, ging aber gerade so. Jetzt ist natür­lich deut­lich zu wenig da. Auch wenn ich momentan vorüber­ge­hend einen befri­steten Job bei einem Gross­ver­teiler ange­nommen habe“, so Sonja Z.

Auch andere Unter­stüt­zungs­an­ge­bote haben nicht geholfen

In ihrer Not wandte sich Sonja Z. auch an die Stadt Zürich, die bereits kurz nach Beginn der Corona-Krise eine Nothilfe für Selbst­stän­dige lanciert hatte. Aber auch hier fällt sie durchs Raster, denn für das Notgeld müsste Sie ein Mindest­ein­kommen von CHF 25’000.- pro Jahr vorweisen können. Ange­spro­chen auf diese Unter­grenze gibt uns die Spre­cherin des Sozi­al­de­par­te­ments der Stadt Zürich folgende Antwort: „Dieser Betrag wurde so gewählt, damit dieje­nigen Kleinst­un­ter­neh­menden unter­stützt werden, die mit ihrer Selbst­stän­dig­keit ein existenz­si­cherndes Einkommen gene­rieren.“ Genau wie beim Bundesamt für Sozi­al­ver­si­che­rung geht man auch beim Sozi­al­de­par­te­ment der Stadt Zürich davon aus, dass tiefe selbst­stän­dige Einkommen nicht zur Existenz­si­che­rung beitragen würden und gewährt Selbst­stän­digen mit weniger als 25’000 Jahres­ein­kommen dementspre­chend keine Nothilfe. Und was rät einem die Stadt, wenn man weniger verdient hat? „Den Betrof­fenen raten wir, sich für eine Bera­tung an eines der Sozi­al­zen­tren der Stadt Zürich zu wenden, um mögliche andere Finan­zie­rungs­hilfen zu prüfen“, schreibt uns das Sozialdepartement.

Das hat Sonja Z. nun auch gemacht. Sie hat sich beim Sozi­alamt gemeldet. Dies dürfte aber kaum das gewesen sein, was das BSV mit seiner Unter­grenze bewirken wollte. Denn das erklärte Ziel des Corona-Taggelds ist es, denje­nigen Selbst­stän­digen, die wegen der Corona-Mass­nahmen in Bedrängnis geraten sind, im Rahmen eines einfa­chen Verfah­rens schnell und unbü­ro­kra­tisch helfen zu können. „Wir müssen mit bis zu 310’000 Anspruchs­be­rech­tigten rechnen. Der Fokus wurde deshalb auf ein spedi­tives Verfahren mit raschen Auszah­lungen gelegt. Lang­an­dau­ernde Abklä­rungen würden dies verun­mög­li­chen“, so Sohns vom BSV.

Was die Ausgleichs­kassen hier gerade an Mehr­auf­wand leisten, ist tatsäch­lich beein­druckend; dass die Möglich­keiten für Sonder­ab­klä­rungen dabei beschränkt sind, nach­voll­ziehbar. Mit der pauschalen Annahme, dass geringe Verdienste per se nicht wichtig sind, hat sich das BSV nun jedoch selbst in eine Situa­tion hinein­ma­nö­vriert, in der Sonder­ab­klä­rungen nötig wären.

Denn wenn die Begrün­dung für die Unter­grenze lautet, man wolle nur dort helfen, wo das Geld auch wirk­lich gebraucht wird, müsste man nun auch abklären, bei wem allfäl­lige andere Geld­quellen das Corona-Taggeld tatsäch­lich ersetzen können. Und dies nicht nur bei denen, die am wenig­sten verdient haben, sondern bei allen Antrags­stel­le­rInnen. Denn auch wer CHF 15’000, 20’000 oder gar 90’000 gemacht hat, könnte theo­re­tisch einen lukra­tiven Zweitjob, eineN gutver­die­nendeN Part­nerIn oder eine Millio­nen­erb­schaft verstecken und deshalb laut BSV-Logik gar nicht auf das Taggeld ange­wiesen sein. Dass das BSV ledig­lich den am wenig­sten Verdie­nenden unter­stellt, sie könnten sich beim Staat bedienen, ohne dass sie es tatsäch­lich nötig hätten, ist nicht nur zynisch, sondern auch willkürlich.


Jour­na­lismus kostet

Die Produk­tion dieses Arti­kels nahm 14 Stunden in Anspruch. Um alle Kosten zu decken, müssten wir mit diesem Artikel CHF 988 einnehmen.

Als Leser*in von das Lamm konsu­mierst du unsere Texte, Bilder und Videos gratis. Und das wird auch immer so bleiben. Denn: mit Paywall keine Demo­kratie. Das bedeutet aber nicht, dass die Produk­tion unserer Inhalte gratis ist. Die trockene Rech­nung sieht so aus:

Soli­da­ri­sches Abo

Nur durch Abos erhalten wir finan­zi­elle Sicher­heit. Mit deinem Soli-Abo ab 60 CHF im Jahr oder 5 CHF im Monat unter­stützt du uns nach­haltig und machst Jour­na­lismus demo­kra­tisch zugäng­lich. Wer kann, darf auch gerne einen höheren Beitrag zahlen.

Ihr unter­stützt mit eurem Abo das, was ihr ohnehin von uns erhaltet: sorg­fältig recher­chierte Infor­ma­tionen, kritisch aufbe­reitet. So haltet ihr unser Magazin am Leben und stellt sicher, dass alle Menschen – unab­hängig von ihren finan­zi­ellen Ressourcen – Zugang zu fundiertem Jour­na­lismus abseits von schnellen News und Click­bait erhalten.

In der kriselnden Medi­en­welt ist es ohnehin fast unmög­lich, schwarze Zahlen zu schreiben. Da das Lamm unkom­mer­ziell ausge­richtet ist, keine Werbung schaltet und für alle frei zugäng­lich bleiben will, sind wir um so mehr auf eure soli­da­ri­schen Abos ange­wiesen. Unser Lohn ist unmit­telbar an eure Abos und Spenden geknüpft. Je weniger Abos, desto weniger Lohn haben wir – und somit weniger Ressourcen für das, was wir tun: Kriti­schen Jour­na­lismus für alle.

Ähnliche Artikel