Das Lamm schaut zurück und in die Zukunft

Das Lamm blickt auf ein weiteres Jahr voller span­nender Stories, existen­zi­eller Krisen und neuer Entwick­lungen zurück. Zum Jahres­wechsel erzählen vier Redak­ti­ons­mit­glieder von den Geschichten, die sie 2018 am meisten geprägt haben – und davon, was sie daraus für 2019 mitnehmen. Das Lamm wünscht schöne Festtage! 
as Lamm am Ende Gelände. Schön war’s. Und kalt. Sehr kalt. (Foto P.G.)

Lukas Tobler, Co-Chefredaktor

Im Mai letzten Jahres habe ich ange­fangen, für das Lamm zu arbeiten. Unter anderem, weil ich darin die Möglich­keit sah, einer Lohn­ar­beit nach­zu­gehen, die ich tatsäch­lich irgendwie als sinn­voll erachte – und damit zwei scheinbar unver­ein­bare Sphären zu vereinen. Beim Lamm würde ich mich vertieft mit all den Dingen ausein­an­der­setzen können, die mich stören.

Meine Erwar­tungen haben sich erfüllt. Im Rahmen meiner Arbeit für das Lamm habe ich viel Neues gelernt. Etwa über die Incel-Commu­nity: digi­tale Fratze des Patri­ar­chats und miso­gynes Destillat der analogen Welt. Oder darüber, wie das Kapital das Geschäft mit der syste­ma­ti­schen Unter­drückung geflüch­teter Personen für sich entdeckt hat – mit freund­li­cher Unter­stüt­zung der Behörden.

Doch damit nicht genug! Dank unserer Montags­mail-Redak­torin Alex­andra Tiefen­ba­cher weiss ich zum Beispiel auch, dass sich niemand einen Scheiss um existenz­si­chernde Löhne im Ausland kümmert; die Schweiz sich einen Dreck um schüt­zens­werte Land­schaften schert, wenn sie jenseits der Grenze liegen; und dass Nach­hal­tig­keits­stra­te­gien inter­na­tional agie­render Konzerne in etwa so trans­pa­rent sind wie Special-Edition-Nespres­so­kap­seln: gar nicht.

Was ich also aus meinem ersten Jahr beim Lamm mitnehme? Das Wissen darum, dass es nichts bringt, auszu­wan­dern. Was ich mir deshalb fürs nächste Jahr vornehme? Nicht im Bier zu ertrinken.

Lasagne statt Bier:  das Lamm Co-Chef­re­dak­teur Lukas bei den Vorbe­rei­tungen für das Lamm-Weih­nachts­essen 2018. (Foto N.W.)

Alex­andra Tiefen­ba­cher, Redaktorin

Egal, ob Blumen­erde, Kaffee oder T‑Shirts: Nachhal­tiger Konsum ist schon seit langem ein Stecken­pferd von mir. Aber eines habe ich dieses Jahr gelernt – und zwar auf einer Lamm-Recher­che­reise zu den Prote­sten der Kohlegegner*innen in der Nähe des Hamba­cher Forsts: Fair­ness wird nicht alleine durch den Einkaufs­korb geschaffen. Konsum ist zwar auch poli­tisch. Aber für sich alleine nicht poli­tisch genug, um all die Unge­rech­tig­keiten auf dieser Welt zu ändern. Dafür braucht es ein deut­lich stär­keres Zeichen als das Markt­si­gnal eines Biogur­ken­kaufs. Zum Beispiel 6000 Menschen, die vor den Toren des Tage­baus Hambach mehr Klima­ge­rech­tig­keit und den sofor­tigen Kohle­aus­stieg Deutsch­lands fordern. Ob es legitim ist, bei solchen Prote­sten das Gesetz zu stra­pa­zieren, um das Zeichen noch ein wenig deut­li­cher zu setzen, ist hingegen eine nicht ganz einfache Frage. Auch deshalb braucht es neben den auch wich­tigen Arti­keln über Biogurken ohne Plastik­ver­packung in Zukunft unbe­dingt mehr kriti­sche Bericht­erstat­tung über poli­ti­sche Events wie das der Braunkohlegegner*innen bei Hambach im Oktober 2018.

Deshalb lautet mein Vorsatz für das Jahr 2019: Mehr Repor­ta­ge­reisen mit dem Lamm-Hippiebus! Denn will man den Kern solcher Ereig­nisse wirk­lich fassen, muss man ein paar Tage vor Ort sein, mehrere Schau­plätze besu­chen und mit einem Haufen von Leuten reden. Und noch etwas Gutes bringen solche Reisen mit sich: Vier Tage unge­duschtes Hausen in einen VW-Bus schweisste die Lamm-Redak­tion wohl mehr zusammen als jeder Teambildungsevent.

Das Lamm am Ende Gelände. Schön war’s. Und kalt. Sehr kalt. (Foto P.G.)

Natalia Widla, Co-Chefredaktorin

Letzten Februar bin ich auf der Suche nach jour­na­li­sti­scher Selbst­ver­wirk­li­chung bei das Lamm gelandet. Gelernt habe ich sehr viel – darunter auch viel nicht so Erfreu­li­ches: Frau­en­has­sende Inter­net­trolle gibt es auch in meiner Nach­bar­schaft, die Glen­core ist tatsäch­lich noch schlimmer, als ich dachte, die Zürcher Sozi­al­dienste dürften sich auch in Asozi­al­dienste umbe­nennen, und der private Sicher­heits­dienst von RWE schert sich nicht um Pres­se­ar­beit. Ausserdem kann ich scheinbar sieben Kaffees in kürze­ster Zeit trinken, ohne mich zu über­geben – das wiederum ist doch recht positiv.

Was mir aber beson­ders vom 2018er-Lamm geblieben ist, stammt aus der klas­si­sche-grünen Lamm-Ecke, die mir noch zu Beginn meiner Arbeit hier etwas suspekt war: Da ich Ende November im Karl der Grosse in Zürich das Podium zum Thema fliegen mode­riert hatte, musste ich mich zwangs­läufig ganz intensiv mit meiner eigenen Akrasie – dem Handeln wider besseren Wissens – ausein­an­der­setzen und einsehen: Fliegen, das ist wirk­lich blöd. Vor allem, weil es (für mich) ganz oft nicht sein müsste – zumin­dest rede ich mir das jetzt mittel­mässig erfolg­reich ein.

Mein Vorsatz für das nächste und die darauf­fol­genden Jahre ist deswegen, weniger zu fliegen. Dafür will ich mehr mit dem Lamm-Hippiebus durch die Gegend fahren, vier Tage lang nur Tank­stel­len­nah­rung zu mir nehmen und unge­duscht enga­gierte Menschen inter­viewen. Anson­sten habe ich eigent­lich keine Vorsätze für 2019, gesünder essen oder weniger trinken, das hat noch nie funk­tio­niert, und pene­trant grüner Konsum bei gleich­zei­tiger poli­ti­scher und akti­vi­sti­scher Apathie ist mir auch nach fast einem Jahr bei das Lamm immer noch etwas schlei­er­haft. Viel­leicht verstehe ich aber auch noch nicht ganz alle Argu­mente für Politik mit dem Einkaufs­korb – auf die Diskus­sionen und Strei­te­reien freue ich mich auch 2019!

„Flug nach Akrasia”: Am von das Lamm mitor­ga­ni­sierten Podium am 21. November in Zürich wurde disku­tiert, gestritten und am Schluss auch etwas geschmollt. Gelernt haben aber wohl alle Anwe­senden etwas. (Foto J.S.)

Simon Muster, Redaktor

Mein zweites Jahr bei das Lamm war viel­sei­tiger, aufwän­diger, span­nender, anstren­gender, aber auch erfül­lender als das erste. Da wir letztes Jahr auf die gross­ar­tige Unter­stüt­zung unserer Leser*innen beim Crowd­fun­ding zählen konnten, konnte ich – zusammen mit zwei anderen Kolleg*innen — sogar eine 20%-Stelle beim Lamm antreten. Die zusätz­liche Zeit und Ressourcen haben wir in vertiefte, fundierte Recher­chen inve­stiert; in den Blind­spots des medialen Main­streams, immer auf den Punkt, gegen den Strich. So hat sich etwa mein Kollege Lukas kritisch mit der neuen Leistungs­ver­ein­ba­rung des Kantons Zürich mit der ORS Service AG ausein­an­der­ge­setzt. Dass private, börsen­ko­tierte Unter­nehmen von der Unter­brin­gung von flüch­tenden Menschen profi­tieren, ist stos­send. Gerade wenn man sich vor Augen hält, dass börsen­ko­tierte Unter­nehmen mit ihrem Handeln mass­geb­liche Treiber für ökono­mi­sche und ökolo­gi­sche Flucht­be­we­gungen sind.

Neben diesen grossen Themen haben wir aber auch mit den Menschen gespro­chen, die oft verges­sen­gehen im tägli­chen medialen und poli­ti­schen Trubel. Natalia hat ein verstö­rendes, einfühl­sames Porträt von Yodit, einer eritre­ischen Frau, geschrieben, welches das erschreckende Ausmass an sexu­eller Gewalt, mit dem Frauen auf der Flucht konfron­tiert sind, sichtbar machte. Aber wir haben uns auch aus der Komfort­zone begeben: Während ich mich mit einem buddhi­sti­schen Diaman­ten­händler aus Luzern über den Sinn und Unsinn von Menschen­rechten unter­halten habe, war Natalia – passio­nierte Katzen­be­sit­zerin und Teil­zeit-Vega­nerin – bei einem Kürschner auf der Suche nach dem Ursprung des Pelz­hun­gers der Schweizer Bevölkerung.

Doch ein Lamm ist kein Lamm ohne die Montag­mails von Alex­andra! Auch wenn wir thema­tisch den Begriff Nach­hal­tig­keit oft sehr ausge­dehnt verstehen, wird Alex­andra nie müde, den mäch­tigen Firmen auf die Finger zu schauen. Mein Favorit: das brasi­lia­ni­sche Bünd­ner­fleisch von Denner.

Dieses Jahr habe ich viele poli­ti­sche Themen behan­delt, kommen­tiert – Sech­se­läu­ten­platz, Strom­markt­li­be­ra­li­sie­rung, Erhö­hung der Mindest­fran­chise. Mein Vorsatz für näch­stes Jahr ist es, die Themen noch besser einzu­ordnen – es besteht ein Mangel an Kontext, nicht an Meinungen. Und so wird näch­stes Jahr hoffent­lich noch anstren­gender und aufwän­diger für mich – denn wenn wir den Mäch­tigen nicht auf die Finger schauen, wer dann?

Auch wenn im Hinter­grund fleissig Wein getrunken wird: Für Simon gibt’s im Pres­se­zelt von Ende Gelände in der Nähe des Hamba­cher Forsts nur seinen Laptop und die nächste gute Story. (Foto: P.S.)

Das oben­ste­hende Foto soll als weiterer Beweis dafür dienen, dass Simon Muster trotz zahl­rei­cher Gerüchte tatsäch­lich eine real existie­rende Person ist.

Glaubt uns doch endlich! (Foto L.T.)

Frohe Fest­tage!

Somit verab­schiedet sich das Lamm für eine kurze Verschnauf­pause und ist 2019 wieder am Start: Stets auf den Punkt – und gegen den Strich. Übri­gens: Auf eure Spenden sind wir auch 2019 noch ange­wiesen, liebe Leser*innen, also nicht verschlafen, das Lamm auf die dies­jäh­rige Liste der Weih­nachts­geld-Günst­linge zu setzen. Wir danken!

Wenn der Jour­na­lismus schläft, dann geht die Welt den Bach runter. Unter­stützt deswegen auch 2019 das Lamm – wir revan­chieren uns mit den besten (nicht erfun­denen!) Geschichten, verspro­chen! (Foto: N.W.)
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